Angesichts der Tatsache, dass „Crossfire“ von Claude-Michel Rome hierzulande nicht in die Kinos gekommen ist, erhärtet sich der Verdacht, dass man die besten Filme gar nicht oder selten zu sehen bekommt. Dieser Genremix aus Krimi und Thriller ist inszeniert wie ein Western und – bis auf Anfang und Ende – einfach hervorragend gemacht. Die Geschichte ist unglaublich verdichtet und temporeich. Man muss sich schon konzentrieren, um dem Geschehen folgen zu können. Gut so. Hinzu kommt noch, dass die Locations, die Ausstattung, die Atmosphäre, die Charaktere, die Dialoge, die Beschreibung der Polizeiarbeit ziemlich genial sind. Vor allem dieses Polizeirevier wird niemand so schnell vergessen.
Die Geschichte
Commandante Vincent Drieu (Richard Berry) wird ins kleine südfranzösische Saint-Merrieux strafversetzt. Seine Chefin, die schwangere Kommissarin Vasseur (Zabou Breitman), versucht ihn gleich auf Kurs zu bringen: Dienst nach Vorschrift, in drei Monaten wird das behelfsmäßige Polizeirevier ohnehin abgerissen. Aber Vincent wirkt nur desillusioniert, tatsächlich ist er ein hervorragender, akribisch arbeitender Polizist, der folgerichtig bei seinen Kollegen aneckt, mit der lokalen Unterwelt sowieso. Der scheinbar harmlose Fund eines abgestellten Fahrzeugs im Ghetto führt Vincent nach und nach auf die Spur einer Bande von Gangstern, die mit Drogen und Waffen dealen und auch vor Mord nicht zurückschrecken. Dabei gelingt es ihm, sein anfangs korruptes Team sukzessive zurück auf den Pfad des Gesetzes zu führen. Im bleihaltigen Showdown können sie gemeinsam die Gangster besiegen, wobei sich Kommissarin Vasseur als kriminelle Komplizin entpuppt. Am Ende quittiert Vincent seinen Dienst und verlässt Saint-Merrieux wie er gekommen ist.
Die Dialoge
Ebenfalls ziemlich genial sind die lakonischen, manchmal auch sarkastischen Dialoge, zum Beispiel als die Polizeichefin Vincent die hiesigen Spielregeln erläutert: „Wir füllen hier das Wachbuch aus. Das war’s.“ Für seine Bleibe im Hotel Marisol hat sie folgende Bemerkung parat: „Wollen Sie nicht lieber eine der Zellen? Die sind bequemer.“ Seinen Hotelnachbarn, der alles organisieren kann, fragt Vincent: „Sind Sie der Weihnachtsmann?“ Seine Kollegen provoziert er mit folgender Frage: „Wieso? Ist das hier’n Revier?“ Die Hypothesen von Clubchef Farge zum scheinbaren Drogentod des Dealers Malik kommentiert Vincent so: „Sie schildern es, als wären Sie dabei gewesen.“ Irgendwann verdichten sich die Hinweise: Vincent ist nicht desillusioniert, sondern nicht korrumpierbar. „Er ist sauer, weil Sie ihm nicht zuhören“, klärt er seine Chefin nach einem Wutausbruch seines Kollegen auf. Diplomatie ist nicht seine Sache.
Stärken
Ein weiterer Vorzug dieses spannenden Copthrillers ist auch die fragmentarische Behandlung der privaten Vorgeschichte des Helden. Auf seinem Hotelzimmer führt Vincent Telefonate mit einer Frau, mit der er offensichtlich eine Liebesbeziehung hatte oder hat: „Komm zurück. Hör auf, bevor es zu spät ist.“ Die näheren Zusammenhänge werden angerissen, aber nicht detailliert beleuchtet. Müssen sie ja auch nicht. „Crossfire“ ist ja kein Melodrama oder deutscher Fernsehkrimi. Gerade diese schlaglichtartige Beleuchtung von Vincents Vergangenheit trägt sowohl zur geheimnisvollen, düsteren Grundstimmung als auch zur Spannung bei.
Metapher
Herrlich ist das Bild des joggenden Commandante vor der Kulisse einer gigantischen Ölraffinerie. Anfangs läuft Vincent noch allein. Dann stoßen nach und nach die Kollegen seiner Abteilung dazu. Am Ende joggen sie zu Viert. Eine wundervolle Metapher für die Entwicklung der Nebenfiguren. Nur Kollege Jean-Ba gehört nicht zu den Joggern. Dafür ist seine Scham zu groß. Das wird deutlich, als er Vincent vor dem Hotel Marisol das Leben rettet und sich nicht zu erkennen gibt. Am Ende belehrt Vincent seine korrupte Chefin: „Ihr größter Fehler war, dass Sie Ihre Leute unterschätzt haben.“
Schwächen
Die Schießereien zu Beginn und am Ende von „Crossfire“ sind völlig überzogen. Vor allem das Opening ist unnötig brutal. In beiden Situationen können die Gangster eigentlich auch kein Interesse haben, haufenweise Polizisten zu erschießen. Das würde ihnen doch nur eine Armada von Gesetzeshütern auf den Hals hetzen. Nein, den Anfang hätte man einfach weglassen oder anders inszenieren müssen, zum Beispiel so: Der Gefangenentransport hat keine Begleitfahrzeuge. Er besteht nur aus einem Kleinlaster mit zwei Gefängniswärtern und zwei Fahrern. Dann gibt es einen kleinen Unfall. Der Fahrer steigt aus, weil er glaubt, eine Mitschuld zu haben und Hilfe leisten will. Aber der Unfall ist eine Falle. Der Fahrer wird in Geiselhaft genommen, die Freilassung des inhaftierten Gangster erpresst. Leichen: Null.
Showdown
Beim bleihaltigen Finale hätten vier oder fünf Gefolgsleute von Vargas völlig genügt, aber doch nicht 30, die auch noch Gefallen daran finden, sich von den im Revier befindlichen Polizisten abknallen zu lassen. Irgendwie sind sie hier mit den Filmemachern durchgegangen, so als wollte man beweisen, dass nicht nur Hollywood bleihaltige Actionszenen produzieren kann. Wie wäre denn folgendes gewesen? Es gibt zwischen den fünf Polizisten und fünf Gangstern ein Feuergefecht und Verletzte auf beiden Seiten. Am Ende geht den Polizisten die Munition aus, nicht aber den Gangstern. In diesem Moment erscheinen Einwohner des Viertels und stellen sich zwischen die Kontrahenten. Vielleicht sind auch ein paar Ehefrauen der Polizisten oder Kriminellen dabei? Vielleicht auch ein paar Kinder, die den dicken Rémy immer vor der Polizeiwache geärgert haben? Jedenfalls haben die Menschen die Nase voll von Drogen, Korruption, Mord und Totschlag. Wie in „Der einzige Zeuge“ von Peter Weir kapieren die Gangster, dass es keine Lösung ist, erst 50 Unschuldige zu erschießen, um an die eigentlichen Zielobjekte zu gelangen. Also Flucht oder Aufgabe wäre die Lösung gewesen. Insgesamt wäre auch hier weniger mehr gewesen.
Fazit
„Crossfire“ hätte ein ganz großer Wurf werden können, wenn die Filmemacher mehr auf ihre Stärken vertraut hätten: Die liegen in den originellen Figuren und ihren Entwicklungen, in der Polizeiarbeit, in den Locations, der Ausstattung, den Dialogen, vor allem in den ruhigen und melancholischen Momenten des Films.