Reden wir zunächst mal über das Positive: Im Stile eines Dokumentarfilms erzählt „Spotlight“ von mehreren Journalisten des „Boston Globe“, die einen Missbrauchsskandal durch katholische Priester aufdecken. Das Krimidrama ist informativ, teilweise erhellend und keine verlorene Lebenszeit. Er erinnert an „Vergiftete Wahrheit“ von Todd Haynes oder natürlich an „Die Unbestechlichen“ von Alan J. Pakula. Herausragend ist die Besetzung der Schauspieler bis in die kleinsten Nebenrollen, vor allem die der Opfer und Täter.
Aber, und jetzt kommt das große ABER: „Spotlight“ hat eigentlich keine Geschichte, kein klassisches Erzählmotiv, keine Hauptperson, wenig Spannung, keinen Suspense. Es fehlen also die elementarsten Zutaten für die Gestaltung eines spannenden, unterhaltsamen Spielfilms.
Taugliche Filmstoffe
Da sind wir bei der interessanten Frage, was denn eigentlich ein tauglicher Filmstoff ist, der – wie hier – auf wahren Begebenheiten beruht? Wie erkennt man ihn? Er sollte eine Fülle von konflikthaften Interaktionen aufweisen. Er sollte seine Protagonisten in maximale Schwierigkeiten bringen, sie vor schwere Entscheidungen stellen. All das ist in „Spotlight“ nicht der Fall. Die Journalisten des „Boston Globe“ stoßen zwar auf Hindernisse, aber nicht auf Gefahren, Bedrohungen oder Gewissenskonflikte. Mit etwas Akribie kann das Spotlight-Team alle Probleme lösen.
Reale Fälle
In Clint Eastwood Meisterwerk „The Mule“ zum Beispiel – ebenfalls nach einer wahren Begebenheit – verdingt sich ein alter Mann mehr oder weniger wissentlich als Rauschgiftschmuggler für ein mexikanisches Drogenkartell. Hier liegen die Schwierigkeiten auf der Hand, die dann zusammen mit seinen familiären Problemen allesamt durchdekliniert werden. In „Barry Seal“ – wiederum nach einer wahren Begebenheit – gerät der Held von einem Schlamassel in den nächsten. Die Konzentration auf den Helden lässt uns bis zum bitteren Ende mitzittern
Dramaturgie
Eigentlich wählt Tom McCarthy die falsche Perspektive. Wer hätte denn im Szenario von „Spotlight“ in Gewissenskonflikte geraten können? Doch nicht die Guten. Genau. Das Geschehen wäre besser aus der Sicht eines Kirchenoberen erzählt worden. Sein Konflikt zwischen Aufklärung der Verbrechen und Loyalität wäre existenziell gewesen. Im britischen Spielfilm „Der Priester“ von Antonia Bird wird genau dieser innere Kampf durchexerziert.
Die Figuren
„Spotlight“ bietet ein ganzes Bataillon an Personen auf, wobei der Überblick schon mal verloren gehen kann. Wer war das denn jetzt eigentlich? Diese Invasion trägt nicht gerade zum Verständnis bei. Ist es dramaturgisch ertragreicher, einen bzw. wenige Helden ins Spiel zu bringen oder mehrere, wie in „Spotlight“? Antwort: Am besten eine zahlenmäßige Reduktion der Helden, weil wir dann unsere Gefühle besser synchronisieren können. Wir können tiefer eintauchen, eine intensivere Nähe herstellen. Wir können eher mit dem oder den Helden mitzittern. Also, am besten mit einem Helden (s. TOP 20).
Fazit
„Spotlight“ wirft ein eher spannungsarmes Schlaglicht auf einen Skandal, den auch einschlägige Magazine detailliert beleuchtet haben. Mit seinem brillanten „Stillwater“ und seinem früheren „Station Agent“ hat Tom McCarthy gezeigt, dass er sich sehr wohl auf seine Figuren und ihre Geschichten konzentrieren und Emotionen wecken kann.