Benny & Joon (Jeremiah S. Chechik) USA 1993

„Benny & Joon“ von Jeremiah S. Chechik ist eine märchenhafte Liebesgeschichte, die das Zusammenleben mit psychisch Behinderten thematisiert. Sehr schön ist die ganz irdische und wenig märchenhafte Ausgangssituation für den Automechaniker Benny (Aidan Quinn): Nach dem Unfalltod der Eltern fühlt er sich für seine psychisch kranke Schwester Joon (Mary Stuart Masterson) verantwortlich. Dabei wirft der Film die Frage auf, inwieweit man sich für einen anderen Menschen aufopfern und das persönliche Wohlergehen hinten anstellen sollte? Wo ist die Grenze? Wann kippt eine Hilfestellung für andere Menschen ins Gegenteil? Im Grunde kann man diese Fragestellung auf andere Abhängigkeitsmodelle übertragen. Also, kann zum Beispiel die übermäßige Fürsorge einer alleinerziehenden Mutter für ihr einziges Kind nicht kontraproduktiv sein? Ist die Aufopferung für ein pflegebedürftiges Elternteil sinnvoller als die Betreuung in einem Seniorenheim usw.?

Die Geschichte

Schon gleich zu Beginn weist Benny die Avancen einer jungen Kundin zurück. Dabei dominieren Missverständnisse. Während die junge Frau die Absage auf ihre Person bezieht, wissen wir den wahren Grund. Benny ist ein Gefangener seines Verantwortungsgefühls für seine pflegebedürftige Schwester. Das ändert sich erst, als Joon beim Pokern mit Bennys Freunden den scheinbar nichtsnutzigen Sam (Johnny Depp) „gewinnt“. Der neue Untermieter erweist sich mit seinen originellen und komödiantischen Einfällen allerdings schon bald als Glücksfall und kann Joons Herz erobern. Darauf reagiert Benny eifersüchtig, weshalb er Sam hinauswirft. Erst als Joon auf ihrer gemeinsamen Flucht mit Sam in der Psychiatrie landet, erkennt Benny seinen Fehler. Trickreich gelingt es ihm zusammen mit Sam, Joon aus der Klinik zu „befreien“. Sie wagt den Sprung in die Eigenständigkeit und will mit Sam zusammenziehen.

Die Figuren

Der Film punktet mit interessanten und originellen Figuren. Man versteht Bennys Motive, die im Grunde ja nicht egoistisch sind. Man zittert mit ihm mit, dass er doch noch die Kurve kriegt und in der Lage ist, auch mit anderen Frauen eine Beziehung einzugehen. Sam ist eine Phantasiefigur, die manchmal im Baum hockt, Passagen von Horrorfilmen rezitiert oder Bügeleisen zweckentfremdet. Trotz seiner Stilisierung überwiegt das Positive. Er ist immer für eine Überraschung gut und kann mit seinem pantomimischen Talent andere Menschen zum Lachen bringen.

Da hinkt die Darstellung der Joon etwas hinterher. Eigentlich kommt ihre autistische Erkrankung nur einmal richtig zum Vorschein und zwar auf der Flucht mit Sam, weshalb sie dann ja auch in einer Klinik landet. Jedenfalls ist ihre Darstellung bei weitem nicht so intensiv, wie das Spiel des 9-jährigen Simon in „Das Mercury Puzzle“ (Harold Becker) oder das von Raymond, gespielt von Dustin Hoffman, in „Rain Man“ (Barry Levinson).

Dramaturgie

Interessanterweise heißt der Film „Benny & Joon“ und nicht „Sam und Joon“. Der Fokus liegt also nicht auf der Liebesgeschichte, sondern auf der Beziehung zwischen Krankem und Pflegendem. Folgerichtig kommt es zum Eklat zwischen den Hauptpersonen, als Benny den Pokergewinn seiner Schwester hinauswirft. Fachgerecht wird auch eine Deadline eingebaut, als die Psychiaterin Benny eröffnet, dass die Bewerbungsfrist für das in Frage kommende Pflegeheim in einer Woche endet. Das erhöht natürlich den Druck. Am Ende wagt Joon die Befreiung vom vereinnahmenden Bruder: „Du brauchst meine Krankheit“, wirft sie ihm an den Kopf. Mit Bennys Einsicht, seinem Loslassen gönnen die Filmemacher der Geschichte ein Happy End.

Ungereimtheiten

Das Haus, in dem „Benny & Joon“ wohnen, hat aber auch gar nichts mit den Vorstellungen von der Lebenswelt eines Automechanikers gemein. Es ist eher Bestandteil des Märchens und wirkt wie die Villa Kunterbunt in „Pippi Langstrumpf“. Wer jemals in der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrie war, weiß wie schwer es ist, dort hineinzukommen, geschweige denn wieder heraus. Da hätten die Filmemacher sich etwas mehr Mühe geben können, zumal Hindernisse der Spannung ja nicht abträglich sind. Wieso Joons Psychiaterin in der fremden Klinik auftaucht und dort offensichtlich über Befugnisse verfügt, die über denen der stationierten Ärzte hinausgehen, ist ebenfalls seltsam.

Fazit

Trotz seiner Schwächen und Ungereimtheiten überwiegt das Positive. Dem Film gelingt es, mit einer ganz alltäglichen Problematik eine unterhaltsame Dreiecksgeschichte zu erzählen.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 4 blaue Smileys und 3 schwarze traurige Gesichter für "Benny & Joon".

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