1. Die Geschichte

Ein mit Kreide geschriebener Text auf einer Schiefertafel, der nach dem Inhalt einer Geschichte fragt.

Egal ob Sciencefiction, Western oder Komödie – ein Film sollte eine Geschichte erzählen, die unsere Gefühle berührt oder uns zum Nachdenken, zum Reflektieren bringt. Eine einfache Filmidee bietet größere Chancen auf eine gute Geschichte als eine komplizierte. Warum? Weil die Chance, den Zuschauer zu fesseln größer ist, wenn man sich auf die Protagonisten und ihre Interaktionen konzentriert. Es gibt weniger Raum für Schnickschnack und Ablenkungsmanöver. Es fällt eher auf, wenn der Erzähler einer einfachen Geschichte seinen Plot nicht richtig durchdacht hat.

Klassische Erzählmotive

Der US-amerikanische Filmregisseur Howard Hawks hat einmal gesagt, dass es eigentlich nur ein dutzend Geschichten gibt. Wie meint er das? Niemand wird das Rad neu erfinden. Es wird im Laufe von Jahrzehnten aus anderen Werkstoffen hergestellt werden, ein neues Design oder neue Verkehrswege (Streamingdienste) bekommen. Aber wenn es kein Rad bleibt, dann wird es auch nicht laufen. Diese dutzend Geschichten sind nichts anderes als unterschiedliche Räder, klassische Erzählmotive, die zum Laufen gebracht werden wollen.

Was ist ein klassisches Erzählmotiv?

DIE UNMÖGLICHE LIEBE zum Beispiel. „Romeo und Julia“ verlieben sich ineinander, obwohl ihre Familien verfeindet sind. Letztlich hat ihre Liebe in einer toxischen Atmosphäre keine Chance. Die Geschichte endet als Drama. Was ist denn der Unterschied zur Liebesgeschichte in „Die Brücken am Fluss“, „Doktor Schiwago“, „Casablanca“, „Vom Winde verweht“ usw. usf.? Es gibt keinen. Alle diese Filme erzählen eine Liebesgeschichte in widrigen Zeiten, die letztlich scheitert. Was können wir daraus lernen? Es ist ein großer Vorteil – für Autoren, Filmgestalter und Rezipienten -, diese klassischen Erzählmotive zu kennen und sich an ihnen zu orientieren. Sie verfügen über einfache, konzentrierte und dramatische Plots! Es sind Geschichten, die prädestiniert sind, immer wieder neu erzählt zu werden. Na, wunderbar.

Liste von klassischen Erzählmotiven:

DIE MÖGLICHE LIEBE (z.B. „Stolz und Vorurteil“ von Jane Austen)
DIE UNMÖGLICHE LIEBE (z.B. „Romeo & Julia“ von William Shakespeare)
EIFERSUCHT (z.B. „Othello“ von William Shakespeare)
FALSCHE IDENTITÄT (z.B. „Der talentierte Mister Ripley“ von Patricia Highsmith)
RACHE (z.B. „Der Graf von Monte Christo“ von Alexandre Dumas)
DAS VERSPRECHEN (z.B. „Das Versprechen“ von Friedrich Dürrenmatt)
VERRAT (z.B. „Reservoir Dogs“ von Quentin Tarrantino)
TÄUSCHUNG, Trickstergeschichten (z.B. „Der Clou“ von George Roy Hill)
PROPHEZEIUNG (z.B. „Die Nacht hat 1000 Augen“ von Cornell Woolrich)
DIE WETTE (z.B. „Die Glücksritter“ von John Landis)
DER KÖDER / FALLE (z.B. „Kiss me stupid“ von Billy Wilder)
GESTRANDET (z.B. „Castaway“ von Robert Zemeckis)
SCHICKSALSHAFTES EREIGNIS (z.B. „Beflügelt“ von Glendyn Ivin)
ERBE MIT BEDINGUNGEN (z.B. „Zum Teufel mit den Kohlen“ von Walter Hill)
ZEITREISE (z.B. „Und täglich grüßt das Murmeltier“ von Harold Ramis)
DER PAKT MIT DEM TEUFEL (z.B. „Faust“ von Johann Wolfgang von Goethe)

THRILLERMOTIVE:
DER VERDACHT (z.B. „Der Verdacht“ von Alfred Hitchcock)
UNTER FALSCHEM VERDACHT / UNSCHULDIG BESCHULDIGT (z.B. „Auf der Flucht“ von Andrew Davis)
DER BEDROHTE ZEUGE (z.B. „Der einzige Zeuge“ von Peter Weir)
DER GESUCHTE ZEUGE (z.B. „Vertigo“ von Alfred Hitchcock“)
DAS MÖRDERISCHE DREIECK (z.B. „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ von Bob Rafelson)
KIDNAPPING (z.B. „Fargo“ von Joel und Ethan Coen)
ERPRESSUNG (z.B. „Speed“ von Jan de Bont)
DAS GEFÄHRLICHE GUT (z.B. „Lohn der Angst“ von Henri-Georges Clouzot)
DAS GROSSE ZIEL, Big Kaper Movies oder auch Heist-Movies (z.B. „Ocean’s Eleven“ von Steven Soderbergh)
PSYCHOTERROR (z.B. „Duell“ von Steven Spielberg)
PSYCHOKILLER (z.B. „Sieben“ von David Fincher)

UNTERGEORDNETE ERZÄHLMOTIVE:
FLUCHT – VERFOLGUNG (z.B. „Flucht in Ketten von Stanley Kramer)
DIE REISE DES HELDEN (z.B. „Alice im Wunderland“ von Lewis Carroll)

Der Ursprung des Films

Wo ist denn eigentlich der Ursprung des Films, seine Quelle, seine DNA? Wo kommt er her? Aus den alchimistischen Labors der Brüder Lumière und Georges Méliès’, dem Begründer des narrativen Films. Ihre Vertriebsfelder waren kleine Theater oder Zelte auf Jahrmärkten. Dort haben sie ihre Experimente und Späße unters vergnügungssüchtige Volk gebracht. Jahrmarkt heißt Rummel. Dort geht es um Attraktion, Aufregung, Adrenalin, Rausch und Spaß. Alles probate Zutaten für eine gute Filmgeschichte, im Gegensatz zu Political Correctness oder gut gemeinter Rücksichtnahme, also der Schere im Kopf. „Was beschnitten ist, löst kein Vertrauen aus … Kino ist vertrauenswürdig, wenn in ihm nichts verboten ist“, wusste schon Alexander Kluge. Alles andere verstößt außerdem gegen das oberste Gebot: KEINE LANGEWEILE!