Der unverhoffte Charme des Geldes (Denys Arcand) CND 2018

„Der unverhoffte Charme des Geldes“ ist eine schräge, originelle Robin-Hood-Variante – ein Stelldichein von Losern, Obdachlosen, Models, Gangstern und Finanzgenies. Held ist Pierre-Paul Daoust, ein promovierter Philosoph, der als Paketbote arbeitet. Der Widerspruch in Person, eher unbeholfen und linkisch. Nur an Obdachlosen, für die er sich ehrenamtlich engagiert, geht er nie vorbei, ohne etwas zu spenden. Das Materielle ist ihm scheinbar nicht so wichtig. Aber an zwei Reisetaschen voller Geld, die ihm als Überbleibsel eines Raubüberfalls buchstäblich vor die Füße fallen, geht er dann doch nicht vorbei. Und damit nimmt die Geschichte ihren Lauf.

Figuren

Im Grunde ist Pierre-Paul mit seinem Fund völlig überfordert und bunkert seinen Schatz erst mal in einem Mietcontainer. Ein bisschen zwackt er natürlich für elementare Bedürfnisse ab, zum Beispiel Sex mit einer Frau. So trifft er auf die Edelprostituierte Camille Lafontaine, in die er sich verliebt. Sie ist die zweite im Bunde, der dritte ist das Finanzgenie Sylvain Bigras, genannt „The Brain“. Den weiht Pierre-Paul in seinen Fund ein, damit der ihn zweckmäßig verwaltet. Zusammen mit dem Finanzmogul Wilbrod Taschereau und einer Bankangestellten ist das Quintett vollständig. Sehr schön ist die Verkettung der ins Spiel gebrachten Personen: Ohne die Aneignung des Geldes hätte Pierre-Paul keinen Kontakt zu Camille aufgenommen. Ohne Camille wäre ein Kontakt zu Wilbrod, einem ihrer Ex-Kunden, nie zustande bekommen usw. Alles fügt sich. Nur dieses skurrile Quintett ist in der Lage, den Coup durchzuziehen. Auch die sonstigen Figuren sind nicht minder originell und ebenso hervorragend gecastet.

Genre

Wikipedia und FAZ klassifizieren „Der unverhoffte Charme des Geldes“ als Krimikomödie, der „Filmdienst“ gar als Drama. Nichts davon stimmt. Scheint doch schwieriger zu sein, einen Spielfilm seinem Genre zuzuordnen? Da von Anfang an die Identität des Täters feststeht, geht es mitnichten um die Aufklärung eines Verbrechens. Also, ein Krimi ist es definitiv nicht. Ein Drama schon gar nicht. Da der Held durch seine Aneignung zweier Reisetaschen voller Geld von Anfang an in Gefahr gerät und der komödiantische Grundtenor sich bis zum Ende durchzieht, handelt es sich um einen Genremix aus Thriller und Komödie, also um eine Thrillerkomödie.

Schwachpunkte

Da die Polizei Pierre-Paul verdächtigt, im Besitz des Geldes zu sein und auf Schritt und Tritt observiert, fragt man sich, wieso das Ver- und Ausgraben der Geldscheine nicht beobachtet wird? Überhaupt machen die Ermittler keinen besonders gefährlichen Eindruck. Sie sind zwar eifrig bemüht, kommen aber immer zu spät, zum Beispiel bei der finalen Geldverteilung des Quintetts an Steuerflüchtige. Noch gravierender ist die fehlende Gefahr, die von den Besitzern des geraubten Vermögens ausgeht. Die Mafiosi foltern zwar einen der jugendlichen Gangster des Raubüberfalls, lassen Pierre-Paul und Camille aber ungeschoren. Dieses dramatische Potenzial darf man sich eigentlich nicht entgehen lassen. Vor allem wirkt die Ermordung des konkurrierenden Gangsterbosses Vladimir kontraproduktiv. Von wem wollen die Mafiosi denn jetzt das Geld zurückbekommen? Was hat die Kripo davon, wenn sie am Ende Wilbrod mit einem minderjährigen Model eine Falle stellt? Der Ruf des Finanzmoguls ist zwar ruiniert, aber strafrechtlich wird es schwierig, ihn zu belangen, wie er die Polizisten auch sofort belehrt: „Die Reichen und Mächtigen entkommen der Justiz“.

Lösungen

Vor dem Vergraben des Geldes hätte man nur zeigen müssen, wie Pierre-Paul und seine Freunde sich ihrer polizeilichen Verfolger entledigen. Das Ermittlerduo hätte ruppiger und durchtriebener agieren können. Es hätte zum Beispiel versuchen können, einen Keil zwischen das Quintett zu treiben. Wie wär’s denn gewesen, wenn sie Pierre-Paul mit einem angeblichen Geständnis von „The Brain“ erpresst hätten? Wie wär’s denn gewesen, wenn die Mafiosi mit Hilfe eines Informanten bei der Polizei Pierre-Paul auf die Spur gekommen wäre? Das hätte seine Schwierigkeiten multipliziert. Ohne erzählerische Konsequenzen ist die finale Falle für Wilbrod überflüssig. Eigentlich wäre es viel schöner gewesen, wenn das Model tatsächlich ein Geschenk von Camille gewesen wäre, natürlich ein volljähriges.

Fazit

Das märchenhafte Happy End passt zur komödiantischen Atmosphäre von „Der unverhoffte Charme des Geldes“. Es ist sehr berührend und brillant inszeniert, wenn Pierre-Paul und Camille am Ende dem obdachlosen Jean-Claude eine Wohnung zur Verfügung stellen. Hier wird auch die Philosophie von Denys Arcand extrahiert: Das rücksichtslose Zusammenraffen von Geld macht weniger glücklich als eine sinnvolle Umverteilung. Vergesst die Schwachen nicht! Das ist auch die Botschaft der eindrucksvollen Schlussbilder, die Gesichter von echten Obdachlosen zeigen, in denen sich die Kehrseite eines Lebens im Wohlstand widerspiegelt.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für "Der unverhoffte Charme des Geldes"

Misery (Rob Reiner) USA 1990

„Misery“ von Rob Reiner nach dem gleichnamigen Roman von Stephen King ist ein konzentriertes, schnörkelloses kleines Meisterwerk! Der Großteil dieses Psychothrillers spielt im Haus der ehemaligen Krankenschwester Annie Wilkes (Kathy Bates), die dort den Schriftsteller Paul Sheldon (James Caan) nach einem Autounfall versorgt. Die Pflege entpuppt sich allerdings als lebensbedrohliches Machtspiel. Denn Annie ist eine großer Fan von Pauls Misery-Reihe. Nur mit dem Tod der Heldin in Pauls neuestem Skript ist sie überhaupt nicht einverstanden. Was folgt, ist ein eskalierender Kampf auf Leben und Tod.

Figuren

Wie Kathy Bates die unterschiedlichen emotionalen Befindlichkeiten der Psychopathin spielt, ist einfach genial. Diesen Part hat ihr Drehbuchautor William Goldman förmlich auf den Leib geschrieben. Mit der Besetzung des männlichen Protagonisten war es schon schwieriger. Den wollte aus verständlichen Gründen keiner der angesprochenen Stars spielen. Sie befürchteten einen Imageschaden. Derartige Sorgen umtrieben den mit Drogenproblemen kämpfenden James Caan nicht mehr, weshalb er für diese Rolle prädestiniert war. Sehr originelle Nebenfiguren sind der Sheriff John McCain und seine Frau Virginia, denen man gern bei ihren Kabbeleien und gemächlichen Ermittlungen zuschaut.

Handwerk

Die Kameraarbeit von Barry Sonnenfeld ist brillant. Die bildkompositorischen Auflösungen – mit Nahaufnahmen und Froschperspektiven – sind nie Selbstzweck. Sie ordnen sich stets der Geschichte unter, genauso wie die stimmungsvolle Ausleuchtung. Drehbuch und Regie treiben die Spannung vorbildlich auf die Spitze, angefangen von der ersten Irritation bis hin zum Showdown. Garniert wird das Psychoduell mit wohltuenden, schwarzhumorigen Einlagen. Bei einem ihrer ersten Ausraster fuchtelt Annie die ganze Zeit mit einer von Pauls Urin gefüllten Flasche vor seinen Augen herum. Wenn bei der Schlusspointe die Kellnerin Paul gesteht, sein „größer Fan“ zu sein, dann reagiert der mit einem gequälten Lächeln. Mehr braucht man nicht. Der Zuschauer weiß, was ihm durch den Kopf geht.

Schwachpunkte

Es gibt drei Schwachpunkte in „Misery“: Wenn Annie im nahegelegenen Ort einen anderen Autofahrer in der Öffentlichkeit anpöbelt, wirkt das künstlich. Warum sollte sie sich derart auffällig benehmen? Solche Plumpheiten passen gar nicht zu ihr. Dafür ist sie doch viel zu intelligent. Nein, sie würde in der Öffentlichkeit alles tun, um die Fassade zu wahren.
Dann wird der Sheriff auch noch zufällig Zeuge dieser Szene. Zufälle sind aber nur ein erzählerisches Manko. Ferner ist die Ermordung des Sheriffs völlig überflüssig. Sie hat überhaupt keine Handlungsrelevanz. Es gibt keine Konsequenzen. Außerdem wird hier eine sehr originelle Nebenfigur geopfert, der man ein Weiterleben an der Seite seiner nicht minder skurrilen Ehefrau gegönnt hätte.
Drittens, was am gravierendsten ist, erscheint das mörderische Vorleben der Psychopathin einfach unglaubhaft. Einigen Zeitungsausschnitten zufolge hat sie nämlich nicht nur ihren Ehemann auf dem Gewissen, sondern auch noch mehrere Kinder in ihrer Funktion als Leiterin einer Klinikabteilung. Eine verurteilte Serienkillerin wäre aber wohl im Gefängnis oder in der Psychiatrie, aber nicht in einem heimeligen Häuschen in den Bergen von Colorado.

Lösungen

Wenn der Sheriff der Möglichkeit nachgeht, dass Paul Sheldon noch am Leben ist, dann könnte er zum Beispiel einfach bei den örtlichen Einzelhändlern nachforschen, ob ihnen bei ihrer Kundschaft in letzter Zeit etwas Ungewöhnliches aufgefallen ist. Und siehe da: So würde er mitbekommen, dass Annie Wilkes eine Schreibmaschine erworben hat. Jetzt könnte er anfangen, über sie zu recherchieren und ihr auf die Schliche kommen. Bei der Inspektion in Annies Haus könnte der Lärm, den Paul im Keller macht, der Moment sein, in dem der Sheriff die Haustür zuschlägt oder den Motor seines Wagens anlässt. Das wäre eigentlich viel dramatischer als seine Ermordung. Das wäre Suspense: Man würde hoffen, dass der Sheriff den Gequälten doch noch hört. Bei der Backstory von Annie hätte es völlig ausgereicht, wenn man sie wegen dieser mysteriösen Todesfälle verdächtigt hätte, ihr aber nichts nachweisen konnte. Dann – nur dann – lebt sie in Freiheit und nicht im Gefängnis.

Fazit

Die Schwachpunkte in „Misery“ sind ein kleiner Wermutstropfen, ändern aber nichts am Gesamteindruck: Hier waren lauter Könner am Werk. Das macht einfach Spaß.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für "Misery"

Wiegenlied für eine Leiche (Robert Aldrich)

„Wiegenlied für eine Leiche“ von Robert Aldrich ist ein Genremix aus Psychothriller und Krimi (Whodunit). Er besticht durch seine Konzentration auf die Heldin Charlotte Hollis (Bette Davis) und ihre schräge Haushälterin Velma Cruther (Agnes Moorehead). Beide Schauspielerinnen agieren hervorragend. Abgesehen von der Backstory im Jahre 1927 sowie von zwei bis drei Szenen spielt alles im Jahre 1964 im museumsartigen Anwesen der Familie Hollis. Diese Fokussierung auf die Geschichte ist ein großer Vorteil (Einheit von Zeit, Raum und Handlung).

Handwerk

Handwerklich ist der Schwarzweißfilm brillant gemacht. Die Kameraarbeit ist herausragend. Die kontrastreiche Low-Key-Lichtstimmung unterstützt die unheilvolle Atmosphäre. Teilweise befinden sich die Gesichter der Personen komplett im Schatten. Für sein Herstellungsjahr hat „Wiegenlied für eine Leiche“ erstaunlich viele Nahaufnahmen. So stellt er eine Nähe zu seinen Figuren her und erhöht die Dramatik. Insbesondere in seinen Traumszenen entwickelt der Film eine visuelle Kraft. Sehr schön ist auch der Informationsfluss. So erfährt der Zuschauer beizeiten von den hinterhältigen Plänen der beiden Antagonisten, Charlottes Cousine Miriam Deering und Dr. Blayliss, Charlotte in den Wahnsinn zu treiben. Das schafft „Suspense“ und ist dramatisch. Leider gibt es eine Reihe von erzählerischen Ungereimtheiten, die den Gesamteindruck trüben.

Ungereimtheiten

Ein Schwachpunkt ist die fehlende Schilderung der polizeilichen Ermittlungen sowie der Gerichtsverhandlung im Mordfall von 1927. Da wurde Charlottes Geliebter, der verheiratete John Mayhew, bestialisch ermordet. Tatverdächtig ist Charlotte, die als verschmähte Geliebte ein Motiv hätte und deren Kleid blutbesudelt ist. Da sie glaubt, ihr Vater Big Sam Hollis habe John im Affekt umgebracht, schweigt sie zu den Vorwürfen. Ein lapidarer Hinweis auf Papas immensen Einfluss führt zur Einstellung des Verfahrens gegen Charlotte. Das ist aber – mit Verlaub – ziemlich schwach.

Wie konnte denn Big Sam Hollis in diesem spektakulären Mordfall, der ja im Fokus des öffentlichen Interesses stand, leitende Ermittler zum Einlenken bewegen? Warum sollte Jewel, die tatsächliche Mörderin und Ehefrau des Opfers, überhaupt diesen tödlichen Hass auf ihren Mann entwickeln? Warum nicht auf seine Geliebte? Kann eine Frau mit einem Hackmesser überhaupt mit einem Schlag den Kopf eines Mannes abtrennen? Wäre sie nicht in jedem Fall blutbesudelt? Wieso ist Charlotte geschlagene 37 Jahre lang nicht in der Lage, eine Beziehung zu einem anderen Mann einzugehen? Rechtfertigt das traumatische Erlebnis eine Darstellung als alte Jungfer?

Wieso kommt die Lebensversicherung des Mordopfers auf die Idee, 37 Jahre nach seinem Ableben Ermittlungen anzustellen? Wieso nicht nach 10 oder 20 Jahren? Warum will die Versicherung dieser Sache überhaupt auf den Grund gehen? Das machen die doch üblicherweise nur wenn sie den Verdacht haben, übervorteilt zu werden. Wenn Velma der intriganten Miriam ihren Plan verrät, ihr und Dr. Bayliss mit Hilfe eines sicher gestellten Arzneifläschchens das Handwerk zu legen, ist das nicht besonders clever. Diese einfältige Drohung diskreditiert die interessanteste Figur. Was bleibt der derart in die Enge getrieben Miriam anderes übrig, als sich der Mitwisserin zu entledigen?

Wenn Charlotte am Schluss auf dem Rücksitz eines PKW’s davonfährt, ist unklar, wohin die Reise geht. Sind ihre Begleiter Mitarbeiter einer psychiatrischen Klinik, womit die Antagonisten ja ihr Ziel erreicht hätten? Handelt es sich um Amtsträger, die die Besitzerin des vom Abriss bedrohten Anwesens in Sicherheit bringen? Oder sind es Kriminalbeamte in Zivil, die Charlotte zum Ableben von Miriam und Dr. Bayliss eingehend verhören wollen?

Lösungen

Für Big Sam Hollis wäre es doch viel einfacher und glaubhafter gewesen, einen Geschworenen in der anstehenden Gerichtsverhandlung zu bestechen als leitende Staatsanwälte. Ferner hätte man in der Folgezeit, um die Heldin nicht zu diskreditieren, zumindest gescheiterte Versuche von Kontaktaufnahmen zu anderen Männern zeigen können. Des weiteren wäre als Tatwaffe ein Revolver viel geeigneter gewesen. Es hätte erklärt, weshalb nur Charlottes Kleid blutbefleckt war, nicht aber das der Täterin. Außerdem wird der Revolver ja auch später noch von den Antagonisten ins Spiel gebracht, als sie versuchen, Charlotte in den Wahnsinn zu treiben.

Den freundlichen Versicherungsvertreter hätte man durch einen hartnäckigen FBI-Agenten einer Cold-Cases-Abteilung ersetzen können. Velma hätte ihre Absicht, mit Hilfe des Arzneifläschchens Miriam und Dr. Bayliss das Handwerk zu legen, einfach verheimlichen können. Wenn Miriam sie trotzdem durchschaut hätte, wäre das der Spannung ja nicht abträglich gewesen. Im Gegenteil (Anmerkung von Alfred Hitchcock: „Je gelungener der Schurke, umso gelungener der Film.“) Außerdem hätte man Velma, der mit Abstand interessantesten Figur dieser Geschichte, ein Überleben gegönnt. In „Wiegenlied für eine Leiche“ wäre ein Happy End, ein Sieg der beiden weiblichen Protagonisten, die Lösung gewesen.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 4 blaue Smileys und 3 schwarze traurige Gesichter für "Wiegenlied für eine Leiche"

Der blutige Pfad Gottes (Troy Duffy)

„Der blutige Pfad Gottes“ ist eine ziemlich bleihaltige und blutige Thriller-Groteske, frei nach dem Motto: Wie können die beiden Helden möglichst schnell in die nächste Ballerei gelangen? Das ist im Grunde kein großes Problem. Man nehme ein paar Russen-Mafiosi, ein paar italienische Mafiosi, und hetze beide nicht sonderlich hellen Gruppierungen mit Hilfe von zwei rachsüchtigen irischen Gangstern gegeneinander auf. Das FBI, mit Detective Paul Smecker (William Daffoe) an der Spitze, hat die Aufgabe die Tatorte zu reinigen.

Vorbilder

Das erinnert ein bisschen an Kurosawas „Yojimbo – der Leibwächter“ oder Walter Hills Remake „Last Man Standing“, das ebenfalls mit Zeitlupen und Rückblenden operiert. Die psychologischen Rafinessen der Vorbilder sind dem Regisseur allerdings nicht so wichtig wie die nächste Schießerei. Dieser Hang zur Brutalität und Infantilität erinnert wiederum stark an Quentin Tarantino.

Figuren

Letztlich erzeugt „Der blutige Pfad Gottes“ keinerlei Spannung. Das hängt auch mit den Helden zusammen, den MacManus-Brüdern, die sich als verlängerter Arm einer gerechten Sache verstehen. Darüberhinaus erfahren wir so gut wie nichts über sie. Wie soll man so mit ihnen mitzittern? Alle übrigen Figuren sind zwar hervorragend gecastet, aber was nützt das? Dem ganzen wird noch eine Pseudo-Philosophie übergestülpt: Ist es nicht legitim für Gerechtigkeit zu sorgen, wenn die gesetzlichen Vertreter dazu nicht in der Lage sind? Also, darf man Gott spielen? „Wie weit gehen wir auf diesem Weg?“, fragt Connor MacManus irgendwann, wobei die Antwort schon längst klar ist: bis zum bitteren Ende. In der finalen Gerichtsverhandlung wird auch noch der letzte überlebende Mafioso hingerichtet.

Absurdistan

Das letzte Gemetzel findet unter freundlicher Hilfestellung des FBI statt, die den Brüdern den Zugang zum Gerichtssaal ermöglichen. Eines von vielen Beispielen, die zeigen, dass man hier nichts, aber auch gar nichts mehr ernst nehmen kann. Den Anfang markiert Connors Sprung aus dem fünften Stock eines Hochhauses auf den Kopf eines russischen Gangsters, den er – im Gegensatz zum Mafioso – völlig unbeschadet übersteht. In einer Welt, in der alles möglich ist, gibt es aber letztlich keine Überraschungen. Man wundert sich nämlich über nichts mehr und das ist dramaturgisch nicht so toll.

Fazit

Es gibt ein paar originelle und witzige Szenen, aber das war’s dann auch. Dann dominiert wieder das Grelle, das Überzogene, die infantile Spielsucht. Ein Film für eher schlichte Gemüter, die sich an Ballereien, grotesken Situationen und viel Blut erfreuen können.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 1 blauer Smiley und 6 schwarze traurige Gesichter für "Der blutige Pfad Gottes"

Der Spion (Dominic Cooke) GB 2019

„Der Spion“ ist ein Agententhriller, der auf einem tatsächlichen Fall in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts beruht. Er spielt zur Zeit des Kalten Krieges, der atomaren Aufrüstung und hat eine originelle Hauptfigur. Er ist auch ein Film über eine Männerfreundschaft zwischen dem britischen Geschäftsmann Greville Wynne (Benedict Cumberbatch), der brisante Informationen des sowjetischen Überläufers, Oberst Oleg Penkowski (Merab Ninidze), an die CIA liefert: „Nun die wichtigste Frage: Vertragen Sie Alkohol?“ Das tut Greville und legt damit den Grundstein für ihre Freundschaft.

Die Vorlage

Leider schaffen die Filmemacher es nicht, sich von der Vorlage zu lösen. Sie glauben auf der sicheren Seite zu sein, indem sie sich an die Fakten halten. Das ist aber ein Trugschluss. Die Ereignisse sollten entweder alle dramatischen Voraussetzungen erfüllen (wie zum Beispiel bei „Lone Survivor“ von Peter Berg) oder die Funktion einer Materialsammlung haben. Also die interessante Frage ist, inwieweit man als Filmgestalter Geschehnisse verändern, oder dramatisieren darf? Nun, zum Wohle einer Geschichte darf ein Erzähler eigentlich alles, wenn er denn will und kann. Er sollte es auch.

Schwachpunkte

In „Der Spion“ kommt die Story erstaunlich altbacken und behäbig in Gang. Sie gewinnt erst in der zweiten Hälfte an Fahrt und Dramatik. Das ist der erste Schwachpunkt. Die Entscheidung von Greville, noch einmal nach Moskau zu reisen, um die Flucht seines Freundes zu ermöglichen, müsste viel eher kommen. Erst ab diesem Moment ist das Leben des Helden wirklich in Gefahr. Dieser Höhepunkt hätte ungefähr nach einem Drittel der Geschichte und nicht gegen Ende platziert werden müssen.

Dramaturgie

Der zweite Schwachpunkt sind die fehlenden Überraschungen und Wendungen. Nach der Festnahme der Protagonisten spult der KGB sein Standard-Programm ab: Folter (beide) und Hinrichtung (Oleg). Auch der Gefangenenaustausch von Greville nach Jahren der Inhaftierung ist keine Überraschung. Außerdem sind seine Ehekonflikte, die aus seinem geheimen Doppelspiel resultieren, nicht optimal ausgereizt. Da geht es zum Beispiel in Clint Eastwoods „American Sniper“ anders zur Sache.

Lösungen

Viel besser wäre es gewesen, „Der Spion“ aus Olegs Sicht zu erzählen. Seine Figur besitzt das weitaus größere dramatische Potenzial. Sein Leben steht von Beginn an auf dem Spiel, als er ahnungslosen amerikanischen Touristen in Moskau eine Nachricht von seiner Bereitschaft zum Überlaufen zukommen lässt. Von diesem Moment an ist sein Leben in Gefahr. Bessere dramatische Voraussetzungen gibt es eigentlich gar nicht. Hier hätte man sich vor den üblichen Folterungen auch noch vorstellen können, dass der KGB ihn weiterhin als Kurier von geheimen Informationen benutzt. Man hätte ihn erpressen können, als Doppelspion zu operieren, ausgestattet mit gefälschten Informationen. Im Grunde wäre es eine „Red-Sparrow„-Variante gewesen: Immer in tödlicher Gefahr enttarnt und hingerichtet zu werden.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 3 blaue Smileys und 4 schwarze traurige Gesichter für Der Spion (Dominic Cooke) GB 2019

Wild Things (John McNaughton) USA 1998

Wenn man „Wild Things“ mit einem Wort charakterisieren müsste, dann käme „plump“ in die engere Auswahl. Auf keinen Fall ist er das, was der Titel suggeriert, eher konstruiert, sexuell verklemmt und spannungsfrei. In erster Linie scheint der Film einen neuen Rekord an Handlungswendungen aufstellen zu wollen, die irgendwann so hanebüchen sind, dass sie schon wieder komisch wirken. Dabei hätte der Thriller mit ein bisschen mehr Ernsthaftigkeit die schöne Variante eines klassischen Erzählmotivs werden können, nämlich des „Mörderischen Dreiecks“: der Vertrauenslehrer Sam Lombardo (Matt Dillon) wird nämlich fälschlicherweise der Vergewaltigung von zwei seiner Schülerinnen bezichtigt. Ein gerichtlicher Vergleich beschert ihm 8,5 Millionen Dollar, womit die tödliche Hatz eingeläutet wird.

Figuren

Die Personen sind allesamt Abziehbilder. Da fragt doch die verführerische Kelly van Ryan (Denise Richards) ihren Vertrauenslehrer vor einer Wagenwäsche: „Wo ist der Schlauch, Mr. Lombardo?“ Ins gleiche Horn bläst ihre wohlhabende Mama: „Ich weiß keinen, der mit seiner Ruderpinne besser umgeht.“ Für Töchterchen findet Mama angesichts des Selbstmords ihres Mannes tröstende Worte: „Es hat ihn keiner gezwungen, sich umzubringen.“ Dieses Niveau wird bis zum Ende konsequent durchgezogen. Da eine emotionale Identifikation oder Anteilnahme für eine der handelnden Personen vereitelt wird, kann natürlich keine Spannung entstehen. Auch mit seiner Retortenmusik wirkt der ganze Film eher wie eine schlecht gemachte Vorabendserie.

Ungereimtheiten

Mit so etwas Profanem wie glaubhafter polizeilicher Ermittlungsarbeit oder Handlungslogik halten die Filmemacher sich nicht weiter auf. Vorgeblich wird die Schülerin Suzie Toller (Neve Campbell) von Sam am Strand erschlagen. Vorhandene Spuren eines Gewaltverbrechens sind für die ermittelnden Spurensicher kein Anlass zu tiefschürfenden Untersuchungen. Denn dann hätte man eigentlich Metallabrieb an den mit einer Zange herausgebrochenen Zähnen feststellen müssen, also die Manipulation. Man fragt sich auch, warum das von Detective Ray Duquette (Kevin Bacon) verdächtigte Trio nicht abgehört wird? Das wird zwar später erklärt, aber er ermittelt ja nicht allein. Was soll dieser künstliche Konflikt mit seinem Polizeichef? Duquettes Verdacht eines gemeinschaftlichen Betrugs ist ja nicht an den Haaren herbei gezogen. Wieso gibt es keine gerichtsmedizinische Untersuchung von Kellys Ermordung durch Duquette, was seiner Version einer Notwehrsituation ja widersprochen hätte usw.?

Finale

Selbst im Nachspann gibt es noch ein paar Wendungen. Da sollen wir dann glauben, dass Sams schmieriger Anwalt (Bill Murray) zusammen mit Suzie alles eingefädelt hat. Jedenfalls haben sie einen Koffer voller Geld, woher auch immer das stammt. Sams ergaunerte 8,5 Millionen Dollar können es eigentlich nicht sein, es sei denn sie sind im Besitz einer Bankvollmacht oder sind vor seinem Ableben als Erben eingesetzt worden. Aber egal. Irgendwann wundert man sich nur noch über die Unbekümmertheit, mit der die Filmemacher unermüdlich eine konstruierte Wendung nach der anderen präsentieren. Diese Infantilität hat schon wieder einen gewissen Charme, weshalb das Abklopfen auf Handlungslogik bei „Wild Things“ eigentlich fehl am Platze ist. Hier geht es irgendwie um „Other Things“.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 1 blauer Smiley und 6 schwarze traurige Gesichter für "Wild Things"

Der Staatsfeind Nr. 1 (Tony Scott) USA 1998

„Der Staatsfeind Nr. 1“ ist Konfektionsware, ein 08/15-Thriller und wirkt für sein Alter erstaunlich angestaubt. Das Talent von Tony Scott blitzt zwar immer wieder auf, zum Beispiel in der kunstvoll gestalteten Pretitle-Sequenz. Die Montage, die Kameraarbeit und das Casting sind hervorragend. Aber was nützt das? Es mangelt dem Script und den Figuren vor allem an Spannung und Originalität. Über das Thema, die beschworene Gefahr eines allgegenwärtigen Überwachungsstaats, kann man heute eigentlich nur noch müde lächeln. Die gut gemeinten Befürchtungen funktionieren in Zeiten von Massenüberwachungen mit biometrischer Gesichtserkennung allenfalls als Zeitdokument. Mit den erzählerischen Defiziten dieses Thrillers haben sie allerdings nichts zu tun.

Die Geschichte

Es fängt damit an, dass ein republikanischer Politiker vom NSA ermordet wird, weil er nicht für eine Vorlage zur Verschärfung des Telekommunikationsgesetzes im Kongress stimmen will. Das Ganze wird zufällig von einem Tierfilmer dokumentiert (Zufälle sind ein Gradmesser für das handwerkliche Können von Filmemachern). Auf seiner Flucht trifft der Tierfilmer zufällig auf den Anwalt Robert Clayton Dean (Will Smith), dem er unbemerkt eine Kopie der Aufnahmen zusteckt. Erst als sein Leben nach und nach aus den Fugen gerät, merkt er, dass etwas faul ist im Staate USA.

Ungereimtheiten

Wie schnell Robert dann in seiner Kanzlei gefeuert wird, ist schon erstaunlich. Verdächtigungen würde man doch überprüfen, zumal hier ein langjähriges Arbeits- und Vertrauensverhältnis besteht. Desgleichen mutet die Reaktion seiner Ehefrau Carla geradezu albern an. Die hat nämlich nichts Besseres zu tun, als ihren angeblich untreuen Ehegatten auf der Stelle zu verlassen. Darüber sollte Robert sich eigentlich freuen, tut er aber nicht. Überhaupt wird das amerikanische Familienleben samt grausamer Inneneinrichtung, auch bei NSA Abteilungsleiter Reynolds, dermaßen abschreckend dargestellt, dass man mit den Bewohnern Mitleid bekommt. Die schnelle Versöhnung zwischen Carla und Robert ist genauso unglaubhaft wie das Zerwürfnis.

Flucht – Verfolgung

Bei seiner Flucht stößt Robert dann auf den ehemaligen NSA-Mitarbeiter Brill (Gene Hackman), der sich nicht nur als Urheber des kompromittierenden Mafiavideos entpuppt. Er ist auch der väterliche Freund der ermordeten Rachel Banks, die ihren leiblichen Vater bei einem Spionageeinsatz verloren hat und als Informantin für Robert tätig war. Brill ist Abhörspezialist und überzeugter Einzelkämpfer, der sich folgerichtig nicht sonderlich über Roberts Gesellschaft freut: „Er ist entweder sehr dumm oder sehr clever“. Dabei lässt er keinen Zweifel aufkommen, welche Einschätzung für ihn hier zutreffend ist. Erst am Schluss revidiert er sein Urteil, als Robert die NSA-Truppe auf die Mafiosi hetzt. Diese bleihaltige Lösung ist eine witzige und überraschende Idee.

Schwachpunkte

Der Spannungsfeind sind die unproduktiven Irritationen: Warum gewährt Mafiaboss Pintero Robert am Anfang des Films eine Frist für den Namen des Videofilmers, der ihn beim vertraulichen Zusammensein mit Gewerkschaftsbossen abgelichtet hat? Wieso diese Schonfrist von einer Woche? Warum will Pintero nicht auf der Stelle den Namen des Urhebers? Wieso gibt es nach Rachels inszenierter Ermordung durch die NSA keine Ermittlungen des FBI? Die müssten Robert doch auf die Schliche kommen, obwohl der seine blutverschmierten Kleidungsstücke vom Tatort entfernt hat? Einen Mord ohne Konsequenzen kann man sich aber schenken. Wieso überhaupt dieser Filmtitel, suggeriert er doch, dass der gesamte Staatsapparat hinter Robert her ist? Tatsächlich ist es nur eine kleine, selbständig agierende Einheit des NSA, die innerbetrieblich unter erheblichen Druck gerät. Fazit: „Der Staatsfeind Nr. 1“ ist nun wirklich nicht der beste unter den Werken des unglaublich talentierten Tony Scott.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 2 blaue Smileys und 5 schwarze traurige Gesichter für "Der Staatsfeind Nr. 1"

16 Blocks (Richard Donner) USA 2006

„16 Blocks“ ist ein spannender Copthriller, der ein klassisches Erzählmotiv behandelt: „Der bedrohte Zeuge“. Geniale Hauptfigur ist der alternde, desillusionierte und alkoholkranke Detective Jack Mosley. Eine Paraderolle für Bruce Willis, den man eher mit dem rustikalen John McClane aus den Die-Hard-Thrillern in Verbindung bringt. In „16 Blocks“ ist er sozusagen konträr besetzt. Und das macht er super! In einer der Anfangsszenen schlurft er auf dem Flur des Präsidiums längs, wobei er mühelos von Kollegen überholt wird. Jack Mosley bewegt sich in Zeitlupe. Das wird sich im Laufe des Geschehens ändern, denn er hat die Aufgabe, den inhaftierten Zeugen Eddie Bunker (Mos Def) nur 16 Häuserblocks weiter zum Gerichtssaal zu eskortieren. Die scheinbar leichte Aufgabe entpuppt sich als Himmelfahrtskommando.

Odd-Couple

Wenn Jack am Anfang sagt „Ich habe versucht, das Richtige zu tun“, dann weiß man natürlich, dass er es nicht getan hat und man ist gespannt, die Hintergründe zu erfahren. Wenn Jack sagt, dass Menschen sich nicht ändern, fragt man sich, wie er zu dieser desillusionierenden Haltung gekommen ist? Der Katalysator ist die notorische Quasselstrippe und Nervensäge Eddie. Ähnlich wie in „Midnight Run“ von Martin Brest hat auch er hier die Funktion, Jacks desillusionierte Fassade zu knacken und seelische Probleme freizulegen. Umgekehrt genauso. Ein klassisches Odd-Couple-Paar also. Auch das ist sehr schön angeordnet. Beide schenken sich nichts, außer dass einer dem anderen das Leben rettet. Man kann mit ihnen mitzittern und es geht ans Eingemachte. Was will man mehr?

Dramaturgie

Auch dramaturgisch weiß „16 Blocks“ mit vielen Überraschungen und Wendungen zu überzeugen. Die Deadline ist hier wortwörtlich zu nehmen: Jack und Eddie müssen unter tödlichen Gefahren bis 10 Uhr im Gerichtssaal sein. Die Einheit von Zeit, Raum und Handlung ist ein großer erzählerischer Pluspunkt. Alles spielt sich in wenigen Stunden zwischen ein paar New Yorker Häuserblocks ab. Die ganze Inszenierung, die Ausstattung und Atmosphäre sind brillant. Auch das Ende ist schlüssig: Jack entscheidet sich, vor Gericht auszusagen und sich selber zu belasten. Denn er war früher Teil dieser kriminellen Polizeieinheit. Er macht sozusagen reinen Tisch, seine Art der Traumabewältigung, was ihm zwei Jahre Gefängnis einbringt, einschließlich der Gelegenheit, seine Alkoholsucht zu therapieren. Soweit alles super.

Schwachpunkte

Der Schwachpunkt sind die Antagonisten. Wieder sollen wir schlucken, dass die komplette Einheit eines Policedepartments aus Gangstern und Mördern besteht. Dieses Mal sind es angeblich sechs an der Zahl. Tatsächlich sind es noch viel mehr, denn auch die Staatsanwaltschaft ist infiltriert und zwei korrupte Cops in einem Transporter erledigt Jack anfangs noch auf der Straße. Der Captain hängt auch irgendwie mit drin. Bei der Belagerung des Linienbusses hat man den Eindruck als wenn mindestens die Hälfte der angerückten Polizeiarmada mit Oberbösewicht Frank Nugent paktiert, dem Ex-Partner von Jack.

Fazit

Auch hier wäre weniger mehr gewesen. In „Der einzige Zeuge“ von Peter Weir agieren die Copgangster zu dritt. „L.A. Confidential“ von Curtis Hanson ist zeitlich in den 50er Jahren angesiedelt. Da kann man derartige Umtriebe noch eher schlucken als 60 Jahre später. Besser wäre es gewesen, die örtliche Mafia ins Spiel zu bringen, die zwei der Detectives korrumpiert hätte. Das wäre eine glaubhaftere und nicht minder tödliche Gefahr gewesen.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 5 blaue Smileys und 2 schwarze traurige Gesichter für "16 Blocks"

Drive (Nicolas Winding Refn) USA 2011

Die etwas einfallslose Pretitle-Sequenz deutet schon darauf hin: Styling, Ambiente und Musik stehen hier im Vordergrund. Sie haben auch die Funktion, erzählerische Defizite zu übertünchen. In „Man on Fire“ zum Beispiel gestaltet Tony Scott die Exposition als kleines Kunstwerk, wobei die exzellente Filmmusik dem Geschehen stets untergeordnet ist. In „Drive“ ist das nicht immer so. Hauptperson ist der namenlose Fahrer (Ryan Gosling), der tagsüber als Automechaniker und Stuntfahrer beim Film arbeitet, nachts als Fluchtfahrer für Gangster. Drei Jobs – ein fleißiger Junge.

Liebesgeschichte

Highlight des Thrillers ist die Liebesgeschichte, die sehr schön entwickelt wird. Der Fahrer trifft die alleinerziehende Irene mit ihrem kleinen Jungen im Fahrstuhl. Beide sind Nachbarn, die sich zum ersten Mal wahrnehmen. Die Kontaktaufnahme erfolgt mit Blicken, ohne Worte. Das ist überhaupt einer der Stärken von „Drive“: die Wortkargheit, die Blicke, das Mienenspiel, die Gesten, die meist mehr sagen als erklärende Sätze. Hier stört nur das häufige Grinsen des Fahrers. Im Supermarkt spricht er sie zum ersten Mal an. Er ist ihr sympathisch, nicht nur weil er Späße mit ihrem Jungen macht. Irene bringt ihren Wagen zur Reparatur in seine Werkstatt. Über Umwege bringt der Fahrer sie anschließend nach Hause. Das sind mit die schönsten Momente des Films. Die zarte Liebesgeschichte findet ein jähes Ende: „Mein Mann kommt in einer Woche aus dem Gefängnis.“ Schweigen. Mehr gibt es nicht zu sagen. Das ist dramaturgisch sehr gut gemacht.

Überfall

Bleiben wir zunächst beim Positiven: Auch nach dieser Szene gelingt es dem Film teilweise eine atmosphärische Spannung aufzubauen, eine unheilvolle Grundstimmung. Das Casting ist hervorragend. Bis in die Nebenfiguren sind die Schauspieler originell besetzt. Aber dann. Das ganze Ambiente in „Drive“ ist sehr stylish. Treppenhaus und Wohnungen, alles sehr schick. Sogar die Autowerkstatt könnte als Location für einen Werbespot dienen. Dann kommt dieser abstruse Geldüberfall, der im Desaster endet. Irenes Ehemann wird von den Mafiosi Nino und Bernie zu einem Überfall auf ein Pfandhaus erpresst. Eigentlich will der Fahrer Irene aus der Patsche helfen, indem er sich ihrem Mann als Fluchtfahrer andient.

Desaster

Mit von der Partie ist Blanche, die – wie sich herausstellt – von den Mafiosi benutzt wird. Nach dem Überfall schleppt sie eine Tasche voller Geld aus dem Pfandhaus. Irenes Ehemann wird erschossen. Der Fahrer und Blanche können fliehen, müssen sich aber gegen die Attacken von Ninos Leuten wehren. Das erledigt der Fahrer erstaunlich gekonnt und cool, wobei er nur im Notfall zu einer Schusswaffe greift. Diese Fertigkeiten führen leider auch dazu, dass man keine richtige Angst um ihn hat, was dramaturgisch natürlich nicht so toll ist.

Ungereimtheiten

Die ganze Schlusshälfte ist ein Stelldichein der Ungereimtheiten. Angeblich soll die Ostküstenmafia im Pfandhaus eine Million Dollar deponiert haben, mit der sie Ninos und Bernies Geschäfte untergraben will. Aber warum sollten Mafiosi eine derartige Summe in einem Pfandhaus deponieren? Die geben ihr Geld doch nur aus den Händen um es zu „waschen“ oder schmutzige Geschäfte zu betreiben. Wie lange würde es wohl dauern, bis Leute der angeblichen Ostküstenmafia in Los Angeles sind, um ihr Geld zurückzubekommen? Einen Tag? Vielleicht zwei, aber nicht länger.

In „Drive“ ist das alles kein Thema. Dafür gibt es sofort die nächsten Merkwürdigkeiten. Welche Handlungsrelevanz hat Blanche? Eigentlich keine, außer ihrer Aufgabe das Geld in den Fluchtwagen zu schleppen. Das hätte aber ein angeschossener Ehemann genauso gut erledigen können. Dann mutiert der Fahrer zum grausamen Rächer und Beschützer, der die Gangster mit Hammer, Fußtritten oder seinem Wagen schwer verletzt oder ins Jenseits befördert. Die ganze Mafiabande agiert nicht minder grausam. Allen voran Schlitzer Bernie, der ein ganzes Arsenal an Stichwaffen besitzt. Wozu braucht ein Film überhaupt diese ungeschminkte Darstellung von Grausamkeiten? Wovon will er ablenken? Dabei sind die leisen Momente die Stärken dieses Films.

Finale

Die Antwort dürfte spätesten beim katastrophalen Schluss klar sein: Als der Fahrer nachts Mafiaboss Nino verfolgt und tötet, hat er eine Latexmaske auf. Wieso hat er die auf, wo er doch den einzigen Zeugen seines Racheakts im Pazifik ertränkt? Warum hat er kurz darauf beim Treffen mit Bernie am hellichten Tag keine Maske auf? Wieso lässt der Fahrer sich auf dessen schwachsinnigen Vorschlag ein, ihm das ganze Geld zu überlassen und Zeit seines Lebens auf seiner Abschussliste zu stehen? Das ist ja ein toller Deal! So doof kann man doch eigentlich nicht sein? Aber unser Fahrer stapft tapfer wie ein Schaf zur Schlachtbank. Als er Bernie auf einem Parkplatz die Tasche mit dem ganzen Geld in die Hände drückt, muss er sich – welch Wunder! – einer wahrscheinlich tödlichen Messerattacke erwehren. Irgendwie juckt das dann auch nicht mehr so richtig. Das Geschehen und die Figuren sind einem längst egal geworden.

Lösung

Im Grunde hätte die Lösung eine Variante von Don Siegels „Charly Varrick“ sein können: Der Held arbeitet als Fluchtfahrer für zwei Einbrecher, die nachts aus einem Tresor u.a. eine Million Dollar klauen. Das sind aber Gelder der örtlichen Mafia, die nun Jagd auf Räuber und Fahrer machen. Das wäre besser gewesen.

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Die Dolmetscherin (Sydney Pollack)

„Die Dolmetscherin“ ist ein über weite Strecken spannender Thriller mit einem klassischen Erzählmotiv: „Der bedrohte Zeuge“. Silvia Broome arbeitet für die UNO und belauscht eines Abends ein Mordkomplott. Ziel des Anschlags ist der Präsident des fiktiven afrikanischen Staates Matobo. Silvia wendet sich an die Polizei, die wiederum den Secret Service einschaltet. Leitender Ermittler ist Tobin Keller (Sean Penn), der ihr anfangs keinen Glauben schenkt. Das ist dramaturgisch fachgerecht gestaltet, denn ein bedrohter Zeuge sollte am besten allein gegen drohende Gefahren kämpfen. Eine schlagkräftige Agenteneinheit an ihrer Seite wäre dramaturgisch kontraproduktiv.

Figuren

Die Schauspielerriege agiert hervorragend. Die Montage ist schnell, fragmentarisch und alternierend. Man muss sich schon konzentrieren, um dem Geschehen folgen zu können. Gut so. Kamera und Ausstattung sind brillant. Sydney Pollack („Tootsie“, „Die drei Tage des Condors“) steht eben für gute Unterhaltung. Weshalb hier trotzdem kein Meisterwerk entstanden ist, liegt an etlichen Ungereimtheiten und an der viel zu frühen Annäherung zwischen Silvia Broome und Tobin Keller. Die dürfte natürlich erst beim Showdown erfolgen, so wie es z.B. Harold Becker in „Sea of Love“ mit Al Pacino als Detective und Ellen Barkin als Mordverdächtige demonstriert hat.

Zufälle

Ein seltsamer Zufall ist es, dass die rotblonde Silvia aus dem schwarzafrikanischen Matobo stammt, wo ihre Familie Opfer eines Anschlags wurde, hinter dem Präsident Edmond Zuwanie stand. Sie hätte also theoretisch ein Rachemotiv. Warum sollte sich aber jemand mit derartigen Gefühlen überhaupt an die Polizei wenden? Dann wäre das Ableben von Zuwanie doch in ihrem Sinne? Das sind nicht die einzigen merkwürdigen Überlegungen der Ermittler, die sich auch sonst nicht sonderlich kompetent zeigen. Als die Attentäter schon längst Jagd auf die Zeugin machen, ist die ganze Secret-Service-Truppe nicht in der Lage, sie zu schützen. Einer der Mörder kann unbehelligt in ihre Wohnung eindringen.

Ungereimtheiten

Seltsam auch, dass „Die Dolmetscherin“, die in Matobo sogar Teil des bewaffneten Widerstands war, Mitarbeiterin der UNO werden kann. Da würde man doch annehmen, dass die Vorgeschichten von Bewerbern auf Herz und Nieren geprüft werden? Seltsam auch, dass der Oppositionsführer Kuman Kuman, der zufällig im New Yorker Exil lebt, mit seiner Entourage im Linienbus fährt. Das ist doch viel zu unsicher, wie sich dann ja auch herausstellt. Seltsam auch, dass die Attentäter nicht nur den Oppositionsführer, sondern gleich den ganzen voll besetzten Linienbus in die Luft sprengen. So etwas wirbelt – zumal auf ausländischem Terrain – doch viel zu viel Staub auf. So etwas würde man doch diskreter, d.h. intelligenter erledigen.

Showdown

Vor allem ist das ganze Mordkomplott, hinter dem der Präsident selber steckt, ein ziemlich abstruser Plan. Während seiner Rede vor der UNO-Vollversammlung wird der Attentäter nämlich im letzten Moment vom Sicherheitschef erschossen, um Zuwanie als Überlebenden eines hinterhältigen Mordkomplotts vor den Augen der Weltöffentlichkeit in besserem Licht erscheinen zu lassen. So ein um drei Ecken gedachter Plan hätte vielleicht in Matobo funktioniert? Dort hätte der Präsident nach einem missglückten Attentat auch Gründe geschaffen, gewaltsam gegen Oppositionelle vorzugehen. Aber in der UNO-Vollversammlung? Dann ist der erschossene Attentäter auch noch mit einer Waffe ohne Munition ausgestattet worden. Glaubt einer von den Urhebern des Plans wirklich, dass das bei einer Untersuchung niemandem auffallen würde? So verspielt der Film nach und nach angesammelte Pluspunkte. Auch das Ende des Showdowns ist vorhersehbar: „Die Dolmetscherin“ schafft es nicht, den Mörder ihrer Familie zu erschießen.

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