Die Romane von John Grisham und ihre Verfilmungen zeichnen sich nicht gerade durch Originalität aus. Bestenfalls sind sie solide Unterhaltung, was eigentlich schon mal ziemlich gut ist. Umso überraschender ist die Adaption von Grishams „Der Klient“. Sie ist nicht nur originell, sondern behandelt auch ein klassisches Erzählmotiv, nämlich „Der bedrohte Zeuge“ (s.a. „Der einzige Zeuge“ von Peter Weir). Ein großer Pluspunkt ist die konsequente Erzähl-Perspektive aus der Sicht des elfjährigen Mark Sway. Und das machen Regisseur Joel Schumacher und sein Hauptdarsteller richtig gut. Der Junge, der aus prekären Verhältnissen stammt, ist mit Brad Renfro hervorragend besetzt. Auch sein kleiner Bruder und seine alleinerziehende Mutter agieren brillant. Komplettiert werden die Protagonisten von Susan Sarandon, die als Anwältin „Reggie“ Love Gelegenheit hat, ihr persönliches Schicksal zu verarbeiten. Fünfter im Bunde ist Tommy Lee Jones als mediengeiler, durchtriebener Staatsanwalt Roy Foltrigg. Es macht einfach Spaß, diesen rotzfrechen Figuren bei der Jagd nach Marks Geheimnis zuzuschauen.
Suspense
Mafiaanwalt Jerome Clifford verrät dem Jungen nämlich kurz vor seinem Freitod, wo sich die Leiche des ermordeten Senators Boyette befindet. Dieses lebensgefährliche Wissen teilt außer Mark nur noch einer: der Zuschauer. So ist das richtig. Das ist Suspense par excellence. Der Zuschauer als Komplize. Die Gegenspieler des Jungen sind im Grunde alle Erwachsenen. Mark weiß eigentlich nie, wem er glauben kann und wenn er es mal versucht, ist es meist ein Grund, schnell das Weite zu suchen. Auch die Annäherung zu Reggie wird fachgerecht erst am Ende vollzogen. Die Freundschaft des Jungen kann man eben nicht so einfach erwerben. Das ist dramaturgisch perfekt.
Stärken
Der Thriller wird sehr schnell erzählt, die Handlung ist verdichtet. Man muss sich schon konzentrieren. Auch das ist gut. Die Dialoge sind brillant, teilweise schnodderig, kompromiss- oder schonungslos, manchmal auch witzig, aber nie langweilig. Als Mafioso Barry Muldano zum Beispiel beim Showdown die Leiche des Senators aus dem zubetonierten Boden buddelt, verkündet er stolz „Tag der Auferstehung, alte Ratte!“ Des öfteren gibt es überraschende Situationen, in denen die Protagonisten ihren Trickreichtum demonstrieren können. Als der Staatsanwalt und das FBI zum Beispiel den Jungen verhören und unter Druck setzen, zeichnet der heimlich das Gespräch auf, das Reggie dann gegen die Ordnungshüter verwendet. Eine wunderbare Szene.
Antagonisten
Einfach genial ist Sergeant Hardy, der den Jungen maximal unter Druck setzt. Mit einer Dose Limonade verschafft er sich Marks Vertrauen, aber die hat er ihm nur geschenkt, um an seine Fingerabdrücke zu kommen. Hardys sadistische Ader offenbart sich, als er dem Jungen prophezeit, auf einem elektrischen Stuhl in Kindergröße zu enden, wenn er nicht kooperiert. Unkorrekter geht’s eigentlich nicht. Eine derartige Drohung wäre in deutschen Filmen wohl undenkbar.
Gangster
Leider können die Mafiosi da nicht ganz mithalten. Barry sieht aus wie ein schmieriger Zuhälter, ist dumm wie Bohnenstroh und immer wieder für unfreiwillige Lacher gut. Seine Gangsterkollegen sind auch nicht viel besser. Einmal setzt nachts ein Mafioso dem Jungen im Krankenhaus als verkleideter Arzt ein Messer an die Kehle. Da gibt es so etwas wie eine tödliche Bedrohung. Ansonsten geht von den Gangstern praktisch keine Gefahr aus. Schon bemerkenswert. Die schwarze Stretchlimousine visualisiert die dramatischen Defizite: Sie gehört bezeichnenderweise nicht den Mafiosi, sondern dem Staatsanwalt.
Fazit
Die Darstellung der Mafiosi ist zwar spannungsmindernd, tut dem Vergnügen aber insgesamt keinen Abbruch. Insofern ist „Der Klient“ auch kein lupenreiner Thriller. Immer wenn die Gangster auftauchen, dominiert das Komödiantische, also auch eine Thrillerkomödie. Desgleichen ist das Happy-End nicht lupenrein. Denn Mark wird zusammen mit seiner Familie in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen und seine neu gewonnene Freundin nie wiedersehen. Nur Reggies private Situation bleibt, wie sie ist: Durch ihre Vergangenheit als Alkoholikerin hat sie nach wie vor kein Besuchs- und Sorgerecht für ihre Kinder. Auch das ist eine stimmige Entscheidung.



