Eher brachial geht es im Actionthriller „96 Hours“ von Pierre Morel zu. Drehbuch: Luc Besson und Robert Mark Kamen. Wer sich nach komplexen Figuren und einer subtilen Erzählweise sehnt, wird hier nicht auf seine Kosten kommen. Er ist eher etwas für Freunde schrottreicher Verfolgungsjagden und blutiger Schießereien. Aber nicht nur. Dass wäre zu einfach. Dem Film gelingt es, über weite Strecken Spannung zu erzeugen. Das liegt zum einen an seiner exzellenten Machart, zum anderen am einfachen Plot mit seinen Überraschungen und Wendungen. Am Ende hat aber das Plakative die Oberhand gewonnen.
Stärken
„96 Hours“ hat einen ganz einfachen dramatischen Aufbau: Ex-CIA-Agent Brian Mills (Liam Neeson) versucht innerhalb von vier Tagen, seine entführte 17-jährige Tochter zu befreien. Das versteht jeder und ist spannend inszeniert. Hervorragend ist die Kameraarbeit, die Inszenierung der Actionszenen und die Montage. Man merkt, dass Pierre Morel früher selbst als Kameramann gearbeitet hat. Nach der Exposition spielt sich das Geschehen innerhalb von vier Tagen in der Pariser Unterwelt ab: Die Einheit von Zeit, Raum und Handlung. Diese Einfachheit und Konzentration sind die Stärken dieses Actionthrillers.
Tricks
Immer wieder gibt es schöne Drehbuchideen. Angewandte Tricks, Köder und Fallen, mit denen Gangster und Verfolger agieren, sind teilweise raffiniert. Wie Peter, der Handlanger der albanischen Mafia, anfangs die genaue Adresse von Kim und ihrer Freundin Amanda heraus bekommt, ist schon super. Nicht minder geschickt identifiziert Brian den Kopf der Gangsterbande, den er um eine scheinbar harmlose Übersetzung von zwei albanischen Wörtern bittet. Einige Szenen – aber nicht viele – sind auch witzig oder lakonisch, zum Beispiel wenn Brian seinen Dolmetscher auffordert, die Dialoge der von ihm abgehörten albanischen Zuhälter präzise zu übersetzen. So erfährt er dann den ganzen Hohn und Spott, der über ihn ausgeschüttet wird.
Schwächen
Nicht nur mit der Skizzierung der albanischen Gangster, sondern auch mit der des Helden erinnert „96 Hours“ an „The Equalizer“ von Antoine Fuqua. Ähnlich wie Robert McCall (Denzel Washington) agiert Brian in „96 Hours“ im Stil eines Superhelden, dem auch der bleihaltigste gegnerische Kugelhagel nichts anhaben kann. Er ist praktisch immun gegen alle Attacken. Am Schluss hat Brian zwar ein paar Kratzer abbekommen, aber davon können seine „Gegner“ nur träumen: „Leichen pflastern seinen Weg“. Leider macht man sich irgendwann auch keine Sorgen mehr um diesen Supermann. Das ist natürlich dramaturgisch nicht so geschickt.
Klischees
Die albanischen Mafiosi sind im Berufsleben brutal, im Alltag zocken oder saufen sie – was solche Gangster eben so machen. Man sehnt sich nach einer differenzierteren und glaubwürdigeren Figurengestaltung. Warum nicht mal Gangster, die Mitgefühl zeigen? Die haben doch auch Kinder. Warum nicht mal Gangster mit Kenntnissen in Literatur, Musik oder Kochkunst. Das würde Überraschungen generieren, was für eine Geschichte ja nie von Nachteil ist. So propagiert der Film letztlich nichts anderes als Selbstjustiz. Aber angesichts korrupter Behörden und auswegloser Situation schleicht sich Verständnis ein. Was bleibt Brian Mills denn anderes übrig?
Figuren
Eher schwach sind die Charaktere von Ex-Frau Lenore (Famke Jansen) und Tochter Kim (Maggie Grace). Sie agieren entweder meist zickig (Originalton Lenore: „Du tust mir echt leid.“) oder infantil (Originalton Kim: „Ich hab dich lieb.“) Welcher Vater will das nicht hören? Immerhin wird sie jetzt auch nicht von einem schwabbeligen Scheich entjungfert. Da hat sich doch der ganze Aufwand am Ende gelohnt. Einzig Brian Mills nimmt man seine übertriebene Fürsorge um seine einzige Tochter ab. Sehr schön ist zum Beispiel die Szene, wie er mitten in der Nacht seine Ex-Frau anruft, um sich zu erkundigen, ob Kim sich nach ihrer Ankunft in Paris schon bei ihr gemeldet hat. In diesen Momenten ist er ein Vater, mit dem man mitfühlen kann.
Fazit
„96 Hours“, eine rein französische Produktion, hat weltweit über 200 Millionen Dollar Gewinn eingespielt. Das ist doch mal eine Hausmarke, womit sich die berechtigte Kritik auch etwas relativiert. Welcher deutsche Spielfilm hat derartige Einspielergebnisse oder bemüht sich in gezeigtem Ausmaß um den Spannungsaufbau?