„Liebe und andere Grausamkeiten“ von Denys Arcand ist eine Tragikomödie über eine Gruppe von Mittzwanzigern auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit. Es ist eine Art Reigen über die Flüchtigkeit von Begegnungen im großstädtischen Montreal. In seiner Anlage erinnert der Film an „Der Eissturm“ von Ang Lee, der den Fokus allerdings auf pubertierende Jugendliche in gutbürgerlichem Milieu legt und im ländlichen Neuengland spielt.
Figuren
Alle Figuren, auch wenn sie es teilweise negieren, sind auf der Suche nach Liebe und ihrem Platz im Leben. Dabei agieren sie weitgehend orientierungslos und stehen sich selbst im Wege. Der schwule David (Thomas Gibson) ist ein ehemaliger Schauspieler, verdient seine Brötchen als Kellner und lebt mit der Literaturkritikerin Candy (Ruth Marshall) in einer Zweck-WG. Beide hatten mal etwas miteinander, aber David ist eigentlich vom anderen Ufer und Candy weiß nicht so genau, was sie will. Gefühlschaos pflastert ihren Weg – so könnte man ihre Befindlichkeiten und Anstrengungen definieren.
Stärken
Ab und zu schimmern Denys Arcands Fähigkeiten durch. Es gibt ein paar skurrile, überraschende Situationen und Dialoge, zum Beispiel wenn David seiner Freundin Benita bei Sadomaso-Spielchen mit einem Kunden als weiß gekleideter Sheriff unter die Arme greift. Zumindest der Schluss des Films vermittelt ein wenig Hoffnung: Candy und der Hilfskellner Kane begleiten David zu einem Castingtermin. In diesem Moment stehen sie einander bei.
Schwächen
„Liebe und andere Grausamkeiten“ hat keine Geschichte. Er beleuchtet eine Phase im Leben der Protagonisten. Es hätte aber auch ein anderes Zeitfenster sein können. Der Film konzentriert sich nicht, weder auf dass, was er vielleicht erzählen will, noch auf seine Figuren. Davon laufen auch viel zu viele herum, dazu noch in wechselnden Outfits, so dass man irgendwann den Überblick verliert: Wer war das denn jetzt? Das Chaos überträgt sich. Mit wem oder was soll der Zuschauer denn hier mitzittern?
Wirrwarr
Völlig wirr wird das Geschehen mit dem etablierten Serienkiller. Der hat eigentlich keine erzählerische Funktion. Man fragt sich nur, warum junge Frauen wiederholt allein völlig einsame Straßen entlang gehen? Am Ende entpuppt sind der eher biedere Beamte Bernie als Täter, der aus unerfüllter Liebe zu David gemordet hat und sich nach seinem Geständnis von einem Hochhaus in die Tiefe stürzt. Völlig hanebüchen.
Lösungen
Die Orientierung an einem klassischen Erzählmotiv hätte dem Film Struktur verliehen. Mal angenommen, David und Candy hätten anfangs eine Wette abgeschlossen, ähnlich wie in „Gefährliche Liebschaften“? Gegenstand ihrer Wette hätte zum Beispiel die Suche nach der „wirklichen Liebe“ sein können. Denn nach Davids Überzeugung gibt es so etwas nicht. Jedenfalls hätte es dann immer Suspense gegeben, heißt: Der Zuschauer hätte immer mehr Informationen gehabt, als Teile der handelnden Personen. Das wäre dramaturgisch richtig gewesen. Am Ende wären David und Candy dann ein Paar geworden, womit beide die Wette verloren, aber aneinander gewonnen hätten. Im Grunde ist diese Wendung in den Figuren auch angelegt, denn sie vertrauen sich, haben Respekt und Verständnis füreinander. Dabei spielt die Zuneigung oder die Neugier am gleichen Geschlecht eine untergeordnete Rolle. Des weiteren müsste man den Serienkiller entfernen. Er hat in dieser Tragikomödie überhaupt nichts verloren.
Fazit
Denys Arcand hat diesen wunderbaren Film „Der unverhoffte Charme des Geldes“ gedreht. Da denkt man denn, dass andere Werke des Regisseurs von ähnlicher Qualität sein müssten. Sind sie leider nicht. In „Liebe und andere Grausamkeiten“ dominiert die Verwirrung.