Philomena (Stephen Frears) GB 2013

Zum einen beruht „Philomena“ von Stephen Frears auf einer wahren Begebenheit, die nicht für eine abendfüllende, dramatische Erzählung taugt. Zum zweiten halten die Filmemacher sich auch noch eng an das Korsett dieser ungeeigneten Vorlage. Sogenannte wahre Begebenheiten sollte man aber als ein Art Steinbruch betrachten, von dem man nur konfliktreiche Elemente benutzt, um sie dann entsprechend zu gestalten. Hier ist aber eine über weite Strecken langweilige und betuliche Tragikomödie entstanden, woran auch eine originelle Protagonistin (hervorragend: Judi Dench) und ein paar witzige Dialoge nichts ausrichten kann.

Die Geschichte

Ist schnell erzählt. Die fast 70-jährige Philomena spürt gemeinsam mit dem Journalisten Martin Sixsmith ihrem leiblichen Sohn Anthony nach. Der wurde im Alter von vier Jahren von den Nonnen eines irischen Klosters an wohlhabende Adoptiveltern verkauft. Per Vertrag wurde Philomena zu einem Verzicht auf das Sorgerecht genötigt. Auf Befragung weiß die Leiterin des Klosters angeblich nichts über den Verbleib ihres Sohnes. Die Spur führt die ungleichen Ermittler schließlich in die Vereinigten Staaten, wo sie aber feststellen müssen, dass Anthony bereits vor Jahren verstorben ist. Philomenas größte Sorge, dass sie in den Erinnerungen ihres Sohnes keine Rolle gespielt hat, kann sein Lebensgefährte Pete aber zerstreuen. Anthony war vor seinem Ableben im Kloster und ist dort auf dem Friedhof begraben. Konfrontiert mit ihren Falschaussagen weisen die verantwortlichen Nonnen alle Schuld von sich. Philomena vergibt ihnen, um endlich Ruhe zu finden. 

Die Figuren

Nahezu vorbildlich ist die Konzentration auf die Heldin, die in fast allen Szenen präsent ist. Ein Fehler dagegen ist es, sie in gezeigtem Ausmaß als Opfer zu stilisieren. Warum? Weil es zur Distanzierung beiträgt. Hätte sie Schuld auf sich geladen, hätten wir mehr mit ihr mitzittern können. Ein weiterer Fehler ist die Figur des arroganten Journalisten Martin, eines in Oxford studierten Schnösels, der Philomena und ihresgleichen für „schwache, ungebildete Menschen“ hält. Auch wenn im Verlauf des dünnen Geschehens eine Nähe zwischen den Protagonisten entsteht, weckt er nie Gefühle.

Redundanz

Martins Ehefrau moniert das vorzeitige Verlassen ihres Mannes bei einem öffentlichen Vortrag. Martin und Philomena unterhalten sich bei ihrer Fahrt zum Kloster über die Vorzüge seines Mietwagens. Martin trifft einen ehemaligen Kollegen im Flugzeug, der im Gegensatz zu ihm Business-Class fliegt. Philomena schlürft vor dem Start des Flugzeugs einen Cocktail oder fährt im Fahrstuhl eines New Yorker First-Class-Hotels nach unten. Dann gibt es Aufnahmen von diversen Anfahrten zu meist üppig ausgestatteten Anwesen. Nur, was hat das alles mit der Erzählung zu tun?

Weitere Schwächen

Ein großer Fehler ist auch das Ableben von Philomenas Sohn. Damit verzichten die Filmemacher auf eine hochdramatische Konfrontation, nämlich auf den Vorwurf des Sohnes an die Mutter, sie verkauft zu haben. Das Ende ist eine erzählerische Katastrophe. Philomena vergibt ihrer ärgsten Widersacherin, womit die Täter mal wieder davonkommen. Der christliche Akt der Vergebung mag im realen Leben ganz schön sein, eine Erzählung benötigt aber eher das Gegenteil, also Dramatik. Im Rachethriller „Man on Fire“ lässt Ridley Scott seinen Helden zu diesem Aspekt folgendes verlauten: „Vergeben kann nur Gott. Ich stelle nur den Kontakt her.“

Lösungen

Philomena müsste eine Schuld auf sich geladen haben. Also, im katholischen Irland des vorigen Jahrhunderts hat sie ein uneheliches Kind zur Welt gebracht. In ihrer Verzweiflung legt sie ihr Neugeborenes am Eingang des Nonnenklosters ab. Sie klingelt und versteckt sich. Die Nonnen kümmern sich um ihr Baby. Ca. fünf Jahre später (nicht 50!) leidet Philomena mehr denn je unter ihrer Verzweiflungstat. Sie sucht das Kloster auf und erhält nur vage Auskünfte. Jetzt muss sie an die Identität der Adoptiveltern gelangen. Wie? Informationen kann sie (wie im Film) in der Kneipe des nahegelegenen Dorfes bekommen. Das örtliche Hotel könnte die Personalien der dort abgestiegenen Adoptiveltern archiviert haben. Eine der Nonnen, die unter Gewissensbissen leidet, könnte sich Philomena anvertrauen. Möglicherweise haben auch ältere Kinder im Kloster immer die Autokennzeichen der Adoptiveltern notiert. Jedenfalls hat Philomena erstmal zu tun, um deren Adresse ausfindig zu machen.

Das Drama

Irgendwann gelangt sie zum Anwesen der Adoptiveltern. Beim Empfang wird sie gefragt, ob sie sich für die freie Stelle der Haushälterin bewirbt? Philomena bejaht und wird eingestellt. So trifft sie zum ersten Mal auf ihren Sohn. Das ist Suspense. Wir wissen um ihre Gefühle, die sie nicht zeigen darf. In der Folgezeit kämpft Philomena um eine Annäherung. Aber für den verwöhnten Bengel ist sie nur ein Kindermädchen von vielen. Ihre Versuche, eine Nähe aufzubauen, scheitern. Irgendwann wird sie als leibliche Mutter enttarnt.

Klimax

Jetzt ist das Drama komplett: Philomena hat immer davon geträumt, dass ihr eigener Sohn sich in ihre Arme wirft. Stattdessen ist sie für ihn nur eine fremde Frau. Die Adoptivmutter wirft Philomena hinaus. Sie ist am Boden zerstört. Auch ihr Selbstmordversuch scheitert. In der Klinik lernt sie einen durchtriebenen Journalisten kennen. Gemeinsam entwickeln sie einen Plan: Beide geben sich beim Kloster als reiches Paar auf der Suche nach Adoptivkindern aus. Philomena in Verkleidung. Der Deal geht leichter über die Bühne als gedacht. Die Nonnen sind an Geld interessiert, weniger an den Dokumenten des vermeintlichen Paares. Der Journalist veröffentlicht seine Story. Die Polizei ermittelt im Nonnenkloster wegen Sklaverei und Menschenhandel. Gegen die Strippenzieher wird  Anklage erhoben. Sämtliche Adoptionen werden überprüft. Philomena verzichtet auf Ansprüche an ihren leiblichen Sohn. Der Familienrichter spricht ihr das Sorgerecht für ihren adoptierten Sohn zu, zumal deren leibliche Mutter verstorben ist und der Vater auf Ansprüche verzichtet. Möglicherweise verlieben Philomena und der Journalist sich auch ineinander? Das wäre dann die Hollywood-Variante.

Fazit

Der Film verzichtet auf nahezu alle interessanten Aspekte dieses Falls von kirchlich getarntem Menschenhandel. Alle Täter und Mittäter, also die, die ihre Augen verschlossen haben, bleiben hier verschont. So einen mutlosen Film haben die tausenden von Müttern, die auf diese Weise ihre Kinder verloren haben, wahrlich nicht verdient.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 2 blaue Smileys und 5 schwarze traurige Gesichter für Philomena.

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