Cinema Paradiso (Giuseppe Tornatore) I 1988

„Cinema Paradiso“ von Giuseppe Tornatore ist eine Hymne an das Kino und spielt im (fiktiven) sizilianischen Dorf Giancaldo. Über einen Zeitraum von 40 Jahren, von der Nachkriegszeit bis in die frühen 80er des letzten Jahrhunderts, werden Blütezeit und Niedergang des örtlichen Kinos beschrieben. Der Film lebt von seinen Szenen, die sich beim Betrieb und den Vorführungen im Saal abspielen. Gerade die dokumentarisch anmutenden Beobachtungen der Zuschauer vermitteln eine unglaubliche Lebensfreude. So war es einmal im Kino und so wird es nie wieder sein. Das erinnert an die turbulenten Szenen im Theatersaal in „Kinder des Olymp“. Das pralle Leben. Leider gleitet diese Reminiszenz an die Blütezeit eines Kinos immer wieder ins Nostalgische, ins Kitschige und Sentimentale ab.

Figuren

Hauptdarsteller in „Cinema Paradiso“ sind ein Kino und seine Zuschauer, sein Filmvorführer Alfredo (Philippe Noiret) sowie der kleine Salvatore, der sich partout nicht aus dem Vorführraum verscheuchen lassen will. Alfredo gibt sich schließlich geschlagen und nimmt den Kleinen unter seine Fittiche. Eigentlich ist er ein Ersatzvater, denn Salvatores leiblicher Vater ist nicht aus dem Krieg zurückgekehrt. Diese Kooperation sichert auch das Überleben des Kinos, nachdem Alfredo bei einem Brand sein Augenlicht verloren hat. Nun liegt es an Salvatore, Licht ins Dunkel zu bringen. Die Freundschaft der beiden währt über 20 Jahre, bis Salvatore der Heimat den Rücken kehrt.

Stärken

„Cinema Paradiso“ hat ein sehr schönes Opening. Da muss Alfredo dem Pfarrer des Dorfes den anstehenden Film vorab zur Prüfung präsentieren: Die kirchliche Filmbewertungsstelle. Der Pfarrer identifiziert alle anzüglichen Szenen, die Alfredo dann entfernen muss. So gelangt er nach und nach in den Besitz einer umfangreichen filmischen Sammlung von Kußszenen. Überhaupt ist der Film immer dann am stärksten, wenn er frech ist. Zum Beispiel, wenn jugendliche Zuschauer in den 60er Jahren bei den ersten erotischen Filmen im Dunkel des Kinosaals masturbieren und von den Lehrkräften eins auf die Finger bekommen. Die Highlights sind nicht die vielen Filmausschnitte selber, sondern die Reaktionen darauf. Film ist eben „nicht Action, sondern Reaction.“ (Dudley Nichols, US-amerikanischer Drehbuchautor)

Schwächen

Leider ist die Vater-Sohn-Geschichte schwach. Zum einen erfahren wir viel zu wenig über Alfredo, zum Beispiel wieso er keine Frau hat, keine Kinder? Wie sind ansonsten seine Lebensumstände? Nichts. Sehr merkwürdig ist auch das Ende ihrer Beziehung, als Alfredo den mittlerweile erwachsenen Salvatore vehement auffordert, wegzugehen und nie wiederzukommen: „Komm nicht zurück!“ Warum? Um selbständig zu werden, muss man nicht mit Freunden und Verwandten brechen. Dann hält Salvatore sich, vor allem zulasten seiner Mutter, auch noch an diese ziemlich kranke Forderung. Nach dem Verlust des Ehemannes also auch noch der des Sohnes. Welchen erzählerischen Sinn ergibt dieser Bruch? Dann gibt es im Film einige Übertreibungen bzw. inszenatorische Schwächen. So schnarcht Salvatore zum Beispiel beim Zelebrieren einer Messe überlaut im Stehen (!). Ein anderes Mal beklagt seine Mutter sich übertrieben künstlich über eine Missetat ihres Jungen.

Liebesgeschichte

Ähnlich schwach ist die Liebesgeschichte. Völlig unklar ist, wieso Salvatore sich in Elena verliebt? Nur weil sie schön ist? Nur weil er tagelang vor ihrem Fenster wartet? Welche Grundlage haben ihre Gefühle füreinander? Liebenswerte Charaktereigenschaften werden Elena eigentlich nicht zugebilligt. So bleibt diese Episode oberflächlich. Ihr Scheitern erzeugt keine Gefühle. Immerhin ist Salvatore dann in Rom Filmregisseur geworden, zwar – nach Aussagen seiner Mutter – beziehungsunfähig aber immerhin erfolgreich. Das ist doch was, vor allem unfreiwillig komisch.

Lösungen

Entweder Konzentration auf die Vater-Sohn-Geschichte oder auf die Liebesgeschichte, also auf ein klassisches Erzählmotiv. Für die erste Variante ist zum Beispiel Vittorio de Sicas „Fahrraddiebe“ ein Vorbild, für die zweite „Begegnung“ von David Lean oder „Die Brücken am Fluss“ von Clint Eastwood. Alle drei Filme vereint eine extreme Konzentration auf die jeweils zwei Protagonisten. Es gibt keinen Schnickschnack, keine Ablenkungsmanöver. Dann bei „Cinema Paradiso“ der Austausch aller rührseligen, kitschigen und künstlichen Szenen durch originelle und freche, die ja teilweise vorhanden sind. Nach der schmalzigen Filmmusik müsste man nur noch die Rolle des klischeehaften „erfolgreichen Filmregisseurs“ ersetzen und man hätte die Chance auf einen „Film Paradiso“.

Fazit

Der Film hat ein schönes Ende, was dann etwas versöhnt. Salvatore hat alle von Alfredo entfernten und gesammelten Kußszenen zusammen geschnitten. Diese Collage ist ein Ode ans Kino, eine Hommage an den Ort des Träumens, ans „Cinema Paradiso“.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 3 blaue Smileys und 4 schwarze traurige Gesichter für "Cinema Paradiso".

Die Farbe Lila (Steven Spielberg) USA 1985

„Die Farbe Lila“ gehört zu den schwächeren Filmen von Steven Spielberg. Das liegt zum einen an der Romanvorlage der Pulitzer-Preisträgerin Alice Walker, die nicht unbedingt für eine Verfilmung geeignet ist (s. Ausführungen zur Problematik von Literaturverfilmungen). Schon die Genreeinstufung gestaltet sich schwierig. Ein Drama – wie Wikipedia behauptet – ist es auf keinen Fall, am ehesten noch eine Tragikomödie, aber auch nicht wirklich. Erzählt wird die Geschichte der Afroamerikanerin Celie, die vor gut 100 Jahren in den Südstaaten der USA spielt. Vom Vater missbraucht, wird Celie bei der ersten Gelegenheit mit dem schwarzen Farmer Albert Johnson verheiratet. Erst die Freundschaft mit der Jazzsängerin Shug Avery ermöglicht ihr schließlich einen Ausweg aus dem Ehe-Gefängnis.

Stärken

Sehr schön ist die Erzählerstimme der Heldin, die Einblicke in ihre Befindlichkeit gewähren. Dann gibt es einige Szenen mit Eigenwert, in denen Spielbergs Talent zum Vorschein kommt. Zum Beispiel, wenn Celie ihren Mann mit einem Messer auf der Veranda rasieren soll. Das wird genüsslich retardiert, denn man weiß, was in der Heldin vorgeht: Ein Schnitt durch seine Kehle und alles ist vorbei. Dann gibt es ein paar witzige Szenen, zum Beispiel wenn Alberts Sohn Harpo beim Dachdecken öfter durchs Gebälk kracht und auf dem Hosenboden landet. Sehr schön sind auch die konsternierten Gesichter von Albert und Celie, als Shug mit ihrem neuen Ehemann Grady zu Besuch kommt. Auf den hätten beide gern verzichten können. Um so überraschender ist die anschließende alkoholselige Verbrüderung der beiden Männer. Auch Gradys Abschiedsworte („War nett bei euch“) sind angesichts von Celies dramatischem Abgang witzig.

Figuren

Insgesamt weckt Celie zu wenig Emotionen. Sie wirkt zwar traumatisiert durch den Missbrauch und der Trennung von den eigenen Kindern sowie der geliebten Schwester. Aber insgesamt agiert sie zu passiv. Ein einziges Mal rebelliert sie gegen die Repressionen ihres Mannes. Auch die Gefahrenmomente, außer den gelegentlichen Schlägen, halten sich in Grenzen. Eine Flucht zieht Celie leider nicht in Erwägung. Der Klu-Klux-Klan ist ebenfalls kein Thema. Antagonist Albert wird seiner Rolle als Bösewicht nicht gerecht. Er ist eine Mischung aus Tollpatsch und gewalttätigem Nichtsnutz. Das Eheleben als Hölle findet dramaturgisch gesehen viel zu selten statt. Man fragt sich auch, wovon die Familie ihren relativen Wohlstand finanziert? Ein einziges Mal sieht man Albert im Garten schuften. Ein finanzieller Druck ist nicht erkennbar. Hier wäre eine kleine Erklärung ganz vorteilhaft gewesen. 

Künstlichkeit

Mit seiner unglaublich künstlichen Inszenierung erinnert „Die Farbe Lila“ an den späteren „The Help“, ebenfalls eine Literaturverfilmung. Alles so schick und fotogen hier, angefangen von der Inneneinrichtung der kleinen Farm, der idyllischen Umgebung mit den lilafarbenen Blumenwiesen bis hin zu den güldenen Sonnenuntergängen. Im Winter ist der Boden mit Schnee bedeckt, nicht aber die Bäume und frieren tut auch keiner (seit wann schneit es eigentlich in den Südstaaten?). Beide Filme haben auch gemeinsam, dass sie die Chance auf eine ernstzunehmende Aufarbeitung dunkler US-amerikanischer Geschichte ignorieren. Man sehnt sich nach den elenden Behausungen und rassistischen Gewalttaten von „Mississippi Burning“. Aber der stammt ja auch einem Briten (Alan Parker), nicht von einem US-Amerikaner. Vielleicht hat man als Außenstehender einen klareren Blick auf nationale gesellschaftliche Missstände?

Finale

Spielberg geniert sich nicht, eines der verlogensten und schmalzigsten Enden der Filmgeschichte zu kreieren. Da erbt Celie nach ihrem Weggang von Albert ein schnuckeliges Häuschen und Shug versöhnt sich singend mit ihrem bis dato unnachgiebigen Vater, dem Prediger der Gemeinde. Albert ist wie von Zauberhand geläutert und investiert sein Geld (woher er das auch immer hat?) für die Heimkehr von Celies Kindern, die ihrer „Mama“ am Ende um den Hals fallen. Da kullern schon die Tränen, aber nicht die der Rührung, sondern der unfreiwilligen Komik. Albert darf mit seinem Pferd am Ende auch noch mal im Hintergrund herumtraben. Friede, Freude, Eierkuchen. 

Fazit

„Die Farbe Lila“ ist die leidlich spannende, teilweise interessante Lebensgeschichte der Afroamerikanerin Celie, die am Ende zum schmalzigen Rührstück verkommt.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 2 blaue Smileys und 5 schwarze traurige Gesichter für "Die Farbe Lila".

The Descendants (Alexander Payne) USA 2011

„The Descendants“ von Alexander Payne spielt auf Hawaii und erinnert an seinen früheren Spielfilm „About Schmidt“, ohne dessen Qualitäten zu erreichen. Die literarische Vorlage dieser Tragikomödie („Mit deinen Augen“) stammt von Kaui Hart Hemmings. Durch den Bootsunfall seiner Ehefrau Elizabeth, die anschließend ins Koma fällt, wird das Leben des wohlhabenden Rechtsanwalts Matt King (George Clooney) ziemlich auf den Kopf gestellt. Zum einen bekommt er heraus, dass seine Frau einen Liebhaber hatte, zum anderen ist der notorische Workaholic plötzlich mit seinen widerspenstigen Töchtern Scottie (10) und Alexandra (17) konfrontiert. Auf der Pirsch nach dem Nebenbuhler kommen Vater und Töchter sich allmählich näher. Darin bestehen die Qualitäten dieses mäßig spannenden Films.

Stärken

Sehr schön ist die Erzählerstimme, die den Zuschauer sofort darauf hinweist, dass Liebeskummer in einer idyllischen Umgebung nicht weniger schmerzhaft ist. Im Gegenteil könnte man hinzufügen, denn Kontrast intensiviert die Wirkung. Es sind die Kinder und Heranwachsenden mit ihren Einfällen und ungeschminkten Kommentaren, die dem Geschehen Leben einhauchen: „Du hattest immer zu tun.“ Schonungslos wird Matt sein väterliches Versagen vorgeworfen. Es ist schön zu beobachten, wie er daran zu knabbern hat und nach und nach daran wächst. Da können die Konfrontationen der Erwachsenen nicht wirklich mithalten. Einmal beschwert Matt sich bitterlich am Bett seiner todkranken Frau: „Du hängst hier am Beatmungsgerät und versaust mir mein Leben.“ Das ist eine witzige Szene, ebenso selbstmitleidig wie schwarzhumorig. Dann die Kameraaufnahmen von Phedon Papamichael. Aber sonst ist da nicht viel. Warum adaptiert Alexander Payne die offensichtlichen Schwächen der Romanvorlage, anstatt sie auszusortieren?

Schwächen

Schon die erste Suspense-Situation wird nicht eskaliert: Unter vier Augen erfährt Matt vom leitenden Arzt, dass es für Elizabeth keine Heilungschancen gibt und – entsprechend ihrer Verfügung – die lebenserhaltenden Geräte abgeschaltet werden müssen. Anfangs hält Matt diese Nachricht noch geheim. Aber schon bald informiert er Töchter und Freunde vom bevorstehenden Ableben, damit sie sich verabschieden können. Das ist ganz nobel, aber eine erzählerische Fehlentscheidung. Dramatischer wäre es natürlich, wenn er die Information für sich behalten würde, bis ihm dieses Wissen um die Ohren fliegt. In „Beginners“ oder „Gran Torino“ zum Beispiel zeigen die Regisseure, wie man als Erzähler mit derartigen ärztlichen Diagnosen umgeht. 

Suspense

Die zweite Fehlentscheidung folgt auf dem Fuße: Da informiert Töchterchen Alexandra den Papa von einer Affäre seiner Frau, um fortan im Duett mit ihm die Identität des Liebhabers aufzuspüren. Alle sehr mitteilsam hier, leider zum Nachteil des Spannungsaufbaus. Ein tauglicher Held muss natürlich möglichst isoliert agieren. Sein Wissen darf – genau! – nur der Zuschauer mit ihm teilen.

Konsequenzen

Das ganze Dilemma dieses Films zeigt sich auch am juristischen Fall, der „The Descendants“ als Folie dient. Da betreut Matt als Rechtsanwalt und Treuhänder einer Erbengemeinschaft den Verkauf eines Grundstücks direkt am Ozean, für das Investoren bereits eine halbe Milliarde Dollar(!) geboten haben. Vom Geschäft würde aber, wie sich herausstellt, auch der Liebhaber von Elizabeth profitieren. Deshalb weigert Matt sich am Ende, den Vertrag zu unterschreiben. Konsequenzen: Er ist erstmal etwas weniger wohlhabend. Erstmal, denn das Grundstück verliert ja nicht an Wert. Das ist aber – mit Verlaub – kein Konflikt. In „Vergiftete Wahrheit“ von Todd Haynes setzt Rechtsanwalt Robert Bilott seine berufliche und private Existenz aufs Spiel, indem er gegen den Chemiekonzern Dupont zu Felde zieht. Im hervorragenden Roman „Niagara“ von Joyce Carol Oates vertritt Anwalt Dirk Burnaby pro bono die Interessen einer Familie, die im Zuge eines Giftmüllskandals ihr Kind verloren hat. Hier setzt der Held alles aufs Spiel und verliert. Dramatik pur. In „The Descendants“ plätschert die Spannungskurve so seicht dahin wie die Filmmusik.

Figuren

Ein weiterer Schwachpunkt ist die Figur des Anwalts Matt King, die so gut wie keine Emotionen weckt. Er ist ein aalglatter, reicher Anwalt, dem sein Beruf und seine Geschäfte wichtiger sind als seine Familie. Die Distanz der Zuschauer kann auch nicht wirklich durch eines besseres Verhältnis von Matt zu seinen Töchtern abgebaut werden. Identifikation ist das Stichwort, kein Muss aber ein Vorteil. Es könnte auch Faszination sein, wie zum Beispiel Louis Bloom in „Nightcrawler“ von Dan Gilroy. Mit ihm sympathisiert man zwar nicht, aber man wird ihn nie vergessen. Wenn ein Protagonist weder zur Identifikation noch zur Faszination taugt, wird’s schwierig. An Matt King wird man sich nicht lange erinnern.

Schwach und unglaubwürdig ist auch die Figur des Liebhabers, der allen Ernstes beteuert, seine Frau Julie „über alles zu lieben“. Pflegt man dann über einen längeren Zeitraum eine Affäre, die für Elizabeth zu Lebzeiten Anlass war, eine Scheidung von Matt ins Auge zu fassen? Hier hätte man der tödlich Verunglückten schon etwas mehr gegönnt, so etwas wie die Liebe ihres Lebens zum Beispiel. Merkwürdig auch der unbekümmerte Umgang des Liebespaares mit der Geheimhaltung. Sowohl gemeinsame Freunde als auch Alexandra wussten von der Affäre. Das wäre im prüden Amerika aber nicht nur für Elizabeth unvorteilhaft gewesen, sondern auch für den Liebhaber, der ja beruflich vom Verkauf des Grundstücks profitiert hätte. Nicht minder uninteressant ist die ganze Erbengemeinschaft, also Matts bucklige Verwandtschaft, lauter Cousins und Cousinen, die eigentlich keine erzählerische Relevanz haben.

Fazit

Die Kinder können leider nicht ausbügeln, was die Erwachsenen in „The Descendants“ verbockt haben.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 2 blaue Smileys und 5 schwarze traurige Gesichter für "The Descendants"

The Help (Tate Taylor) USA 2011

„The Help“ ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Kathryn Stockett. In der deutschen Übersetzung heißt er „Gute Geister“. Das ist ein schöner Titel und hat viel mehr mit dem Inhalt und seinen Figuren zu tun als der nichtssagende „The Help“. Der Filmverleiher hat sich für den belanglosen Titel entschieden, was im Grunde auch viel besser zu dieser Verfilmung passt. Die Geschichten spielen im Bundesstaat Mississippi in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts und erzählen vom alltäglichen Rassismus weißer Südstaatler gegenüber ihren schwarzen Hausangestellten. Ihr großer Vorteil ist ihre Authentizität, die von der eingeführten Erzählerstimme verstärkt wird. Man spürt, dass all diese Anekdoten sich so oder so ähnlich ereignet haben. Dann hat der Film hervorragend besetzte Figuren. Das war’s dann aber auch mit den Vorzügen. Insgesamt kommt „The Help“ viel zu seicht daher. War doch alles nicht so schlimm hier in den Südstaaten. Sah doch ganz schick aus, irgendwie ganz anders als in „Mississippi Burning“ von Alan Parker. Die süßliche, teilweise schwer zu ertragenden Filmmusik offenbart die Verlogenheit dieses erzählerischen Flickenteppichs: Die Fortsetzung von Rassismus mit anderen Mitteln.

Verfilmung

In der Kritik zu „Butcher’s Crossing“ sind wir schon mal ausführlich auf die Probleme von Literaturverfilmungen eingegangen. „Gute Geister“ ist zwar kein literarisches Meisterwerk, aber es lebt, neben einer Vielzahl von authentischen Geschichten, von seinen lebendigen Figuren, einer veritablen Antagonistin und seinen Emotionen. Bei einer Adaption ist immer interessant, was verwendet, was weggelassen oder hinzugedichtet wird. Bei der Verfilmung von „The Help“ wird eine falsche Entscheidung nach der anderen getroffen. Sie ist auch eine dramaturgische Bankrotterklärung.

Dramaturgie

Im Roman gibt es am Ende eine Schlüsselszene, in der Leroy, der gewalttätige Ehemann der schwarzen Haushälterin Minny, auf Betreiben der Antagonistin entlassen wird. Grund: Minnys Beteiligung am Buchprojekt. Daraufhin droht Leroy, seine Frau zu erschlagen. Die daraus resultierenden Schuldgefühle von Aibileen, Minnys bester Freundin und treibende Kraft des Buchprojekts, sind an Dramatik kaum zu überbieten. Die Ignoranz dieses Konflikts in der Verfilmung demonstriert den erzählerischen Dilettantismus der Filmemacher. Ein Grund für diese Fehlentscheidung mag auch falsch verstandene Political Correctness sein: Im Versuch einer Wiedergutmachung hat ein brutaler Schwarzafrikaner keinen Platz. Im Roman flieht Minny nach der Morddrohung mitsamt ihren Kindern zu ihrer Schwester, im Film umarmen sich die gutherzigen schwarzafrikanischen Hausangestellten. Schlimmer kann man ein Happy End eigentlich nicht konstruieren.

Antagonistin

Ein weiterer schwerer Fehler ist die Diskreditierung der Antagonistin. Im Roman ist Hilly Holbrook eine wahre Hexe, von der bis zum Schluss existenzielle Gefahren ausgehen (s.o.). Im Film agiert sie allenfalls im Stile einer Zimtziege, über die man sich teilweise amüsiert. Ein Bösewicht, den man belächelt, hat aber keine Funktion mehr. Ein Beispiel: Am Ende des Romans bezichtigt Hilly Aibileen des Diebstahls, was seinerzeit einer Verurteilung gleichkam. Unter vier Augen droht Aibileen daraufhin, diskreditierende Internas preiszugeben. In Anwesenheit von Minnys Arbeitgeberin ignoriert Hilly ihre Anschuldigung, besteht aber auf Minnys Entlassung, die sofort vollzogen wird. Den tränenreichen Abschied überwacht Hilly im Stile einer Vollzugsbeamtin. Der Verzicht auf eine Strafverfolgung lässt sie in den Augen ihrer Freundin sogar noch großmütig erscheinen. Bösartiger geht es kaum. Im Film rauscht Hilly nach Aibileens Androhung beleidigt davon! Auch nach 60 Jahren hat Hitchcocks Postulat nichts von seiner Gültigkeit verloren: „Je gelungener der Schurke, umso gelungener der Film“. 

Dichtung

An einem kleinen Detail kann man erkennen, was die Filmemacher umtrieben hat. Im Roman gibt es 4-5 Telefonate von Skeeter mit Mrs. Stein, der Verlagsangestellten von Harper & Row in New York. Bei allen Telefonaten befindet Mrs. Stein sich im Büro des Verlagshauses. Wo sonst? Im Film wird Mrs. Stein einmal in ihrem Schlafzimmer gefilmt, ein anderes Mal bei einem Dinner mit zwei männlichen Begleitern. Alles ein bisschen merkwürdig. Zum einen gibt es keinen erzählerischen Gewinn, sich hier von der Vorlage zu trennen, zum anderen sind diese Ideen kompletter Unfug.

Lösungen

Der Preis der Mehrfachperspektive ist immer eine Distanz zur Hauptperson. Wer ist denn hier eigentlich die Heldin? Da fängt es schon an. Diese Frage wird auch im Roman nicht wirklich beantwortet. Das wäre zum Beispiel bei einer Verfilmung eine Optimierungsmaßnahme gewesen. Sie hätte sich auf eine Protagonistin fokussieren sollen, und zwar auf Aibileen. Sie hat am meisten zu verlieren. Ihre Gefahren sind existenziell, nicht die der weißen Protagonistin Skeeter. Ein richtiger Dramatiker hätte jeden Hausbesuch der weißen Journalistin bei Aibileen zelebriert. Sie waren lebensgefährlich, aber nur für die Schwarzafrikanerin und ihre Freundinnen. Jedes Anklopfen, jede Störung hätte eine tödliche Gefahr bedeutet. Im Roman wird es zwar nicht eskaliert, aber zumindest behandelt. Im Film: nichts. Mit der Etablierung einer eindeutigen Heldin hätte man auch der grassierenden Eindimensionalität begegnen können. Mehr von Aibileens inneren Konflikten, Zweifeln, Sorgen, seelischen Schmerzen usw. hätten eine Anteilnahme ermöglicht. 

Fazit

Der Film plätschert so dahin, ganz interessant, mehr Wohlfühlkino als ein Plädoyer gegen Ausbeutung und Rassismus. Ein reißender Strom wäre besser gewesen.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 2 blaue Smileys und 5 schwarze traurige Gesichter für "The Help".

„Gute Geister“ von Kathryn Stockett, neu bei bücher.de für 15 Euro

Farbiges Cover des Romans "Gute Geister" von Kathryn Stockett.

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Beginners (Mike Mills) USA 2010

Mike Mills hat ein Talent, sich auf unterhaltsame Weise ganz auf zwischenmenschliche Beziehungen zu konzentrieren. „Beginners“ ist eine tragikomische Liebesgeschichte und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen erzählt Mills die Annäherung des Grafikdesigners Oliver (Ewan McGregor) an die originelle Schauspielerin Anna (Mélanie Laurent), zum anderen die an seinen krebskranken Vater Hal (Christopher Plummer). Neben der Liebesgeschichte also auch eine Vater-Sohn-Geschichte. Dabei gibt Mike Mills seinen Protagonisten die Chance auf eine Entwicklung und eine Annäherung. Das ist schön. Der Film ist auch ein Plädoyer für das Hinterfragen von Prägungen: Muss man reproduzieren, was die Eltern vorgelebt haben? Muss man nicht, wie uns der Filmtitel verrät.

Stärken

Vor allem ist „Beginners“ hervorragend gemacht. Sehr konzentriert, auch lakonisch und ironisch erzählt, mit exzellenten Haupt- und Nebendarstellern und stimmiger Ausstattung. Die zeitgeschichtlichen Einschübe, von den 50er Jahren bis zur Gegenwart, sind liebevoll und kunstvoll montiert. Desgleichen die Filmmusik, die immer das Geschehen unterstützt, sich nie in den Vordergrund drängt. Die Begegnung zwischen Oliver und Anna auf einer Verkleidungsparty steht der genialen Meeting-Scene des Liebespaares in „Kinder des Olymp“ in Nichts nach. Sie ist genauso komisch und visuell. Ein Highlight ist auch der Jack-Russell-Terrier Arthur, der zwar nicht sprechen kann, aber seine Eindrücke gelegentlich per Untertiteln mitteilt. Auch das ist eine originelle Idee.

Figuren

Von seiner skurrilen Mutter hat Oliver gelernt, Probleme zu übertünchen und ins Ironische zu ziehen, auf Distanz zu gehen. Deshalb auch seine Beziehungsprobleme. Andererseits ist sein Faible für Skurrilitäten der Schlüssel für die Annäherung an die verspielte Anna. Da sind sie Seelenverwandte. Von seinem Vater hat Oliver zwar auch gelernt, seine Füße stillzuhalten, aber nicht mehr im letzten Lebensabschnitt. Da scheint Hal alles nachholen zu wollen, was er Zeit seines Lebens ignoriert hat: Sexualität, Partys, Lebenslust. Das ist die Ironie: Erst als Todkranker ist Hal eine wirkliche Hilfe für seinen Sohn. Am Ende fragt Anna: „Und jetzt?“ Ja, jetzt sind sie die „Beginners“, jetzt kommt die Beziehung. „Wie funktioniert das?“, antwortet Oliver mit einer Gegenfrage. Gute Frage, aber das ist ein anderer Film.

Schwächen

Insgesamt kommt der Film etwas bedächtig und konfliktarm daher. Es gibt keinen großen Knall. Muss es auch gar nicht, aber ein bisschen Suspense hätte nicht geschadet. Wie wär’s denn gewesen, wenn Hal seine Krebsdiagnose im Endstadium ganz für sich behalten hätte, wenn nur er und der Zuschauer davon gewusst hätten? Dann wäre sein exzessives finales Partyleben vielleicht auf Unverständnis gestoßen und hätte zu Konflikten geführt? Einem Todkranken verzeiht man praktisch alles. Wie wär’s denn gewesen, wenn Hal plötzlich seinen jüngeren schwulen Freund Andy geheiratet hätte? Dann wäre der womöglich in der Erbfolge berücksichtigt worden. Auch diese Entscheidung hätte Konflikte generiert. Wie wär’s denn gewesen, wenn die Kontrollanrufe, die Anna gelegentlich erhält, gar nicht von ihrem Vater, sondern von ihrem Mann stammen würden? Ihr berufliches Schaffen in den USA hätte eine Flucht vor ihren Beziehungsproblemen in Europa sein können. Auch das wäre zusätzliches Konfliktpotenzial gewesen.

Mike Mills hat in seiner Tragikomödie autobiographische Erlebnisse verarbeitet. Das ist einerseits ein Vorteil, andererseits kann man sich zur dramatischen Optimierung einer Geschichte schwieriger vom Erlebten lösen. Schließlich ist es ja so oder so ähnlich passiert. Sinnvoll wäre es aber, das Autobiographische als eine Art Steinbruch zu betrachten, an dem man sich gelegentlich bedient und das man auch verändern, dramatisieren darf und sollte.

Fazit

Insgesamt ist „Beginners“ eine kluge, sehr gut gemachte und unterhaltsame Tragikomödie, die berührt. Da waren keine Anfänger am Werk. Knapp zwei Stunden geschenkte Lebenszeit.

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Der Hund bleibt (Yvan Attal) F 2019

Okay, die Franzosen haben’s doch drauf. Daran ändern auch die grottigen Thriller von Olivier Marchal nichts. „Der Hund bleibt“ von Yvan Attal ist eine ebenso kluge wie beschwingte Tragikomödie, eine mit Esprit könnte man präzisieren. Der schöne Filmtitel deutet schon darauf hin, womit wir es hier zu tun haben, um die Konflikte eines Paares, um „Szenen einer Ehe“, aber ohne deren bedeutungsschwangere Schwere. Erzählt wird die Liebesgeschichte eines Mannes und seiner Frau, die seit 25 Jahren zusammenleben und sich nach dem Auszug der vier gemeinsamen Kinder neu sortieren müssen. Sie basiert auf einer Novelle des US-amerikanischen Schriftstellers John Fante (übrigens das Vorbild von Charles Bukowski) aus den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, also zu Zeiten, in denen ein Überleben ohne Smartphone möglich war.

Die Geschichte

Henri ist ein erfolgloser Schriftsteller, Cécile eine desillusionierte Hausfrau, die berufliche Ambitionen dem Familienleben geopfert hat. Auslöser für ihren Konflikt ist der zugelaufene Hund „Stupide“ (frz.: doof), der die schlechte Angewohnheit hat, gelegentlich andere Männer zu bespringen, was ihm das Etikett „schwuler Hund“ einbringt. Jedenfalls verlassen die Kinder – eines nach dem anderen – das Elternhaus, was eigentlich sowieso an der Zeit ist. Auch Cécile nutzt eine Affäre mit dem Professor ihres Sohnes, um ihre Sachen zu packen. Erst jetzt, als sein Traum nach Ruhe in Erfüllung geht, setzt Henri sich mit seinem Leben auseinander. Das Resultat ist ein neuer Roman, der sein Familienleben verarbeitet und dem Paar die Chance für einen Neuanfang bietet.

Machart

Der Off-Erzähler sorgt nicht nur für ein forsches Erzähltempo, er etabliert auch den atmosphärischen Grundtenor dieser Tragikomödie: selbstironisch, sarkastisch, schwarzhumorig. Schön sind auch Henris „Gespräche“ mit dem Hund, der ihn als einziger zu verstehen scheint: „Deine Kinder werden immer größer und du wirst immer kleiner.“ Beim Sinnieren kommt er zum Schluss, dass ein Lebewesen eigentlich nur zufrieden sein kann, wenn es ein Hund ist.

Die Unterteilung in Kapitel bietet sich an, zumal wir es hier mit einer Literaturverfilmung und einem schreibenden Protagonisten zu tun haben. Schön sind auch die einleitenden Subtraktionen: Immer wenn ein Kind das Haus verlässt, stellt Henri eine kleine Rechnung auf: 4 – 1 = 3 usw. Nur als Cécile als letzte das Haus verlässt, schlägt die Abrechnung ins Negative um: 4 – 5 = -1. 

Überraschungen

Immer wieder wartet der Film mit Überraschungen auf: Ausgerechnet Noé, der brave Sohn, bekommt Ärger mit der Polizei. Ausgerechnet Rafaels Freundin, die Cecile als „Nutte“ bezeichnet, will nach Diagnose einer Schwangerschaft das gemeinsame Kind behalten. Ausgerechnet der renitente Gaspard zieht ein versöhnliches Resumé vor seinem Weggang: „Ich hab hier gern gewohnt.“ Sehr schön auch die Szene im Parkhaus, als Henri sich reumütig bei Cécile entschuldigt und Läuterung gelobt. Nein, sie fällt ihm nicht um den Hals wie man vielleicht erwarten könnte. So einfach ist das nicht. Für eine wirkliche Annäherung bedarf es anderer Sachen. 

Dialoge

Sie sind schonungslos und pointiert: „Wie lange habe ich darauf gewartet, dass mein Sohn mir seine Nutte vorstellt?“ In dieser Familie nimmt niemand ein Blatt vor den Mund. Nichts wird unter den Teppich gekehrt: „Du kennst den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur?“ Auch wenn einer über den anderen lästert, ist es nie abwertend oder beleidigend. Im Gegenteil. Man spürt die darin enthaltene Zuneigung und Liebe. Diese Dialogkultur hat eigentlich Vorbildcharakter für andere Familien. Sie schafft letztlich eine angenehmere Atmosphäre, keine falsche Harmonie, keine Beklommenheit.

Fazit

Es gibt Filme, die einem die Lebenszeit rauben. „Der Hund bleibt“ macht das Gegenteil. Er ist lebensbejahend, geistreich und witzig, ohne dabei je gefühlsduselig oder pathetisch zu werden.

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Anora (Sean Baker) USA 2024

Endlich mal wieder ein Oscargewinner, der es verdient hat. „Anora“ ist eine moderne Aschenputtel-Variante, wobei sich der Prinz hier als vergnügungssüchtiger Schnösel entpuppt und seine Eltern als russische Oligarchen, also Mafiosi. Ein großer Vorteil ist auch, dass hier eine ganz einfache Geschichte erzählt wird, ohne Schnickschnack. Die Tragikomödie ist im Stile eines Dokumentarfilms gedreht, authentisch, packend und ganz nah dran an seiner herausragenden Hauptdarstellerin. „Anora“ hat Witz, Spannung, gute Dialoge, eine exzellente Kameraarbeit und ist gekonnt inszeniert.

Heldin

Star des Films ist die 23-jährige Anora, oder Ani wie sie genannt werden möchte. Sie arbeitet als Stripperin in einem Nachtclub. Manchmal gibt es spezielle Wünsche, wie die des jungen Ivan, die es dann zu erfüllen gilt.
Ani ist die Ambivalenz in Person: Sie ist charmant und rotzfrech, naiv und schlau, romantisch und renitent, lieb und kämpferisch, prollig und weltgewandt. Ihr Fluchen und ihre Naivität haben etwas Sympathisches. „Freut mich, Sie endlich kennenzulernen“, begrüßt sie Ivans Mutter, die Ani wie Luft behandelt. Einmal begehrt sie auf und droht der Oligarchin mit einem Anwalt, um ihre Rechte als Ehefrau einzuklagen. Die Reaktion lässt sie verstummen. Ani ist nicht blöd. Sie begreift sofort, dass diese Leute nicht zögern würden, ihr Leben zu zerstören. Sie handelt noch nicht mal ihre Abfindung von 10.000 Dollar in die Höhe. Sonst hat Ani immer gehandelt, bei ihrem Honorar, ihrem Ehering. Aber da war es etwas Spielerisches. Jetzt nicht mehr. Auch Ivan holt Ani unsanft aus ihren Träumen, als er die gemeinsame Zeit lapidar zusammenfasst: „Wir hatten Spaß“, und später, um sie vollends auf den Boden der Tatsachen zu holen: „Bist du blöd?“ 

Figuren

Auch alle anderen Figuren sind herausragend besetzt. Der pubertierende Ivan, der den Akt nur als hektische Kopulationsnummer kennt und anschließend seine Playstation traktiert. Alles, was seine „Freunde“ später bei der Suche nach ihm sagen können: „ Der macht gute Partys“. Die beiden Handlanger des Oligarchen, Igor und Garnick, haben so gar nichts mit den gängigen Klischees von russischen Gangstern gemein. Patenonkel Toros, Ivans Aufpasser, der zur Tarnung als russisch-orthodoxer Priester arbeitet, klärt Ani auf: „Ivan ist noch ein Kind“ und „Ich hab’ kein Instagram. Ich bin ein Erwachsener“. Igor entwickelt im Laufe des Geschehens echte Zuneigung für Ani. Nach der Annullierung der Ehe lässt er sich zu folgender Bemerkung hinreißen: „Ich finde, Ivan sollte sich entschuldigen.“ Das ist mutig, auch wenn er sofort wieder in die Schranken gewiesen wird.

Oligarchen

Die entschuldigen sich natürlich nicht. Überhaupt ist die Darstellung der Superreichen sehr stimmig. Im Privatjet kommen sie angedüst, um den Müll wegzuräumen, den ihr Filius angehäuft hat. Dafür machen sie sich nicht ihre Finger schmutzig. Dafür haben sie ihre Leute. Beim Verlassen der Villa mit teilweise demolierter Inneneinrichtung steckt Toros den Putzfrauen ein paar Extra-Scheine zu: „Bisschen unordentlicher als sonst“. So läuft das. Mit Geld kann man den Dreck schnell und effektiv beseitigen. Aber eben nicht alles. Die Probleme mit ihrem pubertierenden Jüngling sind eben ganz irdischer Natur. Da hilft auch kein Reichtum. Hilfsbereitschaft oder Zärtlichkeit hat keinen Platz in dieser Welt. Nicht bei den Reichen. Die gibt es außerhalb, zum Beispiel als Igor nach der Annullierung der Ehe Ani wieder nach Hause begleitet. Da legt er im Flugzeug eine Decke über die Schlafende. Bei all dem spürt man: Sean Baker hat eine Liebe für seine Figuren und ihre Marotten – für alle und das ist schön.

Erwartungshaltung

Jeder Zuschauer hat (ab einem gewissen Alter) hunderte, tausende Filme gesehen und sozusagen auf seiner inneren Festplatte abgespeichert. Szenen mit Wiedererkennungswert werden automatisch mit dem Speichermaterial abgeglichen. Bei einer Übereinstimmung wird die Erwartung des Zuschauers bestätigt. Wiederholt sich dieser Vorgang, dann tritt – genau – Langeweile ein. Überraschungen sind eben ein wichtiger Baustein der Dramaturgie. Beispiel: Aus den eher einfach gestrickten Thrillern „John Wick“ oder „The Equalizer“ kennen wir russische Mafiosi, d.h. wir glauben sie zu kennen. Sie werden uns präsentiert als tätowierte, Wodka trinkende, unterbelichtete, brutale Schläger und wir sind meist froh, wenn sie auf der Strecke bleiben. Ist ja nicht schade um sie. Es sind Abziehbilder. In „Anora“ sind alle Mafiosi konsequent gegen den Strich gebürstet. Das ist zum einen glaubhafter und auch überraschender, also dramatischer. Desgleichen Anis Arbeitgeber, als sie ihm mitteilt, außerplanmäßig eine Woche Urlaub zu nehmen. Der ist zwar nicht begeistert, lässt sie aber bereitwillig ziehen. Auch das ist überraschend, zumal in diesem Milieu.

Gewalt

In einem Interview moniert Sean Baker die Bereitschaft, Gewalt im Gegensatz zur Sexualität in der filmischen Darstellung bereitwillig zu akzeptieren. Das mag auch dominant ein amerikanisches Problem sein (Puritanismus)? Aber er hat recht. Wie viele Filme mit der Darstellung exzessiver Gewalttaten gibt es im Vergleich mit denen lustvoller Sexualität? In jedem Fall dominiert die Gewalt. Nicht so in „Anora“. Auch in diesem Punkt wird die Erwartungshaltung immer wieder durchbrochen. Ständig erwarten oder befürchten wir, dass die russischen Kettenhunde endlich mal zuschnappen. Pustekuchen.

Einmal wird Ani von Igor und Garnick gefesselt. Aber das ist eher eine Slapstickszene. Dann demoliert Igor die Inneneinrichtung eines Geschäfts, aber ansonsten ist es Anora, die zuschlägt und zum Beispiel Garnick mit einem Fußtritt die Nase bricht. Später liefert sie sich noch eine Prügelei mit einer eifersüchtigen Kollegin. Aber die Mafiosi verhalten sich konträr zu unseren Erwartungen, gerade die, die sich die Finger schmutzig machen könnten oder sollten. Die sind beschwichtigend, vergleichsweise zurückhaltend oder auch hilfsbereit (Igor). Sie haben ja auch ganz andere Möglichkeiten, ihre Ziele durchzusetzen. „Anora“ ist gewissermaßen ein Anti-Tarrantino.

Dramaturgie

Die Hindernisse sind alltäglicher Natur. Es ist die Mitbewohnerin, die morgens in Anis Zimmer platzt, sie weckt und nach der Milch fragt. Garnick, der sich in Toros Wagen nach seinem Nasenbruch übergeben muss. Der Abschleppwagen, der Toros Wagen bei ihrer Suche nach Ivan schon am Haken hat. Dabei verleihen die sich ständig überlappenden Dialoge und Aktionen dem Film eine unglaubliche dramatische Dichte. Es steckt sehr viel drin. Man muss sich schon konzentrieren. Auch das ist gut, sehr gut.

Schwachpunkt

Singular. Es gibt nur einen, aber einen gravierenden: Das erste Drittel ist viel zu lang. Irgendwann wird das Partyleben öde. Das ist ganz amüsant und interessant, aber nicht 30 Minuten. Auch hier bewahrheitet sich Patricias Highsmiths Postulat: „Eine gute Story beginnt so nahe wie möglich vor ihrem Ende“. Also die Hochzeit und das Eintreffen der Antagonisten müssten eher platziert werden. Es ist ja auch nicht so, dass hier eine große Liebesgeschichte erzählt wird. Die Begegnung zwischen Ani und Ivan hat von Anfang an etwas Flüchtiges. Eigentlich hat sie kein Fundament und keine Zukunft, auch wenn sie sich mögen. Hier geht es ja nicht um die Liebe des Lebens, wie etwa in „Die Brücken am Fluss“ von Clint Eastwood. Ein Grund mehr, eher zu Potte zu kommen.

Finale

Am Ende ist Anora wieder da, wo sie hergekommen ist. Alles ist wieder an seinem Platz. Ihre Koffer stehen wieder vor ihrem Wohnhaus. Auch mit Igor wird es keine Zukunft geben, obwohl sie beim Abschied von ihren Gefühlen übermannt wird und beim Quickie in seinem Wagen weinend auf ihm zusammenbricht. Jetzt fällt die ganze Anspannung von ihr ab. Das Resultat ihrer einwöchigen emotionalen Achterbahnfahrt. 

Fazit

Der Film ist witzig, unterhaltsam, spannend, interessant, erhellend, wirkt nach – kurz: „Anora“ macht einfach Spaß! Großes Kino!!

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für Anora.

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Philomena (Stephen Frears) GB 2013

Zum einen beruht „Philomena“ von Stephen Frears auf einer wahren Begebenheit, die nicht für eine abendfüllende, dramatische Erzählung taugt. Zum zweiten halten die Filmemacher sich auch noch eng an das Korsett dieser ungeeigneten Vorlage. Sogenannte wahre Begebenheiten sollte man aber als ein Art Steinbruch betrachten, von dem man nur konfliktreiche Elemente benutzt, um sie dann entsprechend zu gestalten. Hier ist aber eine über weite Strecken langweilige und betuliche Tragikomödie entstanden, woran auch eine originelle Protagonistin (hervorragend: Judi Dench) und ein paar witzige Dialoge nichts ausrichten kann.

Die Geschichte

Ist schnell erzählt. Die fast 70-jährige Philomena spürt gemeinsam mit dem Journalisten Martin Sixsmith ihrem leiblichen Sohn Anthony nach. Der wurde im Alter von vier Jahren von den Nonnen eines irischen Klosters an wohlhabende Adoptiveltern verkauft. Per Vertrag wurde Philomena zu einem Verzicht auf das Sorgerecht genötigt. Auf Befragung weiß die Leiterin des Klosters angeblich nichts über den Verbleib ihres Sohnes. Die Spur führt die ungleichen Ermittler schließlich in die Vereinigten Staaten, wo sie aber feststellen müssen, dass Anthony bereits vor Jahren verstorben ist. Philomenas größte Sorge, dass sie in den Erinnerungen ihres Sohnes keine Rolle gespielt hat, kann sein Lebensgefährte Pete aber zerstreuen. Anthony war vor seinem Ableben im Kloster und ist dort auf dem Friedhof begraben. Konfrontiert mit ihren Falschaussagen weisen die verantwortlichen Nonnen alle Schuld von sich. Philomena vergibt ihnen, um endlich Ruhe zu finden. 

Die Figuren

Nahezu vorbildlich ist die Konzentration auf die Heldin, die in fast allen Szenen präsent ist. Ein Fehler dagegen ist es, sie in gezeigtem Ausmaß als Opfer zu stilisieren. Warum? Weil es zur Distanzierung beiträgt. Hätte sie Schuld auf sich geladen, hätten wir mehr mit ihr mitzittern können. Ein weiterer Fehler ist die Figur des arroganten Journalisten Martin, eines in Oxford studierten Schnösels, der Philomena und ihresgleichen für „schwache, ungebildete Menschen“ hält. Auch wenn im Verlauf des dünnen Geschehens eine Nähe zwischen den Protagonisten entsteht, weckt er nie Gefühle.

Redundanz

Martins Ehefrau moniert das vorzeitige Verlassen ihres Mannes bei einem öffentlichen Vortrag. Martin und Philomena unterhalten sich bei ihrer Fahrt zum Kloster über die Vorzüge seines Mietwagens. Martin trifft einen ehemaligen Kollegen im Flugzeug, der im Gegensatz zu ihm Business-Class fliegt. Philomena schlürft vor dem Start des Flugzeugs einen Cocktail oder fährt im Fahrstuhl eines New Yorker First-Class-Hotels nach unten. Dann gibt es Aufnahmen von diversen Anfahrten zu meist üppig ausgestatteten Anwesen. Nur, was hat das alles mit der Erzählung zu tun?

Weitere Schwächen

Ein großer Fehler ist auch das Ableben von Philomenas Sohn. Damit verzichten die Filmemacher auf eine hochdramatische Konfrontation, nämlich auf den Vorwurf des Sohnes an die Mutter, sie verkauft zu haben. Das Ende ist eine erzählerische Katastrophe. Philomena vergibt ihrer ärgsten Widersacherin, womit die Täter mal wieder davonkommen. Der christliche Akt der Vergebung mag im realen Leben ganz schön sein, eine Erzählung benötigt aber eher das Gegenteil, also Dramatik. Im Rachethriller „Man on Fire“ lässt Ridley Scott seinen Helden zu diesem Aspekt folgendes verlauten: „Vergeben kann nur Gott. Ich stelle nur den Kontakt her.“

Lösungen

Philomena müsste eine Schuld auf sich geladen haben. Also, im katholischen Irland des vorigen Jahrhunderts hat sie ein uneheliches Kind zur Welt gebracht. In ihrer Verzweiflung legt sie ihr Neugeborenes am Eingang des Nonnenklosters ab. Sie klingelt und versteckt sich. Die Nonnen kümmern sich um ihr Baby. Ca. fünf Jahre später (nicht 50!) leidet Philomena mehr denn je unter ihrer Verzweiflungstat. Sie sucht das Kloster auf und erhält nur vage Auskünfte. Jetzt muss sie an die Identität der Adoptiveltern gelangen. Wie? Informationen kann sie (wie im Film) in der Kneipe des nahegelegenen Dorfes bekommen. Das örtliche Hotel könnte die Personalien der dort abgestiegenen Adoptiveltern archiviert haben. Eine der Nonnen, die unter Gewissensbissen leidet, könnte sich Philomena anvertrauen. Möglicherweise haben auch ältere Kinder im Kloster immer die Autokennzeichen der Adoptiveltern notiert. Jedenfalls hat Philomena erstmal zu tun, um deren Adresse ausfindig zu machen.

Das Drama

Irgendwann gelangt sie zum Anwesen der Adoptiveltern. Beim Empfang wird sie gefragt, ob sie sich für die freie Stelle der Haushälterin bewirbt? Philomena bejaht und wird eingestellt. So trifft sie zum ersten Mal auf ihren Sohn. Das ist Suspense. Wir wissen um ihre Gefühle, die sie nicht zeigen darf. In der Folgezeit kämpft Philomena um eine Annäherung. Aber für den verwöhnten Bengel ist sie nur ein Kindermädchen von vielen. Ihre Versuche, eine Nähe aufzubauen, scheitern. Irgendwann wird sie als leibliche Mutter enttarnt.

Klimax

Jetzt ist das Drama komplett: Philomena hat immer davon geträumt, dass ihr eigener Sohn sich in ihre Arme wirft. Stattdessen ist sie für ihn nur eine fremde Frau. Die Adoptivmutter wirft Philomena hinaus. Sie ist am Boden zerstört. Auch ihr Selbstmordversuch scheitert. In der Klinik lernt sie einen durchtriebenen Journalisten kennen. Gemeinsam entwickeln sie einen Plan: Beide geben sich beim Kloster als reiches Paar auf der Suche nach Adoptivkindern aus. Philomena in Verkleidung. Der Deal geht leichter über die Bühne als gedacht. Die Nonnen sind an Geld interessiert, weniger an den Dokumenten des vermeintlichen Paares. Der Journalist veröffentlicht seine Story. Die Polizei ermittelt im Nonnenkloster wegen Sklaverei und Menschenhandel. Gegen die Strippenzieher wird  Anklage erhoben. Sämtliche Adoptionen werden überprüft. Philomena verzichtet auf Ansprüche an ihren leiblichen Sohn. Der Familienrichter spricht ihr das Sorgerecht für ihren adoptierten Sohn zu, zumal deren leibliche Mutter verstorben ist und der Vater auf Ansprüche verzichtet. Möglicherweise verlieben Philomena und der Journalist sich auch ineinander? Das wäre dann die Hollywood-Variante.

Fazit

Der Film verzichtet auf nahezu alle interessanten Aspekte dieses Falls von kirchlich getarntem Menschenhandel. Alle Täter und Mittäter, also die, die ihre Augen verschlossen haben, bleiben hier verschont. So einen mutlosen Film haben die tausenden von Müttern, die auf diese Weise ihre Kinder verloren haben, wahrlich nicht verdient.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 2 blaue Smileys und 5 schwarze traurige Gesichter für Philomena.

Mein bester Freund (Patrice Leconte) F 2006

Die Franzosen haben’s schon drauf! Drehen einfach einen tragikomischen Spielfilm über ein scheinbar banales Thema wie Freundschaft. Mit „Mein bester Freund“ ist Patrice Leconte ein ebenso witziges wie ernsthaftes kleines Meisterwerk gelungen, zudem mit einem klassischen Erzählmotiv: Die Wette. Die wird zwischen dem profitgierigen Kunsthändler Francois Coste (Daniel Auteuil) und seiner Geschäftspartnerin Catherine abgeschlossen, die ihm tiefergehende menschliche Gefühle abspricht. Nun hat er 10 Tage Zeit, um einen echten Freund zu präsentieren. Der Einsatz ist eine teure antike Vase, die – einer Legende nach – der Besitzer nach dem Verlust seines besten Freundes mit seinen Tränen gefüllt hat.

Die Geschichte

Einen Freund aufzutreiben kann doch nicht so schwer sein? Also begibt Francois sich im Bekanntenkreis auf die Suche und erhält eine Abfuhr nach der anderen. Aber noch ist ja Zeit. Francois beginnt zu recherchieren und lernt dabei den sympathischen Taxifahrer Bruno (Danny Boone) kennen, der sich als Quasselstrippe und Wissensfreak entpuppt. Den engagiert Francois als Lehrer. Aber leider suchen alle Menschen das Weite, sobald Francois die erhaltenen Lektionen anwendet. Aber es gibt einen kleinen Nebeneffekt: Bei diesem Nachhilfeunterricht kommt das ungleiche Paar sich näher. 

Freundschaft

Nach der Definition von Catherine ist ein Freund bereit, Risiken für den anderen einzugehen. Also schlägt Francois vor, die antike Vase zu stehlen, um einen Versicherungsschaden vorzutäuschen. Und tatsächlich lässt der gutmütige Bruno sich auf diesen Betrug ein. Als er nachts die Vase entwenden will, wird er jedoch von Francois und anderen Zeugen überrascht. Der reklamiert den Gewinn der Wette für sich, weil Bruno den perfekten Freundschaftsbeweis erbracht hat. Letzterer sieht, dass er nur benutzt wurde, zerschlägt die Vase und verschwindet.

Wer wird Millionär?

Aber die Vase war nur eine Replik, die Catherine hat anfertigen lassen. Die echte überlässt Francois einem Kaufinteressenten, der in seiner Funktion als Fernsehproduzent Bruno in seiner Ratesendung unterbringt. Bei der 1-Million-Euro-Frage zieht Bruno seinen letzten Joker, um eine Spezialfrage aus dem Gebiet der Kunst zu beantworten. Dieser Experte ist natürlich Francois. Bevor der die Frage richtig beantwortet und damit Bruno zum Millionär macht, kommt es vor dem Fernsehpublikum zu einer kontroversen Aussprache zwischen beiden. Danach dauert es ein ganzes Jahr, bis die beiden sich scheinbar zufällig im Restaurant wiedertreffen. Dabei macht Bruno sich über Francois lustig, zahlt es ihm sozusagen mit gleicher Münze heim. Erst jetzt hat ihre Freundschaft ein Fundament.

Figuren

Sehr schön ist das Opening in der Kirche, das Francois treffend charakterisiert: hinterhältig, skrupellos und geldgierig. Überhaupt ist er der stärkere der beiden Hauptfiguren. Sein Sarkasmus ist ebenso herrlich, wie seine Verwunderung angesichts der Erkenntnis, dass niemand etwas näher mit ihm zu tun haben will. Bruno ist so ziemlich das genaue Gegenteil: freundlich, empathisch und hilfsbereit. Er kann aber auch eine kleine Nervensäge sein und beglückt jeden, ob er es nun hören will oder nicht, mit seinem antrainierten lexikalischen Wissen. Dass auch Bruno einen „besten Freund“ sucht, ist eines der kleinen Geheimnisse, die dieser Film immer wieder in petto hat. Er leidet nämlich unter dem Verlust seines besten Freundes, der mit seiner Frau auf und davon ist.

Odd-Couple

Im Grunde agiert hier ein klassisches Odd-Couple-Paar: Zwei völlig gegensätzliche Charaktere, die aufgrund äußerer Umstände, hier: die Wette, aneinander gekettet sind (wie zum Beispiel in „Gloria“ von John Cassavetes oder „Midnight Run“ von Martin Brest). Sehr schön ist auch, dass ihre Annäherung am Ende ohne Rührseligkeit und Pathos auskommt. Das wird ohne viel Aufhebens erledigt, eben so wie Freunde es untereinander handhaben würden.

Definition

Was macht überhaupt einen Freund aus? Wie definiert man Freundschaft? Der Film liefert eine ganze Reihe von Erklärungsmodellen: „Bei Geld hört die Freundschaft auf“ oder „Bei Geld fängt die Freundschaft an“. Bruno meint: „Wenn es (Freundschaft) mit jedem ist, ist es mit niemandem“ oder bei Freundschaft „gibt es keine Hintergedanken“. Damit trifft er natürlich den wunden Punkt von Francois, der die Freundschaft plant, wie einen Kunstdeal. Immerhin lässt der am Ende  mit einem Zitat aus „Der kleine Prinz“ Lernbereitschaft erkennen: „Wenn du mich zähmst, werden wir einander brauchen.“ 

Schwächen

Die Pretitle-Sequenz mit einem statischen Mosaik als Hintergrundbild hätte etwas einfallsreicher gestaltet werden können. Warum nicht ein kleines Kunstwerk zu Beginn – es geht doch hier um Kunst -, wie Ridley Scott es zum Beispiel in „Man on Fire“ demonstriert hat? Das Lampenfieber, das Bruno stets im Scheinwerferlicht befällt, wirkt ein bisschen übertrieben. Catherines Anschaffung einer Kopie der Vase wirkt reichlich unglaubwürdig. Wozu überhaupt? Wäre doch viel dramatischer gewesen, wenn Bruno in seinem Zorn eine 200.000 Euro teure Vase zerstört hätte. Das hätte die Fallhöhe erhöht und am Schluss unsere Ahnung bestätigt, dass bei Geld die Freundschaft anfängt und nicht aufhört. 

Fazit

„Mein bester Freund“ ist ein ebenso schwarzhumoriger wie charmanter Film mit einem philosophischen Hintergrund, der beseelt und zum Nachdenken anregt.

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Die Kinder des Monsieur Mathieu (Christophe Barratier) F 2004

„Die Kinder des Monsieur Mathieu“ ist ein wundervoller Film mit einem klassischen Erzählmotiv: Gestrandet („Robinson Crusoe“, Castaway“ usw.) Der arbeitslose Musiklehrer Clément Mathieu strandet kurz nach dem 2. Weltkrieg als Aufseher in einem Heim für schwer erziehbare Jungen. Der Film ist eine Hommage an die Rebellion gegen rigide Erziehungsmethoden, an die Kindheit und die Kraft der Musik, die verlorenen Seelen Mut und Selbstvertrauen einflößen kann. Der Film stellt auch einen Haufen benachteiligter Kinder auf ein Podest, macht sie zu Helden und erinnert damit an Truffauts Meisterwerk „Taschengeld“.

Prolog

Auf der DVD gibt es eine sehr schöne Einführung des Schweizer Produzenten Arthur Cohn, der seine Beweggründe darlegt, „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ gegen alle Widrigkeiten zu realisieren. Damit macht Cohn auch auf ein zentrales Motiv des Protagonisten aufmerksam, der immer seine Schlupflöcher gesucht hat, um seine Ziele zu erreichen. Mathieu ist der Anwalt der Aussortierten, die nichts haben, „nur hoffen und träumen können.“ Und mit Mathieu können sie das.

Die Geschichte

Es beginnt damit, dass der erfolgreiche Dirigent Pierre Morhange die Nachricht vom Tod seiner Mutter erhält. Nach der Beerdigung in Frankreich überreicht ihm sein alter Schulfreund Pépinot das Tagebuch ihres ehemaligen Aufsehers Clément Mathieu. Rückblende. Mathieu tritt eine Stelle als Aufseher in einem Internat für schwer erziehbare Jungen an. Dort führt Direktor Rachin ein rigides Regiment, das bedingungslosen Gehorsam einfordert. Erpressung, Denunziation und Bestrafung sind sein Instrumentarium. 

Der Rebell

Schnell widersetzt Mathieu sich diesen Regeln, indem er den Urheber eines üblen Streiches deckt und ihm eine Chance auf Wiedergutmachung gibt. Im Unterricht nimmt Mathieu die Jungen ernst und fordert sie. Er lässt sie ihre Träume auf einem Zettel aufschreiben. Trotzdem wird er zur Zielscheibe ihres Spotts und ihrer Streiche. Nach dem Diebstahl seiner Aktentasche, die lauter Notenblätter enthält, findet er die Übeltäter in der Toilette. Anstatt sie zu bestrafen, lässt er die Jungen Lieder vorsingen.

Das Talent

Der junge Pierre Morhange muss, nachdem er sich über den Direktor lustig gemacht hat, in den Karzer. Als seine schöne Mutter zu Besuch kommt, verliebt Mathieu sich auf der Stelle in sie. Die Abwesenheit ihres Jungen entschuldigt er mit einer Notlüge, um sie zu schützen. Im Unterricht lässt Mathieu die Jungen einzeln vorsingen und übt mit ihnen. Rachin ist zwar wenig begeistert, lässt den Chor jedoch vorerst gewähren. Mathieu beobachtet, wie Pierre heimlich Passagen einstudierter Lieder nachsingt und ist von seiner Stimme überwältigt. Er fördert den hochtalentierten Jungen und baut ihn als Solosänger in den Chor ein. 

Der Katalysator

Neu im Internat ist der etwas ältere und aggressive Mondain, der Mitschüler und Lehrer drangsaliert. Als Mondain plötzlich verschwindet und mit ihm 2.000 Franc ist Rachin außer sich vor Wut. Er verordnet harte Sparmaßnahmen und verbietet weitere Chorproben. Mathieu geht mit seinen Schülern in den Untergrund. Die Übungen finden nun im Schlafsaal vor dem Zubettgehen statt. Außerdem macht er Pierres Mutter auf die besondere Begabung ihres Sohnes aufmerksam und schlägt den Besuch eines Konservatoriums vor. 

Eifersucht

Pierre reagiert eifersüchtig auf Mathieus Schwärmereien und überschüttet ihn mit dem Inhalt eines Tintenfasses. Der versteht zwar die Gefühle seines Schülers, verbannt ihn aber zur Strafe aus dem Chor. Aber auch Mathieus Gefühle erhalten einen Dämpfer. Die Mutter hat jetzt einen jüngeren Freund und geht auf seine Avancen nicht ein. Als die Mäzenin des Internats zu Besuch kommt, ist die Darbietung des Chors ein voller Erfolg. Dazu trägt vor allem Pierres Soloeinlage bei, dem Mathieu verziehen hat.

Showdown

Die gestohlenen 2.000 Franc werden bei einem anderen Schüler entdeckt. Die Unschuld Mondains interessiert Rachin allerdings nicht. Er ist mehr an einer Auszeichnung interessiert, die ihm in Lyon überreicht werden soll. In seiner Abwesenheit wird das Internat von Mondain in Brand gesetzt. Rachin wirft Mathieu Verletzung seiner Aufsichtspflicht vor und entlässt ihn. Er darf sich noch nicht einmal von seinen Schülern verabschieden. Als Mathieu vor den Mauern des Internats zum Bus geht, begleitet ihn der Gesang seiner Schüler und Papierflugzeuge mit Grußbotschaften, die aus den Fenstern auf ihn herabschweben. Das Ende wirkt eher wie ein Traum: Mathieu nimmt Vollwaise Pépinot mit auf seine Reise.

Stärken

Clément Mathieu liebt seine Schüler und seinen Beruf. Er nimmt die  Kinder ernst und fordert sie. Das ist genau das, was sie brauchen und sie wollen ihn unter keinen Umständen enttäuschen. Wie seine Chorknaben voller Inbrunst singen, das ist einfach schön. Ein Lehrstück für Pädagogik. Der Film ist auch brillant fotografiert und bis in die kleinsten Nebenrollen herausragend besetzt. Im Gesicht des aggressiven Mondains spiegelt sich die ganze Hoffnungslosigkeit verkorkster Jugendfürsorge. Der Film beschönigt nichts. Er zeigt die Kinder wie sie sind, in ihrer Verspieltheit, Direktheit und auch in ihrer Brutalität. Gut auch, dass Themen wie Missbrauch und Suizid nicht verschwiegen, aber nur angerissen werden. Sie hätten die eigentliche Geschichte und ihren positiven Grundtenor zerstört (s.a. Hitchcocks Anmerkungen zum Verrat am Kino).

Antagonist

Von diesem Antagonisten hätte sich „Thelma – Rache war nie süßer“ nur eine kleine Scheibe abschneiden müssen. Rachin begrüßt Mathieu im Internat mit der zynischen Bemerkung, dass er seine Ideale hier schnell verlieren werde. „Aktion – Reaktion“ ist sein Diktum. Was er darunter versteht, erfährt man sofort: Gnadenlose Bestrafung für die (vermeintlichen) Querulanten. Mit Sarkasmus geizt er nicht: „Nie werden Sie einen anständigen Ton aus denen rauskriegen.“ Rachin schämt sich auch nicht, den Erfolg des Chores als den eigenen auszugeben. Er ist einfach ein wundervoller Bösewicht.

Schwächen

Einziger Schwachpunkt: Mathieu macht eigentlich alles richtig. Nur ein einziges Mal, als er Opfer seiner Gefühle wird und Pierre bestraft, fällt ein Schatten auf sein Handeln. Die Vergebung lässt nicht lange auf sich warten.

Fazit

„Die Kinder des Monsieur Mathieu“ von Christophe Barratier ist ein bewegender Film, der unsere Seele berührt und Hoffnung schenkt.

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