Blue Bayou (Justin Chon) USA 2021

„Blue Bayou“ ist ein berührendes Melodrama mit authentischen Figuren und einer einfachen Geschichte nach wahren Begebenheiten: Dem aus Korea stammenden verheirateten Antonio droht die Abschiebung aus den USA, obwohl er dort seit 30 Jahren lebt und mit seiner Frau Kathy eine gemeinsame Tochter hat. Der Film ist psychologisch sehr gut gemacht. Die Handlungen der Protagonisten sind stets nachvollziehbar. Die Schauspieler sind hervorragend besetzt, allen voran die kleine Jessie (Sydney Kowalske), Kathys erste Tochter aus einer vergangenen Beziehung.

Erwartungshaltung

Immer wieder werden unsere Erwartungen durchbrochen und das ist gut so. Warum? Weil es sonst langweilig werden würde. Antonio sieht aus wie ein Gangster und bestätigt dieses Klischee, wenn er mit seiner Gang Motorräder klaut. Ansonsten ist er aber weich, kinderlieb und zärtlich zu seiner Frau. Er ist ein Traumatisierter, der sich nach und nach den Dämonen seiner Vergangenheit stellt. Streifenpolizist Ace, Jessies Vater, agiert anfangs ähnlich tumb wie sein Partner. Aber er entwickelt sich. Ace bereut sein Weggehen, versucht sich wieder einzubringen, wendet sich am Ende gegen seinen Partner und kämpft um seine leibliche Tochter. Auch das ist eine Wendung.

Kitsch

In etlichen Filmkritiken wird „Blue Bayou“ Kitsch vorgehalten (schreibt da eigentlich der eine vom anderen ab?). Was ist das überhaupt – Kitsch? Duden: „aus einem bestimmten Kunstverhältnis heraus als geschmacklos empfundenes Produkt der darstellenden Kunst …“. Alles klar?

Definition

Wenn wir zum Beispiel ein Liebespaar vor einem Sonnenuntergang sehen und der Mann haucht ein „ich liebe dich“ ins Ohr der Angebeteten, dann ist das wohl kitschig. Wenn Enkelsohn Danny in „Thelma – Rache war nie süßer“ seiner Oma auf einer Parkbank eine Liebeserklärung macht, dann ist das kitschig. Beide Situationen haben etwas Oberflächliches und Künstliches. Sie stimmen nicht und können deshalb auch keine echten Gefühle hervorrufen. Darum ginge es aber (u.a.) beim Erzählen von Geschichten.

Emotionen

Weil „Blue Bayou“ es schafft, tiefergehende Gefühle zu erzeugen, ist er auch nicht kitschig. Er ist berührend und hat damit ein wesentliches Ziel erreicht. Warum diese Berührungsängste mit Gefühlen? Genauso könnte man ja anderen melodramatischen Meisterwerken, wie „La Strada“ oder „Die Brücken am Fluss“ usw., die Erzeugung von Emotionen vorhalten, was schlichtweg Unfug ist. Im Grunde sind sie ein Qualitätsmerkmal, dessen Gelingen man anerkennen müsste.

Showdown

Das Ende von „Blue Bayou“ ist hochdramatisch. Bei Antonios Abschiebung auf dem Flughafen stößt auch Kathy mit ihren beiden Töchtern dazu, um ihn in die Fremde zu begleiten. Auch Ace ist mit von der Partie. Jetzt trifft Antonio eine Entscheidung, die ihm das Herz bricht, aber letztlich seinen Töchtern und auch seiner Frau ein besseres Leben ermöglicht. Er verlässt allein das Land, in dem er über 30 Jahre gelebt hat und in das es nun keine Rückkehr mehr geben wird. In Südkorea würden sie als unwillkommene Ausländer in unsicheren Verhältnissen leben. Antonio bringt ein Opfer, um Frau und Kinder zu schützen. Das ist das Drama. Jetzt ist er erwachsen geworden. 

Schwächen

Ein Schwachpunkt ist die männliche Hauptperson. Sie weckt teilweise nicht die Emotionen, die sie hervorrufen könnte. Antonio ist in erster Linie Opfer seiner Vergangenheit, fast ertränkt von der eigenen Mutter, misshandelt von den Pflegeeltern. Stets haben andere über sein Schicksal bestimmt. Er macht zu wenig Fehler, um ein veritabler Held zu sein („Es ist die Ehre großer Charaktere, schuldig zu sein“ Hegel). Ein einziges Mal ergreift Antonio in der Filmhandlung richtig die Initiative, als er bei seiner Abschiebung die Trennung von Frau und Kindern herbeiführt. Diese Passivität mag auch in der Mehrfachfunktion des Regisseurs begründet sein, der außerdem noch die Rolle des Drehbuchautors und des männlichen Helden innehat. Eine Konzentration auf das Regiefach wäre besser gewesen. 

Suspense

„Blue Bayou“ hat die selbe Spielanordnung wie „Die Brücken am Fluss“: Eine Beziehungsgeflecht von drei Erwachsenen und zwei Kindern. Aber in Clint Eastwoods Meisterwerk wird sofort eine Suspense-Geschichte etabliert: Der Ehemann fährt mit den beiden Söhnen für vier Tage auf eine Viehauktion. Alle Drei haben weniger Informationen als das Liebespaar und die Zuschauer. Das schafft die Spannung. Man weiß um die Unmöglichkeit dieser Liebe, hofft dennoch auf einen glücklichen Ausgang und zittert mit Francesca und Robert mit. Das ist konzentriert und perfekt konstruiert.

Informationsfluss

In „Blue Bayrou“ hat der Zuschauer einmal einen Informationsvorsprung gegenüber anderen Protagonisten, und zwar als Antonio sich am Motorraddiebstahl beteiligt. Ein Geheimnis, das relativ schnell enttarnt wird. Insgesamt erweckt der Film den Eindruck, als habe er sich eng an eine authentische Vorlage gehalten. Diese Orientierung an tatsächlichen Ereignissen birgt immer eine Gefahr in sich: Im Zweifelsfall wird ein Filmemacher nämlich nicht von ihnen abweichen. Schließlich ist die Geschichte ja so passiert. Aber die Form des fiktionalen Films benötigt im Idealfall auch Suspense, d.h. gestalterischen Spannungsaufbau und die kommt in diesem Melodrama zu kurz.

Lösung

Bei einem Zwischenfall im Supermarkt, der letztlich zum Konflikt mit der Ausländerbehörde führt, hätte Antonio allein sein müssen, ohne Kathy und Jessie. Die drohende Abschiebung hätte er vor beiden geheimhalten müssen. Diese Szene hätte auch eher positioniert werden müssen. Dann wäre es von Anfang an eine Suspense-Geschichte gewesen. Wir hätten Antonios Schweigen zwar nicht gutgeheißen, aber verstanden. Dann hätten wir richtig mit ihm mitfiebern können.

Fazit

„Blue Bayou“ ist ein packendes Melodrama, das psychologisch sehr gut konstruiert ist. Schwächen im Spannungsaufbau tun dem positiven Gesamteindruck keinen Abbruch.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 5 blaue Smileys und 2 schwarze traurige Gesichter für "Blue Bayou".

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