Clint Eastwood hat in in 50 Jahren ganze 38 (!) abendfüllende Spielfilme gedreht, darunter einige Meisterwerke (s. TOP 20). „Cry Macho“ gehört nun wirklich nicht dazu. Liegt es am fortgeschrittenen Alter? Eigentlich nicht. Erst drei Jahre zuvor, also im Alter von 88 Jahren(!), hat er den fulminanten Thriller „The Mule“ hergestellt, im Alter von 79 Jahren den langweiligen „Invictus“. Das Alter kann’s also nicht sein. Was denn?
Genre
Schon eine Genreeinstufung fällt schwer. Für einen Thriller ist „Cry Macho“ zu langweilig, für eine Komödie nicht witzig genug, für ein Familiendrama zu seicht. Außerdem tragen eine ganze Reihe von Merkwürdigkeiten zum unentschlossenen Gesamteindruck bei. Es fängt damit an, dass der 91-jährige Held Mike Milo (Clint Eastwood), ein ehemaliger Champion im Rodeoreiten, von seinem Boss Howard Polk gedemütigt und entlassen wird. Sehr merkwürdig. Wie darf man sich denn die 60 Jahre, die zwischen Unfall und Entlassung liegen, vorstellen? Hat Mike auf einer Art Gnadenhof sein Dasein gefristet? Erteilt man jemandem, den man gedemütigt und gefeuert hat, dann noch einen Auftrag?
Exposition
Damit sind wir bei der nächsten Szene, die ein viel tauglicherer Beginn gewesen wäre. Mike soll nämlich den inzwischen 13-jährigen Sohn von Howard, Rafael „Rafo“ Polk, von Mexiko-City nach Texas bringen. Angeblich wird er dort von seiner Mutter Leta schikaniert und misshandelt. Mike willigt ein und damit beginnt die eigentliche Geschichte von „Cry Macho“.
Kuriositäten
Die nächste Merkwürdigkeit wartet in Mexiko-City in Gestalt der Mutter, die eine Art weiblicher Gangsterboss oder Bordellchefin mimt – wie das Leben eben so spielt. Kein Wunder, dass sich Sohnemann schon längst davon gemacht hat. In Letas Augen ist Rafo ein „Monster“, das „seine Eltern hasst“. Anschließend versucht sie den 91-Jährigen zu verführen (?), was der leider ablehnt. Derartige Abstrusitäten tragen nicht unbedingt zum Verständnis für die Figuren bei. Jedenfalls macht Mike sich auf die Suche und stöbert den Bengel schließlich in einer illegalen Arena für Hahnenkämpfe auf. Rafo gibt sich widerspenstig, ist in Wirklichkeit aber neugierig, weshalb er sich zusammen mit seinem Hahn „Macho“ in Mikes Wagen versteckt. Mama droht Mike noch, ihm mexikanische Polizisten auf den Hals zu hetzen, wenn er nicht sofort wieder abhaut. Außerdem schickt sie ihm noch Aurelio, einen ihrer Bodyguards, hinterher.
Roadmovie
Damit sind eigentlich alle Zutaten für eine spannende Verfolgungsjagd beisammen: Ein interessanter Held, ein widerborstiger Junge – das „Odd-Couple-Paar“, Gangster und Polizisten auf ihren Fersen. Wie man diese Reise derart spannungsfrei gestalten kann, ist schon erstaunlich, vor allem bei Clint Eastwood. Jedenfalls – was wir ja alle schon ahnen – nähern Mike und Rafo sich an. Der Junge hat blaue Flecken am Körper, die von Mama oder einem Onkel stammen. Die Version seines Vaters scheint also zu stimmen? Auf einem Parkplatz will Aurelio den Jungen in seine Gewalt bringen. Doch durch einen Trick kann Rafo den Gangster außer Gefecht setzen.
Nachdem Mikes Wagen geklaut wird, stehlen sie selber einen. Aus Furcht vor der Polizei (?) suchen beide in einer Kneipe Zuflucht. Marta, die verwitwete Besitzerin, erweist sich als außerordentlich zuvorkommend und hilfsbereit, was zwar ganz schön ist, aber nicht sonderlich dramatisch. Jedenfalls hat Marta ein ähnlich tragisches Schicksal auf dem Buckel wie Mike und einen Haufen Enkelkinder bei sich. Alle freunden sich an und auch Rafo fühlt sich wohl in der Opa-Kinder-Kommune.
Ungereimtheiten
Als Aurelio endlich auftaucht, müssen sie weiter fliehen. Bei einem Telefonat mit Howord erfährt Mike einen weiteren Aspekt seines Auftrags: Einen Rechtsstreit mit seiner Ex-Frau will er mit Hilfe des Jungen zu seinen Gunsten entscheiden. Diese Neuigkeit erzählt Mike dem Jungen, der ihn daraufhin als Lügner bezeichnet. Wieder eine dieser Merkwürdigkeiten. Welchen Grund hat Rafo zu der Annahme, dass Mike schon vorher von diesem Rechtsstreit wusste? Eigentlich keinen, zumal Mike ihm diese Neuigkeit sofort anvertraut.
Das Gefühl des Verrats verpufft auch sofort, denn die beiden werden von korrupten Polizisten kontrolliert. Die kann Mike aber mit ein paar Dollarscheinen verscheuchen. Anschließend chauffiert er Rafo zu einem kleinen Grenzübergang, an dem Papa schon wartet. Nachdem der seinen Jungen in die Arme geschlossen hat (wieso lässt Rafo das zu?), kehrt Mike zu Marta zurück. Das grenzt schon fast an Kitsch und hätte man dem alten Rauhbein (Clint Eastwood) gar nicht zugetraut. Ist aber so.
Schwachpunkte
Ein weiterer Schwachpunkt in „Cry Macho“ sind auch die fehlenden Begegnungen zwischen dem Jungen und seinen Eltern. Wir erfahren nur die unterschiedlichen Standpunkte und Interessen, denen wir glauben können oder nicht. Schön wäre aber eine Überprüfung durch Handlungen und Konflikte der Betroffenen gewesen. Gangster Aurelio ist leider eine Knalltüte und die Polizisten sind entweder harmlos wie der Hilfssheriff, der mehr an der Heilung des erkrankten Hundes seiner Frau interessiert ist, oder leicht zu bestechen. An dieser Stelle hätte man sich eine wirkliche Wendung gewünscht.
Lösungen
Wie wär’s denn gewesen, wenn die beiden Streifenpolizisten Rafo mitgenommen hätten? Dann hätte Mike ein echtes Problem gehabt, was ja dramaturgisch gesehen nicht schlecht gewesen wäre. Da sind wir beim Protagonisten, der hier – im Gegensatz zu „The Mule“ – eine glatte Fehlbesetzung ist. Als 60-Jähriger hätte man ihm die Romanze mit Marta noch abgekauft, aber mit 91? Außerdem wäre es besser gewesen, wenn Rafo nicht freiwillig mit Mike mitgefahren wäre, der ihn also gekidnappt hätte. Warum? Weil das seine Probleme multipliziert und die Annäherung zwischen dem Odd-Couple-Paar fachgerecht bis zum Schluss hinausgezögert hätte.