6. Die Defätismusskala

Inmitten von acht abstrakten, strichförmigen Männchen, deren Mundwinkel nach unten geht, erstrahlt einer lachend und in güldenem Glanz als Symbol für "Die Defätismusskala"

Kluge, Truffaut und Hitchcock zur Defätismusskala in Spielfilmen:
Alexander Kluge: „Film darf nicht Trübsal blasen.“
Francois Truffaut: „Es ist, glaube ich, sehr problematisch, in einem Film ein Kind sterben zu lassen. Das grenzt schon an Missbrauch des Kinos. Was meinen Sie?“
Alfred Hitchcock: „Ich bin ganz Ihrer Meinung. Es ist ein schwerer Fehler.“

Demzufolge erhalten deutsche Depressionsfilme wie „Aus dem Nichts“ (Fatih Akin) oder „Wolke 9“ (Andreas Dresen) die volle Punktzahl (also sehr schlecht). Null Punkte (also sehr gut) gehen zum Beispiel an die meisten Werke von Woody Allen, Ernst Lubitsch, Francois Truffaut oder Billy Wilder.

Warum ist es wohl so, dass die Zuschauer auf der IMDb „Die Verurteilten“ zum besten Film erkoren haben? Er ist nicht „nur“ ein exzellent gemachter Film. Er verfügt auch über ein raffiniertes Ende, das Mut macht und Hoffnung gibt. Was musste Andy alles ertragen, damit am Ende sein Traum in Erfüllung geht? Einfach unfassbar. Er ist in Freiheit und kann seinen Freund in die Arme schließen. Es ist ein Film, der es schafft, die Zuschauer zu beseelen. Das ist ein wesentlicher Aspekt dieser hohen Zuschauerwertung.  

Es geht nicht darum Happy Ends zu favorisieren. „Stand by me“ von Rob Reiner fängt zum Beispiel damit an, dass der Protagonist Gordie vom Tod seines besten Freundes erfährt. Gleichwohl ist der Film eine Hymne an die Freundschaft und lässt die Zuschauer beseelt zurück. Es können also auch Dramen sein (s. TOP 20) oder Filme mit offenem Ende. Ein kunstgerechter Spielfilm sollte Anregungen oder ein Gefühl der Gemeinschaft vermitteln können. Hoffnung oder Zuversicht klingen zwar moralisch, treffen es aber auch. Also welche produktiven Gefühle und Gedanken hinterlässt ein Film nach seinem Ende? Kann er seine Zuschauer zum Nachdenken anregen. Kann er sie beseelen? Hat er etwas mit dem Leben und der Vorstellungskraft normaler Menschen zu tun? Bedeutet er einen Verlust an Lebenszeit oder einen Gewinn? Das sind die Kernfragen der Defätismusskala.

Beispiele von defätistischen Filmen

Aus dem Nichts (Fatih Akin) D 2017
Breaking the waves (Lars von Trier) 1996
Der Zementgarten (Andrew Birkin) GB 1993
Funny Games (Michael Haneke) AU 1997
Kauwboy – Kleiner Vogel, großes Glück (Bouwdewijn Koole) NL 2012
Systemsprenger (Nora Fingscheidt) D 2019
Tore Tanzt (Katrin Gebbe) D 2013
Volver (Pedro Almodóvar) E 2006
Wolke 9 (Andreas Dresen) D 2008
Yella (Christian Petzold) D 2007

Beispiele von antidefätistischen Filmen

Catch me if you can (Steven Spielberg) USA 2002
Der unverhoffte Charme des Geldes (Denys Arcand) CND 2018
Der Stadtneurotiker (Woody Allen) USA 1977
Die Marx Brothers in der Oper (Sam Wood) USA 1935
Gottes Werk und Teufels Beitrag (Lasse Hallström) USA 1999
Kolja (Jan Svěrák) CS 1996
Sein oder Nichtsein (Ernst Lubitsch) USA 1944
Stand by me (Rob Reiner) USA 1986
Stolz und Vorurteil (Joe Wright) GB 2005
Taschengeld (Francois Truffaut) F 1976

„Eigentlich geht es nur darum, das Leben derer, die Ihre Bücher lesen (oder Ihre Filme gucken, Anmerkung der Redaktion) … zu bereichern.“ Stephen King*