Black Bag (Steven Soderbergh) USA 2024

Dieser Spionage-Krimi (kein Thriller) ist einfach nur enttäuschend. Immerhin hat Steven Soderbergh mal so brillante Thriller wie „Traffic – Macht des Kartells“ hergestellt. Aber das ist lange her, über 20 Jahre. „Black Bag“ ist eine mäßig spannende, stilisierte, manierierte, antiquierte, theatralische Agatha-Christie-Variante im Agentenmilieu. Ein sogenanntes Whodunit, ein Rätselspiel, das Alfred Hitchcock einst wie folgt bewertet hat: „Das Whodunit erweckt Neugier, aber ohne jede Emotion“. Genau das ist das zentrale Problem von „Black Bag“: Es entstehen keine Gefühle. Zudem gibt es eine Fülle von Unglaubwürdigkeiten.

Story

In einer Einheit des britischen Geheimdienstes SIS gibt es einen Maulwurf. Ein internes Computerprogramm, das einen Atomreaktor zur Kernschmelze bringen kann, ist entwendet worden. Ein Missbrauch würde eine nukleare Katastrophe zur Folge haben. Agent George Woodhouse (Michael Fassbender) bekommt eine Liste mit fünf Verdächtigen, unter denen sich auch der Name seiner Frau befindet. Innerhalb einer Woche will er den Verräter finden und eliminieren, was er dann auch schafft.

MacGuffin

Das Computerprogramm „Severus“ ist ein sogenannter MacGuffin, den Hitchcock wie folgt definiert: „Das ist eine Finte, ein Trick, ein Dreh … Macguffin ist also einfach eine Bezeichnung für den Diebstahl von Papieren, Dokumenten, Geheimnissen. Im Grunde sind sie ohne Bedeutung …“ Hier ist es ein MacGuffin von fragwürdiger Qualität: Wieso sollte denn die Kernschmelze eines Reaktors zum Sturz des russischen Regimes führen? Es könnte auch genau das Gegenteil passieren, nämlich dann, wenn es dem Regime gelingt, die Verursacher zu identifizieren und an den Pranger und sich als Opfer hinzustellen. Darin sind solche Regimes doch geübt, vorzugsweise mit Vorgängen, die nicht auf Tatsachen beruhen. Die Qualität dieses MacGuffins ist Ausdruck der Qualität dieses Films.

Dramaturgie

Spannung entsteht eigentlich nur ein einziges Mal, als George mit seiner Kollegin Clarissa in einem Zeitfenster von gut drei Minuten mittels eines Satelliten seine Frau in Zürich ausspioniert. Da gibt es so etwas wie zeitlichen Druck, der tödliche Konsequenzen haben könnte. Ansonsten gerät George kein einziges Mal in Gefahr. Von einem klassischen Erzählmotiv und Suspense ist weit und breit nichts zu sehen. Der Spannungsaufbau ist ein Armutszeugnis.

Figuren

„Ich dachte schon, du bist ein Mensch“, wirft Clarissa unserem Helden irgendwann vor. Genau das ist ein weiteres zentrales Problem dieses Films: George agiert emotionslos im Stile eines Roboters. Diese ganze Künstlichkeit geht nicht spurlos am Zuschauer vorbei. Irgendwann überträgt sie sich. Aber Film ist „Reaction“ und nicht „Action“ (Dudley Nichols). In „Black Bag“ dominiert die Kälte. Es knistert nicht zwischen den Personen. Auch im Schlafzimmer begegnen sich George und seine Frau sittsam in Schlafanzügen. Irgendwann sind einem diese ganzen stocksteifen Figuren auch egal. Ein weiterer Schwachpunkt ist der Antagonist James, der ein Dummkopf ist (s.u.), was Hitchcock wie folgt auf den Punkt bringt: „Je gelungener der Schurke, umso gelungener der Film“.

Machart

Dass der Film ohne Action auskommt, sollte man ihm nicht vorwerfen, obwohl es für einen Spionagefilm schon bemerkenswert ist. Was man ihm vorwerfen kann, ist folgendes: Im Intro begleiten wir den Helden in einer minutenlangen Einstellung von hinten. Wir sehen nur seinen Rücken. Wir sehen auch nicht richtig, was vor ihm ist. Das ist ja von seinem Körper verdeckt. Was sollen solche Aufnahmen bewirken? Später dürfen wir George – wieder von hinten – noch einmal durch die Büroräume des SIS begleiten. Das Ambiente ist sehr stylish, luxuriös, glamourös – so wie Agenten eben leben. Die jazzige Percussion-Filmmusik passt gut zum künstlichen Geschehen. Wieder hat Soderbergh neben der Regie auch die Kamera geführt. Auch das ist ein Fehler. Eine Filmcrew ist ein Team, in dem sinnvollerweise die einzelnen Bereiche auf mehreren Schultern verteilt sind. Seine egomanischen Anwandlungen sind in etwa vergleichbar mit den Ambitionen eines Fußballers, neben der Position des Innenverteidigers auch noch die des Torwarts auszufüllen. Das schmälert natürlich die Chancen des Teams auf ein erfolgreiches Spiel.

Weitere Ungereimtheiten

Als George eine Kinokarte im Papierkorb seiner Frau findet, ist die Manipulation eigentlich offensichtlich. Warum erkennt ein geschulter Agent wie George nicht sofort diese Falle? Die therapeutischen Gespräche von Dr. Vaughan und ihren Klienten sind eine Lachnummer, insbesondere ihr Trennungsgespräch mit „Bösewicht“ James. Warum sollte der eigentlich allein mit George eine Bootsfahrt auf dem einsamen See unternehmen? Die Gefahr einer tödlichen Konfrontation liegt doch auf der Hand. Am Schluss sitzen alle fünf Verdächtigen wieder am Essenstisch, auf dem eine geladene Pistole platziert ist. Da weiß doch jedes Kind, dass die keine Patrone enthält. Jedes Kind? Nein. Nur unser „Antagonist“ James nicht. Der greift nämlich zur Waffe, outet sich und feuert Platzpatronen ab. Das war’s dann für ihn. Dümmer geht’s nimmer. Erstaunlich auch, wer da alles eine Affäre mit wem hatte. Da wird Dr. Vaughan, die eigentlich mit James liiert ist, als Geliebte von Agent Freddie enttarnt. Chef Meacham scheint es gleich mit mehreren zu treiben, bis er ins Gras beißen muss. Nur, was hat das alles mit der eigentlichen Geschichte zu tun? Wahrscheinlich gibt sie sonst zu wenig her?

Fazit

„Black Bag“ ist ein ödes, uninspiriertes Verwirrspiel.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 1 blauer Smiley und 6 schwarze traurige Gesichter für "Black Bag".

Muzzle (John Stalberg jr.) USA 2023

Der Copthriller „Muzzle“ von John Stalberg jr. punktet mit originellen Figuren, Locations und einem klassischen Erzählmotiv, nämlich Rache. Officer Jake Rosser (Aaron Eckhart) gerät bei einem Polizeieinsatz in einen Hinterhalt. Dabei werden nicht nur zwei Kollegen getötet, sondern auch sein Schäferhund Ace. Weil der Fall ein paar Ungereimtheiten aufweist, beginnt Jake auf eigene Faust herumzuschnüffeln (Muzzle heißt Schnauze). Der Plot erinnert an den Actionthriller „John Wick“. Der ist allerdings – zum Nachteil der Russenmafia – wesentlich bleihaltiger. In „Muzzle“ müssen am Ende chinesische Gangster dran glauben.

Stärken

Jake ist ein Kriegsveteran, ein Dickkopf und Eigenbrötler. Unterhaltungen pflegt er mit seinem Hund zu führen, mit Menschen eher widerwillig. Mit denen scheint er schlechte Erfahrungen gemacht zu haben. Jake ist keine sympathische, aber eine interessante Figur. Vorbildlich ist auch die Konzentration auf den Helden. Es gibt praktisch keine Szene, in der Jake nicht präsent ist. Hervorragend ist das Casting und die Ausstattung der Milieus, vor allem der Obdachlosen auf den Straßen von Los Angeles. Die Kameraarbeit ist herausragend. Da waren Könner am Werk. Sehr schön ist auch die Annäherung Jakes an seinen neuen Schäferhund, den traumatisierten Socks. Das Hundetraining ist fesselnd eingefangen. Überhaupt sind das die Stärken dieses Films, wenn er ganz ruhig, fast dokumentarisch die Polizeiarbeit oder aufkeimende Freundschaften beschreibt.

Schwächen

Die Darstellung der chinesischen Mafiosi wirkt eher kurios. Warum werden Drogengangster immer so klischeehaft in Szene gesetzt? „Anora“ von Sean Baker zeigt wie’s gemacht wird. Die Story entwickelt sich irgendwann ziemlich wirr und abstrus. Kollege Officer Hernandez ist Jake auf dem Revier erst feindlich gesinnt. Warum er sich dann auf dessen Seite schlägt und beim Showdown Schützenhilfe leistet, erfahren wir nicht. Überhaupt hat Jake zu viele Helfer. Da ist auch noch seine Kollegin, Detective Ramos, die ihn wiederholt und illegal mit Informationen füttert. Dramatischer wäre es natürlich, wenn Jake bei seinen Ermittlungen ganz auf sich allein gestellt wäre.

Weitere Ungereimtheiten

Warum richtet Santiago, Chef der Holzverarbeitung, Hunde für die chinesische Drogenmafia ab? Sollen die deren Lager sichern, was die Gangster ja auch anders bewerkstelligen könnten? Oder fungieren die Hunde als Drogenkuriere? Auch das erfahren wir nicht. Nachbarin Mia hat keine Handlungsrelevanz. Dieser Nebenerzählstrang zeigt am Ende nur, dass Jake auf dem Weg der Genesung ist. Am Ende unterhält er sich nicht mehr mit seinem Schäferhund, sondern mit seinem Baby.

Fazit

„Muzzle“ ist teilweise sehr gut gemacht, bevor er im zweiten Teil aus der Spur gerät.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 4 blaue Smileys und 3 schwarze traurige Gesichter für Muzzle.

Der fremde Sohn (Clint Eastwood) USA 2008

Nichts für schwache Nerven. Clint Eastwood demonstriert mit „Der fremde Sohn“ mal wieder sein Gespür für das dramatische Potenzial von Filmstoffen, die auf wahren Begebenheiten beruhen. Der Psychothriller behandelt die Wineville-Chicken-Coop-Morde, die sich in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts in der Nähe von Los Angeles ereigneten. Die absurd anmutende Geschichte würde wohl ohne dieses Hintergrundwissen als völlig unglaubwürdig eingestuft werden, als Machwerk eines durchgeknallten Autors. Aber gerade dieses Wissen um die wahren Begebenheiten steigert die Fassungslosigkeit des Betrachters angesichts dessen, was der Heldin Christine Collins (hervorragend: Angelina Jolie) da widerfährt.

Die Geschichte

Christine ist alleinerziehende Mutter des neunjährigen Walter. Als sie eines Abends von der Arbeit kommt, ist der Junge verschwunden. Alle Nachforschungen, bei dem das LAPD keine große Hilfe ist, verlaufen im Sande. Erst als Reverend Briegleb in seinen Predigten die mafiösen Strukturen der Polizei anprangert und die Presse mobilisiert, kommt Bewegung in den Fall. Das LAPD braucht Erfolgserlebnisse und erklärt kurzerhand einen aufgefunden Jungen gleichen Alters als den vermissten Walter. Christine wehrt sich gegen diese Willkür und wird schließlich ohne richterliche Anordnung in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Parallel stößt ein Detective des LAPD bei seinen Ermittlungen auf die Serienmorde des Kanadiers Gordon Northcott, der auf seiner Farm dutzende von Kindern missbraucht und getötet hat. Es stellt sich heraus, dass auch Walter auf der Farm gefangen gehalten wurde. Nach Intervention des Reverends wird Christine schließlich wieder auf freien Fuß gesetzt. Der Bürgermeister und die verantwortlichen Polizisten werden von ihren Ämtern suspendiert. Christine gibt ihre Hoffnung nicht auf, dass ihr Sohn doch noch am Leben sein könnte.

Stärken

Die besten Filme haben ganz einfache und verständliche Geschichten. Das ist einer der Vorzüge von „Der fremde Sohn“. Er konzentriert sich auf das Verschwinden eines Kindes und der daraus resultierenden Sorge seiner Mutter, die in albtraumhaften Sequenzen vorbildlich eskaliert wird. Anstatt Hilfe zu erfahren, gerät Christine in die Fänge eines sadistischen Psychiaters. Diese schreiende Ungerechtigkeit erzeugt Emotionen. Angelina Joli hätte man diese ergreifende Darstellung einer Charakterstudie gar nicht zugetraut. Als Captain Jones sie zum Beispiel am Arbeitsplatz aufsucht und ihr mitteilt, dass Walter gefunden wurde, geht ihre Reaktion schon unter die Haut. Am Ende gibt es Hoffnung, auch weil sie allmählich ins Leben zurückkehrt und sich mit dem fürsorglichen Ben verabredet.

Schwächen

Gut und Böse sind klar verteilt. Das trägt einerseits zum Verständnis bei, andererseits sorgt es nicht gerade für Überraschungen, zumal die Figuren im Verlauf der Geschichte keine Entwicklungen erfahren. Dann hat Christine zu viele wohlgesonnene Helfer, zum Beispiel den Reverend und Anwalt Hahn. Das ist zwar ganz schön, wenn sie Unterstützung erfährt, aber nicht dramatisch. Hier wäre die Etablierung von Hindernissen vorteilhaft gewesen. Entscheidender Schwachpunkt ist aber die frühe Terminierung von Christines Freilassung aus der psychiatrischen Klinik. Ab diesem Moment sackt der Spannungsbogen rapide nach unten. Ihre Freilassung hätte natürlich am Schluss platziert werden müssen, quasi als Folge des Gerichtsprozesses, in dem Captain Jones und Chief Davis suspendiert werden. 

Fazit

„Der fremde Sohn“ ist ein hervorragend gemachter Psychothriller, brillant fotografiert und inszeniert, mit dramaturgischen Schwächen im letzten Drittel.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 5 blaue Smileys und 2 schwarze traurige Gesichter für "Der fremde Sohn".

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Wenn es Nacht wird in Paris (Jacques Becker) F 1954

„Wenn es Nacht wird in Paris“ von Jacques Becker ist ein ruhiger und konzentrierter Gangsterthriller, der die Geschichte einer Männerfreundschaft erzählt. Neben den beiden Ganoven Max (Jean Gabin) und Riton (René Dary) gibt es einen weiteren Protagonisten: Das ist das nächtliche Paris mit seinen Bars, Clubs, Restaurants, Treppenhäusern, Straßen und Menschen, die es mit Leben füllen. Kameramann Pierre Montazel setzt diesem Milieu in schattendurchsetzten Schwarzweiß-Bildern ein Denkmal.

Die Geschichte

Nach einem letzten Coup wollen die Gangster Max und Riton sich zur Ruhe setzen. Doch Drogendealer Angelo (Lino Ventura) will ihnen die Beute, Goldbarren im Wert von 50 Millionen Franc, wieder abjagen. Er weiß um die Freundschaft der beiden, entführt Riton und erpresst Max zur Herausgabe des Goldes. Doch der Austausch des Gefangenen gerät beim bleihaltigen Showdown zum Fiasko. Alle Kidnapper sterben, das Gold geht verloren und Riton wird schwer verletzt. Trotz ärztlicher Versorgung erliegt er kurz darauf seinen Verletzungen. Max steht mit leeren Händen da.

Machart

„Wenn es Nacht wird in Paris“ kommt gänzlich ohne Polizei und Brutalitäten aus, sieht man mal vom Feuergefecht im Finale ab. Der Film noir konzentriert sich ganz auf die Männerfreundschaft und die Abwicklung des letzten Coups. Frauen sind mehr oder weniger Staffage. Sehr schön ist die Szene in einer von Max angemieteten Wohnung, in der die Freunde im Stile eines alten Ehepaares agieren. Riton reklamiert das unbequemere Schlafsofa für sich, putzt sich im Bad die Zähne und überprüft sein Spiegelbild. „Schau dich an“, hat Max ihm zuvor geraten. „Wir sind alt geworden. Es ist Zeit aufzuhören“. Eine Erzählerstimme beschreibt sein Verhältnis zu Riton, in dem er über den Freund lästert, ohne seine Gefühle verbergen zu können: „Er ist eitel, aber dämlich“.

Leinwandpräsenz

Jean Gabin hat eine unglaubliche Präsenz. Er füllt die Leinwand aus, ohne ein Wort zu verlieren. Er ist der König der Pariser Unterwelt. Wenn er auftaucht, öffnen sich die Türen, sind ihm alle zu Diensten. Trotz seines fortgeschrittenen Alters liegen ihm die Frauen zu Füßen. Am Ende hat er alles verloren, weil die Freundschaft zu Riton ihm wichtiger war als das Gold. Seinen Schock über die Nachricht vom Tod seines Freundes kann er nur mühsam verbergen. Letztlich ist der Film eine Metapher über den Wert einer Freundschaft, die in diesem Fall mehr wiegt als Goldbarren im Werte von Millionen.

Fazit

Ein schöner, ruhiger Gangsterfilm mit einem atmosphärisch dichten Ausflug in die Pariser Unterwelt der 50er Jahre.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 5 blaue Smileys und 2 schwarze traurige Gesichter für "Wenn es Nacht wird in Paris".

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Eine Frau mit berauschenden Talenten (Jean-Paul Salomé) F 2019

„Eine Frau mit berauschenden Talenten“ von Jean-Paul Salomé ist eine über weite Strecken spannende und originelle Thrillerkomödie im Drogenmilieu, bis sie im letzten Drittel Opfer eigener Überfrachtungen wird.

Die Geschichte

Patience Portefeux (umwerfend: Isabelle Huppert), alleinerziehende Mutter zweier heranwachsender Töchter, arbeitet als Dolmetscherin im Drogendezernat der Kripo, mit dessen Chef Philippe sie seit einem Jahr liiert ist. Das Geld ist ständig knapp, zumal für ihre im Seniorenheim lebende Mutter hohe Kosten anfallen. Eine echte Hilfe ist die arabische Pflegerin Kadidja, die sich rührend um die Mutter kümmert. Bei einer Abhöraktion entdeckt Patience, dass Kadidjas Sohn in einen Drogenschmuggel größeren Ausmaßes verstrickt ist. Sie warnt Pflegerin und Sohn, der im letzten Moment die Ladung verstecken kann, aber dann von der Polizei festgenommen wird. Zusammen mit dem altersschwachen Drogenspürhund DNA kann Patience das Rauschgift schließlich in einem verlassen Trafohäuschen aufspüren. Als das Pflegeheim ausstehende Mietzahlungen verlangt, schlüpft Patience in die Rolle einer Drogendealerin. Als „Madame Hasch“ liefert sie sich ein Katz-und-Maus-Spiel mit Gangstern und Polizei.

Stärken

Der Film punktet mit seinen originellen Figuren, die allesamt hervorragend besetzt sind. Das Personal im Pflegeheim agiert genauso stimmig wie die trotteligen Dealer oder die Gangster des arabischen Clans. In den Dialogen geht es zur Sache: „Was kostet dieser Plastikscheiß von unterbezahlten Chinesen?“, fragt Patience, nachdem sie einen Spielzeug-Dinosaurier an der Kasse eines Museums hat mitgehen lassen. Häufig sind die Dialoge unkorrekt, eben so wie manchmal auch geredet wird: „ … ich bin dermaßen angekotzt.“ Das Erzähltempo ist rasant und vor allem – genau – gibt es Suspense, heißt: Wir wissen um Patiences Doppelspiel, nicht aber die anderen. Dieser Informationsvorsprung erzeugt in erster Linie die Spannung.

Schwächen

Weniger wäre mehr gewesen. Der Nebenerzählstrang mit der chinesischen Hausverwalterin Collette Fo ist völlig überzogen. Die blutige Schießerei bei der Hochzeit ihrer Tochter passt überhaupt nicht zum eher gewaltarmen Grundtenor der Thrillerkomödie. Das Ableben der beiden Cherkaoui-Brüder würde das Problem auch nicht lösen, denn der Clan umfasst ja eine Vielzahl von Gangstern, die nun erst recht zur Jagd blasen würden. Aus der verbleibenden Restmenge an Rauschgift in Höhe von knapp 500 Kilogramm (bei einer Gesamtmenge von 1.500) resultiert eine Verkaufsmenge von einer Tonne. Das erscheint dann doch reichlich unwahrscheinlich, zumal Patience im Verlauf ihrer Dealerkarriere ja eine neue Strategie proklamiert hat: „Winzige Mengen, um keinen Verdacht zu wecken“. Dass dieser Handel dann in einem Supermarkt mit Videoüberwachung abgewickelt wird, ist schon etwas verwunderlich. Damit hat Philippe ja am Ende endgültig den Beweis ihrer Täterschaft.

Weitere Ungereimtheiten

Wenn Patiences Stimme im Beisein der anderen Drogenfahnder bei den abgehörten Telefonaten in ihrer Rolle als „Madame Hasch“ ertönt, dann ist es schon erstaunlich, dass niemand ihre Stimme erkennt. Hier hätte ein Stimmenverzerrer für Abhilfe sorgen können. Woher wissen die Cherkaoui-Brüder, wo Patience wohnt? Selbst wenn sie das Hochhaus kennen würden, in dem sie lebt, wüssten sie damit noch lange nicht ihren Nachnamen und ihr Apartment. Was genau hat ihr krimineller Ex-Mann früher getrieben? Was waren das für Schulden, die er angehäuft hat und bei wem? Was soll diese Schlussszene am See? Welche Bedeutung hat sie?

Lösungen

Ganz einfach. Den überzogenen Nebenerzählstrang mit der chinesischen Hausverwalterin, einschließlich der Schießerei, einfach streichen. Das Ende hätte man besser wie folgt gestalten sollen: Patience sucht aus guten Gründen den Ausstieg aus dem Drogenhandel und verfrachtet den verbliebenen Stoff in einen Transporter. Eine SMS informiert den Cherkaoui-Clan über den neuen Übergabeort. Der Transporter könnte einfach auf einem Parkplatz abgestellt sein. Die Nachricht wird von der Polizei abgehört, alle Drogendealer in flagranti ertappt. Im Besitz einer derartigen Menge würde sie das mindestens 10 bis 15 Jahre hinter Gitter bringen. Außerdem würden die Drogen konfisziert und vernichtet werden, Philippe hätte einen Erfolg und ein zusätzliches Motiv gehabt, belastendes Videomaterial zu löschen. Erst dann wäre die Geschichte wirklich zu Ende gewesen. So ist das nicht befriedigend.

Fazit

Insgesamt ist „Eine Frau mit berauschenden Talenten“ eine kurzweilige und vergnügliche Thrillerkomödie, wobei Schwächen im Schlussdrittel den positiven Gesamteindruck etwas schmälern.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 4 blaue Smileys und 3 schwarze traurige Gesichter für "Eine Frau mit berauschenden Talenten".

Bastion 36 (Olivier Marchal) F 2024

Okay, manchmal haben die Franzosen es auch nicht drauf. Schon mit „Die Banden von Marseille“ hat Olivier Marchal verraten, dass er nichts vom Regiefach versteht. Jetzt hat er mit „Bastion 36“ nachgelegt. Entstanden ist ein unglaubwürdiger, geschwätziger Abklatsch von allen möglichen Copthrillern, in denen wir mal wieder glauben sollen, dass eine gesamte Spezialeinheit der Polizei aus geldgierigen Gangstern besteht, die auch vor Mord nicht zurückschrecken. Wahrscheinlich hat Marchal sich diese tätowierte, whiskysaufende und rauchende Kaspertruppe von „Criminal Squad“ zum Vorbild genommen, anstatt „American Gangster“ von Ridley Scott oder „L.A. Confidential“ von Curtis Hanson. Letztere Versionen haben auch den Vorteil, dass sie zeitlich und örtlich so angesiedelt sind, dass die Akzeptanz derartiger Konstruktionen nicht ständig malträtiert wird. 

Triumph der Ungereimtheiten

Es fängt mit der Verfolgung des Drogenbosses Karim an. Der wird schließlich vom jungen Antoine Cerda, Mitglied der Eliteeinheit „Bastion 36“, gestellt und gleich wieder laufen gelassen. Häh? Wozu jetzt der ganze Aufwand, wenn es keine Gründe für eine Festnahme gibt? So geht das dann munter weiter. Warum Antoine sich bei illegalen Boxkämpfen prügelt, bleibt sein Geheimnis. Wahrscheinlich ein Masochist? Wichtiger als die Story und ihre Handlungslogik sind Marchal die üblichen männlichen Attribute: Saufen, rauchen, Tattoos, schnelle Autos, Prügeleien, Schießereien. Emotionen stellen sich bei diesem Treiben nicht ein.

Unfreiwillige Komik

Stattdessen dürfen wir ab und zu herzhaft lachen, zum Beispiel als Antoine nach seiner Suspendierung und einem Zeitsprung von sechs Monaten mal wieder bei seiner Freundin Anna aufkreuzt. Die ganze Zeit war er auf Tauchstation und fragt sie jetzt: „Bist du sauer?“ Das ist schon witzig. Natürlich ist sie nicht so ungehalten, dass sie unserem Filou nicht verzeihen könnte. Auch das passt in Marchals einfach gestricktes Rollenverständnis.

Lösungen

Warum sollten die schwarzen Schafe einer Polizeieinheit sich überhaupt untereinander abmurksen? Das macht doch keinen Sinn. Sie beziehen doch einen erträglichen Lohn plus Nebeneinnahmen aus kriminellen Machenschaften. Einziges Motiv wäre der mögliche Ausstieg eines  Komplizen. Aber dann wäre einer tot und nicht ein halbes Dutzend, mal abgesehen von dem Wirbel, den die Ermordung eines Polizeibeamten verursachen würde. Viel besser wäre es, wenn Drogenboss Karim hinter der Ermordung stecken würde. Er hätte ein profundes Motiv: Die kriminellen Cops untergraben seine Drogengeschäfte. Das kann er nicht zulassen. Versteht jeder. Am Ende hätte er für „Ordnung“ gesorgt, nicht die Polizei. Mangels Beweisen hätte man ihn laufen lassen müssen, aber nicht am Anfang. Dann könnte alles wieder seinen gewohnten Gang gehen. Das wäre ein besseres, auch ironisches Ende gewesen. Aber ohne interessante Figuren ist sowieso alles für die Katz, also beim Erzählen von Geschichten.

Fazit

Es gibt einige interessante Netflix-Produktionen, „Bastion 36“ gehört zu den grottigen.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 1 blauer Smiley und 6 schwarze traurige Gesichter für "Bastion 36".

Der Panther wird gehetzt (Claude Sautet) F 1960

Die Franzosen haben’s schon drauf. Jedenfalls meistens. „Der Panther wird gehetzt“ ist ein atmosphärisch dichter, spannender Gangsterfilm, der im Winter des Jahres 1959 in Mailand, Südfrankreich und Paris spielt. Die Geschichte wird aus der Perspektive des von der Polizei gejagten Schwerverbrechers Abel Davos (Lino Ventura) erzählt. Diese strukturelle Entscheidung generiert jede Menge Gefahrenmomente für den Protagonisten und führt zu einer Synchronisation mit seiner Gefühlswelt. Man findet ihn nicht sympathisch, aber zittert mit ihm mit. Außerdem wird hier ein klassisches Erzählmotiv etabliert: der Verrat, zusätzlich angereichert mit einem Rachemotiv und Flucht-Verfolgungs-Szenen. Das lapidare, unkonventionelle Finale demonstriert die Ausweglosigkeit des in die Enge getriebenen Panthers.

Die Geschichte

Bei einem Feuergefecht mit der Polizei werden Thérèse, die Frau von Abel Davos, und sein bester Freund getötet. Zusammen mit seinen beiden kleinen Jungen – 5 und 7 Jahre alt – taucht der Gangster in Nizza unter. Er bittet drei alte Komplizen in Paris um Hilfe, die den jungen Gauner Eric Stark (Jean-Paul Belmondo) mit dieser heiklen Mission beauftragen. Getarnt in einem Krankenwagen bringt Eric den Gangster und seine Kinder nach Paris. Unterwegs gabeln sie noch die Schauspielerin Liliane auf, die ihnen bei einer Polizeikontrolle aus der Patsche hilft. In Paris findet Abel Unterschlupf in einer Dachkammer von Erics Wohnhaus. Nachdem die Polizei seine alten Freunde unter Druck setzt, versuchen sie die Adresse seines Verstecks in Erfahrung zu bringen. Aber Abel kommt hinter den Verrat und beginnt einen tödlichen Rachefeldzug. Den beendet er abrupt, als er erfährt, dass die Ehefrau eines von ihm getöteten Ex-Freundes einem Herzinfarkt erlegen ist.  

Stärken

Die Perspektive des flüchtenden Gangsters impliziert einen Haufen Schwierigkeiten und das ist gut so. Zum Teil sind diese Probleme, selbst für einen „Panther“, auch erstaunlich irdisch und normal. So ist Abel zum Beispiel gezwungen, seine beiden kleinen Jungen irgendwie unterzubringen. Sie sind natürlich ein Störfaktor bei seiner Flucht. Auch wenn man sich nicht für Abel erwärmt, man fühlt mit ihm, etwa so wie mit Tom Ripley in der Thrillerreihe von Patricia Highsmith. Das ist das Stichwort. Da sind wir beim Suspense. Der Zuschauer hat in „Der Panther wird gehetzt“ meist mehr Informationen als Teile der handelnden Personen. Wenn Abel zum Beispiel in Paris eine Bar betritt und sich nach allen Seiten vergewissernd umschaut, dann wissen wir, was in seinem Kopf vor sich geht. Das sorgt auch bei noch so alltäglichen Szenen für Spannung.

Einsamkeit

Sehr schön ausgearbeitet ist auch Abels Gefühl zunehmender Einsamkeit: Thérèse und sein Kumpel werden auf der Flucht erschossen, seine ehemaligen Freunde wenden sich von ihm ab, seine Kinder bringt er bei einem alten Freund seines Vaters unter. Bleibt nur Eric, aber der ist frisch verliebt. Auch da ist Abel außen vor. Irgendwann erklärt er dem jüngeren Freund: „Wenn man für niemanden mehr zu sorgen hat, ist alles sinnlos.“

Finale

Das Ende von „Der Panther wird gehetzt“ ist schon außergewöhnlich. Keine Verfolgungsjagd, keine Ballerei, kein Showdown. Nein. Aus der Zeitung erfährt Abel vom Herztod der Ehefrau seines von ihm getöteten ehemaligen Komplizen. Das erinnert ihn an den Tod seiner eigenen Frau und führt ihm die ganze Sinnlosigkeit seines Kampfes vor Augen. „Das wär’s“, ist sein Fazit. Den Rest der Geschichte, seine Festnahme und Hinrichtung, erledigt der Off-Erzähler. Völlig unspektakulär.

Schwächen

Der Tod von Thérèse hätte Abel stärker belasten müssen. Immerhin trägt er die Hauptverantwortung für dieses Verbrecherdasein. Diesen inneren Konflikt, schuld am Tod seiner Frau und gleichzeitig verantwortlich für seine Flucht und den Schutz der Kinder zu sein, hätte man deutlicher machen müssen. Ähnlich wie in „Charley Varrick – Der große Coup“ von Don Siegel ist das Ableben der geliebten Ehefrau auch hier kein großes Thema. Das ist aber weder glaubhaft noch dramatisch. Die Begegnung mit Liliane auf einsamer nächtlicher Straße, deren brutaler Freund von Eric k.o. geschlagen wird, ist schon ein bisschen absurd. Besser wäre es gewesen, wenn Liliane sich schon am Strand von Nizza mit den beiden Jungen angefreundet hätte. Dann hätte Abel sich für ihre Begleitung aussprechen können und ausgerechnet Eric, ihr späterer Liebhaber, dagegen. Das wäre die Ironie gewesen.

Fazit

Während die Deutschen zeitgleich „Im weißen Rössl“ oder „Das Spukschloss im Spessart“ gedreht haben, liefern die Franzosen mal wieder knallharte Unterhaltung. Ein Anliegen, das Claude Sautet auch noch kunstgerecht umgesetzt hat.

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The Irishman (Martin Scorsese) USA 2017

Je älter Martin Scorsese wird umso länger, langsamer und langweiliger werden seine Filme (s.a. „Killers of the Flower Moon“). Das Mafiaepos „The Irishman“ kommt auf eine Länge von dreieinhalb Stunden! Dahinter steckt vielleicht auch der Wunsch, den eigenen Werken die Bedeutung beizumessen, die ihnen gebührt. Leider bewirkt Scorsese damit exakt das Gegenteil. Diese Monumentalwerke sind meistens redundant und kontraproduktiv. Potenzgehabe? Neben handwerklicher Professionalität offenbart der Gangsterthriller eklatante dramaturgische Defizite. Alles ist interessant und gut gemacht, aber nicht sonderlich spannend. Emotionen weckt der Film eigentlich nur an einer Stelle.

Die Geschichte

Lastwagenfahrer Frank Sheeran (Robert De Niro) verkauft Teile seiner Fracht unter der Hand an die Mafia. So bekommt er Kontakt zu Mafioso Russell Bufalino (Joe Pesci), der ihm Aufträge als Geldeintreiber und Killer verschafft. Anfang der 60er Jahre wird Frank als Leibwächter für den Gewerkschaftsboss Jimmy Hoffa (Al Pacino) abgestellt, zu dem er im Laufe der Jahre eine enge Freundschaft entwickelt. Nach einer mehrjährigen Gefängnisstrafe begreift Hoffa nicht, dass seine Zeit als Gewerkschaftsführer vorbei ist. Nachdem er wiederholt die Mafiabosse gegen sich aufgebracht hat, erhält Frank den Auftrag, seinen Freund zu ermorden. Nach der Liquidierung werden Frank, Russell und weitere Clanmitglieder zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Aus der Haft entlassen, verbringt Frank seine letzten Jahre, einsam und ohne Kontakt zu seiner Familie, in einem Altersheim.

Stärken

Wie in fast allen Filmen von Martin Scorsese sorgt ein Erzähler für den Einstieg in die Geschichte und in die Befindlichkeiten der Protagonisten. Das ist gut, hat eine literarische Qualität, sorgt für einen erzählerischen Rhythmus und manchmal sogar für Tempo. Die Schauspieler sind bis in die letzten Nebenrollen hervorragend gecasted. Es sind echte Typen mit Marotten und Eigenheiten. So legt zum Beispiel ausgerechnet der korrupte Jimmy Hoffa Wert auf Pünktlichkeit, auf angemessene Kleidung und pflegt eine Dickköpfigkeit, die ihm letztlich zum Verhängnis wird. Auch die Mafiosi stehen ihm in nichts nach und zeigen sich erstaunlich empfindsam. An Hoffas Widerspruchsgeist nervt sie seine „mangelnde Wertschätzung“.

Schwächen

Es gibt keine wirklichen Gefahren für den Protagonisten. Einmal wird Frank zum Chef des Bufalino-Clans zitiert. Aber da bekommt er eine zweite Chance, sein Startschuss als Mafiakiller. Das zweite Gefahrenmoment ist der Mordauftrag, der seinen Freund Jimmy Hoffa betrifft. Des Weiteren gibt es kein klassisches Erzählmotiv, was ein entschiedener Nachteil ist. Der Mafiathriller „Donnie Brasco“ von Mike Newell speist seine unglaubliche Spannung aus dem Erzählmotiv „Falsche Identität“ und natürlich aus Suspense. Beides suchen wir in „The Irishman“ vergeblich.

Emotionen

Im Grunde ist Frank kein tauglicher Held. Ohne dass seine inneren Zweifel transparent werden, schlüpft er bereitwillig in die ihm angetragene Rolle eines Mafiakillers. Er ist nichts weiter als ein treuer Gefolgsmann, ein williger Befehlsempfänger. Gerade der Mordauftrag an seinen Freund Jimmy Hoffa hätte nicht nur seine inneren Konflikte befeuern müssen, sondern auch die mit seiner Frau oder Freundin. Das alles bleibt ausgespart. Lediglich der Streit mit seiner Tochter Peggy, die Hoffa hatte, wird angerissen. Das ist aber zu wenig, um eine Nähe zu dieser Figur aufzubauen und Gefühle zu entwickeln. Hinzu kommt wieder das völlig deplatzierte Overacting von DeNiro, der ständig irgendwelche Grimassen schneidet. Das ist ein Störfaktor. Einmal ist sein Gesicht zur Maske erstarrt, als er kurz nach dem Mord an Hoffa mit Mafioso Russell im Auto heimfährt. Da bekommt man eine Ahnung, wie nahe ihm dieser letzte Mord geht. Das ist die Stelle, an der man auch begreift, was der Film alles links liegen lässt.

Lösung

Auf dieses dramatische Potenzial hätte Scorsese sich konzentrieren sollen: Franks Zwiespalt, der aus dem Auftrag der Mafiosi resultiert, seinen Freund Jimmy Hoffa zu liquidieren. Das ist das Drama. Das ist eine Zwickmühle, aus der es kein Entrinnen gibt. Diese innere Zerrissenheit hätte man aber zelebrieren müssen. Sie hätte auch Suspense geschaffen, ein elementarer dramatischer Baustein.

Fazit

„The Irishman“ ist ein handwerklich perfekt gemachter Gangsterfilm, der zwar interessant, aber viel zu lang ist und keine Emotionen weckt. Traue keinem Film über 120 Minuten Länge!

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 3 blaue Smileys und 4 schwarze traurige Gesichter für "The Irishman".

Juror #2 (Clint Eastwood) USA 2024

Ist doch nicht so schwer mit der Spannung. Das Thrillerdrama „Juror #2“ ist ein dramaturgisches Lehrstück, routiniert im besten Sinne: Wir haben einen Helden, der Schuld auf sich geladen hat (Hegel) und in maximale Schwierigkeiten gerät (Hitchcock). Dann haben wir noch ein klassisches Erzählmotiv, nämlich „Der Verdacht“, und vor allem Suspense (Highsmith). Vom ersten Verhandlungstag eines Mordprozesses an wird der Zuschauer durch die Flashbacks des Helden Justin Kemp (Nicholas Hoult) mit Informationen gefüttert, die erstmal nur wir mit ihm teilen. So können wir als Mitwisser Gefühle entwickeln und mit dem Helden mitzittern, zumal der Auslöser für das Drama im Grunde jedem passieren könnte: Die Verursachung eines Verkehrsunfalls bei Nacht und strömendem Regen.

Die Geschichte

Konzentriert und schnörkellos erzählt. Grandios. Am Anfang gibt es eine Überblendung von Justitia, die mit verbundenen Augen in jeder Hand eine Waage hält, auf Justins hochschwangere Frau Allison. Die hat ebenfalls ihre Augen verbunden, aber noch spielt sie nicht Justitia. Das kommt erst später. Jetzt bewundert sie erstmal das Kinderzimmer, das Justin liebevoll eingerichtet hat. Im Garten warten Freunde, um mit ihnen dieses Ereignis zu feiern. Das – man ahnt es schon – wird bald ein Ende haben. Denn Justin muss als Geschworener an einem Mordprozess teilnehmen, in dem er selber für das Ableben des Opfers verantwortlich ist. Damit steht er vor einem existenziellen Dilemma: Gesteht er seine Verwicklung in den Unfall, verliert er alles, was er hat. Schweigt er, macht er sich schuldig an der Verurteilung eines Unschuldigen. Besser geht’s nicht.

Das Finale

Allison will keine alleinerziehende Mutter sein. Am Ende hat sie die Rolle der Justitia inne, indem sie bereit ist, die Mitschuld ihres Mannes zu vertuschen. Das hätte ein möglicher Schluss sein können, denn nicht nur sie, auch die anderen Mitwisser von Justins Schuld haben Gründe, ihr Wissen zu verschweigen. Der Anwalt seines Vertrauens, Larry Lasker (Kiefer Sutherland), ist an seine Schweigepflicht gebunden und für die Staatsanwältin Faith Killebrew (hervorragend: Toni Collette) ist die Verurteilung ein Erfolg, wären da nicht ihre aufkeimenden Zweifel. In der Schlusseinstellung erfahren wir, dass sie dafür sorgt, dass die Waage doch noch in die andere Richtung ausschlägt. Justitia hat gesiegt! Aber wäre der Mantel des Schweigens nicht das dramatischere Ende gewesen?

Das Erzählmotiv

„Juror #2“ erzählt eine Variante von „Der Verdacht“, ein Lieblingsmotiv von Altmeister Alfred Hitchcock. Dessen Thriller behandelten oftmals den „Falschen Verdacht“. Hier“ ist es ein zutreffender, der sich in existenziellem Ausmaß gegen den Helden richtet. Also Ermittlungen, die unaufhaltsam ins Verderben führen. Damit behandelt dieser Stoff noch ein weiteres Erzählmotiv, nämlich „Identität“. Also alle Filme von Protagonisten mit Amnesie, die dann auf der Suche nach ihrer verlorenen Identität in ihrer Vergangenheit ermitteln, haben eine vergleichbare dramatische Struktur: Der Erkenntnisdrang, der geradewegs in den Abgrund führt (s.a. „Angel Heart“ von Alan Parker oder „König Ödipus“ von Sophokles).

Druck

Das anfangs skizzierte idyllische Familienleben dient der Fallhöhe, also der dramatischen Eskalation. Je kontrastreicher um so effektiver. Wie der Druck auf den Helden dann sofort eingeläutet und permanent erhöht wird, ist schon vorbildlich. Das anfangs ungute Gefühl des Helden, am Prozess teilzunehmen, entwickelt sich zur puren Verzweiflung. Justins innere Zerrissenheit wird geradezu zelebriert. Man kann sie nicht steigern. Hitchcock hätte seine Freude daran gehabt. Sehr schön auch die Figur des Anwalts Larry Lasker, der bei den Konsultationen immer wieder verheerende juristische Wasserstandsmeldungen abgibt.

Schwächen

Dass ein Geschworener sich in einem Prozess als Täter entpuppt, ist ein Zufall – unwahrscheinlich aber nicht unmöglich. Er ist der Dramatik geschuldet. Der Gerichtsmediziner dürfte und würde sich in der Verhandlung nie und nimmer zu einer Mordtheorie hinreißen lassen, zumal er sie selber kurz zuvor relativiert hat. Diese fahrlässige Diagnose müsste auch ein Pflichtverteidiger im Verhör zerpflücken. Desgleichen dürfte dieser den älteren Zeugen, der den Angeklagten aus einer Entfernung von über 100 Metern identifiziert hat, nicht ungeschoren davonkommen lassen. Nach zwei Drittel der Geschichte gibt es eine Pattsituation bei den 12 Geschworenen. Die Gründe für ein einheitliches „schuldig“ bis zum Ende werden nicht so recht deutlich. Diese Versäumnisse schwächen die Glaubwürdigkeit der Filmhandlung.

Fazit

Es dürfte in der Filmgeschichte wohl einmalig sein, dass ein 94-jähriger ein derart spannendes und konzentriertes Drama hergestellt hat. Anderen Regiegrößen – wie Hitchcock, Kurosawa oder Truffaut – hat man das Alter in ihren Spätwerken deutlich angemerkt. Bei Clint Eastwood bekommt man so langsam den Eindruck, dass er auch nach seiner Beerdigung noch weiter Filme drehen wird. Dann eben Underground-Filme.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für "Juror #2".

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Crossfire (Claude-Michel Rome) F 2008

Angesichts der Tatsache, dass „Crossfire“ von Claude-Michel Rome hierzulande nicht in die Kinos gekommen ist, erhärtet sich der Verdacht, dass man die besten Filme gar nicht oder selten zu sehen bekommt. Dieser Genremix aus Krimi und Thriller ist inszeniert wie ein Western und – bis auf Anfang und Ende – einfach hervorragend gemacht. Die Geschichte ist unglaublich verdichtet und temporeich. Man muss sich schon konzentrieren, um dem Geschehen folgen zu können. Gut so. Hinzu kommt noch, dass die Locations, die Ausstattung, die Atmosphäre, die Charaktere, die Dialoge, die Beschreibung der Polizeiarbeit ziemlich genial sind. Vor allem dieses Polizeirevier wird niemand so schnell vergessen.

Die Geschichte

Commandante Vincent Drieu (Richard Berry) wird ins kleine südfranzösische Saint-Merrieux strafversetzt. Seine Chefin, die schwangere Kommissarin Vasseur (Zabou Breitman), versucht ihn gleich auf Kurs zu bringen: Dienst nach Vorschrift, in drei Monaten wird das behelfsmäßige Polizeirevier ohnehin abgerissen. Aber Vincent wirkt nur desillusioniert, tatsächlich ist er ein hervorragender, akribisch arbeitender Polizist, der folgerichtig bei seinen Kollegen aneckt, mit der lokalen Unterwelt sowieso. Der scheinbar harmlose Fund eines abgestellten Fahrzeugs im Ghetto führt Vincent nach und nach auf die Spur einer Bande von Gangstern, die mit Drogen und Waffen dealen und auch vor Mord nicht zurückschrecken. Dabei gelingt es ihm, sein anfangs korruptes Team sukzessive zurück auf den Pfad des Gesetzes zu führen. Im bleihaltigen Showdown können sie gemeinsam die Gangster besiegen, wobei sich Kommissarin Vasseur als kriminelle Komplizin entpuppt. Am Ende quittiert Vincent seinen Dienst und verlässt Saint-Merrieux wie er gekommen ist.  

Die Dialoge

Ebenfalls ziemlich genial sind die lakonischen, manchmal auch sarkastischen Dialoge, zum Beispiel als die Polizeichefin Vincent die hiesigen Spielregeln erläutert: „Wir füllen hier das Wachbuch aus. Das war’s.“ Für seine Bleibe im Hotel Marisol hat sie folgende Bemerkung parat: „Wollen Sie nicht lieber eine der Zellen? Die sind bequemer.“ Seinen Hotelnachbarn, der alles organisieren kann, fragt Vincent: „Sind Sie der Weihnachtsmann?“ Seine Kollegen provoziert er mit folgender Frage: „Wieso? Ist das hier’n Revier?“ Die Hypothesen von Clubchef Farge zum scheinbaren Drogentod des Dealers Malik kommentiert Vincent so: „Sie schildern es, als wären Sie dabei gewesen.“ Irgendwann verdichten sich die Hinweise: Vincent ist nicht desillusioniert, sondern nicht korrumpierbar. „Er ist sauer, weil Sie ihm nicht zuhören“, klärt er seine Chefin nach einem Wutausbruch seines Kollegen auf. Diplomatie ist nicht seine Sache.

Stärken

Ein weiterer Vorzug dieses spannenden Copthrillers ist auch die fragmentarische Behandlung der privaten Vorgeschichte des Helden. Auf seinem Hotelzimmer führt Vincent Telefonate mit einer Frau, mit der er offensichtlich eine Liebesbeziehung hatte oder hat: „Komm zurück. Hör auf, bevor es zu spät ist.“ Die näheren Zusammenhänge werden angerissen, aber nicht detailliert beleuchtet. Müssen sie ja auch nicht. „Crossfire“ ist ja kein Melodrama oder deutscher Fernsehkrimi. Gerade diese schlaglichtartige Beleuchtung von Vincents Vergangenheit trägt sowohl zur geheimnisvollen, düsteren Grundstimmung als auch zur Spannung bei. 

Metapher

Herrlich ist das Bild des joggenden Commandante vor der Kulisse einer gigantischen Ölraffinerie. Anfangs läuft Vincent noch allein. Dann stoßen nach und nach die Kollegen seiner Abteilung dazu. Am Ende joggen sie zu Viert. Eine wundervolle Metapher für die Entwicklung der Nebenfiguren. Nur Kollege Jean-Ba gehört nicht zu den Joggern. Dafür ist seine Scham zu groß. Das wird deutlich, als er Vincent vor dem Hotel Marisol das Leben rettet und sich nicht zu erkennen gibt. Am Ende belehrt Vincent seine korrupte Chefin: „Ihr größter Fehler war, dass Sie Ihre Leute unterschätzt haben.“

Schwächen

Die Schießereien zu Beginn und am Ende von „Crossfire“ sind völlig überzogen. Vor allem das Opening ist unnötig brutal. In beiden Situationen können die Gangster eigentlich auch kein Interesse haben, haufenweise Polizisten zu erschießen. Das würde ihnen doch nur eine Armada von Gesetzeshütern auf den Hals hetzen. Nein, den Anfang hätte man einfach weglassen oder anders inszenieren müssen, zum Beispiel so: Der Gefangenentransport hat keine Begleitfahrzeuge. Er besteht nur aus einem Kleinlaster mit zwei Gefängniswärtern und zwei Fahrern. Dann gibt es einen kleinen Unfall. Der Fahrer steigt aus, weil er glaubt, eine Mitschuld zu haben und Hilfe leisten will. Aber der Unfall ist eine Falle. Der Fahrer wird in Geiselhaft genommen, die Freilassung des inhaftierten Gangster erpresst. Leichen: Null.

Showdown

Beim bleihaltigen Finale hätten vier oder fünf Gefolgsleute von Vargas völlig genügt, aber doch nicht 30, die auch noch Gefallen daran finden, sich von den im Revier befindlichen Polizisten abknallen zu lassen. Irgendwie sind sie hier mit den Filmemachern durchgegangen, so als wollte man beweisen, dass nicht nur Hollywood bleihaltige Actionszenen produzieren kann. Wie wäre denn folgendes gewesen?

Lösung

Es gibt zwischen den fünf Polizisten und fünf Gangstern ein Feuergefecht und Verletzte auf beiden Seiten. Am Ende geht den Polizisten die Munition aus, nicht aber den Gangstern. In diesem Moment erscheinen Einwohner des Viertels und stellen sich zwischen die Kontrahenten. Vielleicht sind auch ein paar Ehefrauen der Polizisten oder Kriminellen dabei? Vielleicht auch ein paar Kinder, die den dicken Rémy immer vor der Polizeiwache geärgert haben? Jedenfalls haben die Menschen die Nase voll von Drogen, Korruption, Mord und Totschlag. Wie in „Der einzige Zeuge“ von Peter Weir kapieren die Gangster, dass es keine Lösung ist, erst 50 Unschuldige zu erschießen, um an die eigentlichen Zielobjekte zu gelangen. Also Flucht oder Aufgabe wäre die Lösung gewesen. Insgesamt wäre auch hier weniger mehr gewesen.

Fazit

„Crossfire“ hätte ein ganz großer Wurf werden können, wenn die Filmemacher mehr auf ihre Stärken vertraut hätten: Die liegen in den originellen Figuren und ihren Entwicklungen, in der Polizeiarbeit, in den Locations, der Ausstattung, den Dialogen, vor allem in den ruhigen und melancholischen Momenten des Films.

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