In die Sonne schauen (Mascha Schilinski) D 2024

Man will keine Vorurteile haben, weil sie eigentlich blöd sind. Manchmal stimmen sie ja auch nicht. Also, deutsche Filme sind entweder infantil („Manta, Manta“, „Das Kanu des Manitu“ usw.) oder depressiv und bar jeder Leichtigkeit („Das weiße Band“, „Aus dem Nichts“ usw.); deutsche Filmemacher können keine Dialoge schreiben („Ich bin dein Mensch“ usw.); die Figuren in deutschen Filmen sind häufig langweilige Gutmenschen („Rocca verändert die Welt“ usw.). Ausnahmen bestätigen bekanntermaßen diese Vorurteile. „Das Mädchen Wadjda“, der im saudi-arabischen Riad spielt, ist ein sehr schöner, einfacher Film, der sich ganz auf seine 10-jährige widerspenstige Protagonistin konzentriert. „Das Leben der Anderen“ natürlich. Aber der hat auch Suspense – für die meisten deutschen Filmemacher wahrscheinlich ein Fremdwort. Um es kurz zu machen: „In die Sonne schauen“ gehört leider nicht zu diesen wenigen Ausnahmen. Er ist ein langatmiger, manierierter Anfängerfilm und bestätigt alle grassierenden Vorurteile.

Die Geschichte

Gibt keine! Es gibt Fragmente, aber keine Geschichte. Schon der Ansatz, die Filmidee anhand einer Fotografie bzw. eines Vierseitenhofes in der Altmark aufzuzäumen, ist ein Fehler. Ein Bauernhof oder ein Foto ergeben keine Geschichte. Dafür müsste man sich nämlich um die Menschen kümmern, die im Gebäude leben bzw. auf den Bildern zu sehen sind. Man müsste sich mit ihren Bedürfnissen, Wünschen, Fehlern, mit ihren konflikthaften Interaktionen beschäftigen und dann das dramatische Potenzial ausloten und eskalieren. Der Regisseurin scheint das alles unwichtig bzw. fremd zu sein. Im Grunde hätte sie sich nur mal eingehender mit den Menschen dort auf dem Lande unterhalten sollen. Dann hätte sie Geschichten sammeln können und wäre vielleicht fündig geworden.

Fragmente

Vereinzelt gibt es Szenen, die einen Eigenwert haben. So läuft Erika in der Anfangsszene auf zwei Holzkrücken durch die Flure. Ihr linkes Bein scheint zu fehlen. Dann sehen wir, dass sie ihr unteres Bein an den Oberschenkel gebunden hat. Eine Täuschung. Für einen Moment schlüpft sie in das Leben ihres invaliden Onkels. In einer späteren Szene laufen die pubertierende Angelika und ihr Cousin Rainer barfuß über ein abgeerntetes Stoppelfeld. Anschließend zählen sie ihre Wunden auf den Fußsohlen. Auch Angelikas angedeuteter Striptease vor neugierigen Kinderaugen hat Charme. Aber dann kommen gleich wieder diese langatmigen, düsteren Szenen, wo man sich nur fragt, welche Handlungsrelevanz sie haben? Da drischt zum Beispiel eine Frau unentwegt auf einen alten Kaminofen ein. Immer wieder die Frage: Was soll das? Die Puzzleteile fügen sich nicht zusammen. Letztlich sind sie ein Sammelsurium von unproduktiven Irritationen.

Handwerk

Was lernt man eigentlich auf diesen Filmakademien? Das Handwerk offensichtlich nicht. „In die Sonne schauen“ malträtiert den Zuschauer mit quälend langen, düsteren Bildsequenzen. Bei ihren Fahrten fängt die Kamera häufig die Rückseiten der Protagonisten ein. Film ist aber Reaction und nicht Action (Dudley Nichols), heißt: Für eine emotionale Anteilnahme benötigen wir die Vorderansicht der Figuren und nicht die Rückseite. Die technische Qualität des Film ist grottig, das 4:3 Seitenverhältnis antik. Ab und zu blicken Schauspieler in die Kamera (anstatt in die Sonne). Wenn Alma durchs Schlüsselloch linst, kann sie aus der Perspektive eigentlich nicht die Fotos auf der Anrichte sehen. Mit der inneren Stimme von Angelika werden wir nach geschlagenen 45 Minuten beglückt. Abgesehen davon, dass sie in dieser Szene wieder von hinten zu sehen ist, bringt ein kompetenter Filmemacher seine Stilmittel sofort ins Spiel oder gar nicht. Die Gesamtlänge von zweieinhalb Stunden ist eine Zumutung.

Vorbilder

Leider hat Mascha Schilinski die falschen Vorbilder. In seiner ganzen Manieriertheit erinnert „In die Sonne schauen“ an die erzählerische Nullnummer „The Zone of Interest“. Indiz dafür u.a. das anschwellende Brummen, das hier wie da vor allem eines vermittelt: Was soll das alles? Permanente Ratlosigkeit erzeugt aber irgendwann nur noch Unwillen. 
„Heimat“ von Edgar Reitz wäre zum Beispiel ein taugliches Vorbild gewesen, aber der erzählt auch Geschichten und kümmert sich um seine Figuren. „Die Brücken am Fluss“ ist eine ganze einfache Liebesgeschichte im ländlichen Raum, die das Leben einer Mutter und Ehefrau ins Wanken bringt. Aber diese Beispiele konzentrieren sich auf ihre Figuren und orientieren sich an klassischen Erzählmotiven, womit wir beim Stichwort wären.

Klassische Erzählstrukturen

Warum soll es eigentlich schlecht sein, auf ausgelatschten Pfaden zu wandeln? Sie bieten doch Orientierung, Sicherheit und gewährleisten eine zeitige Ankunft. Man verplempert keine Zeit, um ans Ziel zu gelangen. Für das produktive Beschreiten neuer Wege benötigt man Know-how, und zwar jahrzehntelanges, sonst würde man sich verirren, genauso wie Mascha Schilinski. Das Bemühen um Innovation sollte auch immer der Geschichte dienen und nicht umgekehrt. Im Grunde ist es wie mit der Filmmusik: Sie hat die Aufgabe, sich der Handlung unterzuordnen und ihre Wirkung zu intensivieren. Außerdem: Was ist denn in diesem Film innovativ? Zeitsprünge, nicht-chronologische, elegische Erzählweisen und langweilige Filme gab es auch schon vor hundert Jahren. Das ganze Gerede von der positiven Auflehnung gegen klassische Erzählstrukturen ist doch nur ein Ablenkungsmanöver. Sie soll verschleiern, dass man sein Handwerk nicht beherrscht und dass man nichts, aber auch gar nichts zu erzählen hat. 

Andere Kunstgattungen

Wie sieht es denn mit formalen Erneuerungen in anderen Kunstgattungen aus? Expressionistische Maler wie Paul Klee oder Wassily Kandinsky hatten eine jahrelange klassische Ausbildung absolviert, bevor sie anfingen zu experimentieren. Dito in der Musik. György Ligeti oder Arnold Schönberg haben ihre künstlerische Laufbahn nicht damit begonnen, Zwölftonmusik zu komponieren. Also, die Sache ist doch sonnenklar: Erst nach einem jahrzehntelangen Studium und der Anwendung klassischer Strukturen wird ein Künstler in der Lage sein, interessante neue Wege aufzuspüren und zu beschreiten.

Filmkritiken

Jetzt wird’s unterhaltsam. Die ausnahmslos positiven Rezensionen zu „In die Sonne schauen“ erinnern an Hans Christian Andersens „Des Kaisers neue Kleider“, also das Hofieren des Nichts. Die bemühten und teilweise abenteuerlichen Satzkonstruktionen in den Filmkritiken sind schon unfreiwillig komisch. Realsatire pur. Exemplarisch hier der Link zu einer Filmkritik, wobei man schnell zu den Kommentaren runterscrollen sollte. Da erfährt man dann, wie frustrierte Zuschauer bei den Vorführungen in Scharen das Kino verlassen haben. Sie sind eben keine Hofnarren.

Fazit

„In die Sonne schauen“ kann man in die Tonne hauen (Achim Amme).

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 7 schwarze traurige Gesichter für "In die Sonne schauen".


Lieber in den Süden abhauen,

als in diese Sonne schauen.

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