„Das Biest muss sterben“ von Claude Chabrol ist ein spannendes Krimidrama, das auf einer Romanvorlage von Nicholas Blake beruht und ein klassisches Erzählmotiv variiert, nämlich Rache. Hier ist es der verwitwete Vater Carles Thénier, dessen einziger Sohn von einem Autoraser überfahren wird und stirbt. Der Täter begeht Fahrerflucht. Den einzigen Sinn im weiteren Leben sieht Charles darin, den Mörder seines Sohnes aufzuspüren. Am Ende kann er ihn zur Strecke bringen, womit auch seine Mission im Leben beendet ist. Der Krimi kann mit seiner düsteren Atmosphäre, geleitet von der inneren Stimme des Helden, seinen Wendungen und seiner Suspense-Geschichte überzeugen.
Suspense
Das große Vorbild von Claude Chabrol war Alfred Hitchcock, dem Master of Suspense. Auch wenn es sich in „Das Biest muss sterben“ um ein Whodunit handelt, liegt ihm eine Suspense-Struktur zugrunde: Charles und der Zuschauer wissen von seinen Racheplänen, nicht aber die anderen. Das ist sehr schön konstruiert und schafft Spannung. Zusätzlicher Druck entsteht durch die Gefühle, die Charles und Hélène, die Beifahrerin im Unfallwagen, füreinander entwickeln. Einen liebenswerten Menschen zu hintergehen, ist weitaus schwieriger als ein „Biest“. Nur in einem Punkt hat Chabrol sein Vorbild nicht richtig studiert. Damit sind wir bei den drei gravierenden Mängeln dieses Krimidramas.
Defätismus
Francois Truffaut: „Es ist, glaube ich, sehr problematisch, in einem Film ein Kind sterben zu lassen. Das grenzt schon an Missbrauch des Kinos. Was meinen Sie?“ Alfred Hitchcock: „Ich bin ganz Ihrer Meinung. Es ist ein schwerer Fehler.“
„Das Biest muss sterben“ ist nichts anderes als eine Bestätigung dieser Einsicht. Durch den Tod des Jungen und der Suche nach dem Mörder legt sich von Anfang bis zum Ende eine bleierne Schwere über den Film. Von französischer Leichtigkeit oder zumindest von Tragikomik ist hier nichts zu spüren. Das ist eigentlich schade. Charles’ Frau oder seine Mutter wären die tauglicheren Unfallopfer gewesen. Das hätte an seinem Rachemotiv nichts geändert, wohl aber am defätistischen Grundtenor und seinem Ende: Charles hat Hélène einen Abschiedsbrief hinterlassen und segelt in seiner Jolle aufs offene Meer hinaus, was seinen sicheren Tod bedeutet.
Zufall
Die Suche nach dem Mörder entspricht der berühmten Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Die Polizei hat zu wenig Anhaltspunkte, nur die Vermutung, dass der Kotflügel des Unfallwagens verbeult ist. Überprüfungen von Autowerkstätten und Schrottplätzen verlaufen ergebnislos. Im Grunde stehen die Ermittler, einschließlich Charles, mit leeren Händen da. Just in diesem Moment fährt Charles sich mit seinem Sportwagen auf einem schlammigen Feldweg fest. Dasselbe Schicksal hat – welch Zufall! – Wochen zuvor auch der Unfallfahrer Paul und seine Beifahrerin Hélène ereilt. Ein freundlicher Bauer berichtet Charles umfassend vom vorangegangenen Malheur und sein Sohn kennt auch noch Hélènes Identität. Das ist – mit Verlaub – schon ein wenig kurios. Hier wäre es besser gewesen, mehr Indizien ins Spiel zu bringen. Das Aufspüren der Identitäten hätte das Ergebnis von Charles’ kriminalistischen und psychologischen Ermittlungen sein müssen. Der Zufall, zumal noch so ein eklatanter, ist immer ein erzählerisches Manko.
Antagonist
Bösewicht Paul ist zwar ein Schurke wie er im Buche steht, aber zu eindimensional charakterisiert. Er ist ein Tyrann, der Ehefrau und Sohn im Beisein anderer schikaniert und demütigt. Er ist ein wahrer Kotzbrocken, dessen Ableben niemanden berührt. Das ist schade und dramaturgisch verschenkt. Denn viel schlimmer für den Helden wäre es gewesen, wenn man den Täter mit sympathischen Facetten ausgestattet hätte. Oder noch schlimmer: Wenn Charles sich auch mit ihm angefreundet hätte. Es wäre das schlimmstmögliche Dilemma gewesen, das ein gekonnter Erzähler durchexerziert hätte.
Fazit
Das „Biest muss sterben“ ist ein abgründiges Krimidrama mit Mängeln in der Dramaturgie und der Charakterisierung des Antagonisten.
