„Thelma – Rache war nie süßer“ hat zwar eine interessante Heldin und ein klassisches Erzählmotiv (Rache), ist aber ansonsten ein langweiliger, oberflächlicher Film mit vielen Ungereimtheiten, Zufällen und handwerklichen Fehlern. Es gibt keine Raffinesse, kaum Überraschungen, kaum Hindernisse und so gut wie keine Gefahren. Man fragt sich auch, warum die Erzählung sich derart betulich, quasi im Gleichschritt mit ihren betagten Protagonisten, über die Runden quälen muss? Warum nicht in rasanter Action, anstatt in Rollatorengeschwindigkeit? Emotionen entstehen dadurch kaum, obwohl die betagte Heldin eigentlich alle erforderlichen Voraussetzungen mitbringt.
Die Protagonistin
Die 93-jährige Thelma lebt in einer recht feudalen Wohnung, vermisst ihren verstorbenen Mann, ist stur, ein bisschen tüdelig, schwerhörig, ein bisschen wacklig auf den Beinen und hat eine liebevolle Beziehung zu ihrem Enkel Danny. Eigentlich ist das Opening vielversprechend und erinnert an den grandiosen Film „Ein kleines Stück vom Kuchen“. Aber dann, aber dann …
Die Geschichte
Ein Enkeltrick. Betrüger erpressen Thelma am Telefon, 10.000 Dollar in bar an ein Postfach zu schicken. Damit wird auch die erste Ungereimtheit etabliert: Wieso wissen die Betrüger, dass Thelma einen Enkelsohn namens Danny hat? Woher haben die Betrüger all diese Insider-Informationen? Dafür liefert auch Dannys zuvor verlorene Brieftasche keine Erklärung. Wieso soll diese Summe überhaupt auf dem Postweg verschickt werden? Üblicherweise werden solche Forderungen doch über zweifelhafte Kreditinstitute wie Western Union oder die Bank of Scotland abgewickelt. Die Betrüger wären bei einem Opfer, das die notierte Anschrift nicht verloren hätte, doch problemlos von der Polizei aufzuspüren. Alles sehr merkwürdig hier.
Weitere Ungereimtheiten
Wieso rufen Dannys Eltern, Gail und Alan, nachdem sie vergeblich stundenlang im Seniorenheim auf Thelma gewartet haben, nicht die Polizei? Woher weiß Thelma von der Anwesenheit und vom Versteck eines Revolvers, den sie im Haus ihrer dementen Freundin Mona entwendet?
Zufälle
Sie sind stets ein erzählerisches Armutszeugnis. In „Thelma – Rache war nie süßer“ haben sie Hochkonjunktur: Nachdem Thelma am Stadtrand gestürzt ist und Ben ihr wieder auf die Beine geholfen hat, fährt zufällig Freundin Lois vorbei und chauffiert beide zur gesuchten Adresse, einem Kiosk, in dem sich dutzende von Postfächern befinden. Thelma und Ben legen sich auf die Lauer. Sie müssen auch nicht lange warten, da kommt ein junger Mann vorbei und macht sich – man errät es schon – natürlich am observierten Postfach zu schaffen. Zum Glück steigt er anschließend auch nicht in sein Auto, sondern verschwindet ein paar hundert Meter weiter in ein Lampengeschäft. Eine Verfolgung wäre sonst auch gescheitert. Der Gipfel der Einfallslosigkeit ist aber Thelmas Suche nach dem Passwort am Computer des Betrügers, um ihr geraubtes Geld zu retournieren: Ein Griff in die Schublade und sie hat es. Alles supi hier!
Hindernisse
Auch sonst werden der Heldin bei ihrem kleinen Abenteuer möglichst wenig Hindernisse in den Weg gelegt, was weder glaubhaft und schon gar nicht dramatisch ist. Einmal müssen die Batterien ihres Scooters aufgeladen werden, aber das war’s dann. Hunger, Durst, Harndrang, Polizeistreife sind bei der stundenlangen Verfolgung kein Thema.
Antagonist
In anderen Filmkritiken ist viel von Herzenswärme und Respekt die Rede. Aber wenn ein Filmgestalter seine Heldin mit so einer Knalltüte von einem „Gegenspieler“ beglückt, dann nimmt er sie einfach nicht ernst. Er behandelt sie von oben herab, also respektlos. Eigentlich genauso wie Töchterchen Gail und Schwiegersohn Alan die Heldin behandeln, nachdem sie reingelegt wurde. Das ist die Ironie. Warum sollte Hitchcocks Gleichung „Je gelungener der Schurke, umso gelungener der Film“ je seine Gültigkeit verlieren? Die anfangs etablierte Verschlagenheit des Betrügers pulverisiert sich beim „Showdown“. Harvey ist ein bedauernswerter kranker Mann, aber doch kein Bösewicht. Nur wenn die Heldin auf einen ebenso intelligenten wie skrupellosen Antagonisten getroffen wäre, hätte sie ein echtes Problem gehabt. Aber doch nicht so.
Peinlichkeiten
Nachdem Danny mit seinen Eltern nach erfolgloser Suche wieder im Pflegeheim landet, lässt er sich zu einer weinerlichen, selbstanklagenden Volksrede hinreißen: „Ich bin ein Loser.“ Noch schlimmer ist seine schmalzige Liebeserklärung, ganz am Ende des Films, als er mit Thelma auf einer Parkbank sitzt. Ihre Antwort zeigt, dass sie schon wieder auf jemanden reingefallen ist und offensichtlich nichts dazugelernt hat.
Lösung
Wenn Danny Mitglied der Betrügerbande gewesen wäre, hätte das auch die Insider-Information zu Beginn erklärt. Also eine Variante von Sidney Lumets „Tödliche Entscheidung“. Das hätte uns Einblicke geben können in die Abgründe, die sich hinter der sorgsam gehüteten Fassade einer wohlbetuchten, gutbürgerlichen Welt auftun. Der drogenabhängige Danny, der dringend Kohle braucht und seine eigene Großmutter reinlegt. Das wär’s gewesen. Das hätte uns auch seine selbstmitleidige Volksrede und dieses schmalzige Gesäusel erspart.
Fazit
„Thelma – Rache war nie süßer“ fehlt die Rasanz, die Professionalität, die Raffinesse, das Unkorrekte, das Bösartige. Man kann zwei- bis drei Mal schmunzeln, aber das ist das höchste der Gefühle.