Ähnlich wie bei „Oppenheimer“ ist es schon faszinierend, wie in einem Dokumentarfilm in zurückliegende Zeiten einzutauchen. „Killers of the Flower Moon“ ist ein Gangsterdrama, das auf wahren Begebenheiten beruht und von einer Mordserie vor hundert Jahren an den Osage Indianern in Oklahoma erzählt. Der Film ist opulent und brillant ausgestattet, fotografiert und gecasted. Die Filmmusik von Robbie Robertson ist angenehm zurückhaltend, unterschwellig bedrohlich und intensiviert die Atmosphäre. Soweit alles super. Aber dann.
Überlänge
Der gravierendste Fehler ist die Länge von dreieinhalb Stunden! Die resultiert im wesentlichen aus dem angestrengten Bemühen um Wiedergutmachung der bis heute nicht wirklich aufgearbeiteten Morde an den Osage Indianern. David Granns Sachbericht, die Grundlage von „Killers of the Flower Moon“, stammt aus dem Jahre 2017. Die New York Times befasste sich im letzten Jahr eingehender mit einem der grausamsten Kapitel des amerikanischen Raubtierkapitalismus’. Die Veröffentlichungen erscheinen also ziemlich genau 100 Jahre nach den Ereignissen in Oklahoma. In puncto medialer Aufmerksamkeit ist jeder psychopathische Serienkiller in den USA „besser“ gestellt.
Bedeutungsschwere
Martin Scorsese wird Opfer der Bedeutsamkeit dieser Aufarbeitung. Sein angestrengtes Bemühen, insbesondere den Osage Indianern gerecht zu werden, ist der „Killer of the Flower Moon“. Es gibt nichts Spielerisches, keine Leichtigkeit, keine Hemmungslosigkeit im Umgang mit den „Fakten“, keinen Humor und wenig Spannung. Da kommt man dann auf die Idee, dass auch das fortgeschrittene Alter des Regisseurs mit ein Grund für die Überlänge ist. Verglichen mit seinem unglaublich rasanten und kraftvollen „Casino“ von 1995 wirkt „Killers of the Flower Moon“ schon etwas betulich.
Figuren
Der zweite große Fehler liegt in den Figuren dieses Gangsterdramas begründet. „Held“ ist Ernest Burkhart (Leonardo DiCaprio), der anfangs einen Job bei seinem Onkel William Hale (Robert De Niro) erhält. Ernest taugt nicht wirklich als Held. Dafür ist er zu einfältig, zu sehr Erfüllungsgehilfe der mafiösen Machenschaften seines Onkels. Vergeblich wartet man als Zuschauer auf eine Entwicklung, auf eine Wendung, auf etwas Raffinesse. Nein. Da kommt nichts. Die meiste Zeit läuft Ernest mit heruntergezogenen Mundwinkeln durch die Gegend. Die Eindimensionalität seines Charakters ist erschlagend. Und irgendwann ist man es leid, tumben Weißen stundenlang bei der Planung und Umsetzung von Morden an Indianern zuzuschauen. Nach geschlagenen drei Stunden und dem vorangegangenen Ableben seines kleinen Jungen, wagt Ernest zum ersten Mal Widerspruch. Zu spät kann man da nur sagen. Seiner lebenslangen Haftstrafe entgeht er genauso wenig wie der Zuschauer einer quälenden Filmnacht.
Osage Indianer
Ausgerechnet in diesem Versuch einer Wiedergutmachung geben die Osage kein gutes Bild ab. Sie agieren meist überfordert oder schicksalsergeben, im Grunde nicht minder einfältig als der Protagonist. Es gibt zwei Stammespalawer, bei denen die Osage ihre Standhaftigkeit betonen: Wir lassen uns nicht vertreiben. Ihre mutigste Reaktion besteht noch in einer Reise nach Washington, wo sie beim Präsidenten vorsprechen und auf die Mordserie aufmerksam machen. Ansonsten kommt von ihnen keine Gegenwehr. Was man schmerzlich vermisst, ist ihre Kriegsbemalung, das Satteln ihrer Pferde, der Ritt in den Kampf.
Erzählperspektiven
Scorseses dritter großer Fehler ist die Erzählperspektive, die sich ganz auf den einfältigen Ernest konzentriert. Dabei sollte der ursprünglich den FBI Ermittler Tom White spielen sollen, was DiCaprio aber nicht behagte. Schade, kann man da nur sagen. Das wäre eine taugliche Lösung gewesen, also die Geschichte als harten Krimi zu erzählen, bei dem die Ermittler auf eine Mauer des Schweigens stoßen, dann nach und nach die Puzzleteile zusammenfügen. Außerdem hätte die Erzählung später eingesetzt und damit Patricia Highsmiths dramaturgisches Postulat erfüllt: „Eine gute Geschichte sollte so nah wie möglich vor ihrem Ende beginnen.“
Psychothriller
Die Perspektive von Ernest indianischer Ehefrau Mollie (Lily Gladstone) wäre ebenfalls eine bessere Alternative gewesen. Es wäre ein Psychothriller geworden, in dem die Heldin aus Liebe zu ihrem Mann die schleichende Vergiftung in Kauf genommen hätte. Ein Strukturmodell, das an „Walzer in die Dunkelheit“ von Cornell Woolrich erinnert, adaptiert von Francois Truffaut unter dem Titel „Das Geheimnis der falschen Braut“.
Verdeckte Ermittler
Der US-Kommissar für indianische Angelegenheiten hatte seinerzeit FBI Agenten als verdeckte Ermittler eingesetzt. Ganze zwei Jahre haben sie gebraucht, um William Hale und seinen Leuten auf die Schliche zu kommen. Auch das wäre eine taugliche Erzählperspektive gewesen, zumal sie die tödliche Gefahr impliziert, die bei ihrer Enttarnung droht. Um Ernest Burkhart machen wir uns dreieinhalb Stunden keine Sorgen.
Das Gerichtsdrama
Auch die Perspektive der Staatsanwaltschaft wäre ein mögliches Szenario gewesen: Gerichtsverhandlungen, die nach und nach das Ausmaß der Massenmorde enthüllen. In „Killers of the Flower Moon“ sind wir leider nur kurz im Gerichtssaal. Aber dieser Besuch hat es in sich. Die Apathie der Killer bei ihren Vernehmungen macht einen fassungslos und enthüllt einen weiteren Aspekt der Mordserie: Das Leben eines Indianers war praktisch wertlos. Trotz seines Schuldeingeständnisses und seiner Kooperation mit den Ermittlern wird Ernest schließlich zu lebenslanger Haft verurteilt, genauso wie sein Onkel. Im Epilog erfahren wir, dass beide später auf Bewährung frei gelassen wurden. Auf die interessante Frage wie das möglich sein konnte und warum sie nicht hingerichtet wurden, gibt der Film keine Antwort.
Fazit
In „Killers of the Flower Moon“ steckt der Fehlerteufel. Das ganze Staraufgebot nützt dann auch nicht mehr viel. Meidet einfach Filme, die länger sind als zwei Stunden. Was ist schon so bedeutsam, als dass man es nicht in diesem Zeitfenster erzählen könnte?