Butcher’s Crossing (Gabe Polsky) USA 2022

Es gibt Romanstoffe, die sich zur Verfilmung eignen und welche, von denen man tunlichst die Finger lassen sollte. Zur letzteren Gruppierung gehört das literarische Meisterwerk „Butcher’s Crossing“ von John Williams. Der Roman ist eine Parabel über menschliche Rücksichtslosigkeit, Getriebenheit, Gier, über menschlichen Wahn und über das Scheitern. Es ist auch eine Geschichte über die Ausrottung der US-amerikanischen Ureinwohner, ohne dass diese auch nur ein einziges Mal in Erscheinung treten. Man raubt ihnen einfach einen Teil ihrer Lebensgrundlage. So ging das. Insofern ist der Roman auch eine Aufarbeitung amerikanischer Geschichte. Die Verfilmung kann dem Epos nicht ansatzweise das Wasser reichen.

Die Geschichte

Kansas 1874. Der junge Will Andrews hat sein Studium in Harvard geschmissen, um das wirkliche Leben kennenzulernen. Im fernen Butcher’s Crossing sucht er den Fellhändler McDonald auf, der ein Bekannter seines Vaters ist. Dieser warnt ihn vor einem Ausflug in die Wildnis. Doch Will schlägt seine Vorbehalte in den Wind. Im Saloon freundet er sich mit dem zwielichtigen Miller (Nicholas Cage) und seinem einarmigen Begleiter Charlie Hoge an. Miller erzählt von einer gigantischen Büffelherde, die er einst in einem Tal am Rande der Rocky Mountains gesichtet hat. Obwohl Will sich in die Prostituierte Francine verliebt, weist er ihre Avancen zurück. Stattdessen finanziert er die obskure Jagdgesellschaft, zu der noch der Häuter Fred Schneider stößt. Im Herbst des Jahres brechen sie auf und erreichen unter zahlreichen Entbehrungen das gelobte Tal, in dem sie tatsächlich eine riesige Büffelherde vorfinden.

Die Jagd

Miller beginnt, die Bisons abzuknallen –  eines nach dem anderen, wobei er sich in einen regelrechten Blutrausch hineinsteigert. Er lässt alle Vorsichtsmaßnahmen außer Acht, bis die Vier plötzlich vom Wintereinbruch überrascht werden. Der Rückweg über einen Bergpass ist versperrt, weshalb ihnen nichts anderes übrig bleibt, als in einem notdürftig eingerichteten Lager zu überwintern. Zunehmende Konflikte entwickeln sich zu einem regelrechten Lagerkoller. Der unter Verfolgungswahn leidende Fred Schneider tötet Charlie Hoge im Affekt. Nur weil Miller bei der beschwerlichen Rückkehr auf den Täter nicht verzichten kann, sieht er von einer Bestrafung ab. Als der Frühling Einzug hält, wagen die Überlebenden den Aufbruch. Einen Teil der erbeuteten Felle müssen sie mangels Transportmöglichkeiten zurücklassen.

Beim Abstieg vom Gebirgspass stürzt Schneider mit der gesamten Ladung einen Felshang hinunter in die Tiefe und stirbt. Will und Miller kehren schließlich als einzige Überlebende nach Butcher’s Crossing zurück, das sie seltsam ausgestorben vorfinden. Nachdem sie McDonald aufgestöbert haben, klärt der beide über die Geschehnisse auf: Der Markt für Büffelfelle ist aufgrund des Überangebots zusammengebrochen. Er ist pleite und kann den versprochenen Preis nicht zahlen. Miller zündet in der Nacht das Lager mit den verbliebenen Fellen des Händlers an und tötet den herbeigeeilten McDonald. Will reitet am nächsten Tag in die Prärie hinaus. 

Romanverfilmungen

Der Roman taucht tief in das Innenleben seiner Protagonisten ein. Er lebt von den Beobachtungen, den Gefühlen, den eskalierenden Konflikten und den Naturbeschreibungen. Diese literarischen Vorzüge lassen sich nur bedingt in bewegte Bilder übertragen. Der Film ist eine eigenständige Kunstgattung, die zum Teil andere Zutaten benötigt. Hinzu kommt der ganz einfache Umstand, dass eine Adaption von Meisterwerken zum Scheitern prädestiniert ist. Sie ist genauso sinnvoll wie Remakes von filmischen Meisterwerken wie „Die sieben Samurai“ oder „Psycho“. Man kann dabei nur verlieren. Alfred Hitchcock hat sich Zeit seines Schaffens wohlweislich immer an zweit- oder drittklassigen Vorlagen orientiert, mit entsprechendem visuellen und dramatischen Potenzial. In der „TOP 20“ gibt es etliche Romanverfilmungen, aber keine davon ist ein literarisches Meisterwerk. 

Roman vs. Verfilmung

Zu Beginn des Films führt ein Erzähler den Zuschauer auf literarische Weise ins Geschehen. Das ist eine gute Entscheidung. Nur, warum ist der Erzähler kein weiteres Mal im gesamten Film zu vernehmen? In der Exposition seines Romans nimmt John Williams sich Zeit für seinen Helden und seine Figuren. Die aufkeimenden Liebesgefühle für die Prostituierte Francine werden genauso ausführlich beschrieben wie das Zustandekommen und die Vorbereitungen der Jagdgesellschaft. Das schafft eine Nähe zu den Protagonisten. Der Film verzichtet auf diese Details. Ruckzuck ist das ungleiche Quartett unterwegs. Das ist der nächste Fehler. Im Film wird der einarmige Charlie Hoge von Fred Schneider im Affekt erschlagen, im Film wird Charly am Ende wahnsinnig, was wesentlich stärker ist.

So reiht sich eine Fehlentscheidung an die nächste. Im Roman verbrennt Miller am Ende einen Teil der eigenen Büffelfelle, im Film Restbestände des Händlers. Was ist dramatischer? Natürlich die Vernichtung der eigenen Bestände – ein verzweifelter Ausdruck eigenen Scheiterns. Die Filmlösung ist ein plumper Racheakt. Im Schlussteil seines Romans beschreibt John Williams ausführlich Wills Annäherung an Francine, die er dann eines Nachts einfach verlässt. Er ist ein Getriebener, der seinem Credo folgt: „Ich will vom Land so viel kennenlernen wie möglich“. Auch diese finale Annäherung und diesen Abschied spart der Film aus. Die letzte Fehlentscheidung. Während John Williams sich auf die Befindlichkeiten seiner Protagonisten konzentriert, bleibt die Verfilmung an der Oberfläche. Sie ist plakativ. Ganz interessant mit schönen Landschaftsaufnahmen. Mehr nicht.

Dramaturgie

In der Verfilmung bleibt der Antagonismus auf der Strecke. Die thematisierten Gefahren des Verdurstens, eines Indianerüberfalls, eines Angriffs durch wilde Tiere lösen sich allesamt in Luft auf. Das große Verpuffen. Diese Aktionen werden zwar auch nicht im Roman beschrieben, dafür aber hautnah der eskalierende Lagerkoller, der grassierende Wahnsinn des Unterfangens. Anstelle von psychologischem Tiefgang wird der Zuschauer mit politisch korrekten Statements beglückt, zum Beispiel als Fred Schneider irgendwann den ganzen Wahnwitz resümiert: „Wir gehören hier draußen nicht her.“

Lösungen

Eine kunstgerechte Verfilmung hätte sich von der Romanvorlage entfernen und zum Beispiel ein klassisches Erzählmotiv einführen müssen wie in „The Revenant“, der ebenfalls von der rücksichtslosen Eroberung und Unterjochung des Wilden Westens erzählt. Aber um sich vom Handlungsablauf eines Meisterwerks zu entfernen, bedarf es einer gehörigen Portion Chuzpe und eines Bewusstseins. Beides kann man Gabe Polsky nicht nachsagen.

Fazit

Die Verfilmung von „Butcher’s Crossing“ ist ein plakativer Western, der zu keiner Zeit Emotionen weckt.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 2 blaue Smileys und 5 schwarze traurige Gesichter für "Butcher's Crossing".

„Butcher’s Crossing“ von John Williams, neu bei bücher.de für 10,90 Euro

Farbiges Cover des Romans "Butcher's Crossing" von John Williams.

„Butcher’s Crossing“ von John Williams, gebraucht bei medimops

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