Der Staatsfeind Nr. 1 (Tony Scott) USA 1998

„Der Staatsfeind Nr. 1“ ist Konfektionsware, ein 08/15-Thriller und wirkt für sein Alter erstaunlich angestaubt. Das Talent von Tony Scott blitzt zwar immer wieder auf, zum Beispiel in der kunstvoll gestalteten Pretitle-Sequenz. Die Montage, die Kameraarbeit und das Casting sind hervorragend. Aber was nützt das? Es mangelt dem Script und den Figuren vor allem an Spannung und Originalität. Über das Thema, die beschworene Gefahr eines allgegenwärtigen Überwachungsstaats, kann man heute eigentlich nur noch müde lächeln. Die gut gemeinten Befürchtungen funktionieren in Zeiten von Massenüberwachungen mit biometrischer Gesichtserkennung allenfalls als Zeitdokument. Mit den erzählerischen Defiziten dieses Thrillers haben sie allerdings nichts zu tun.

Die Geschichte

Es fängt damit an, dass ein republikanischer Politiker vom NSA ermordet wird, weil er nicht für eine Vorlage zur Verschärfung des Telekommunikationsgesetzes im Kongress stimmen will. Das Ganze wird zufällig von einem Tierfilmer dokumentiert (Zufälle sind ein Gradmesser für das handwerkliche Können von Filmemachern). Auf seiner Flucht trifft der Tierfilmer zufällig auf den Anwalt Robert Clayton Dean (Will Smith), dem er unbemerkt eine Kopie der Aufnahmen zusteckt. Erst als sein Leben nach und nach aus den Fugen gerät, merkt er, dass etwas faul ist im Staate USA.

Ungereimtheiten

Wie schnell Robert dann in seiner Kanzlei gefeuert wird, ist schon erstaunlich. Verdächtigungen würde man doch überprüfen, zumal hier ein langjähriges Arbeits- und Vertrauensverhältnis besteht. Desgleichen mutet die Reaktion seiner Ehefrau Carla geradezu albern an. Die hat nämlich nichts Besseres zu tun, als ihren angeblich untreuen Ehegatten auf der Stelle zu verlassen. Darüber sollte Robert sich eigentlich freuen, tut er aber nicht. Überhaupt wird das amerikanische Familienleben samt grausamer Inneneinrichtung, auch bei NSA Abteilungsleiter Reynolds, dermaßen abschreckend dargestellt, dass man mit den Bewohnern Mitleid bekommt. Die schnelle Versöhnung zwischen Carla und Robert ist genauso unglaubhaft wie das Zerwürfnis.

Flucht – Verfolgung

Bei seiner Flucht stößt Robert dann auf den ehemaligen NSA-Mitarbeiter Brill (Gene Hackman), der sich nicht nur als Urheber des kompromittierenden Mafiavideos entpuppt. Er ist auch der väterliche Freund der ermordeten Rachel Banks, die ihren leiblichen Vater bei einem Spionageeinsatz verloren hat und als Informantin für Robert tätig war. Brill ist Abhörspezialist und überzeugter Einzelkämpfer, der sich folgerichtig nicht sonderlich über Roberts Gesellschaft freut: „Er ist entweder sehr dumm oder sehr clever“. Dabei lässt er keinen Zweifel aufkommen, welche Einschätzung für ihn hier zutreffend ist. Erst am Schluss revidiert er sein Urteil, als Robert die NSA-Truppe auf die Mafiosi hetzt. Diese bleihaltige Lösung ist eine witzige und überraschende Idee.

Schwachpunkte

Der Spannungsfeind sind die unproduktiven Irritationen: Warum gewährt Mafiaboss Pintero Robert am Anfang des Films eine Frist für den Namen des Videofilmers, der ihn beim vertraulichen Zusammensein mit Gewerkschaftsbossen abgelichtet hat? Wieso diese Schonfrist von einer Woche? Warum will Pintero nicht auf der Stelle den Namen des Urhebers? Wieso gibt es nach Rachels inszenierter Ermordung durch die NSA keine Ermittlungen des FBI? Die müssten Robert doch auf die Schliche kommen, obwohl der seine blutverschmierten Kleidungsstücke vom Tatort entfernt hat? Einen Mord ohne Konsequenzen kann man sich aber schenken. Wieso überhaupt dieser Filmtitel, suggeriert er doch, dass der gesamte Staatsapparat hinter Robert her ist? Tatsächlich ist es nur eine kleine, selbständig agierende Einheit des NSA, die innerbetrieblich unter erheblichen Druck gerät. Fazit: „Der Staatsfeind Nr. 1“ ist nun wirklich nicht der beste unter den Werken des unglaublich talentierten Tony Scott.

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