Sully (Clint Eastwood) USA 2016

Clint Eastwood hat schon ein Gespür für taugliche Filmstoffe. In „Sully“ konzentriert er sich ganz auf die inneren und äußeren Konflikte seines Helden, Commander Chesley „Sully“ Sullenberger (Tom Hanks). Die spektakuläre Notlandung eines vollbesetzten Jets auf dem Hudson River dürfte noch in Erinnerung sein. Dabei stellt der Regisseur nicht die dramatischen Ereignisse dieser Beinahe-Katastrophe in den Vordergrund, sondern menschliche Schicksale, die anklagenden Recherchen der sofort etablierten Untersuchungskommission und die Selbstzweifel des Protagonisten.

Die Kommission macht Sully und seinem Kopiloten nämlich zum Vorwurf, nach dem Ausfall der Triebwerke nicht sofort zum Flughafen zurückgekehrt zu sein. Damit hätten beide aber das Leben sämtlicher Insassen aufs Spiel gesetzt. Zusätzlich wurde hier natürlich ein intakter Düsenjet in den Hudson River versenkt. Auch das ist Teil der Anklage, die von sämtlichen Computer-Simulationen untermauert wird. Dagegen ist Sully für die 155 Passagiere, die ausnahmslos gerettet wurden, und für die Öffentlichkeit ein Held. Allerdings belasten ihn diese Vorwürfe, die von seiner angespannten finanziellen Situation verstärkt werden. Wenn Sully schuldig gesprochen wird, darf er nie wieder fliegen und verliert zudem sämtliche Pensionsansprüche. Auch daraus bezieht der Film seine Dramatik.

Die Hauptfigur ist mit Tom Hanks kongenial besetzt. Nach außen hin versucht er gelassen zu wirken, aber die Vorwürfe treffen ihn ins Mark. Denn er ist ein Pilot aus Leidenschaft, seit 42 Jahren wie er betont: „Das war mein ganzes Leben.“ Am Ende kann er die Kommission davon überzeugen, dass ihre Berechnungen einen Aspekt außer Acht gelassen haben, nämlich den Faktor Mensch. Noch nie in der Geschichte der Luftfahrt sah sich ein Flugkapitän mit dem kompletten Ausfall seiner Triebwerke durch multiplen Vogelschlag konfrontiert. Also hätten die Berechnungen eine angemessene Reaktionszeit einkalkulieren müssen. Nach entsprechenden Neuberechnungen verlaufen sämtliche Computer-Simulationen im Desaster. Erst jetzt wird deutlich, welche flugtechnische Meisterleistung hier vollbracht wurde. Der Film endet mit der vollständigen Rehabilitierung der beiden Piloten und mit der Gewissheit, dass sie nicht nur das Leben sämtlicher Insassen gerettet haben.

Keine Schwachpunkte? Doch! Wie in „Der Spion“ ist auch hier die authentische Vorlage eine Spannungsbremse. Sully ist von Anfang an zu sehr der Held, dem eigentlich nur die Untersuchungskommission das Leben schwer macht. Nicht aber sein Kopilot, die Crew, die Passagiere, die Presse oder etwa seine Ehefrau „Lorrie“. Die hält in den Telefonaten tapfer zu ihrem Mann und bekräftigt ihre Liebe. Das ist zwar sehr schön, aber nicht sonderlich dramatisch. In Clint Eastwoods „American Sniper“, der ebenfalls auf tatsächlichen Ereignissen beruht, wird der Held mit einem Ehedrama konfrontiert.

Insgesamt wäre mehr Abkehr von den Ereignissen im Januar 2009 wünschenswert gewesen. Genau das hat Clint Eastwood ja auch zum Wohle der Geschichte mit der Darstellung der NTSB-Ermittler getan. Tatsächlich verhielten sich die Mitglieder der Untersuchungskommission nämlich nicht feindselig und anklagend, zwar kritisch, aber sachlich und wertschätzend. Auf diese Diskrepanz wies auch der leibhaftige Sullenberger hin. Ist die Verzerrung historisch belegter Abläufe in einem Spielfilm nun fragwürdig? Ich meine NEIN. Zum Wohle einer Geschichte sollte ein Erzähler das dramatische Potenzial ausschöpfen. Es ist ja kein Dokumentarfilm.

Anmerkungen eines befreundeten Piloten: Zum einen hat Sully alles richtig gemacht, vor allem mit seiner Entscheidung nicht den nahegelegenen Flughafen Tettoboro anzusteuern, wie ihm die Fluglotsen empfohlen hatten. Das wäre – wie spätere Simulationen demonstriert haben – im Fiasko geendet. Des weiteren hat er auf einen zeitraubenden „Engine Restart“ verzichtet. Dann war auch Glück im Spiel. Sein Kopilot war zwar relativ unerfahren, aber fit in der Theorie (Notfallhandbuch). Außerdem hatte Sully mit den ruhigen Wetterverhältnissen schlichtweg Glück. Wenn den Flieger eine 50 cm hohe Welle getroffen hätte, wäre er auseinander gebrochen.

Am Schluss des Films lehnt Sully es vor der Untersuchungskommission ab, als Held bezeichnet zu werden. Er macht darauf aufmerksam, dass nur das Zusammenwirken von Crew, Passagieren und Rettungskräften eine Katastrophe verhindert hat: „Wir alle waren es. Wir haben überlebt.“ Der Film ist eine Hymne an die Kraft des Zusammenhalts, die Menschen in Notsituationen entwickeln können.

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Neues aus der Welt (Paul Greengrass)

Wohlwollend betrachtet, könnte man diesen Western als elegisch bezeichnen, langweilig oder behäbig wäre allerdings zutreffender. Genau wie in „The Power of the Dog“ auch hier der Fehler, die Geschichte viel zu früh zu beginnen. Die sollte natürlich beim ersten dramatischen Höhepunkt einsetzen und das ist Captain Jefferson Kyle Kidds (Tom Hanks) Entdeckung eines von marodierenden Südstaatlern überfallenen Fuhrwerks. Der schwarze Fahrer wurde aufgeknüpft und das weiße, bei den Kiowas aufgewachsene Mädchen, Johanna Leonberger, hat sich in die Büsche geschlagen. Der Überfall selbst und die Identität der Mörder wird uns vorenthalten. Nun gut. Aber wieso begibt sich das traumatisierte Mädchen so schnell in Captain Kidds Obhut, in die eines Fremden? Hier müsste – auch in der Folgezeit – mehr Widerstand erfolgen.

Es wäre die Chance für eine konfliktreiche Odd-Couple-Konfiguration gewesen. Wieso lassen die Mörder das Mädchen überhaupt ungeschoren davonkommen? Sie ist doch die einzige Zeugin eines brutalen Verbrechens. Auch dieses Erzählmotiv („Der bedrohte Zeuge“) lässt Paul Greengrass sich entgehen. Wie wär’s denn gewesen, wenn Captain Kidd die Mörderbande überrascht hätte? Weil er Südstaatler ist, hätten sie ihn erst mal verschont. Dann wäre – wie gehabt – die Kavallerie gekommen. Die Bande hätte fliehen müssen, von den Soldaten nur halbherzig verfolgt. Dann hätte Captain Kidd das verstörte Mädchen eingefangen, um sie beim Indianerbeauftragten abzuliefern. Die Mörder wären zur Fahndung ausgeschrieben worden. Von diesem Moment an hätten Captain Kidd und Johanna – als Zeugen eines Mordes – eine Killerbande auf den Fersen gehabt. Auf die drei Kasper, die Johanna in Dallas für 50 Dollar kaufen wollen, hätte man gut und gerne verzichten können.

Des Weiteren ist dieses Gutmensch-Verhalten von Captain Kidd, nämlich die sofortige uneigennützige Fürsorge für das Mädchen, ziemlich nervig und dramaturgisch kontraproduktiv. Viel besser wäre es gewesen, wenn er des öfteren versucht hätte, diese lästige Göre loszuwerden und sie jedes Mal wieder zurückgekehrt wäre. Diese Anhäufung erzählerischer Fehler trägt maßgeblich zur dürren Geschichte bei: Der verwitwete Captain Kidd bringt die verwaiste Johanna im Texas des 19. Jahrhunderts zu Onkel und Tante, aus deren Obhut er sie am Ende wieder befreit.

Dieses Happy End ist, neben den phantastischen Landschaftsaufnahmen, eines der wenigen Highlights dieses überraschungsarmen Films. Denn der Captain baut Johanna mit in seine Vortragsreihen ein. Seinen Unterhalt verdient er nämlich als herumreisender Nachrichtensprecher und Geschichtenerzähler. Seinen zahlenden Zuhörern (zum großen Teil Analphabeten) liest er Meldungen aus aktuellen Zeitungen vor, die er gekonnt aufbereitet. Die Anteilnahme und Reaktionen des Publikums erinnert an die Blütezeit des französischen Vaudeville Theaters. Das ist grandios. Ironischerweise ist jede Anekdote, die Captain Kidd bei seinen Vorträgen zum Besten gibt spannender und unterhaltsamer als der gesamte Film. Ansonsten: Nichts neues aus der neuen Welt.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 2 blaue Smileys und 5 schwarze traurige Gesichter für "Neues aus der Welt"
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Catch me if you can (Steven Spielberg)

„Catch me if you can“ von Steven Spielberg ist eine sehr originelle, in den 60er Jahren angesiedelten Gaunerkomödie. Wenn man nicht wüsste, dass die abstrusen Geschehnisse auf tatsächlichen Begebenheiten beruhen, wäre man versucht, sie als Hirngespinste zugekiffter Drehbuchautoren abzutun. Aber so wird die Faszination an den sich auftürmenden Überraschungen bis zum Anschlag ausgereizt. Man glaubt, den eigenen Augen und Ohren nicht zu trauen. Das ist super!

Der Held von „Catch me if you can“, Frank Abagnale jr. (Leonardo DiCaprio), ist eine kongeniale Filmfigur: frühreif kommt er schon mit 16 Jahren auf die schiefe Bahn. Es fängt damit an, dass er sich in der Schule als Vertretungslehrer ausgibt, dann als PanAm-Co-Pilot, als CIA-Agent, als Arzt und als Rechtsanwalt. Während dieser Laufbahn verfeinert er seine Kenntnisse als Dokumentenfälscher und als Gejagter, stets darauf bedacht, den Fängen seines Verfolgers, des FBI-Agenten Carl Hanratty (Tom Hanks), zu entkommen. Dabei geht Frank jr. keineswegs kaltblütig vor: Er ist ebenso charmant wie trickreich und hat Mitgefühl für die Schwächen und Schicksale der Menschen, denen er begegnet. Er lügt, dass sich die Balken biegen und wenn er mal die Wahrheit erzählt, glaubt ihm meist keiner. Mit all diesen unorthodoxen Eigenschaften ist er ein echter Sympathieträger. Sehr schön ist auch die Konzentration auf die Hauptfigur.
Im Grunde erzählt der Film eine Vater-Sohn-Geschichte, erst die Liebe des Juniors zu seinem leiblichen Vater, der – was nicht weiter verwundert – ebenfalls ein Hochstapler ist.

Dann die Beziehung zu Carl Hanratty, der im Laufe der Jagd so etwas wie sein Ersatzvater wird. Zwei verlorene Seelen beim Katz-und-Maus-Spiel. Im Grunde geht es um die Sehnsucht nach einer heilen Familie, um das Gefühl der Sicherheit, das die tanzenden, verliebten Eltern Frank jr. einmal zu Weihnachten vermittelt haben. Das Ende des Films ist eigentlich ein Drama: Frank jr. wird in dem Moment gefasst, als er seinen Traum von einer heilen Familie in Trümmern sieht. Ein solcher Schluss hätte natürlich nicht zur Grundstimmung dieser durchtriebenen Komödie gepasst. Insofern ist es schön, dass die Pointe auch hier noch eine stimmige Überraschung parat hat.

Trotz dieser originellen Figuren und überragenden Schauspielern, trotz dieses Feuerwerks an Überraschungen fehlt etwas. Es ist die Spannungskurve, die zu keiner Zeit konsequent auf die Spitze getrieben wird. So richtig zittert man nicht mit dem Helden, da man ahnt, dass er seinen Kopf schon irgendwie aus der Schlinge ziehen wird. Eigentlich ist man nur neugierig, wie er das wieder schafft. Was fehlt, ist die emotionale Anteilnahme. Ein Wermutstropfen in dieser ansonsten genialen Tricksterkomödie.

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