„Mile 22“ ist ein handwerklich exzellent gemachter Actionthriller mit einigen erzählerischen Defiziten. James Silva (Mark Wahlberg) ist Einsatzleiter der US-amerikanischen Spezialeinheit „Overwatch“, die er für eine „höhere Form des Patriotismus“ hält: „1. Die Politik 2. Das Militär 3. Wir.“ Im Grunde handelt es sich um eine Rachegeschichte, die aus der Anfangssequenz resultiert. Denn da liquidieren Silva und sein Team mehrere russische FSB-Agenten, unter ihnen der 18-jährige Sohn der FSB-Chefin.
Die Geschichte
16 Monate später befinden sich die Overwatch-Agenten gerade in der amerikanischen Botschaft eines südostasiatischen Landes, als dort der abtrünnige Agent Noor um Asyl bittet. Aber er ist nur ein scheinbarer Überläufer, tatsächlich ein Agent des FSB. Er ist nichts anderes als ein „Trojanisches Pferd“, wie Overwatch-Kommandant James Bishop (John Malkovich) viel zu spät erkennt. Freies Geleit und Ausreise in die USA gegen brisante Informationen – das ist der Deal, den Noor mit Silva aushandelt. Die Strecke von der Botschaft zum Militärflughafen beträgt 22 Meilen. Die Eskortierung gerät zum bleihaltigen Himmelfahrtskommando, denn der südostasiatische Geheimdienst will die Ausreise des Verräters mit allen Mitteln verhindern. Leichen pflastern ihren Weg. Am Ende kann Silva seinen Auftrag scheinbar erfüllen. Noor wird mit einer amerikanischen Transportmaschine außer Landes geflogen. Aber er ist, was nur angedeutet wird, im Besitz einer Waffe. Zeitgleich wird die Overwatch-Zentrale von FSB-Agenten gestürmt und bis auf Bishop komplett liquidiert.
Die Form
„Mile 22“ ist atemberaubend schnell erzählt, was nicht an den Actionszenen liegt, sondern am Bewusstsein der Filmemacher, jegliche Redundanz zu vermeiden. Die Off-Stimme des Protagonisten ist der Pacemaker der Handlung (s. „Casino“ von Martin Scorsese). Die Kameraarbeit und die Montage sind brillant. Ständig wird alternierend erzählt. Man muss sich schon konzentrieren und das ist gut so. Die Dialoge sind manchmal etwas martialisch geraten, aber fragmentiert, hart und politisch unkorrekt. Die Gegenwartsebene besteht aus einer Anhörung, in der James von Vorgesetzten zur Operation befragt wird. Sie wird immer wieder verzahnt mit dem Gefangenentransport, also der Vergangenheitsebene.
Die Figuren
James ist eine unsympathische, aber interessante Figur. Ein echter Kotzbrocken. Wenn sein Adrenalinpegel steigt, was ziemlich häufig vorkommt, dann zupft er beständig an seinem elastischen Armband herum. Ebenso häufig wiederholt er Wörter oder auch ganze Sätze, um dem Gesagten eine zusätzliche Bedeutung zu verleihen. Ein Besserwisser und Kontrollfreak. Sehr schön ist die Szene, als mehrere Kollegen ihn hinter seinem Rücken mit diversen Synonymen als Psychopathen bezeichnen.
Empathie? Fehlanzeige. Schwer verletzten Kollegen wünscht er alles Gute oder drückt ihnen Granaten in die Hände, damit sie vor ihrem Ende noch möglichst viele Gegner ausschalten. Das ist schon wieder originell, jedenfalls ein erfrischendes Gegenstück zum üblichen verlogenen Hohelied auf US-amerikanische Kameraderie: Wir holen dich hier raus, koste es, was es wolle! Wohin solche Parolen führen, demonstrieren sowohl „Lone Survivor“, ebenfalls von Peter Berg, oder „Black Hawk Down“ von Ridley Scott. Ein einziges Mal zeigt Silva Mitgefühl, und zwar als seine dezimierte Crew vor der Entscheidung steht, Kollegin Alice Kerr zurückzulassen oder nicht. Da setzt er sich über Bishops Anordnung hinweg und rettet ihr das Leben. Nach der scheinbar erfolgreichen Erledigung ihres Auftrags gewährt er Kerr sogar eine Woche Sonderurlaub, was er wahrscheinlich noch nie gemacht hat.
Ungereimtheiten
Leider wartet „Mile 22“ mit einer ganzen Reihe von Ungereimtheiten auf. Nachdem Noor sich Zugang zur amerikanischen Botschaft verschafft hat, wird er von drei Agenten des nationalen Geheimdienstes attackiert. Da fragt man sich schon, wie die ungehindert in die wie eine Festung gesicherte Botschaft gekommen sind? Weiter fragt man sich, warum die einheimischen Geheimdienstler auf öffentlichen Straßen Jagd auf die US-amerikanische Eskorte macht? Das würde man doch eigentlich subtiler angehen, schon um diplomatische Verwicklungen zu vermeiden (s. „Red Sparrow“). Das eigentliche Ziel der russischen Agenten ist Silva, wie wir in der Anhörung erfahren. Da der, genauso wie Bishop, am Ende überlebt, ist der Racheplan der russischen Agenten aber kläglich gescheitert. Also, was soll das alles?
Finale
Weiter ist völlig unklar, was am Schluss in der amerikanischen Transportmaschine passiert. Es gibt Hinweise darauf, dass Noor die Waffe eines Soldaten an sich gebracht hat. Aber was dann geschehen ist, wird nicht erzählt. Wir erfahren nur, dass Silva im Verhör nicht über seine an Bord befindliche Kollegin Alice Kerr reden möchte. Wahrscheinlich ist sie im Flugzeug von Noor überwältigt und getötet worden? Den Zuschauer darüber im Unklaren zu lassen, ist aber – mit Verlaub – äußerst schwach. Die alternierend montierten Verhörszenen, in denen Silva zur Operation befragt wird, finden zeitlich nach dem Actionszenario statt. Nachdem man das begriffen hat, weiß man leider auch, dass dem Helden im ganzen bleihaltigen Schlamassel nichts passieren wird, was dramaturgisch natürlich nicht so toll ist.