Leben im Schloss (Jean-Paul Rappeneau) F 1966

Der Titelvorspann besteht aus kunstvollen, betörenden Nahaufnahmen von Gesicht und Haaren der Heldin, Reproduktionen von Fotografien in schwarzweiß. Die Exposition ist auch eine Einstimmung auf die Geschichte, in der die 20-jährige Marie (Catherine Deneuve) aufs Podest gehoben wird. Sie ist eine Hommage an die Attraktivität der Protagonistin, an ihren Eigensinn und ihren Trickreichtum. Damit hat der Film von Jean-Paul Rappeneau etwas sehr Modernes, auch wenn er fast 60 Jahre alt ist und 1944 in der Normandie spielt, also zu Zeiten der deutschen Besatzung. Inszeniert im Stile einer hemmungslosen Komödie erinnert „Leben im Schloss“ an die geniale Naziklamotte „Sein oder Nichtsein“ von Ernst Lubitsch.

Die Geschichte

Es fängt damit an, dass Maries Ehemann Jérôme (Philippe Noiret) feststellt, dass im Keller ihres heruntergekommenen Schlosses wieder Äpfel geklaut wurden. Anstatt Interesse für den Diebstahl zu zeigen, beschimpft Marie ihn und seinen Kleingeist. Schließlich fordert sie von ihm eine vertragliche Zusicherung, dass er wie versprochen endlich mit ihr nach Paris zieht. Und das ist die Geschichte. Darum dreht sich alles, von Anfang bis Ende. Diese Einfachheit ist ein weiterer Vorzug von „Leben im Schloss“. Die Kriegswirren kurz vor Landung der Alliierten nutzt Rappeneau nur als Folie. Es könnten auch andere zeitgeschichtliche Unruhen sein. Letztlich dienen sie nur der Anhäufung von Konflikten sowie der Skizzierung und Entwicklung der Protagonisten.

Hemmungslosigkeit

Die erfrischende Hemmungslosigkeit, mit der Rappeneau hier zu Werke geht, ist nie plump. Es gibt keinen Klamauk, wie er des öfteren in deutschen „Komödien“ anzutreffen ist. Apropos. 1966 wurden in Deutschland schwermütige Dramen oder Winnetou-Filme produziert. Keine Spur von Originalität, nuancierter Komik oder Rücksichtslosigkeit. „Leben im Schloss“ demonstriert, wie man spielerisch (Spielfilm) mit Zeitgeschichte umgehen kann.

Die Figuren

Marie ist die unumstrittene Heldin dieser Komödie: Kratzbürstig, schlagfertig und trickreich wickelt sie die Männer um den Finger. Ehemann Jérôme agiert anfangs etwas tranig und verhalten. Schließlich muss er sich auch noch seiner im gemeinsamen Haushalt lebenden Mutter erwehren. Aber dann zeigt er zunehmend Mut und engagiert sich bei der Überrumpelung der Besatzer. Folgerichtig wird er am Ende belohnt. Der französische Widerstandskämpfer Julien verfällt Maries Charme ebenso wie Nazikommandant Klopstock. Julien macht anfangs noch den Fehler, Marie eine gemeinsame Zukunft auf einer einsamen Insel auszumalen. Später erfährt er dann von ihren Träumen und korrigiert beim nächsten Tête-à-tête seine Ziele. Auch das ist witzig.

Finale

Sehr schön und stimmig ist auch das Ende, das Marie und Jérôme beim triumphalen Einmarsch der Befreier in Paris zeigt. Wie in einem Karnevalsumzug posieren sie auf den Panzern der Alliierten und scheinen den Jubel der Menge für sich zu reklamieren. Schön ist auch, dass Marie am Ende zu ihrem Mann hält, nachdem er gezeigt hat, was in ihm steckt. Nicht nur Paris ist befreit, sondern auch Marie und Jérôme. Pures Kinovergnügen!

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für "Leben im Schloss".

Schreibe einen Kommentar