„Extrablatt“ von Billy Wilder ist das Remake eines Theaterstücks von Ben Hecht, der hier auch selbstironisch zitiert wird („Heute schreibt er Dialoge für Rin Tin Tin“). Es ist eine rabenschwarze Screwball-Comedy mit erfrischend unkorrekten Dialogen – keine Satire, schon gar keine auf angeblichen Sensations-Journalismus. Im Gegenteil. Schon der kunstvoll gestaltete Titelvorspann ist eine Hymne an den manuellen und maschinellen Herstellungsprozess einer Tageszeitung vor knapp 100 Jahren. Das ist nämlich die Zeit, in der die Komödie angesiedelt ist. Der Ort ist Chicago, wo eine Hinrichtung stattfinden soll, genauer: ein Gerichtsgebäude mit angeschlossenem Zellentrakt.
Die Geschichte
Zeitungsverleger Walter Burns (Walter Matthau) will seinen besten Mann zur anstehenden Hinrichtung des Polizistenmörders Earl Williams schicken. Das ist Hildy Johnson (Jack Lemmon). Leider wandelt der gerade auf Freiersfüßen und kündigt seinen Job. Doch Walter denkt gar nicht daran, diesen Abgang zu akzeptieren. Mit allen – meist hinterhältigen und illegalen – Tricks versucht er, Hildy wieder ins Boot zu holen. Fast gelingt es ihm, den Vollblutjournalisten erneut für seine Zwecke einzuspannen, aber dann geleitet er ihn am Ende doch noch zum abfahrbereiten Zug, in dem Peggy, Hildys Verlobte, sehnsüchtig wartet. Die anschließende Pointe ist eine der schönsten in der Filmgeschichte: Walter hat Hildy nämlich zum Abschied seine Taschenuhr vermacht. Nach Abfahrt des Zuges alarmiert er die Polizei, damit sie den „Dieb“ festnimmt und nach Chicago zurückbringt.
Stärken
Gleich mit der Eröffnungsszene wird die Grundstimmung determiniert: Während im Hof des Gerichtsgebäudes der Galgen für die anstehende Hinrichtung gezimmert wird, beschwert sich einer der Journalisten am Fenster des Presseraums über den andauernden Lärm. Schließlich müsse man hier arbeiten. Der Vorarbeiter bittet seine Kollegen im Hof, kurz innezuhalten. Dann brüllt er zum Fenster hinauf: „Leck mich am Arsch!“ Der Journalist knallt das Fenster zu und gesellt sich wieder zu seinen Pressekollegen, die an einem großen Tisch sitzen, rauchen und pokern. Das ist witzig und so geht das munter weiter. Als Hildy wieder Blut geleckt hat und im Presseraum in die Tasten seiner Schreibmaschine haut, klingt ihr Klackern wie ein Loblied auf die schreibende Zunft. Beeindruckend ist die Rücksichtslosigkeit, mit der hier zu Werke gegangen wird. Von Political Correctness oder Sensibilität ist hier weit und breit nichts zu sehen. Gut so. Wer braucht das schon in einem Spielfilm?
Die Figuren
Die Charaktere sind vielleicht manchmal etwas grell, also überzeichnet. Anderseits handelt es sich in „Extrablatt“ um eine durchtriebene Komödie, um einen Film, nicht um Realität. Also, warum nicht? Die Figuren sind durchweg originell, ihre Probleme, Ziele und Macken sofort transparent. Sehr witzig ist auch der Polizistenmörder charakterisiert: Kein brutaler, grobschlächtiger Killer, sondern ein eher schüchterner, unscheinbarer Kommunist. Herrlich der Psychiater, der den zum Tode Verurteilten untersucht. Die Dialoge sind unkorrekt, rotzfrech, manchmal schwarzhumorig. Hier wird niemand mit Samthandschuhen angefasst. Die Arena ist ein Raufplatz sich dizzender Männer. Auch das ein Indiz dafür, dass es sich hier nicht um eine Satire handelt. Frauen spielen hier nur am Rande eine Rolle, als unglücklich Verliebte. Die Prostituierte Mollie hat ihr Herz an den Todeskandidaten verloren und Peggy steht am Ende doch mit leeren Händen da.
Schwächen
Wie in fast allen Filmen von Billy Wilder gibt es auch in „Extrablatt“ einige Längen. Das könnte man phasenweise schon ein bisschen rasanter gestalten. Manchmal wirkt der Film etwas angestaubt. Das hat nur bedingt mit seinem Herstellungsjahr zu tun. Im Gegensatz zu seinem großen Vorbild Ernst Lubitsch tut Wilder sich offensichtlich etwas schwer mit den Beziehungen von Männern und Frauen. Seine Stärke – zumindest in „Extrablatt“ – ist die ungehemmte Darstellung raubeiniger Männerwelten. Des Weiteren gerät Hildy zu wenig in Gefahr. Das sollte der Held eines Spielfilms aber immer, auch in einer Screwball-Comedy. Meister Lubitsch hat es in „Sein oder Nichtsein“ demonstriert. Einen Betrag zu diesem Gefahrenmangel leisten auch alle Polizisten, die durchweg als Knallchargen agieren. Hier wäre eine Mischung dramatischer gewesen.
Fazit
„Extrablatt“ ist eine durchtriebene Komödie, die gerade wegen ihrer Unkorrektheiten gute Laune verbreitet.
