Der unverhoffte Charme des Geldes (Denys Arcand) CND 2018

„Der unverhoffte Charme des Geldes“ ist eine schräge, originelle Robin-Hood-Variante – ein Stelldichein von Losern, Obdachlosen, Models, Gangstern und Finanzgenies. Held ist Pierre-Paul Daoust, ein promovierter Philosoph, der als Paketbote arbeitet. Der Widerspruch in Person, eher unbeholfen und linkisch. Nur an Obdachlosen, für die er sich ehrenamtlich engagiert, geht er nie vorbei, ohne etwas zu spenden. Das Materielle ist ihm scheinbar nicht so wichtig. Aber an zwei Reisetaschen voller Geld, die ihm als Überbleibsel eines Raubüberfalls buchstäblich vor die Füße fallen, geht er dann doch nicht vorbei. Und damit nimmt die Geschichte ihren Lauf.

Figuren

Im Grunde ist Pierre-Paul mit seinem Fund völlig überfordert und bunkert seinen Schatz erst mal in einem Mietcontainer. Ein bisschen zwackt er natürlich für elementare Bedürfnisse ab, zum Beispiel Sex mit einer Frau. So trifft er auf die Edelprostituierte Camille Lafontaine, in die er sich verliebt. Sie ist die zweite im Bunde, der dritte ist das Finanzgenie Sylvain Bigras, genannt „The Brain“. Den weiht Pierre-Paul in seinen Fund ein, damit der ihn zweckmäßig verwaltet. Zusammen mit dem Finanzmogul Wilbrod Taschereau und einer Bankangestellten ist das Quintett vollständig. Sehr schön ist die Verkettung der ins Spiel gebrachten Personen: Ohne die Aneignung des Geldes hätte Pierre-Paul keinen Kontakt zu Camille aufgenommen. Ohne Camille wäre ein Kontakt zu Wilbrod, einem ihrer Ex-Kunden, nie zustande bekommen usw. Alles fügt sich. Nur dieses skurrile Quintett ist in der Lage, den Coup durchzuziehen. Auch die sonstigen Figuren sind nicht minder originell und ebenso hervorragend gecastet.

Genre

Wikipedia und FAZ klassifizieren „Der unverhoffte Charme des Geldes“ als Krimikomödie, der „Filmdienst“ gar als Drama. Nichts davon stimmt. Scheint doch schwieriger zu sein, einen Spielfilm seinem Genre zuzuordnen? Da von Anfang an die Identität des Täters feststeht, geht es mitnichten um die Aufklärung eines Verbrechens. Also, ein Krimi ist es definitiv nicht. Ein Drama schon gar nicht. Da der Held durch seine Aneignung zweier Reisetaschen voller Geld von Anfang an in Gefahr gerät und der komödiantische Grundtenor sich bis zum Ende durchzieht, handelt es sich um einen Genremix aus Thriller und Komödie, also um eine Thrillerkomödie.

Schwachpunkte

Da die Polizei Pierre-Paul verdächtigt, im Besitz des Geldes zu sein und auf Schritt und Tritt observiert, fragt man sich, wieso das Ver- und Ausgraben der Geldscheine nicht beobachtet wird? Überhaupt machen die Ermittler keinen besonders gefährlichen Eindruck. Sie sind zwar eifrig bemüht, kommen aber immer zu spät, zum Beispiel bei der finalen Geldverteilung des Quintetts an Steuerflüchtige. Noch gravierender ist die fehlende Gefahr, die von den Besitzern des geraubten Vermögens ausgeht. Die Mafiosi foltern zwar einen der jugendlichen Gangster des Raubüberfalls, lassen Pierre-Paul und Camille aber ungeschoren. Dieses dramatische Potenzial darf man sich eigentlich nicht entgehen lassen. Vor allem wirkt die Ermordung des konkurrierenden Gangsterbosses Vladimir kontraproduktiv. Von wem wollen die Mafiosi denn jetzt das Geld zurückbekommen? Was hat die Kripo davon, wenn sie am Ende Wilbrod mit einem minderjährigen Model eine Falle stellt? Der Ruf des Finanzmoguls ist zwar ruiniert, aber strafrechtlich wird es schwierig, ihn zu belangen, wie er die Polizisten auch sofort belehrt: „Die Reichen und Mächtigen entkommen der Justiz“.

Lösungen

Vor dem Vergraben des Geldes hätte man nur zeigen müssen, wie Pierre-Paul und seine Freunde sich ihrer polizeilichen Verfolger entledigen. Das Ermittlerduo hätte ruppiger und durchtriebener agieren können. Es hätte zum Beispiel versuchen können, einen Keil zwischen das Quintett zu treiben. Wie wär’s denn gewesen, wenn sie Pierre-Paul mit einem angeblichen Geständnis von „The Brain“ erpresst hätten? Wie wär’s denn gewesen, wenn die Mafiosi mit Hilfe eines Informanten bei der Polizei Pierre-Paul auf die Spur gekommen wäre? Das hätte seine Schwierigkeiten multipliziert. Ohne erzählerische Konsequenzen ist die finale Falle für Wilbrod überflüssig. Eigentlich wäre es viel schöner gewesen, wenn das Model tatsächlich ein Geschenk von Camille gewesen wäre, natürlich ein volljähriges.

Fazit

Das märchenhafte Happy End passt zur komödiantischen Atmosphäre von „Der unverhoffte Charme des Geldes“. Es ist sehr berührend und brillant inszeniert, wenn Pierre-Paul und Camille am Ende dem obdachlosen Jean-Claude eine Wohnung zur Verfügung stellen. Hier wird auch die Philosophie von Denys Arcand extrahiert: Das rücksichtslose Zusammenraffen von Geld macht weniger glücklich als eine sinnvolle Umverteilung. Vergesst die Schwachen nicht! Das ist auch die Botschaft der eindrucksvollen Schlussbilder, die Gesichter von echten Obdachlosen zeigen, in denen sich die Kehrseite eines Lebens im Wohlstand widerspiegelt.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für "Der unverhoffte Charme des Geldes"

Midnight Run (Martin Brest) 1988

„Midnight Run“ ist eine originelle Thrillerkomödie, die neben den üblichen Genrezutaten vor allem die Geschichte einer Freundschaft erzählt. Da ist zum einen der desillusionierte Kautionsjäger Jack Walsh (Robert De Niro) und zum anderen der ehemalige Mafiabuchhalter Jonathan „Duke“ Mardukas (Charles Grodin). Der hat nicht einfach nur seine ehemaligen Arbeitgeber beklaut, sondern die Beute von 15 Millionen Dollar auch noch der Wohlfahrt vermacht. Es ist ein klassisches „Odd-Couple“-Paar, also zwei gegensätzliche Charaktere, die aufgrund äußerer Umstände aneinander gekettet sind. Hier im buchstäblichen Sinn, denn Jack hat den Auftrag, den „Duke“ innerhalb von fünf Tagen für 100.000 Dollar nach Los Angeles zu schaffen. Nachdem er den Gesuchten in New York aufgespürt hat, fesselt er ihn mit seinen Handschellen. Aber ganz so einfach ist die Rückreise natürlich nicht. Zum einen sind ihnen FBI-Agent Alonzo Mosely (Yaphet Kotto) sowie Mafiaboss Jimmy Serrano (Dennis Farina) mit ihren Leuten auf den Fersen. Zum anderen entpuppt sich der „Duke“ als echte Nervensäge. Zunächst täuscht er eine Flugangst vor, weshalb die Jagd nun mit allen übrigen Verkehrsmitteln fortgeführt wird.

Roadmovie

Was dann folgt, ist wirklich sehr schön gemacht. Ein Roadmovie mit Flucht-Verfolgungsszenen quer durch die USA. Das gibt dem „Duke“ auch Zeit, seinen Entführer mit unangenehmen Fragen zu konfrontieren, ihn zu kritisieren oder ihm gute Ratschläge zu erteilen. Für Jack ist es auch eine Reise in die Vergangenheit und eine Art Therapie. In Chicago hat er früher als Detective bei der Polizei gearbeitet, bis zu seiner Kündigung. Offenbar wollte Jack sich nicht korrumpieren lassen wie viele seiner Kollegen. Die Schmiergeldzahlungen stammten von eben jenem Serrano, dessen Leute nun hinter ihm her sind. Alles fügt sich zusammen.

Backstory

Sehr schön ist auch die Begegnung von Jack mit seiner Ex-Frau, bei der beide schnell wieder in alte Muster verfallen. Den aufkeimenden Streit kann ihre gemeinsame Tochter Denise schlichten. Auch das ist eine sehr schöne, berührende Szene. Überhaupt ist es einer der Vorzüge dieses Films, irgendwie immer MEHR zu bieten. Er ist nicht „nur“ witzig, spannend und rasant. Er lässt sich dann auch wieder Zeit, kümmert sich um seine Figuren, schafft berührende Momente und macht nachdenklich.

Finale

Am Ende hat Jack die Frist eingehalten. Er trifft rechtzeitig mit dem „Duke“ in Los Angeles ein, wo er ihn aber zum Entsetzen seines Auftraggebers laufen lässt. Damit verzichtet Jack zwar auf sein Honorar, hat aber einen Freund fürs Leben gewonnen. Außerdem entpuppt sich das Geschenk, das er im Gegenzug vom „Duke“ erhält, als das Dreifache seines Honorars. Nachdem die beiden Freunde Abschied genommen haben, entledigt Jack sich seiner alten, kaputten Armbanduhr (ein Geschenk seiner Ex-Frau). Er ist bereit für einen Neuanfang und geht beschwingten Schrittes in die Nacht.

Figuren

Darüber hinaus sind alle Figuren und Nebenfiguren hervorragend gecastet: Der schmierige Besitzer des Kautionsbüros, sein kauziger Gehilfe, der bullige, etwas unterbelichtete Kautionsjäger Marvin Dorfler usw.
„Midnight Run“ zeigt auch wie Running Gags kunstgerecht eingesetzt werden. Dreimal schafft Jack es, seinen Konkurrenten Marvin mit einem billigen Trick abzulenken. Beim vierten Mal will Marvin partout nicht drauf reinfallen und sich umschauen. Hätte er es dieses Mal doch gemacht, dann hätte er hinter sich eine ganze Armada von Polizisten sehen können. So ist er wieder der Gelackmeierte.

Schwachpunkte

Ein paar Schwachpunkte gibt es schon: FBI und Mafiosi wirken ein bisschen unterbelichtet. Das ist stellenweise ganz amüsant, aber nicht sonderlich spannend. Das betrifft auch sämtliche Schießereien, bei denen wie durch ein Wunder niemand getroffen wird. Insgesamt hätten die Verfolger ein bisschen hinterhältiger sein können. Dass es ganz einfach ist, am Telefon die Kreditkarte einer anderen Person zu sperren, muss man schlucken. Ebenso wie Serranos plötzliches Interesse an angeblich belastenden Disketten. Diese Datenträger sind doch unendlich duplizierbar, was doch auch ein etwas einfältiger Mafiaboss ahnen könnte. Trotzdem macht „Midnight Run“ einfach gute Laune!

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 5 blaue Smileys und 2 schwarze traurige Gesichter für "Midnight Run"