Filmsprache

Schwarze japanische Schriftzeichen des Spielfilms "Ugetsu Monogotari" auf weißem Hintergrund als Symbol für die "Filmsprache".

Film ist Kommunikation. Mittels bewegter Bilder und Töne soll ein Dialog mit dem Zuschauer hergestellt, sollen Emotionen erzeugt werden. Voraussetzung für eine funktionierende Kommunikation ist das Verständnis. Genauso wie in der Sprache erst die richtige Anordnung von Worten zur Verständigung führen kann, hat der Film seine eigene Syntax. Das Erlernen und Beherrschen dieser Filmsprache, dieser Syntax, ermöglicht die visuelle Kommunikation. Ihr Fundament ist die Filmidee und ihre Dramatisierung.

BAUSTEINE DER FILMGESTALTUNG

Das kleine Einmaleins der Filmgestaltung in sechs Kapiteln:

INHALTFORMDRAMATURGIECHARAKTEREEMOTIONENERZÄHLMOTIVE






EinfachheitRhythmusKonflikteOriginalitätFreudeRache
Political UncorrectnessArt, Stil und GenreSpannung, BedrohungPrägnanzAnerkennungUnmögliche Liebe
WettbewerbKamerastilIrritationSchwächenBetroffenheitVerdacht

FarbgestaltungKontrastierungZweifelIrritationPanne

TonstilÜberraschungStärkenÄrgerTäuschung

ErzählerWendepunkteZieleTrauerErpressung

MontagestilEskalationBeziehungenAngst2 Hunde, 1 Kn.

ChronologiePointeIdentifikationStressPsychoterror

FilmmusikVerdichtungAntagonist
Identität






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1. Inhalt

Siehe hier

2. Form

Zum Inhalt gehört die formale Gestaltung. Vorteilhaft ist ein Überblick über die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Alle Entscheidungen sollten mit dem Inhalt korrespondieren. Sie haben stilbildenden Charakter. Es geht nicht um eine Wertung dieser Möglichkeiten, sondern um ein Bewusstsein und eine zum Inhalt, zur Stimmung passende filmgestalterische Konzeption.

a) Rhythmus. Jeder Film benötigt einen eigenen Rhythmus, eine eigene Stimmung. Die kann mal temporeich, mal ruhig sein – mal unbeschwert, mal ernst. In jedem Fall sollte der Rhythmus definiert werden und zum Inhalt passen. 

b) Gattung. Dein Film kann ein Spielfilm, eine Dokumentation, ein Experimentalfilm oder ein Animationsfilm sein.
Auch Spielfilme können im Stile einer Dokumentation gedreht werden, um den Eindruck der Authentizität zu erhöhen. Wer stellt schon den Wahrheitsgehalt von Magazinsendungen in Frage?

c) Genre. Dein Film kann eine Komödie, eine Tragödie, ein Melodrama, ein Krimi, ein Thriller, ein Actionfilm, ein Fantasyfilm, ein Science-Fiction-Film oder eine Mischung sein (neudeutsch: Genre-Crossover).

d) Stil. Die Grundstimmung kann realistisch oder stilisiert sein. Dein Film kann eine Parodie, eine Satire, ein Fake, eine Metapher, eine Anklage, voller Realismus, Lakonie, Selbstironie, Phantasie, Poesie, Übertreibungen oder schwarzem Humor sein.

e) Perspektive. Aus welcher Perspektive wird Dein Film erzählt? Gibt es eine Redaktion, einen neutralen Erzähler oder einen Ich-Erzähler. Gibt es eine Mehrfach-Perspektive (in „Rashomon“ von Akira Kurosawa erzählen drei Personen völlig unterschiedliche Versionen eines Gewaltverbrechens)?

f) Bild. Die Kamera kann statisch oder in Bewegung sein, aus der Hand oder auf der Schulter gehalten, auf ein Stativ, Schulterstativ oder Kran montiert werden. Die Kameraperspektive kann objektiv oder subjektiv (aus dem Blickwinkel des Protagonisten) sein.

g) Bildmanipulationen. Du kannst die Kamerageschwindigkeit verringern (Zeitraffer) oder erhöhen (Zeitlupe), bei den Aufnahmen oder beim Videoschnitt. Du gestaltest den Look, die Farbstimmung (s. Kapitel „Licht- und Farbausgleich“, Farbenlehre).

h) Ton. Du kannst ausschließlich Originaltöne verwenden oder zusätzlich Off-Töne. Du kannst ausschließlich mit Synchronton arbeiten oder Dialoge und Geräusche kontrapunktisch und asynchron gestalten (s.a. Manifest zum Tonfilm). Du kannst einen Erzähler, einen Off-Sprecher oder eine Innere Stimme ins Spiel bringen, um so die Erzählung zu raffen.

i) Filmmusik spricht die Sinne an.

j) Montage. Du kannst Deinen Film chronologisch schneiden oder nicht-chronologisch (z.B. mit Rückblenden). Mit Fragmentierungen und Ellipsen (Zeitsprüngen) sorgst Du für Tempo und Überraschungen.

3. Dramaturgie

Kleines Einmaleins der Lehre von der strukturellen Gestaltung einer dramatischen Erzählung.

a) Konflikte. Was sonst? Eine Aneinanderreihung friedlicher, harmonischer Situationen hätte nur als Schlafmittel ihre Berechtigung.

b) Schwierigkeiten. Der Protagonist benötigt alle erdenklichen Formen von Hindernissen, Problemen, Misserfolgen, Beleidigungen, Demütigungen, Fallen, Qualen oder auch Schäden. Isolation ist besser als ein Haufen hilfreicher Freunde.

c) Einsatz. Was steht auf dem Spiel? Was ist die Höhe des Einsatzes (Fallhöhe)? Wenn es um nichts oder wenig geht, warum sollte sich dann jemand dafür interessieren?

d) Spannung. Durch Druck, Bedrohung, Unrecht oder Aussichtslosigkeit für den Protagonisten entsteht Gefahr. Auch ein zeitlicher Druck (Deadline) kann zusätzlich Spannung generieren.

e) Eskalation. Die Zuspitzung dramatischer Ereignisse.

f) Wendepunkte. Eine Geschichte plausibel in andere Richtungen zu treiben, kann nie verkehrt sein. Es könnte ja sonst langweilig werden. Also eine emotionale Achterbahnfahrt: himmelhochjauchzend – zu Tode betrübt.

g) Höhepunkte. Dramatische Ereignisse. Je mehr, umso besser.

h) Showdown. Finaler Höhepunkt.

i) Pointe. Ein überraschender, häufig ironischer Höhepunkt zum Schluss eines Films, sozusagen eine Höhepunkt-Zugabe.

j) Informationsfluss. Produktive Irritationen erzeugen Fragen, die beantwortet werden wollen. Anders ausgedrückt: Sie erzeugen Spannung. Gegen Ende sollten aber auch alle angesammelten Fragen beantwortet sein.

k) Überraschungen. Jeder Zuschauer hat hunderte, tausende von Filmen im Kopf, also eine Erwartungshaltung. Wird diese andauernd bestätigt, wird’s langweilig. Was wir brauchen, ist exakt das Gegenteil, nämlich Überraschungen.

l) Kontrastierung. Eine Technik zur Verdeutlichung. Beispiel: Ein gelangweilter Schüler wirkt neben engagierten noch gelangweilter, als er ohnehin schon ist.

m) Verdichtung. Die Vermeidung jeglicher Redundanz. Wann immer Szenen gekürzt, zusammengefasst oder gestrichen werden können, sollte man dies tun.

Alfred Hitchcock erklärt den Unterschied zwischen Überraschung und Suspense: „Wir reden miteinander, vielleicht ist eine Bombe unter dem Tisch, und wir haben eine ganz gewöhnliche Unterhaltung, nichts besonderes passiert, und plötzlich bumm, eine Explosion. Das Publikum ist überrascht, aber die Szene davor war ganz gewöhnlich, ganz uninteressant. Schauen wir uns jetzt den Suspense an. Die Bombe ist unter dem Tisch und das Publikum weiß es. Nehmen wir an, weil es gesehen hat, wie der Anarchist sie da hingelegt hat. Das Publikum weiß, dass die Bombe um 13 Uhr explodieren wird und jetzt ist es 12:55 Uhr – man sieht eine Uhr. Die selbe unverfängliche Unterhaltung wird plötzlich interessant, weil das Publikum an der Szene teilnimmt. Es möchte den Leuten auf der Leinwand zurufen: Reden Sie nicht über so banale Dinge, unter dem Tisch ist eine Bombe, und gleich wird sie explodieren! Im ersten Fall hat das Publikum fünfzehn Sekunden Überraschung beim Explodieren der Bombe. Im zweiten Fall bieten wir ihm fünf Minuten Suspense. Daraus folgt, dass das Publikum informiert werden muss, wann immer es möglich ist.“
(Quelle: „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ von François Truffaut)

4. Charaktere

Ziel ist die Etablierung (mindestens) einer originellen Hauptfigur und die Nachvollziehbarkeit ihrer Handlungen und Motive.

a) Originalität. Einer lebendigen, skurrilen, charismatischen Hauptfigur, die uns gefangen nimmt, folgen wir praktisch überall hin.

b) Facettenreichtum. Verfügt die Hauptfigur über Geheimnisse, Hinterhältigkeit, Schattenseiten? Das würde Überraschungen generieren. Andersherum: Eindimensionale Figuren, deren Aktionen vorhersehbar sind, wirken langweilig.

c) Prägnanz. Eine Hauptfigur, die uns in Erinnerung bleibt, ist entschieden vorteilhafter als jemand, der uns egal ist.

d) Handikap. Eine Figur mit wie auch immer gearteten Handikaps hat mehr Schwierigkeiten (s. Punkt 3) als ein Supermann.

e) Schwächen. Ein Gutmensch, der stets korrekt handelt, ist schnell langweilig. Gestehe Deiner Hauptfigur Schwächen, Widersprüchlichkeiten, Marotten, Naivität, Leidenschaft, Scham, Irrtümer und Fehler zu. Treibe sie in die Defensive, führe sie in Versuchung.

f) Zweifel. Gestehe Deiner Hauptfigur Selbstzweifel, Skrupel, Unentschlossenheit zu. Bereut sie ihre Handlungen bzw. die Unterlassungen?

g) Stärken. Über welche Kompetenzen verfügt Deine Hauptperson? Ein aktiver Held ist besser als ein passiver. Wagemut, Trickreichtum, Cleverness und Hartnäckigkeit versprechen Spannung.

h) Ziele. Welche Hoffnungen, Wünsche und Bedürfnisse hat Deine Hauptperson? Führe sie in Gewissenskonflikte, in schwierige Entscheidungen, an einen Scheideweg. Durchläuft sie eine Entwicklung?

i) Beziehungen. Welche Beziehungen hat Deine Hauptperson zu anderen Menschen? Was sind ihre Wünsche, Sorgen, Bedürfnisse, Ängste? Reflektiert sie Rückmeldungen und Ereignisse?

j) Identifikation. Ziel ist eine Synchronisation der Gefühle unserer Hauptperson mit denen des Zuschauers. Und die muss nicht unbedingt und schon gar nicht andauernd ein Sympathieträger sein. In „Psycho“ gelingt es Alfred Hitchcock, dass wir mit einem Psychopathen (Anthony Perkins) mitzittern. 

k) Antagonist. Je gefährlicher, skrupelloser, intelligenter, umso besser. Warum? Weil es gefährlicher ist für den Protagonisten.

5. Emotionen

Ein sicheres Indiz für eine funktionierende Kommunikation mit dem Zuschauer sind emotionale Reaktionen. Sie sind unser eigentliches Ziel. 

Freude: Schmunzeln, Lachen, Spaß, Lust, Schadenfreude.
Anerkennung: Bewunderung, Begeisterung, Neid.
Betroffenheit: Nachdenklichkeit, Rührung, Melancholie.
Irritation: Verwunderung, Überraschung, Enttäuschung, Verstörung, Fassungslosigkeit. 
Ärger: Verdruss, Entrüstung, Wut.
Trauer: Mitgefühl, Weinen.
Angst: Besorgnis, Erregung, Schock, Horror.
Stress: Ekel, Panik.

6. Erzählmotive

Bei der Ideenfindung kann man sich natürlich wunderbar von Erzählmotiven inspirieren lassen. Sie sind sozusagen die emotionale Antriebskraft des Protagonisten. Eine Rachegeschichte gerät ins Rollen, weil dem Helden ein Unrecht widerfahren ist. Für Gerechtigkeit zu sorgen, ist das Motiv für sein Handeln.

Howard Hawks hat einmal gesagt, dass sowieso nur ein dutzend Geschichten existieren. Wie meint er das? Er spricht von einer überschaubaren Anzahl erzählerischer Grundmuster, die lediglich variiert werden. Beispiel: „Romeo und Julia“ erzählt die Geschichte einer Unmöglichen Liebe. Was macht „Vom Winde verweht“, „Casablanca“, „Doktor Schiwago“, „Die Brücken am Fluss“ usw.? Genau. Sie erzählen eine Liebesgeschichte in unwirtlichen Zeiten, die tragisch endet. Jeder auf seine Weise und doch ist es das selbe Grundmuster. Deshalb ist es sinnvoll, sich einen Überblick über diese Grundmuster zu verschaffen, wenn man das Rad schon nicht neu erfinden kann. 

a) 2 Hunde, 1 Knochen. Der US-amerikanische Drehbuchautor Ben Hecht hat einmal auf die Frage, was denn ein gutes Drehbuch ausmache, gesagt: Zwei Hunde, ein Knochen. Also, A und B streiten sich um C. (Mörderische) Beispiele: „Ossessione“ von Luchino Visconti oder das Remake „Wenn der Postmann zweimal klingelt“.

b) Bedrohter Zeuge. Ein Thrillermotiv, das maximale Gefahr für den Zeugen einer wie auch immer gearteten Missetat garantiert. Beispiele: „Gloria“ von John Cassavetes oder „Der einzige Zeuge“ von Peter Weir.

c) Erpressung. Geschichten, in denen Menschen gezwungen werden, Dinge zu tun, die sie unter normalen Umständen nicht tun würden, z.B. in Folge eines Kidnappings. Prototypen: „Der Fremde im Zug“ von Alfred Hitchcock, „Dirty Harry“ von Don Siegel, „Fargo“ von Joel und Ethan Coen.

d) Identität, auch Identitätswechsel, Identitätskrise, Identitätsverlust. Also, Maskeraden, Bodyswitch-, Undercover-, Doppelgänger-, Verwechslungs- und Gedächtnisverlust-Geschichten. In Patricia Highsmiths’ Tom-Ripley-Reihe mordet der Protagonist, um die Identität eines anderen anzunehmen.

e) Liebe, auch Unmögliche Liebe. Alle Geschichten zwischen zwei oder mehreren Personen, in denen zumindest eine Person Gefühle für die andere entwickelt. Die Unmögliche Liebe ist die dramatische Variante, s. „Romeo und Julia“. 

f) Panne. Ein typisches Kurzfilm-Erzählmotiv, das von Missgeschicken, Missverständnissen oder Verwechslungen handelt, wie z.B. der Kurzfilm „Schadensmeldung“.

g) Psychoterror. Ein Thrillermotiv mit psychologischem oder physiologischem Schwerpunkt. Letzterer kann dann ziemlich blutig sein, wie z.B. „Das Schweigen der Lämmer“ von Jonathan Demme. „Duell“ von Steven Spielberg wäre ein Beispiel für die psychologische Variante.

h) Rache. Ein Prototyp ist Alexandre Dumas’ mehrfach verfilmter Abenteuerroman „Der Graf von Monte Christo“. 

i) Reale Fälle. Ob nun „Julius Caesar“, „Robinson Crusoe“ oder „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ – sie alle beruhen auf realen Ereignissen.

j) Schicksalhaftes Ereignis. Unfälle, Krankheiten, Katastrophen oder Prophezeiungen können Auslöser und Potenzial für eine Geschichte sein.

k) Täuschung. Alle Fakes, Fallen, Lügen, Intrigen und Trickstergeschichten wie z.B. „Der Clou“ von George Roy Hill.

l) Verdacht, auch Falscher Verdacht. In „Auf der Flucht“ muss Richard Kimble (Harrison Ford) beweisen, dass er fälschlicherweise eines Mordes verdächtigt wird. 

Folgende Aufgabe zur Ideenentwicklung: Variation eines klassischen Erzählmotivs unter Berücksichtigung sämtlicher Bausteine der Filmgestaltung. Das trainiert. Kristallisiere die Filmidee mit dem größten dramatischen Potenzial heraus. Also welche Idee birgt die meisten Bausteine in sich? Die und keine andere sollte realisiert werden.