Okay, die Franzosen haben’s doch drauf. Daran ändern auch die grottigen Thriller von Olivier Marchal nichts. „Der Hund bleibt“ von Yvan Attal ist eine ebenso kluge wie beschwingte Tragikomödie, eine mit Esprit könnte man präzisieren. Der schöne Filmtitel deutet schon darauf hin, womit wir es hier zu tun haben, um die Konflikte eines Paares, um „Szenen einer Ehe“, aber ohne deren bedeutungsschwangere Schwere. Erzählt wird die Liebesgeschichte eines Mannes und seiner Frau, die seit 25 Jahren zusammenleben und sich nach dem Auszug der vier gemeinsamen Kinder neu sortieren müssen. Sie basiert auf einer Novelle des US-amerikanischen Schriftstellers John Fante (übrigens das Vorbild von Charles Bukowski) aus den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, also zu Zeiten, in denen ein Überleben ohne Smartphone möglich war.
Die Geschichte
Henri ist ein erfolgloser Schriftsteller, Cécile eine desillusionierte Hausfrau, die berufliche Ambitionen dem Familienleben geopfert hat. Auslöser für ihren Konflikt ist der zugelaufene Hund „Stupide“ (frz.: doof), der die schlechte Angewohnheit hat, gelegentlich andere Männer zu bespringen, was ihm das Etikett „schwuler Hund“ einbringt. Jedenfalls verlassen die Kinder – eines nach dem anderen – das Elternhaus, was eigentlich sowieso an der Zeit ist. Auch Cécile nutzt eine Affäre mit dem Professor ihres Sohnes, um ihre Sachen zu packen. Erst jetzt, als sein Traum nach Ruhe in Erfüllung geht, setzt Henri sich mit seinem Leben auseinander. Das Resultat ist ein neuer Roman, der sein Familienleben verarbeitet und dem Paar die Chance für einen Neuanfang bietet.
Machart
Der Off-Erzähler sorgt nicht nur für ein forsches Erzähltempo, er etabliert auch den atmosphärischen Grundtenor dieser Tragikomödie: selbstironisch, sarkastisch, schwarzhumorig. Schön sind auch Henris „Gespräche“ mit dem Hund, der ihn als einziger zu verstehen scheint: „Deine Kinder werden immer größer und du wirst immer kleiner.“ Beim Sinnieren kommt er zum Schluss, dass ein Lebewesen eigentlich nur zufrieden sein kann, wenn es ein Hund ist.
Die Unterteilung in Kapitel bietet sich an, zumal wir es hier mit einer Literaturverfilmung und einem schreibenden Protagonisten zu tun haben. Schön sind auch die einleitenden Subtraktionen: Immer wenn ein Kind das Haus verlässt, stellt Henri eine kleine Rechnung auf: 4 – 1 = 3 usw. Nur als Cécile als letzte das Haus verlässt, schlägt die Abrechnung ins Negative um: 4 – 5 = -1.
Überraschungen
Immer wieder wartet der Film mit Überraschungen auf: Ausgerechnet Noé, der brave Sohn, bekommt Ärger mit der Polizei. Ausgerechnet Rafaels Freundin, die Cecile als „Nutte“ bezeichnet, will nach Diagnose einer Schwangerschaft das gemeinsame Kind behalten. Ausgerechnet der renitente Gaspard zieht ein versöhnliches Resumé vor seinem Weggang: „Ich hab hier gern gewohnt.“ Sehr schön auch die Szene im Parkhaus, als Henri sich reumütig bei Cécile entschuldigt und Läuterung gelobt. Nein, sie fällt ihm nicht um den Hals wie man vielleicht erwarten könnte. So einfach ist das nicht. Für eine wirkliche Annäherung bedarf es anderer Sachen.
Dialoge
Sie sind schonungslos und pointiert: „Wie lange habe ich darauf gewartet, dass mein Sohn mir seine Nutte vorstellt?“ In dieser Familie nimmt niemand ein Blatt vor den Mund. Nichts wird unter den Teppich gekehrt: „Du kennst den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur?“ Auch wenn einer über den anderen lästert, ist es nie abwertend oder beleidigend. Im Gegenteil. Man spürt die darin enthaltene Zuneigung und Liebe. Diese Dialogkultur hat eigentlich Vorbildcharakter für andere Familien. Sie schafft letztlich eine angenehmere Atmosphäre, keine falsche Harmonie, keine Beklommenheit.
Fazit
Es gibt Filme, die einem die Lebenszeit rauben. „Der Hund bleibt“ macht das Gegenteil. Er ist lebensbejahend, geistreich und witzig, ohne dabei je gefühlsduselig oder pathetisch zu werden.
