Léon – der Profi (Luc Besson) USA 1994

Wenn man schluckt, dass die komplette Spezialeinheit eines Rauschgiftdezernats aus brutalen Gangstern besteht, dann ist diese Racheoper schon grandios komponiert. Luc Besson ist ein Virtuose, der die Filmsprache verinnerlicht hat. Er weiß, wann man das Erzähltempo retardieren, wann beschleunigen muss. Mit der exzellenten Filmmusik von Éric Serra entwickelt „Léon – der Profi“ eine sogartige Spannung, der man sich nur schwer entziehen kann.

Figuren

Was für ein Casting! Auf der einen Seite Jean Reno als teilweise entwicklungsgestörter Profikiller Léon und Natalie Portman als frühreifer 12-jähriger Racheengel Mathilda. Auf der anderen Seite der geniale Gary Oldman als Norman Stansfield, der den drogensüchtigen, durchgeknallten Chef der DEA-Spezialeinheit spielt. Luc Besson nimmt sich Zeit für seine Figuren und ihre Entwicklung. Es dauert fast zwei Stunden bis Léon Mathildas Liebesbekundungen endlich erwidert. Genauso brillant sind Ausstattung, Kleidung und Requisiten. Das einzige Lebewesen, zu dem Léon eine Beziehung hat, ist eine Pflanze – eine Metapher für seine Einsamkeit und am Ende für die Verbundenheit der beiden Protagonisten.

Erzählmotiv

Die Story von „Léon – der Profi“ ist ganz einfach und erinnert an „Gloria“ von John Cassavetes. Norman Stansfield will ein Exempel statuieren an Mathildas Vater, einem Drogendealer, der ihn hintergangen hat. Er lässt die ganze Familie liquidieren. Nur Mathilda kann entkommen und beim benachbarten Léon Zuflucht finden. Für ihre Rachepläne hat sie nun den kongenialen Partner gefunden.
Die Dialoge sind klug, pointiert, irritierend, originell, manchmal witzig, manchmal auch hart oder ergreifend: „Ich bin schon erwachsen. Ich werde nur noch älter“, sagt die 12-jährige Mathilda. „Bei mir ist es genau umgekehrt“, antwortet Leon, womit die beiden Helden treffend charakterisiert werden. Die Ermordung Léons ist genial inszeniert, als Subjektive in Zeitlupe segnet der Zuschauer zusammen mit ihm das Zeitliche. Kein herumspritzendes Blut aber mit einer faustdicken Überraschung für den hinterhältigen Mörder.

Schwachpunkte

Es gibt zwei weitere Schwachpunkte: Wenn Léon beginnt, Mathildas Rachepläne umzusetzen und drei chinesische Mafiosi sowie Malky, einen von Stansfields Leuten tötet, dann müsste er eigentlich wissen, dass der DEA-Chef ihm nun auf die Schliche kommen kann. Damit setzt er aber auch sein und Mathildas Leben aufs Spiel. Im Grund müsste Léon zuerst Stansfield ausschalten, dann den Rest und nicht umgekehrt. Wenn Mathilda ihr Waffenarsenal in einem Pizzakarton problemlos am Wachpersonal des Polizeipräsidiums vorbeischleust, dann könnte es schon ein bisschen glaubhafter und dramatischer sein. Ähnlich mühelos kann Léon kurz darauf zwei Wachposten im Präsidium k.o. schlagen, zwei Beamte der DEA-Einheit erschießen und unbehelligt wieder verschwinden.

Lösungen

Die Lösung wäre folgendes gewesen: Mathilda wird am Empfang geschnappt und festgenommen. Wer verhört sie? Natürlich Stansfield und seine Leute. Wenn Léon sie befreien will, dann benötigt er ein Ablenkungsmanöver. Ein vor dem Polizeipräsidium brennender Einsatzwagen zum Beispiel. Dann wäre das Wachpersonal kurzzeitig mit wichtigeren Dingen beschäftigt.

Bei Rotten Tomatoes bewerteten 95% der Zuschauer „Léon – der Profi“ positiv, die Kritikerzustimmung lag bei 73%. Also, den Zuschauern kann man eher trauen als den Kritikern! Das bestätigt auch die taz, die sich nicht scheut, die MeToo-Bewegung zur Verbreitung kruder Ansichten zu missbrauchen (Juli 2020). Tatsächlich weist Léon die Avancen der frühreifen Mathilda stets zurück. Er schützt sich und sie. Wenn Mathilda ihn am Ende mit ins Bett zieht – und nicht umgekehrt -, dann sind beide angezogen, dann hat diese Szene aber auch gar nichts Anrüchiges, sondern etwas Beschützendes, Anrührendes. Es ist eine Vater-Tochter-Beziehung. Wenn Léon ihr am Ende die Flucht ermöglicht und sich opfert, dann verschafft er ihr damit ein Stück verlorener Kindheit, soweit das bei dieser Vorgeschichte überhaupt möglich ist.

Fazit

Bis auf diese paar Ungereimtheiten – das sind die fehlenden 5% zur maximalen Zustimmung – ganz großes Kino! Luc – der Profi.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für "Léon - der Profi"

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