Stand by me (Rob Reiner) USA 1986

Was für ein wundervoller Film! „Stand by me“ ist wieder ein kleines Meisterwerk aus der produktiven Zusammenarbeit von Rob Reiner und Stephen King (s.a. „Misery“). Entstanden ist ein berührender Coming-of-Age-Abenteuerfilm nach Kings Roman „Die Leiche“. Hauptpersonen sind vier 12-jährige Jungs, die im fiktiven Castle Rock (Oregon) leben. Der etwas dickliche Vern hat ein Gespräch von Mitgliedern einer Jugendbande belauscht, demnach ein vermisster Junge in der Nähe von einem Zug überfahren worden sein soll. Heimlich macht das Quartett sich auf die Suche nach der Leiche.

Story

Held ist der Schriftsteller Gordon „Gordie“ Lachance (Whil Wheaton), womit auch die autobiographischen Züge deutlich werden. Es beginnt damit, dass er aus der Zeitung vom Tod des Anwalts Chris Chambers (River Phoenix) erfährt, der einst sein bester Freund und Anführer der Gruppe war. Der Ich-Erzähler Gordie erinnert sich. Die Geschichte wird also als Rückblende erzählt und spielt 1959. Das Gerücht von der Leiche an den Bahngleisen animiert die vier Freunde zum Abenteuerausflug. Sie haben zwar ihre Schlafsäcke dabei und Chris sogar eine echte Pistole, aber an Reiseproviant hat keiner gedacht. Auf ihrer Wanderung halten sie sich immer an den Bahngleisen. Ihre Abenteuer bestehen aus lebensgefährlichen Mutproben, Flucht vor dem Besitzer eines Schrottplatzes und seinem Hund, Proviantbeschaffung oder Kampf gegen Blutegel.

Konflikte

Die Jungs fassen sich keinesfalls mit Samthandschuhen an. Sie schenken sich nichts, was sich u.a. in den rotzigen Dialogen ausdrückt. Trotzdem oder gerade deshalb erfahren wir nach und nach von ihren inneren Verletzungen. So leidet Gordie unter dem Verlust des älteren Bruders, der zugleich der Lieblingssohn des Vaters war. In einer Traumsequenz werden wir Zeuge der Beerdigung und vom Wunsch des Vaters, lieber Gordie im Sarg zu sehen als seinen Ältesten. Chris leidet unter dem schlechten Ruf der Chambers-Familie und fühlt sich gebrandmarkt. So gibt er zwar zu, das schulische Milchgeld gestohlen zu haben, aber seine reumütige Rückgabe hat die Lehrerin verschwiegen. Für alle war er der Dieb. Die Wahrheit hätte ihm niemand geglaubt. Gerade hinter seiner rauen Fassade schimmert immer wieder der Wunsch nach Harmonie und Frieden durch. Nicht ohne Grund nennt Gordie ihn „Friedensstifter“. Bemerkenswert ist das Verständnis der beiden Jungen füreinander, der Trost und der Mut, den sie sich zusprechen. Gerade Chris weiß wovon er spricht: „Kinder verlieren alles, wenn man nicht auf sie aufpasst.“ In „Stand by me“ passen die Kinder aufeinander auf. Erwachsene kommen nur am Rande vor.

Showdown

Schließlich finden sie die Leiche des vermissten Jungen, ganz in der Nähe der Gleise. Nach dem ersten Schock wollen sie eigentlich ihren ersehnten Triumph genießen, den Fund melden und im Mittelpunkt stehen. Immerhin haben sie etwas geschafft, wozu die Erwachsenen nicht in der Lage waren. Gleiches umtreibt aber auch die Jugendbande, die ebenfalls am Fundort auftaucht. Es kommt zur Konfrontation zwischen den beiden Anführern, wobei der Ältere droht, Chris mit einem Messer zu erstechen. Das verhindert Gordie, indem er die Pistole auf den Angreifer richtet. So können sie schließlich die Bande vertreiben. Am Ende melden die Jungs den Fund der Leiche doch lieber anonym am Telefon.

Freundschaft

Der Ich-Erzähler resümiert die Lebenswege der Jungs. So hat Chris doch noch mit Gordies Hilfe den Sprung aufs College geschafft, was es ihm später ermöglichte, Rechtsanwalt zu werden. „Freunde kommen und gehen“ konstatiert der für sein Alter erstaunlich weise Junge, wobei er gleich einschränkend hinzufügt: „Ich weiß, dass er mir für immer fehlen wird.“ Der ältere Gordie hat rückblickend noch eine weitere Erkenntnis: „Ich hatte später nie solche Freunde, als ich 12 war.“

Schwachpunkte

Das dramaturgische Problem sind die autobiographischen Anteile. Seine Kumpels kann der Ich-Erzähler Gordie vortrefflich charakterisieren, sich selber verliert er ab und zu aus den Augen. Bis auf die Konfrontation am Ende halten sich die Gefahrenmomente in Grenzen. Eine Schuld an einem wie auch immer gearteten Fehler hat er auch nicht auf sich geladen. Seinen Umgang mit der Gefühlskälte seines Vaters ist am Schluss auch kein Thema mehr. Darüber hätte der Zuschauer aber gern noch etwas erfahren. Bisschen seltsam auch, dass keines der vier Kinder trotz 40-stündiger Abwesenheit vermisst wird. Immerhin ist ja in Castle Rock gerade ein gleichaltriges Kind verschwunden.

Fazit

„Stand by me“ ist eine Hymne an die Kinder, an die Kraft der Freundschaft. Der Film hat auch eine Vorbildfunktion, zeigt er doch wie man mit Streitereien unter Freunden umgehen und sie gewinnbringend beilegen kann. Er zeigt auch, dass für eine tiefe Freundschaft, außer einer Seelenverwandtschaft, noch andere Faktoren eine Rolle spielen: nämlich Empathie und Hilfsbereitschaft. Der Film ist eine kleine Perle, der eigentlich in den Filmkanon der Bundeszentrale für Politische Bildung gehört, im Gegensatz zu einigen anderen. 

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für "Stand by me"

Misery (Rob Reiner) USA 1990

„Misery“ von Rob Reiner nach dem gleichnamigen Roman von Stephen King ist ein konzentriertes, schnörkelloses kleines Meisterwerk! Der Großteil dieses Psychothrillers spielt im Haus der ehemaligen Krankenschwester Annie Wilkes (Kathy Bates), die dort den Schriftsteller Paul Sheldon (James Caan) nach einem Autounfall versorgt. Die Pflege entpuppt sich allerdings als lebensbedrohliches Machtspiel. Denn Annie ist eine großer Fan von Pauls Misery-Reihe. Nur mit dem Tod der Heldin in Pauls neuestem Skript ist sie überhaupt nicht einverstanden. Was folgt, ist ein eskalierender Kampf auf Leben und Tod.

Figuren

Wie Kathy Bates die unterschiedlichen emotionalen Befindlichkeiten der Psychopathin spielt, ist einfach genial. Diesen Part hat ihr Drehbuchautor William Goldman förmlich auf den Leib geschrieben. Mit der Besetzung des männlichen Protagonisten war es schon schwieriger. Den wollte aus verständlichen Gründen keiner der angesprochenen Stars spielen. Sie befürchteten einen Imageschaden. Derartige Sorgen umtrieben den mit Drogenproblemen kämpfenden James Caan nicht mehr, weshalb er für diese Rolle prädestiniert war. Sehr originelle Nebenfiguren sind der Sheriff John McCain und seine Frau Virginia, denen man gern bei ihren Kabbeleien und gemächlichen Ermittlungen zuschaut.

Handwerk

Die Kameraarbeit von Barry Sonnenfeld ist brillant. Die bildkompositorischen Auflösungen – mit Nahaufnahmen und Froschperspektiven – sind nie Selbstzweck. Sie ordnen sich stets der Geschichte unter, genauso wie die stimmungsvolle Ausleuchtung. Drehbuch und Regie treiben die Spannung vorbildlich auf die Spitze, angefangen von der ersten Irritation bis hin zum Showdown. Garniert wird das Psychoduell mit wohltuenden, schwarzhumorigen Einlagen. Bei einem ihrer ersten Ausraster fuchtelt Annie die ganze Zeit mit einer von Pauls Urin gefüllten Flasche vor seinen Augen herum. Wenn bei der Schlusspointe die Kellnerin Paul gesteht, sein „größer Fan“ zu sein, dann reagiert der mit einem gequälten Lächeln. Mehr braucht man nicht. Der Zuschauer weiß, was ihm durch den Kopf geht.

Schwachpunkte

Es gibt drei Schwachpunkte in „Misery“: Wenn Annie im nahegelegenen Ort einen anderen Autofahrer in der Öffentlichkeit anpöbelt, wirkt das künstlich. Warum sollte sie sich derart auffällig benehmen? Solche Plumpheiten passen gar nicht zu ihr. Dafür ist sie doch viel zu intelligent. Nein, sie würde in der Öffentlichkeit alles tun, um die Fassade zu wahren.
Dann wird der Sheriff auch noch zufällig Zeuge dieser Szene. Zufälle sind aber nur ein erzählerisches Manko. Ferner ist die Ermordung des Sheriffs völlig überflüssig. Sie hat überhaupt keine Handlungsrelevanz. Es gibt keine Konsequenzen. Außerdem wird hier eine sehr originelle Nebenfigur geopfert, der man ein Weiterleben an der Seite seiner nicht minder skurrilen Ehefrau gegönnt hätte.
Drittens, was am gravierendsten ist, erscheint das mörderische Vorleben der Psychopathin einfach unglaubhaft. Einigen Zeitungsausschnitten zufolge hat sie nämlich nicht nur ihren Ehemann auf dem Gewissen, sondern auch noch mehrere Kinder in ihrer Funktion als Leiterin einer Klinikabteilung. Eine verurteilte Serienkillerin wäre aber wohl im Gefängnis oder in der Psychiatrie, aber nicht in einem heimeligen Häuschen in den Bergen von Colorado.

Lösungen

Wenn der Sheriff der Möglichkeit nachgeht, dass Paul Sheldon noch am Leben ist, dann könnte er zum Beispiel einfach bei den örtlichen Einzelhändlern nachforschen, ob ihnen bei ihrer Kundschaft in letzter Zeit etwas Ungewöhnliches aufgefallen ist. Und siehe da: So würde er mitbekommen, dass Annie Wilkes eine Schreibmaschine erworben hat. Jetzt könnte er anfangen, über sie zu recherchieren und ihr auf die Schliche kommen. Bei der Inspektion in Annies Haus könnte der Lärm, den Paul im Keller macht, der Moment sein, in dem der Sheriff die Haustür zuschlägt oder den Motor seines Wagens anlässt. Das wäre eigentlich viel dramatischer als seine Ermordung. Das wäre Suspense: Man würde hoffen, dass der Sheriff den Gequälten doch noch hört. Bei der Backstory von Annie hätte es völlig ausgereicht, wenn man sie wegen dieser mysteriösen Todesfälle verdächtigt hätte, ihr aber nichts nachweisen konnte. Dann – nur dann – lebt sie in Freiheit und nicht im Gefängnis.

Fazit

Die Schwachpunkte in „Misery“ sind ein kleiner Wermutstropfen, ändern aber nichts am Gesamteindruck: Hier waren lauter Könner am Werk. Das macht einfach Spaß.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für "Misery"

Die Verurteilten (Frank Darabont) USA 1994

Stephen King ist ein begnadeter Erzähler, wenn er nicht gerade seinem Hang zum Paranormalen nachgeht. Das ist in seiner Novelle „Frühlingserwachen: Pin-up“ zum Glück nicht der Fall. Auf der Website kingwiki.de kann man u.a. nachlesen, worin die Unterschiede der filmischen Adaption zur Kurzgeschichte bestehen. Das ist grandios! Hier kann man studieren, welche dramaturgischen Entscheidungen die Filmemacher bei der Inszenierung von „Die Verurteilten“ getroffen haben. Bis auf eine Wahl (s. Schwachpunkte) sind alle anderen eine Optimierung. Kompliment!

Entstanden ist ein hochdramatischer, ganz auf die beiden Hauptfiguren konzentrierter Gefängnisthriller mit vielen Entwicklungen, Wendungen und Überraschungen auf Grundlage eines klassischen Erzählmotivs: „Unschuldig Beschuldigt“. Es ist auch die Geschichte einer Freundschaft zwischen Ellis Boyd „Red“ Redding (Morgan Freeman) und Andy Dufresne (Tim Robbins), dessen Darstellung eines wegen Mordes verurteilten Bankers ziemlich genial ist.

Erzählt wird die Geschichte aus Reds Perspektive, der zunächst nicht viel von Andy hält. Das ändert sich im Laufe ihrer gemeinsamen Haftzeit und hat viel mit Andys unbeugsamen Charakter zu tun. Gegen dessen Credo, sich trotz aller Widrigkeiten ein Stückchen Hoffnung zu bewahren, protestiert Red vehement. Etwas zu vehement, so dass damit auch sein Hauptproblem transparent wird. Er hat sich mit seinem Dasein im Gefängnis arrangiert. Die Freiheit ist eher ein Gefahrenort. Als Beleg dient ihm das Schicksal des Mitgefangenen Brooks, der die Bibliothek betreut hat, nach 50 Jahren entlassen wird und sich in der Freiheit das Leben nimmt. Red glaubt auch, dass „man jeden brechen kann“ und ahnt nicht, dass Andy längst mit dieser Sorge seiner Freunde und Feinde spielt, hat er doch im Laufe von 20 Jahren, wie der „Graf von Monte Christo“, heimlich einen Tunnel in die Freiheit gegraben. Aber am Ende hat Red etwas von Andys Unbeugsamkeit gelernt und redet endlich Tacheles mit dem Vorsitzenden der Bewährungskommission, was zu seiner vorzeitigen Entlassung in die gefährliche Freiheit führt.

„Die Verurteilten“ sammelt die maximale Punktzahl auf der Defätismusskala ein. Es ist einfach witzig wie Andy der Gefängnisleitung beim Aufbau mafiöser Strukturen hilft, die er letztlich zu seiner erfolgreichen Flucht nutzt. Es ist schon originell, wenn Andy irgendwann erstaunt feststellt, dass er „draußen zu den ehrlichsten zählte“ und „ein Gauner erst im Gefängnis geworden“ ist. Es ist einfach schön wie er dem jungen Kriminellen Tommy Williams das Lesen beibringt, damit dieser seinen Hauptschulabschluss schafft. Es ist berührend wie Andy seine Freiheiten nutzt und Mozarts „Hochzeit des Figaro“ über die Lautsprecheranlage des Gefängnisses abspielt, was den anderen Inhaftierten einen Moment der Andacht beschert und Andy zwei Wochen Einzelhaft. „Man braucht Musik, um nicht zu vergessen, dass es noch Orte auf der Welt gibt, die nicht aus Stein sind“, begründet Andy seinen Sabotageakt.

„Die Verurteilten“ hat zwei gravierende Schwachpunkte und einen kleinen: Wenn Andy von Tommy die Geschichte vom tatsächlichen Mörder seiner Frau erfährt, dann darf er mit diesem Wissen nie und nimmer zum Gefängnisdirektor Norton laufen. Andy müsste ahnen, dass dieser kein Interesse hat, ihn jemals wieder in Freiheit zu sehen. Die Unterredung passt auch nicht zum ansonsten strategisch denkenden und handelnden Andy. Außerdem macht er sich damit mitschuldig an Tommys Ermordung. Das ist, nach Andys Einzelhaft, die nächste Konsequenz aus seinem Gespräch mit Norton, womit wir beim zweiten Schwachpunkt sind. Warum sollte der Gefängnisdirektor Tommy hinterrücks erschießen lassen? Das kann doch nur Unannehmlichkeiten zur Folge haben. Andere Wärter könnten die Fluchtversion in Frage stellen. Verwandte des Ermordeten könnten eine Untersuchung in die Wege leiten. Daran können Norton und sein Helfershelfer, Oberaufseher Captain Hadley, kein Interesse haben, zumal die Ermordung völlig überflüssig ist. Sie müssen doch nur dafür sorgen, dass beide niemals wieder rauskommen, was in Andys Fall (zweimal lebenslänglich) keine Schwierigkeit sein sollte. Und Tommy könnte man in den Gefängnismauern doch problemlos etwas anhängen, um seinen Aufenthalt zu verlängern.

Das Schlussbild des Films wie Andy an einem einsamen Pazifikstrand ein altes Boot restauriert und die Freunde sich in die Arme fallen, ist schwach und hat auch nichts mit Andys eigentlichem Traum zu tun, nämlich ein kleines Hotel im mexikanischen Küstenort Zihuatanejo aufzumachen. Viel schöner wäre es gewesen, wenn Andy im Foyer seines eröffneten Hotels gerade etwas repariert, zum Beispiel mit seinem Steinhammer einen Nagel in die Wand schlägt. Hinter seinem Rücken checkt ein Fremder an der Rezeption ein. Der Empfangschef fragt ihn, wie lange er bleiben möchte und der Fremde antwortet: „Lebenslänglich!“ Das ist das Stichwort. Jetzt würde Andy sich umdrehen und seinem Freund in die Arme fallen. Ende. Ansonsten, alles super!

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