The Revenant (Alejandro G. Iñárritu) USA 2015

Der Schnee-Western „The Revenant“ ist Iñárritus Meisterwerk, weil er mit dem Roman „Der Totgeglaubte – Eine wahre Geschichte“ von Michael Punke eine kongeniale dramatische Vorlage hat. Weil er sich hier ganz auf ein klassisches Erzählmotiv und seinen Protagonisten konzentriert. Weil er sich nicht in weitschweifigen Nebengeschichten verliert wie in „Babel“. So konnte Iñárritus filmsprachliches Talent zur vollen Entfaltung kommen und nicht Schiffbruch erleiden wie in seinem Antifilm „Beautiful“. Im Grunde verhält es sich bei Iñárritu ähnlich wie bei den Coen-Brüdern: Immer dann, wenn sie sich an eine einfache dramatische Vorlage halten, sind ihre Filme am stärksten („True Grit“).

Protagonisten

Von Anfang an hängt das Leben des Trappers Hugh Glass am seidenen Faden. Was er durchleidet ist schier übermenschlich und Leonardo DiCaprio verleiht der Rolle eine unglaubliche Intensität. Wenn er dem Tode nahe mit letzter Kraft durch den Schnee robbt, dann zittern wir nicht wegen der Eiseskälte mit ihm. Auch sein Gegenspieler, der gefühlskalte, geldgierige und gewalttätige Fitzgerald (Tom Hardy) agiert brillant. Neben Hugh Glass gibt es einen zweiten Hauptdarsteller. Das ist die atemberaubende winterliche Landschaft Nordamerikas (gedreht wurde der Film in Feuerland, Argentinien). Eigentlich ist der Film eine Demonstration der dramaturgischen Kardinalregel: Aufbau eines originären Helden, der in maximale Schwierigkeiten manövriert wird.

Dramaturgie

Es beginnt mit einem Überfall von Arikaree-Indianern auf eine Expedition, für die Glass als Kundschafter arbeitet. Die Überlebenden schlagen sich erst zu Wasser, dann auf dem Land zum nächsten Fort durch. Als nächstes wird Glass von einem Bären attackiert. Die Intensität dieses tödlichen Kampfes zwischen Mensch und Tier sucht in der Filmgeschichte ihresgleichen. Glass überlebt schwerverletzt. Was Iñárritu dann macht, ist wirklich bemerkenswert. Von einer wundersamen Heilung wie in vielen anderen Hollywoodfilmen sind wir hier weit entfernt. Glass ist nicht transportfähig, eigentlich schon so gut wie tot. Deshalb will Fitzgerald ein wenig nachhelfen und Glass ersticken. Dessen indigener Sohn Hawk kann den Mordversuch vereiteln, wird aber seinerseits von Fitzgerald erstochen. Das ist die Schlüsselszene des Films, der Grund, weshalb Glass seine letzten Lebensreserven mobilisiert. Der Mörder seines Sohnes darf nicht davonkommen. „The Revenant“ ist also eine Rachegeschichte. Zur Synchronisation der Gefühle mit dem Helden trägt auch die exzellente Filmmusik und die herausragende Arbeit des mexikanischen Kameramanns Emmanuel Lubezki bei.

Schwachpunkte

Trotz der konzentrierten Vorlage erliegt Iñárritu auch hier seinem Hang zur selbstverliebten Weitschweifigkeit. Regelmäßig verlässt er seinen Helden, um parallele Ereignisse zu erzählen. Wenn der Zuschauer von den herannahenden Arikarees informiert wird, ist das dramaturgisch richtig. Aber welche Handlungsrelevanz hat der Marsch des Captains und seiner Männer zum rettenden Stützpunkt? Immer wieder bremsen Traumsequenzen in Zeitlupe die Erzählung. Was sagt uns das, wenn Glass minutenlang in einer niedergebrannten Kirche zu sehen ist, in der er dann seinen ermordeten Sohn in die Arme schließt? Gar nichts, außer dass er seinen Sohn geliebt hat, was wir aber eh schon wissen. Also, insgesamt hätte dem Film eine Kürzung von 10 bis 15 Minuten gut getan. Weniger ist meistens mehr.

Finale

Nach einem Kampf auf Leben und Tod fragt Fitzgerald den „Revenant“: „ Und dafür der ganze Aufwand? Lohnt sich das alles? Deinen Jungen kriegst du davon auch nicht zurück.“ Das sind aber die Fragen, die Glass dem Mörder seines Sohnes hätte stellen müssen: Lohnt es sich, für ein paar Dollar mehrere Menschen zu ermorden? Irgendwie stimmt hier die Perspektive nicht. Den eigentlichen Racheakt überlässt Glass den Arikaree-Indianern, die dem verwundeten Fitzgerald die Kehle aufschlitzen. Was mit dem ebenfalls schwer verletzten Helden passiert, lässt der Film offen. Aber dem hat ja, nach eigenem Bekunden, eh nur die Rachsucht am Leben gehalten.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für "The Revenant"

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