„The Dead Don’t Hurt“ ist ein schönes Melodrama im Gewand eines Westerns. Ausflüge von Schauspielern ins Regiefach wecken ja immer Skepsis (s. „Three Burials“ von Tommy Lee Jones). Zum Glück erweist sie sich hier als unbegründet. Viggo Mortensen hat das richtig gut gemacht. Er fokussiert sich auf seine beiden Hauptfiguren und hat ein klassisches Erzählmotiv: Die unmögliche Liebe (Romeo und Julia) und gegen Ende gibt es noch eine Rachegeschichte. Richtig wohltuend, einer zwar in Zeitsprüngen montierten, aber ansonsten konzentrierten Geschichte zu folgen.
Die Geschichte
1860 in Nevada. Wilde Schießerei im Örtchen Elk Flats. Der sturzbetrunkene Weston Jeffries erschießt mehrere Menschen. In einem fingierten Prozess wird ein Unschuldiger verurteilt und gehängt. Sheriff Holger Olsen (Viggo Mortensen) quittiert daraufhin seinen Dienst. In Rückblenden erfahren wir, wie er in San Francisco auf die eigensinnige Frankokanadierin Vivienne Le Coudy (Vicky Krieps) trifft. Beide verlieben sich ineinander und ziehen auf seine kleine Farm, in der Nähe von Elk Flats. Olsen meldet sich freiwillig zum Militärdienst. In seiner Abwesenheit wird Vivienne von Weston überfallen und vergewaltigt. Neun Monate später gebärt sie einen Sohn. Nach Olsens Rückkehr aus dem Bürgerkrieg berichtet Vivienne ohne Umschweife von den Geschehnissen. Olsen stellt seine Kränkung zunächst zurück, bis Vivienne – als Resultat der Vergewaltigung – an Syphilis stirbt. Jetzt bricht Olsen die Zelte ab, nimmt den Jungen mit und rächt sich am Vergewaltiger.
Die Figuren
Eigentlicher Star des Westerns ist Vivienne, die eigensinnig, dickköpfig und schlagfertig agiert: „Ich werde niemals heiraten!“ Wenn sie lächelt, zum Beispiel als sie Olsen das erste Mal in San Francisco trifft, erinnert ihre herbe Schönheit an die junge Meryl Streep. Vivienne und Olsen fühlen sich sofort zueinander hingezogen, sie schweben sozusagen auf einer Wellenlänge. Dafür benötigt es auch nicht vieler Worte. Sie pflegen einen eigenen Sprachcode, eine reduzierte Kommunikation. Auch das ist sehr schön. Tischler Holger Olsen ist zwar nicht der Ritter, der manchmal in ihren Visionen auftaucht, aber er ist witzig, zupackend, liebevoll und nicht weniger eigensinnig als Vivienne. Sie passen zueinander und man schaut ihnen gerne zu, wie sie sich durchs Leben schlagen.
Wendungen
Immer wieder gibt es überraschende Wendungen, die aber letztlich in den Figuren begründet sind. Gerade als Olsen und Vivienne sich in seiner Hütte in Nevada eingerichtet haben, will er in den Bürgerkrieg ziehen. In dieser Phase völlig überraschend, zumal er schon mal im Krieg war. Vielleicht ist es ein Test? Denn Olsen hat ihr von seiner ersten Frau erzählt, die nach seiner Rückkehr aus dem Krieg nicht mehr da war. Wird Vivienne da sein, wenn er überhaupt zurückkommt? Sie ist zwar vehement gegen seinen Plan, akzeptiert ihn aber letztlich. Auch das ist überraschend.
Nach der Vergewaltigung durch Weston steht sie schon mit gepackten Koffern vor ihrer Hütte, um sich dann doch zum Bleiben zu entscheiden. Wieder eine Wendung, die aber plausibel ist. So leicht gibt sie eben nicht auf.
Die Rückkehr
Als Olsen dann nach Jahren zurückkehrt, schenkt Vivienne ihm sofort reinen Wein ein, erzählt von der Vergewaltigung und dem Kind, das nicht seines ist. Andere Frauen hätten das wohl – wenn möglich – geheim gehalten, nicht so Vivienne. Auch Olsens Reaktion ist überraschend: Er kühlt sich erst mal beim Bad im See ab, dann nehmen sie allmählich ihren Alltag wieder auf. Nach Viviennes Tod kümmerte Olsen sich liebevoll um den Jungen, den Sohn seines Widersachers. Auch das ist nicht selbstverständlich. Überhaupt ist das einer der großen Stärken dieses Films: Er zeigt, wie Menschen trotz schwerer Schicksalsschläge doch zusammenhalten, nicht aufgeben, wieder Hoffnung und Vertrauen entwickeln können.
Die Dialoge
Sie sind reduziert, pointiert, oftmals überraschend und manchmal mit Subtext versehen. Folgende Bemerkung von Vivienne, als sie zum ersten Mal Olsens heruntergekommene Hütte in Nevada sieht: „Du lebst wie ein Hund. Was machst du hier?“ Antwort: „So wenig wie möglich.“ Der kurze Dialog charakterisiert beide treffend: Originell und undiplomatisch. Als Olsen aus dem Bürgerkrieg zurückkehrt, ist ihre erste Frage: „Wie war dein Krieg?“ Seine Retourkutsche kommt prompt: „Und wie war dein Krieg?“, wohl wissend, dass auch sie keine friedlichen Zeiten verbracht hat.
Schwachpunkte
Die Schießerei zu Beginn des Films, bei der Weston sechs Menschen im Suff erschießt, ist eher plakativ und effekthascherisch. Abgesehen vom Auftritt des Antagonisten hat sie auch nichts mit der eigentlichen Geschichte zu tun. Weston hätte man aber auch anders etablieren können. Es hätte völlig genügt, wenn er den Hilfssheriff im Streit erschossen hätte, der zudem ein Freund von Olsen war. Dann hätte man sich auch die Gerichtsverhandlung und das Aufknüpfen des Unschuldigen ersparen können. Stattdessen hätte man zeigen können, wie der korrupte Bürgermeister und Westons Vater Zeugen des Streits bestochen hätten. Ermittlungen hätten dann eine Notwehr bezeugt. Das hätte völlig genügt, keine unproduktiven Fragen generiert und der Dramatik keinen Abbruch getan. Weniger wäre auch hier mehr gewesen.
Antagonisten
Desweiteren sind die männlichen Gegenspieler von Olsen zu eindimensional gezeichnet. Weston ist ausschließlich ein alkoholkranker Gewalttäter und Victor, Viviennes Freund in San Francisco, nur schnöselig. Viel besser wäre es gewesen, wenn man Weston eine charmante, hilfsbereite Seite gegönnt hätte. Dann wäre er ein viel gefährlicherer Antagonist gewesen. Einer, der vielleicht in Olsens langer Abwesenheit Viviennes Gefühle geweckt hätte?
Fazit
Insgesamt ist „The Dead Don’t Hurt“ ein sehenswerter Genre-Beitrag. Kevin Costner wird es schwer haben mit seinem Western-Epos „Horizon“, das Ende August in die Kinos kommt.