„Zeit der Unschuld“ ist eine ebenso opulente wie distanzierte Verfilmung des gleichnamigen Romans von Edith Wharton. Ein Melodrama, das ein klassisches Erzählmotiv behandelt: Die Unmögliche Liebe. In der New Yorker Aristokratie von 1870 hat die Liebe des jungen, bereits verlobten Anwalts Newland Archer (Daniel Day-Lewis) zur verheirateten, aber getrennt lebenden Gräfin Ellen Olenska (Michelle Pfeiffer) keine wirkliche Chance. Eine Romeo-und-Julia-Variante über große Gefühle, ohne diese zu erzeugen. Auf „getAbstract“ existiert eine sehr gute Zusammenfassung der Geschichte.
Romanverfilmung
Die eigentlich interessante Frage ist, welche Romane sich zur Verfilmung eignen und welche eher nicht? Nicht nur in diesem Punkt haben Alfred Hitchcock und Clint Eastwood eine Gemeinsamkeit, nämlich ihr untrügerisches Gespür für das filmische Potenzial eines Stoffes. Sie haben sich vorzugsweise bei Autoren der B- oder C-Literatur bedient, wohlwissend dass die Qualität von geschriebenen Wörtern nur bedingt etwas mit der von laufenden Bildern zu tun haben. Clint Eastwood hat sich bei „Die Brücken am Fluss“ einer zwar erfolgreichen, aber eher drittklassigen Vorlage bedient. Er wusste, welche Dramatik diese unglaubliche Konzentration auf eine schicksalhafte Begegnung hat.
Cornell Woolrich
Alfred Hitchcock und Francois Truffaut haben mehrfach Werke des literarisch eher unbedeutenden Cornell Woolrich verfilmt, dessen Romane allesamt dramaturgische Lehrstücke sind. Beide Regisseure wussten, worauf es ankommt: Nicht auf die Formulierungskunst, sondern auf Suspense, Deadlines, Druck, Gefahren, Konflikte, Reduktion und veritable Helden. Hitchcocks „Fenster zum Hof“, nach einer Kurzgeschichte von Cornell Woolrich, spielt nur in einem Hinterhof, Clint Eastwoods „Die Brücken am Fluss“ an nur vier Tagen im Madison County, meist auf der Farm von Francesca Johnson (Meryl Streep). Beide Filme sind zeitlich und örtlich unglaublich komprimiert: Die Einheit von Zeit, Raum und Handlung.
Edith Wharton
Martin Scorsese hat mit „Zeit der Unschuld“ einen Roman verfilmt, der sozusagen in der Aristokratie der Literatur angesiedelt ist. Edith Wharton hat für dieses Werk den Pulitzer-Preis erhalten und war mehrfach für den Nobelpreis nominiert. Da darf die Verfilmung der Vorlage natürlich in nichts nachstehen. Diese Bürde ähnelt hohen Erwartungen, die meistens – wie auch hier – nicht erfüllt werden. Auch sonst lässt diese Adaption Zweifel an der Tauglichkeit für eine Verfilmung aufkommen.
Schwächen
Es gibt eine Fülle von Personen, deren Funktion bis zum Schluss nicht richtig deutlich wird. Es gibt keine Reduktion, dafür einen ständigen Wechsel von Schauplätzen. Es gibt keine zeitliche Komprimierung, sondern die Geschichte einer unerfüllten Liebe über einen Zeitraum von über 25 Jahren. Es gibt codierte Dialoge, weil die Protagonisten, als Opfer enger gesellschaftlicher Regeln, fast nie frei aussprechen können, was sie eigentlich denken. „Hieroglyphenwelt“ nennt die Erzählerin diese Kommunikationsform. Es bleibt einfach zu Vieles im Interpretationsbereich.
Protagonist
Newland Archer ist zwar nicht feige, hat aber letztlich nicht das Format, sich über das vorhandene Regelwerk hinwegzusetzen. Es bleibt bei sehnsuchtsvollen Wunschträumen oder selbstmitleidigen Klagen. All dies trägt leider nicht zur Anteilnahme bei. Die manierierten Kamerafahrten von Michael Ballhaus sind visueller Ausdruck dieser Distanz. Alles sehr schick hier.
Fazit
In der Verfilmung von „Zeit der Unschuld“ dominieren die guten Absichten. Letztlich ein stylisches, getragenes, dialoglastiges High-Society-Melodrama, das kaum Gefühle erzeugt und den Zuschauer eher ratlos zurücklässt.