Der große Crash (J.C. Chandor) USA 2011

„Der große Crash“ ist eine hervorragend gemachte „True Story“, die auf dem Zusammenbruch der Lehman Brothers Investmentbank beruht. Inszeniert wie eine spannende Dokumentation beleuchtet der Film Zusammenhänge, die Auslöser für eine der ganz großen Finanzkrisen der letzten Jahrzehnte war. Das Geschehen spielt sich kurz vor der Insolvenz, innerhalb eines Tages, weitgehend in den Räumen des Geldinstitutes ab. Dieser späte Erzählbeginn erzeugt Spannung (s. Postulat von Patricia Highsmith in „Dramaturgie“). Außerdem erweist sich auch hier die Einheit von Zeit, Ort und Handlung als großer erzählerischer Vorteil (auf Aristoteles basierende dramentheoretische Regel, s.a.: „Der Tod und das Mädchen“, „16 Blocks“ oder „Crawl“). 

Die Geschichte

Investmentbanker Eric Dale wird gefeuert. Bei seinem Weggang steckt er einem jungen Kollegen einen USB-Stick mit brisantem Material zu. Nach dessen Analyse verbergen sich hinter den geschönten Zahlen der Bank massenhaft Zertifikate mit einem sogenannten Klumpenrisiko. Der junge Broker schlägt Alarm. Sein Boss Sam Rogers (Kevin Spacey) informiert die Firmenleitung, die sofort reagiert. In nächtlichen Sitzungen beschließt man, die faulen Anleihen abzustoßen. So soll der interne Schaden, ohne Rücksichtnahme auf die Folgen für die Anleger, begrenzt werden. Sam und Eric werden mit großzügigen Gratifikationen bedacht, um moralischen Bedenken zu zerstreuen bzw. um Stillschweigen zu wahren. Am frühen Morgen stimmt Sam seine Trader auf den Ausverkauf ein. Es gelingt seiner Abteilung, über 90% dieser toxischen Zertifikate zu verkaufen.

Die Figuren

Die Schauspieler agieren allesamt hervorragend. Trotzdem kann man nicht so richtig mit ihnen mitfiebern. Woran liegt’s? Letztlich sind alle Figuren Rädchen im Finanzgetriebe, in das sie sich freiwillig begeben haben: Apostel des schnöden Mammons. Immer wieder spulen die Investmentbanker ihr Mantra ab: „Wir haben keine Wahl.“ Die hat man – mit Verlaub – aber immer, weshalb diese Behauptung übersetzt heißt: Ich will es so und nicht anders! Am Ende werden Sam und Eric großzügig abgefunden, also gekauft. Angebote, die sie nach eigenem Bekunden nicht ablehnen konnten. Da fragt man sich angesichts dieser üppigen Summen und ihres Einkommens schon, was denn das für Zwangslagen sein sollen? Eine emotionale Anteilnahme entsteht zu keiner der handelnden Personen.

Protagonist

Auch Sam, der noch am ehesten die Voraussetzungen für einen tauglichen Helden mitbringt, ist kein eindeutiger Protagonist. Das einzige Lebewesen, für das er Gefühle zeigt, ist sein todkranker Hund. Eine Nähe zu seiner Ex-Frau, zu seinem Sohn oder zu seinen Mitarbeitern existiert nicht wirklich. In den gigantischen Glaspalästen dominieren Einsamkeit und Gefühlskälte. Das ist das andere, auf den ersten Blick nicht sichtbare Krebsgeschwür. Die Gier, die Macht, die Angst, die alle im Würgegriff hat. Nur am Ende funktioniert die Metapher nicht. Da wird nur der Hund beerdigt, nicht aber die Habgier.

Antagonist

Desgleichen existiert kein eindeutiger Antagonist. CEO John Tuld ist zwar rücksichtslos, zynisch und profitgierig, aber das darf man vom Geschäftsführer eines amerikanischen Bankhauses auch erwarten. Gefahren gehen von ihm eigentlich nur für Mitarbeiter aus, die entlassen werden. Natürlich auch für geprellte Kreditnehmer und Anleger, die hier aber keine Rolle spielen. Aber Kündigungen kommt in einer Hire-and-Fire-Branche alle naselang vor, wie uns die Anfangssequenz veranschaulicht. Auch Tulds Rechtfertigungen sind nicht an den Haaren herbeigezogen: Schließlich hätten sie nur die unersättlichen Wünsche ihrer Anleger bedient. Das ist absolut richtig. Kredite sollten abgesichert sein und Erspartes kann man schließlich auch für einen niedrigen Prozentsatz bei einer Sparkasse anlegen. Die Gier ist allgegenwärtig. 

Defizite

Neben der Schwierigkeit, eine Nähe zu den Figuren aufzubauen, ist die Spannung in „Der große Crash“ rein informativer Natur. Diese Durchleuchtung von Strukturen und Machenschaften einer amerikanischen Investmentbank ist interessant, erhellend, auch faszinierend, aber nie mitreißend. Es gibt keinen Suspense. Wir wissen immer so viel oder so wenig, wie die agierenden Personen. Das ist aber kein dramatischer Vorteil, sondern ein Manko.

Lehman Pleite

Was „Der große Crash“ ausspart, sind die zum Teil ruinösen Folgen für andere Geldinstitute, Händler oder private Anleger. Das ist ungefähr so, als wenn man einen Film über den Erfinder der Atombombe dreht und dabei die verheerenden Folgen für Millionen von Menschen einfach ausklammert („Oppenheimer“). Darf man das? Kann man das einfach so machen? Eigentlich ist das fragwürdig, wenn nicht fahrlässig. Schließlich wird doch in beiden Fällen der Anspruch erhoben, wissenschaftliche bzw. ökonomische Strukturen zu durchleuchten. Dann gehören aber die desaströsen Auswirkungen dieser Erfindungen bzw. Machenschaften für andere Menschen mit ins erzählerische Portfolio. Ansonsten bleibt es bruchstückhaft.

Fazit

„Der große Crash“ ist ein hervorragend inszeniertes Finanzdrama mit Defiziten in der Figurenentwicklung und Dramaturgie. Die verheerenden Folgen dieses Finanzdebakels sind seltsamerweise nicht Gegenstand dieser Erzählung.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 4 blaue Smileys und 3 schwarze traurige Gesichter für Der große Crash.

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