„Jane Eyre“ von 2011 ist die wiederholte Verfilmung eines Romans von Charlotte Brontë – ein Erstlingswerk mit autobiographischen Zügen. Die Geschichte ist eine Genremixtur aus Melodrama und Liebesfilm und lebt von der Konfrontation der jungen eigensinnigen Jane (Mia Wasikowska) mit ihrem etwas älteren, geheimnisvollen Hausherren Edward Rochester (Michael Fassbender), bei dem sie als Gouvernante arbeitet. Ihre Begegnungen, ihre Dialoge, ihre Entwicklungen sind das Highlight in dieser ansonsten teilweise trivial anmutenden Geschichte.
Rückblende
Fukunaga erzählt die Handlung weitgehend als Rückblende. Der Film beginnt, als Jane hinter Edwards dunkles Geheimnis kommt, also beim dramatischen Peak: Er ist bereits verheiratet mit einer Frau, die dem Wahnsinn verfallen und auf dem Dachboden seines Hauses eingesperrt ist. Nicht nur das muss man erst mal schlucken. Diese nicht-chronologische Erzählweise kann man so anordnen, ein erzählerischer Mehrwert resultiert daraus nicht (s. Schwachpunkte). Wenn man sich vor Augen hält, dass eine Eheschließung vor 200 Jahren eine viel größere Tragweite hatte als heute („bis dass der Tod Euch scheidet“), dann funktioniert die dramatische Struktur durchaus.
Die Geschichte
Chronologisch passiert folgendes: Die kleine Jane wächst als Vollwaise bei ihrer niederträchtigen Tante auf, die sie bei der erstbesten Gelegenheit ins Heim abschiebt. Nach Jahren der Repression und dem Verlust ihrer besten Freundin verlässt Jane das Heim als ausgebildete Lehrerin. Sie erhält eine Anstellung als Gouvernante auf dem Gut von Edward Rochester in Thornfield. Der Hausherr verhält sich zunächst mürrisch, ist dann aber zunehmend von Janes Offenheit und Unverdorbenheit fasziniert. Beide verlieben sich ineinander, wobei Standesunterschiede, Eifersucht, Stolz und Vorurteile als taugliche Hindernisse fungieren. Als Edwards Lebenslüge enttarnt wird, ergreift Jane zutiefst verletzt die Flucht. In der winterlichen Abgeschiedenheit erleidet sie beinahe den Kälte- und Hungertod. Im letzten Moment wird sie von John Rivers und seinen Schwestern gefunden. John verschafft ihr eine Anstellung als Dorfschullehrerin und macht ihr einen Antrag. Doch sie weist seine Avancen zurück.
Schmachtfetzen
Das Ende von „Jane Eyre“ bewegt sich hemmungslos am Rande der Trivialität: Nach einer Erbschaft zu Wohlstand gekommen, reist Jane ein letztes Mal nach Thornfield. Dort findet sie Edwards Anwesen bis auf die Grundmauern niedergebrannt vor. Der Geliebte ist beim Brand erblindet und psychisch gebrochen, seine erste Frau beim Brand umgekommen. Einer Verbindung der Liebenden steht nun nichts mehr im Weg. Vor allem haben sich die Verhältnisse umgekehrt oder sind ins Lot gekommen. Anfangs war Edward der Wohlhabende, der Erfahrene, der Aktive – nun ist Jane es. Erst jetzt – so scheint es – hat ihre Beziehung ein Fundament.
Die Figuren
Sehr schön ist die Konzentration auf die Protagonistin, die praktisch in jeder Einstellung präsent ist. Vor allem aber bringt sowohl die Heldin als auch ihr männlicher Gegenpart alle Voraussetzungen für eine taugliche Filmfigur mit. Jane ist zwar jung und unerfahren, aber alles andere als ein Heimchen am Herd. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und schafft es, Edwards raue Schale zu knacken: „Vertrauen Sie mir? Kein bisschen, Sir.“ Aber auch er schenkt ihr nichts: „Lachen Sie niemals, Mrs. Eyre?“ Jane und Edward sind Seelenverwandte, die wie zwei Magneten aufeinander zusteuern, bis sich ihre Pole umkehren. Mia Wasikowska spielt die innere Zerrissenheit der Heldin mit dieser Mischung aus Naivität, Unschuld, Eigensinn und Respektlosigkeit einfach hervorragend.
Schwachpunkte
Es gibt drei Schwachpunkte. Der gravierendste ist die mangelnde Konzentration auf das Drama. Das ist der Moment, als Jane bei ihrer Trauung mit Edward von dessen erster Ehe erfährt. Sie fühlt sich verraten und läuft davon. Diesen Moment müsste man natürlich retardieren. Das Potential dieses Erzählmotivs sollte man nicht so stiefmütterlich behandeln. Wie so etwas vorbildlich gemacht wird, kann man zum Beispiel in „Die Brücken am Fluss“ von Clint Eastwood studieren.
Der zweite Schwachpunkt ist in bestimmter Hinsicht die Ignoranz der literarischen Vorlage. Hier hätte eine Erzählerstimme im Voiceover mit Textauszügen des Romans für einen tieferen Einstieg in die inneren Befindlichkeiten der Protagonistin sorgen können. Und das wäre ja nicht schlecht gewesen. Der dritte Schwachpunkt ist die betuliche Inszenierung und die langweilige Kameraführung. Muss das alles so getragen inszeniert werden, nur weil es sich hier um einen Klassiker der Weltliteratur handelt? Die Bildkomposition ist ein Stelldichein von Halbnah-Einstellungen und Halbtotalen, ganz selten mal eine Nahaufnahme oder Kontrastierungen.
Fazit
Fukunagas Stärke ist nicht die Originalität. Er ist ein solider Handwerker, der sich bemüht, spannende Geschichten zu erzählen („Tränen der Sonne“ oder „Keine Zeit zu sterben“). Aber das ist mehr als man von vielen Filmemachern behaupten kann.