Infam (William Wyler) USA 1961

Das Drama hat trotz seiner angestaubten Thematik etwas sehr Modernes. Das liegt zum einen am Filmtitel, der darauf hindeutet, dass hier viel gelogen wird, zum anderen an den psychologischen Konflikten, die aus den Gerüchten und Intrigen resultieren, des weiteren an den weiblichen Protagonisten, ihrer Freundschaft und ihrem Versuch, sich mit einer Privatschule eine berufliche Existenz aufzubauen. „Infam“ beruht auf einem Theaterstück der US-amerikanischen Autorin Lillian Hellman und handelt von verkommenen Moralvorstellungen, die Existenzen zerstören können. Hier sind es Gerüchte, dass die beiden jungen Lehrerinnen Karen Wright (Audrey Hepburn) und Martha Dobie (Shirley MacLaine) ein Liebesverhältnis haben. Wie ein Krebsgeschwür erfasst der Verdacht nach und nach alle Beteiligten und lässt im puritanischen Amerika der 60er Jahre niemanden unbeschadet zurück.

Stärken

„Infam“ ist sehr konzentriert. Im Grunde gibt es nur zwei Locations. Die Handlung ist immer ganz nah an den Personen, die auch hervorragend gecasted sind, wie zum Beispiel das bösartige Schulmädchen Mary. Kinder sind eben nicht nur lieb und unschuldig. Sehr schön ist auch die Kontrastierung mit komödiantischen Figuren. Marthas Tante, die ehemalige Schauspielerin Lily Mortar, ist immer für einen Lacher gut. Sehr schön sind auch die eingebauten Wendungen: Die Lügen entpuppen sich als wahr, zumindest teilweise. Denn Martha liebt die Freundin schon seit eh und je. Deren Zukünftiger, Dr. Joe Cardin (James Garner), hält als einziger zu den beiden Frauen, bis Karen ihn provoziert. Das ist dramaturgisch und psychologisch sehr geschickt gemacht. Eigentlich sind es die eigenen Zweifel, die Karen beschleichen, als sie Joe auffordert, ehrlich mit ihr zu sein. Anschließend trennt sie sich von ihm. Echte Liebe ist eben an Vertrauen gekoppelt, was beiden abhanden gekommen ist. 

Drama

Das dramatische Potenzial wird vorbildlich eskaliert. Scheinheilige Moralvorstellungen treiben die beiden Frauen in den finanziellen Ruin. Die Verzweiflung treibt Martha in den Selbstmord. Wer glaubt, dass ein derartiges Szenario heutzutage undenkbar wäre, der sei an die Wormser Prozesse in den 90er Jahren erinnert. Der vermeintliche Missbrauchsskandal hatte verheerende Auswirkungen auf das Leben aller Beschuldigten.

Schwächen

Marthas Selbstmord verleiht der Geschichte eine überflüssige Tragik. Viel besser wäre es gewesen, wenn die Freundinnen nach ihrer Rehabilitierung woanders einen Neuanfang gewagt hätten. So aber hat das Infame gesiegt. Das ist schade. Erschwerend kommt hinzu, dass Karens Selbstgerechtigkeit am Ende triumphiert. Eine Entschuldigung von Marys Großmutter lehnt sie ab. Die Unfähigkeit zum Verzeihen verleiht ihr etwas Hartherziges. Letzte Sympathien verspielt Karen als sie nach der Beerdigung ihrer Freundin alle anwesenden Trauergäste – einschließlich ihres ehemaligen Bräutigams – keines Blickes würdigt. Das Handeln aller erwachsenen Protagonisten hat keine Vorbildfunktion. Die der Kinder zwar zum großen Teil auch nicht, aber die sind wenigstens nicht so moralinsauer, engstirnig und nachtragend, weniger „Infam“. Bei ihnen geht es schneller wieder zurück zur Tagesordnung.

 

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 4 blaue Smileys und 3 schwarze traurige Gesichter für Infam.

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