Cinema Paradiso (Giuseppe Tornatore) I 1988

„Cinema Paradiso“ von Giuseppe Tornatore ist eine Hymne an das Kino und spielt im (fiktiven) sizilianischen Dorf Giancaldo. Über einen Zeitraum von 40 Jahren, von der Nachkriegszeit bis in die frühen 80er des letzten Jahrhunderts, werden Blütezeit und Niedergang des örtlichen Kinos beschrieben. Der Film lebt von seinen Szenen, die sich beim Betrieb und den Vorführungen im Saal abspielen. Gerade die dokumentarisch anmutenden Beobachtungen der Zuschauer vermitteln eine unglaubliche Lebensfreude. So war es einmal im Kino und so wird es nie wieder sein. Das erinnert an die turbulenten Szenen im Theatersaal in „Kinder des Olymp“. Das pralle Leben. Leider gleitet diese Reminiszenz an die Blütezeit eines Kinos immer wieder ins Nostalgische, ins Kitschige und Sentimentale ab.

Figuren

Hauptdarsteller in „Cinema Paradiso“ sind ein Kino und seine Zuschauer, sein Filmvorführer Alfredo (Philippe Noiret) sowie der kleine Salvatore, der sich partout nicht aus dem Vorführraum verscheuchen lassen will. Alfredo gibt sich schließlich geschlagen und nimmt den Kleinen unter seine Fittiche. Eigentlich ist er ein Ersatzvater, denn Salvatores leiblicher Vater ist nicht aus dem Krieg zurückgekehrt. Diese Kooperation sichert auch das Überleben des Kinos, nachdem Alfredo bei einem Brand sein Augenlicht verloren hat. Nun liegt es an Salvatore, Licht ins Dunkel zu bringen. Die Freundschaft der beiden währt über 20 Jahre, bis Salvatore der Heimat den Rücken kehrt.

Stärken

„Cinema Paradiso“ hat ein sehr schönes Opening. Da muss Alfredo dem Pfarrer des Dorfes den anstehenden Film vorab zur Prüfung präsentieren: Die kirchliche Filmbewertungsstelle. Der Pfarrer identifiziert alle anzüglichen Szenen, die Alfredo dann entfernen muss. So gelangt er nach und nach in den Besitz einer umfangreichen filmischen Sammlung von Kußszenen. Überhaupt ist der Film immer dann am stärksten, wenn er frech ist. Zum Beispiel, wenn jugendliche Zuschauer in den 60er Jahren bei den ersten erotischen Filmen im Dunkel des Kinosaals masturbieren und von den Lehrkräften eins auf die Finger bekommen. Die Highlights sind nicht die vielen Filmausschnitte selber, sondern die Reaktionen darauf. Film ist eben „nicht Action, sondern Reaction.“ (Dudley Nichols, US-amerikanischer Drehbuchautor)

Schwächen

Leider ist die Vater-Sohn-Geschichte schwach. Zum einen erfahren wir viel zu wenig über Alfredo, zum Beispiel wieso er keine Frau hat, keine Kinder? Wie sind ansonsten seine Lebensumstände? Nichts. Sehr merkwürdig ist auch das Ende ihrer Beziehung, als Alfredo den mittlerweile erwachsenen Salvatore vehement auffordert, wegzugehen und nie wiederzukommen: „Komm nicht zurück!“ Warum? Um selbständig zu werden, muss man nicht mit Freunden und Verwandten brechen. Dann hält Salvatore sich, vor allem zulasten seiner Mutter, auch noch an diese ziemlich kranke Forderung. Nach dem Verlust des Ehemannes also auch noch der des Sohnes. Welchen erzählerischen Sinn ergibt dieser Bruch? Dann gibt es im Film einige Übertreibungen bzw. inszenatorische Schwächen. So schnarcht Salvatore zum Beispiel beim Zelebrieren einer Messe überlaut im Stehen (!). Ein anderes Mal beklagt seine Mutter sich übertrieben künstlich über eine Missetat ihres Jungen.

Liebesgeschichte

Ähnlich schwach ist die Liebesgeschichte. Völlig unklar ist, wieso Salvatore sich in Elena verliebt? Nur weil sie schön ist? Nur weil er tagelang vor ihrem Fenster wartet? Welche Grundlage haben ihre Gefühle füreinander? Liebenswerte Charaktereigenschaften werden Elena eigentlich nicht zugebilligt. So bleibt diese Episode oberflächlich. Ihr Scheitern erzeugt keine Gefühle. Immerhin ist Salvatore dann in Rom Filmregisseur geworden, zwar – nach Aussagen seiner Mutter – beziehungsunfähig aber immerhin erfolgreich. Das ist doch was, vor allem unfreiwillig komisch.

Lösungen

Entweder Konzentration auf die Vater-Sohn-Geschichte oder auf die Liebesgeschichte, also auf ein klassisches Erzählmotiv. Für die erste Variante ist zum Beispiel Vittorio de Sicas „Fahrraddiebe“ ein Vorbild, für die zweite „Begegnung“ von David Lean oder „Die Brücken am Fluss“ von Clint Eastwood. Alle drei Filme vereint eine extreme Konzentration auf die jeweils zwei Protagonisten. Es gibt keinen Schnickschnack, keine Ablenkungsmanöver. Dann bei „Cinema Paradiso“ der Austausch aller rührseligen, kitschigen und künstlichen Szenen durch originelle und freche, die ja teilweise vorhanden sind. Nach der schmalzigen Filmmusik müsste man nur noch die Rolle des klischeehaften „erfolgreichen Filmregisseurs“ ersetzen und man hätte die Chance auf einen „Film Paradiso“.

Fazit

Der Film hat ein schönes Ende, was dann etwas versöhnt. Salvatore hat alle von Alfredo entfernten und gesammelten Kußszenen zusammen geschnitten. Diese Collage ist ein Ode ans Kino, eine Hommage an den Ort des Träumens, ans „Cinema Paradiso“.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 3 blaue Smileys und 4 schwarze traurige Gesichter für "Cinema Paradiso".

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