„Die Kinder des Monsieur Mathieu“ ist ein wundervoller Film mit einem klassischen Erzählmotiv: Gestrandet („Robinson Crusoe“, Castaway“ usw.) Der arbeitslose Musiklehrer Clément Mathieu strandet kurz nach dem 2. Weltkrieg als Aufseher in einem Heim für schwer erziehbare Jungen. Der Film ist eine Hommage an die Rebellion gegen rigide Erziehungsmethoden, an die Kindheit und die Kraft der Musik, die verlorenen Seelen Mut und Selbstvertrauen einflößen kann. Der Film stellt auch einen Haufen benachteiligter Kinder auf ein Podest, macht sie zu Helden und erinnert damit an Truffauts Meisterwerk „Taschengeld“.
Prolog
Auf der DVD gibt es eine sehr schöne Einführung des Schweizer Produzenten Arthur Cohn, der seine Beweggründe darlegt, „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ gegen alle Widrigkeiten zu realisieren. Damit macht Cohn auch auf ein zentrales Motiv des Protagonisten aufmerksam, der immer seine Schlupflöcher gesucht hat, um seine Ziele zu erreichen. Mathieu ist der Anwalt der Aussortierten, die nichts haben, „nur hoffen und träumen können.“ Und mit Mathieu können sie das.
Die Geschichte
Es beginnt damit, dass der erfolgreiche Dirigent Pierre Morhange die Nachricht vom Tod seiner Mutter erhält. Nach der Beerdigung in Frankreich überreicht ihm sein alter Schulfreund Pépinot das Tagebuch ihres ehemaligen Aufsehers Clément Mathieu. Rückblende. Mathieu tritt eine Stelle als Aufseher in einem Internat für schwer erziehbare Jungen an. Dort führt Direktor Rachin ein rigides Regiment, das bedingungslosen Gehorsam einfordert. Erpressung, Denunziation und Bestrafung sind sein Instrumentarium.
Der Rebell
Schnell widersetzt Mathieu sich diesen Regeln, indem er den Urheber eines üblen Streiches deckt und ihm eine Chance auf Wiedergutmachung gibt. Im Unterricht nimmt Mathieu die Jungen ernst und fordert sie. Er lässt sie ihre Träume auf einem Zettel aufschreiben. Trotzdem wird er zur Zielscheibe ihres Spotts und ihrer Streiche. Nach dem Diebstahl seiner Aktentasche, die lauter Notenblätter enthält, findet er die Übeltäter in der Toilette. Anstatt sie zu bestrafen, lässt er die Jungen Lieder vorsingen.
Das Talent
Der junge Pierre Morhange muss, nachdem er sich über den Direktor lustig gemacht hat, in den Karzer. Als seine schöne Mutter zu Besuch kommt, verliebt Mathieu sich auf der Stelle in sie. Die Abwesenheit ihres Jungen entschuldigt er mit einer Notlüge, um sie zu schützen. Im Unterricht lässt Mathieu die Jungen einzeln vorsingen und übt mit ihnen. Rachin ist zwar wenig begeistert, lässt den Chor jedoch vorerst gewähren. Mathieu beobachtet, wie Pierre heimlich Passagen einstudierter Lieder nachsingt und ist von seiner Stimme überwältigt. Er fördert den hochtalentierten Jungen und baut ihn als Solosänger in den Chor ein.
Der Katalysator
Neu im Internat ist der etwas ältere und aggressive Mondain, der Mitschüler und Lehrer drangsaliert. Als Mondain plötzlich verschwindet und mit ihm 2.000 Franc ist Rachin außer sich vor Wut. Er verordnet harte Sparmaßnahmen und verbietet weitere Chorproben. Mathieu geht mit seinen Schülern in den Untergrund. Die Übungen finden nun im Schlafsaal vor dem Zubettgehen statt. Außerdem macht er Pierres Mutter auf die besondere Begabung ihres Sohnes aufmerksam und schlägt den Besuch eines Konservatoriums vor.
Eifersucht
Pierre reagiert eifersüchtig auf Mathieus Schwärmereien und überschüttet ihn mit dem Inhalt eines Tintenfasses. Der versteht zwar die Gefühle seines Schülers, verbannt ihn aber zur Strafe aus dem Chor. Aber auch Mathieus Gefühle erhalten einen Dämpfer. Die Mutter hat jetzt einen jüngeren Freund und geht auf seine Avancen nicht ein. Als die Mäzenin des Internats zu Besuch kommt, ist die Darbietung des Chors ein voller Erfolg. Dazu trägt vor allem Pierres Soloeinlage bei, dem Mathieu verziehen hat.
Showdown
Die gestohlenen 2.000 Franc werden bei einem anderen Schüler entdeckt. Die Unschuld Mondains interessiert Rachin allerdings nicht. Er ist mehr an einer Auszeichnung interessiert, die ihm in Lyon überreicht werden soll. In seiner Abwesenheit wird das Internat von Mondain in Brand gesetzt. Rachin wirft Mathieu Verletzung seiner Aufsichtspflicht vor und entlässt ihn. Er darf sich noch nicht einmal von seinen Schülern verabschieden. Als Mathieu vor den Mauern des Internats zum Bus geht, begleitet ihn der Gesang seiner Schüler und Papierflugzeuge mit Grußbotschaften, die aus den Fenstern auf ihn herabschweben. Das Ende wirkt eher wie ein Traum: Mathieu nimmt Vollwaise Pépinot mit auf seine Reise.
Stärken
Clément Mathieu liebt seine Schüler und seinen Beruf. Er nimmt die Kinder ernst und fordert sie. Das ist genau das, was sie brauchen und sie wollen ihn unter keinen Umständen enttäuschen. Wie seine Chorknaben voller Inbrunst singen, das ist einfach schön. Ein Lehrstück für Pädagogik. Der Film ist auch brillant fotografiert und bis in die kleinsten Nebenrollen herausragend besetzt. Im Gesicht des aggressiven Mondains spiegelt sich die ganze Hoffnungslosigkeit verkorkster Jugendfürsorge. Der Film beschönigt nichts. Er zeigt die Kinder wie sie sind, in ihrer Verspieltheit, Direktheit und auch in ihrer Brutalität. Gut auch, dass Themen wie Missbrauch und Suizid nicht verschwiegen, aber nur angerissen werden. Sie hätten die eigentliche Geschichte und ihren positiven Grundtenor zerstört (s.a. Hitchcocks Anmerkungen zum Verrat am Kino).
Antagonist
Von diesem Antagonisten hätte sich „Thelma – Rache war nie süßer“ nur eine kleine Scheibe abschneiden müssen. Rachin begrüßt Mathieu im Internat mit der zynischen Bemerkung, dass er seine Ideale hier schnell verlieren werde. „Aktion – Reaktion“ ist sein Diktum. Was er darunter versteht, erfährt man sofort: Gnadenlose Bestrafung für die (vermeintlichen) Querulanten. Mit Sarkasmus geizt er nicht: „Nie werden Sie einen anständigen Ton aus denen rauskriegen.“ Rachin schämt sich auch nicht, den Erfolg des Chores als den eigenen auszugeben. Er ist einfach ein wundervoller Bösewicht.
Schwächen
Einziger Schwachpunkt: Mathieu macht eigentlich alles richtig. Nur ein einziges Mal, als er Opfer seiner Gefühle wird und Pierre bestraft, fällt ein Schatten auf sein Handeln. Die Vergebung lässt nicht lange auf sich warten.
Fazit
„Die Kinder des Monsieur Mathieu“ von Christophe Barratier ist ein bewegender Film, der unsere Seele berührt und Hoffnung schenkt.