„Der Clan der Sizilianer“ von Henri Verneuil ist ein spannender Gangsterthriller, der auf einer Romanvorlage von Auguste Le Breton beruht. Er ist ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen dem sizilianischen Manalese-Clan und dem Gangster Roger Sartet (Alain Delon) auf der einen und der Polizei unter Leitung von Inspector Le Goff (Lino Ventura) auf der anderen Seite. Der Thriller kann mit einer dichten Atmosphäre, vielen Suspense-Situationen und Wendungen überzeugen. Das 60er-Jahre-Flair mit seinen Bars, Hotels und Geschäften ist eine attraktive Zeitreise, untermalt von Enno Morricones origineller Filmmusik.
Die Geschichte
Der in Paris ansässige Manalese-Clan, angeführt von Patriarch Vittorio (Jean Gabin), plant einen Juwelenraub in Rom. Zur Durchführung wird der einsitzende Gangster Roger Sartet in einer spektakulären Aktion aus einem Gefangenentransporter befreit. Ihm auf den Fersen ist der knurrige Inspector Le Goff. Da die Sicherheitsvorkehrungen der Juwelenausstellung unüberwindbar scheinen, plant Vittorio zusammen mit seinem New Yorker Kumpan Tony Nicosia, die Juwelen beim Weitertransport zur nächsten Ausstellung zu stehlen. Tatsächlich klappt der waghalsige Plan einer Flugzeugentführung und Le Goff hat ein weiteres Mal das Nachsehen. Doch dann erfährt er durch ein abgehörtes Telefonat von Rogers Rückkehr nach Paris. Am Flughafen kann er zumindest Manaleses Söhne festnehmen, während Roger ein weiteres Mal entkommt. Der wird allerdings bei einer Geldübergabe von Vittorio erschossen. Am Ende wird auch der alte Patriarch von Le Goff verhaftet.
Suspense
Das ist einer der großen Stärken dieses Thrillers. Immer wieder wird der Zuschauer mit Informationen gefüttert und hängt dadurch an der Angel. Man sieht wie Roger mit einem Akkubohrer den Metallboden des Transporters auffräst, wovon der wachhabende Polizist und seine Begleiter nichts mitbekommen. Bei einer Inspektion des Wachhabenden zittern wir mit dem Gangster mit, dass er unentdeckt bleiben möge. Das ist Suspense! Desgleichen als Rogers die Rolle des britischen Versicherungsagenten Evans beim Weitertransport einnimmt und dessen Frau am Pariser Flughafen vergeblich ihren Mann unter den Begleitern sucht. Das ist sehr schön parallel montiert und schafft Spannung. Ein weiteres Mal fiebern wir mit dem Gangster mit. So ist das richtig.
Die Figuren
Die Charakterisierungen gehören zu den Defiziten von „Der Clan der Sizilianer“. Roger ist ein wenig einfach gestrickt und im Zweifelsfall nah an der Bleispritze gebaut. So bringt er sich und die Manaleses unnötig in Gefahr als er seinen Unterschlupf verlässt, um sich in einem Stundenhotel zu vergnügen. Ein anderes Mal führt er ein Telefonat mit seiner Schwester, das aber von der Polizei abgehört wird. Später lässt er sich am helllichten Tag (!) zu einem Liebesakt am Mittelmeerstrand mit Vittorios Schwiegertochter hinreißen. Eine Unvorsichtigkeit, die ihm später zum Verhängnis wird. Insgesamt wäre es ganz schön gewesen, ihn etwas schlauer und raffinierter zu skizzieren.
Der Manalese-Clan
Unklar bleibt bis zum Schluss, was die Manaleses eigentlich mit Roger wollen, zumal sie seine Gewaltbereitschaft verabscheuen und sein Fahndungsfoto überall präsent ist? Außerdem traut Vittorio dem Franzosen doch nicht über den Weg, wie er ihm offen gesteht. Ein Experte in Überwachungstechnik wäre für den Juwelenraub eigentlich viel geeigneter gewesen. Jean Gabin ist als krimineller Patriarch eher eine Fehlbesetzung. Einen sizilianischen Mafiaboss stellt man sich irgendwie anders vor. Hier stand wahrscheinlich der Wunsch im Vordergrund, die Granden des französischen Kinos noch einmal zusammenzubringen?
Der Kommissar
Aber Inspector Le Goff ist eine überzeugende Figur. Scheinbar hat er ein Hühnchen mit Roger zu rupfen, so hartnäckig hängt er an ihm dran. Das erinnert an die Verfolgung des Urkundenfälschers Frank Abagnale jr. durch den FBI-Agenten Carl Hanratty in „Catch me if you can“ von Steven Spielberg. Le Goff hat stets eine Zigarette im Mundwinkel hängen, die er nicht anzündet, weil er ja das Rauchen aufgegeben hat. Da ist schon klar, dass der Moment kommen wird, in dem er seinen Vorsatz aufgibt. Und der ist sehr schön platziert, nämlich als der Inspector erfährt, dass die Gangster ihm in New York ein weiteres Mal durch die Lappen gegangen sind. Da kommt es ganz lapidar im Kreis seiner Kollegen: „Gib mir Feuer.“ Mehr Worte bedarf es auch nicht. Damit ist alles gesagt.
Festival der Ungereimtheiten
Es fängt damit an, dass der jüngste Spross der Manaleses mit einem Wachmann neben Roger auf einer Holzbank vor dem Saal des Untersuchungsrichters sitzt. Während ein korrupter Polizist Roger heimlich einen Akkubohrer zusteckt, geht der andere mit dem Manalese-Sprössling auf die Toilette, wo dem offensichtlich die Flucht gelingt. Abgesehen davon, dass dieser Ausbruch nicht erzählt wird, liegt ein Zusammenhang mit Rogers Befreiung doch auf der Hand. Ergo hätte die Polizei sofort bei den Manaleses auftauchen und eine Überwachung in die Wege leiten müssen und nicht erst viel später. Außerdem fragt man sich, warum die Polizei Vittorio nach der Flugzeugentführung nicht sofort verhaftet? Die Kidnapper waren doch nicht maskiert, also kennt man ihre Identitäten. Schon merkwürdig, dass Vittorio anschließend in Paris unbehelligt herumwandern kann.
Als Tony Nicosia in New York Roger seinen Anteil nicht auszahlt, ist diese Absicht doch durchschaubar. Roger soll nach Paris gelockt werden, was er dann zum eigenen Nachteil ja auch tut. Aber warum lässt er sich darauf ein? Warum geht er Tony Nicosia in diesem Moment nicht an die Gurgel? Auch Vittorios Schwiegertochter verhält sich nicht sonderlich clever als sie Rogers Schwester von der Rückkehr ihres Bruders nach Paris informiert. Damit hat die Polizei alle Informationen, um die Gangster festzunehmen bzw. die Leichen einzusammeln, womit wir beim Schluss des Thrillers sind.
Showdown
Das Finale von „Der Clan der Sizilianer“ ist eine Lachnummer. Für den Erhalt seines Anteils aus dem Juwelenraub wählt Roger einen einsamen Parkplatz. Zwei Autos stehen sich gegenüber. Auf der einen Seite steigt Vittorio mit seiner Schwägerin aus, auf der anderen Roger. Beide Männer haben ihre Hände tief in ihren Manteltaschen vergraben. Warum wohl? Vittorio wirft Roger einen Koffer mit Geld zu. Die Überprüfung nutzt Vittorio, um Roger über den Haufen zu schießen. Auch seine Schwägerin, die sich schützend in den Weg stellen will, muss dran glauben. Roger, Roger – kann man da nur sagen. Hast du denn nie gut gemachte Gangsterfilme gesehen? So etwas muss man doch anders durchziehen. Letztlich bricht ihm seine Einfältigkeit das Genick, weshalb sein Ableben auch keine allzu großen Gefühle hervorruft.
Fazit
Die Vorzüge dieses spannenden Gangsterthrillers werden durch seine Mängel in der Figurenentwicklung und den vielen Ungereimtheiten leider egalisiert.
