Der Tod und das Mädchen (Roman Polanski)

Dieser spannende Psychothriller ist zugleich das intelligenteste Rachedrama der Filmgeschichte. Es beruht auf einer starken Vorlage des chilenischen Autors und Literaturprofessors Ariel Dorfman. Sein Theaterstück „Der Tod und das Mädchen“ ist auch eine Metapher über Missbrauch und Leid, über Täter und Opfer. Alles passiert in einer Nacht in einem einsam gelegenen Landhaus. Die Vorgeschichte ist zu Zeiten einer südamerikanischen Militärdiktatur angesiedelt, in der politische Gegner misshandelt und gefoltert wurden. So auch die Protagonistin Paulina Escobar, herausragend gespielt von Sigourney Weaver. Nicht minder exzellent ist das Schauspiel der männlichen Figuren, ihres Ehemannes, des Rechtsanwalts Gerardo Escobar (Stuart Wilson) sowie des Folterers, des Arztes Dr. Roberto Miranda (Ben Kingsley).

Die Geschichte

Das Theaterstück war als Vorlage geradezu prädestiniert für Roman Polanski, der – auch aufgrund eigener Erfahrungen im Krakauer Ghetto – wie kaum ein anderer die Traumata, die klaustrophobische Enge und die bedrohliche Atmosphäre in Szene setzen konnte.
Von Beginn an geht es zur Sache. Beim ersten verdächtigen Geräusch greift Paulina zur Pistole, die sie bis zum Schluss nicht mehr loslässt. Die Bedrohung ist allgegenwärtig. Wie ein gehetztes Tier geistert Paulina durch ihre Umgebung, um die Dämonen der Vergangenheit abzuschütteln. „Was ist mit den Lebenden?“, fragt sie anklagend ihren Mann, der gerade zum Vorsitzenden einer Regierungskommission zur Aufarbeitung von getöteten Oppositionellen berufen worden ist. Einer, der ihr das Leben zur Hölle gemacht hat, ist ihr Folterer Dr. Miranda. Zufällig hilft er Gerardo bei einer Wagenpanne und taucht im Landhaus auf. Paulina erkennt ihren Peiniger an seiner Stimme und seinem Geruch. Mit der Pistole in der Hand dreht sie nicht einfach den Spieß um – das wäre zu plump -, sondern stellt ihm ein Ultimatum: Entweder er legt ein Geständnis ab oder er stirbt. Eine Deadline – um 6 Uhr morgens erscheinen die Personenschützer – eskaliert den Druck.

Dramaturgie

Patricia Highsmith hat einmal postuliert, dass eine gute Geschichte so nahe wie möglich vor ihrem Ende anfangen sollte. Der dramatische Ertrag dieser klugen Erkenntnis wird hier beispielhaft demonstriert. Eine Nacht – nicht mehr und nicht weniger – dient der Enthüllung grausamer Taten und Qualen. Dafür werden keine Folter- oder Missbrauchsszenen benötigt. Alles spielt sich in den Köpfen, Gesichtern und Handlungen der drei Protagonisten ab. Reactionshots, denn „Movies are not action. They are reaction.“ (so der US-amerikanische Drehbuchautor Dudley Nichols). Die Dialoge sind schonungslos. Es ist die Nacht der Wahrheit.

Finale

Bis zum Schluss von „Der Tod und das Mädchen“ versucht Gerardo – ganz Anwalt – die Schuld Dr. Mirandas anzuzweifeln, womit Paulina ganz auf sich allein gestellt ist. Dramaturgisch vorbildlich. Auch ein angebliches Alibi kann oder will Gerardo nicht als Fälschung identifizieren. Dafür benötigt es dieses geniale Ende: Paulina steht mit dem gefesselten Dr. Miranda und ihrem Mann auf dem Felsen, von dem sie zuvor schon den Wagen ihres Peinigers in die Tiefe gestürzt hat. Erst jetzt, angesichts des Todes und der aufwühlenden Nacht, gesteht Miranda seine Vergewaltigungen und Misshandlungen. Jetzt ist es ein echtes Eingeständnis. Deshalb befreit Paulina ihn von den Fesseln, was auch zugleich – zumindest ein Stück weit – eine Befreiung für sie ist. Sein Tod hätte ihr keine Erleichterung gebracht. Da auch Gerardo den Folterer seiner Frau nicht in den Abgrund stürzt und Dr. Miranda nicht den Mut für einen Selbstmord aufbringt, erwartet ihn das schlimmstmögliche Ende: das Weiterleben unter dem Eingeständnis seiner Taten.

Das verdeutlicht auch die Schlußszene in der Oper. Während Paulina wieder in der Lage ist Schubert zu hören („Der Tod und das Mädchen“) – die musikalische Untermalung während ihrer Folterungen – und sich den Darbietungen auf der Bühne widmet, starrt Dr. Miranda von seiner Loge auf sein ehemaliges Opfer herab. Jetzt ist er das gehetzte Tier und er wird es Zeit seines Lebens bleiben. Ein geniales Drama, das Hoffnung macht.

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