„Die drei Tage des Condor“ von Sydney Pollack ist ein Spionagethriller, der von seiner Ibsenschen Enthüllungsdramaturgie und seiner atmosphärischen Dichte lebt. Unter dem Decknamen „Condor“ arbeitet Joseph Turner (Robert Redford) für eine Sektion des CIA, die fiktionale politische Intrigen erfasst und auswertet. Leider ist die Realität schon längst weiter, wodurch die gesamte Abteilung zu Mitwissern finanz- und geopolitischer Machtspiele wird. Hausintern sind sie einer anderen Abteilung unwissentlich auf die Füße getreten. Alle Mitarbeiter der Abteilung werden vom Auftragskiller Joubert (Max von Sydow) und seinen Leuten liquidiert. Lediglich Turner entkommt durch puren Zufall. Ahnungslos wendet er sich an seine Vorgesetzten, womit die Jagd auf ihn eröffnet ist.
Dramaturgie
Das ist schon eine exzellente dramaturgische Ausgangssituation: Der isolierte Held auf der Flucht vor einem übermächtigen Gegner. Sein Zuhause ist eine tödliche Falle. Vertrauen kann er niemandem mehr. Sein Freund Sam wird als Köder missbraucht und ebenfalls getötet. Erschwerend kommt hinzu, dass Turner nie im Außendienst war, sich also weder mit Waffen noch mit Fluchtszenarien auskennt. Diese Konstellation ist ein dramaturgisches Lehrstück. Schwerer kann man seinem Helden das Leben kaum machen.
Für Killer Joubert ist Turner ein unberechenbarer Amateur. Dessen Talente liegen auf anderem Gebiet. Turner ist intelligent, einfühlsam, anpassungsfähig und kennt sich mit Fernmeldetechnik aus. Mit diesen Mitteln schlägt er dann zurück – seine einzige Chance, am Leben zu bleiben.
Liebesgeschichte
Die Fotografin Kathy Hale (Faye Dunaway) ist eine Zufallsbekanntschaft. Turner bedroht sie mit seiner Pistole und hakt sich einfach bei ihr unter. Als Pärchen getarnt kann er seinen Verfolgern entkommen. Anfangs fesselt und knebelt er sie. Selbst im Schlaf bedroht er sie mit einer Pistole. Erst nach und nach fassen sie Vertrauen zueinander, bis sie ihm bei seinen Ermittlungen hilft. Turners schonungslose Art bringt sie einander näher. Ihre Fotos an den Wänden findet er deprimierend. Für ihn sind sie Ausdruck einer Nähe zum Tod. Das ist auch der Vorwurf an sie: Ihr Interesse an seiner Person basiert auf seinen eingeschränkten Überlebensmöglichkeiten. Aber für Kathy ist er der Mann, mit dem sie ihr Leben verbringen möchte.
Die unmögliche Liebe
Das ist die Tragik ihrer Liebesbeziehung: Beide fühlen sich zueinander hingezogen und wissen doch um die Unmöglichkeit einer Beziehung. Spätestens nach dem Besuch eines als Postboten getarnten Killers weiß Turner, dass er Kathy in Lebensgefahr bringt. Schön ist das Ende der Liaison. Beide trennen sich am Bahnhof. Es gibt ein paar Tränen, aber das war’s dann. Kein Ethan Hunt, dem nach der Rettung der Welt die weibliche Protagonistin in die Arme sinkt. Das ist schön. Es verleiht dem Film auch etwas Modernes: Beziehungen sind etwas Flüchtiges und Brüchiges, kein Fundament, auf dem man sein Leben aufbauen kann.
Ungereimtheiten
Leider gibt es eine Reihe von Ungereimtheiten. Warum tötet Joubert sein Opfer nicht, als sie gemeinsam im Hotel mit dem Fahrstuhl runterfahren? Nachdem andere Hotelgäste den Aufzug verlassen haben, sind sie ja eine Zeit lang allein. Seltsam ist auch der fingierte Selbstmord an CIA-Abteilungsleiter Atwood, bei dem Turner wiederum ungeschoren davonkommt. Angeblich hat sich hausintern das Blatt gewendet und der Auftraggeber des Massakers an Turners Kollegen steht nun selbst auf der Abschussliste. Sehr merkwürdig. In jedem Fall ist Turner doch ein gefährlicher Mitwisser. Ein Wissen, das er ja im Finale auch einsetzt, um am Leben zu bleiben.
Showdown
Angeblich hat Turner die ganzen Geschehnisse aufgeschrieben und der New York Times zugeschickt. Die Presse als Lebensversicherung. Das Ende ist offen. Ob sein Plan aufgeht, erfahren wir nicht. Aber das passt zur Philosophie von „Die drei Tage des Condor“, der im Zuge des Watergate-Skandals nicht die äußeren Gefahren beschreibt, sondern die, die von den inneren Sicherheitsorganen ausgehen. Originalton Turner: „Vielleicht gibt es eine CIA im CIA?“ Gefahren, die auch Thriller wie „Scorpio“, „Safe House“ oder „Kill the Messenger“ beschreiben.