Deepwater Horizon  (Peter Berg) USA 2016

Mit „Deepwater Horizon“ widmet Peter Berg sich einmal mehr der Verfilmung von tatsächlichen Begebenheiten. Und er hat ein Händchen dafür. Wie er Figuren und Lebensabschnitte einführt, Dialoge und Filmmusik einsetzt und kontinuierlich Spannung aufbaut, ist schon gekonnt. Brillant ist die Charakterisierung des Protagonisten, Chefelektriker Mike Williams (Mark Wahlberg), indem wir Zeuge eines Aufsatzes werden, den seine kleine Tochter über den Beruf ihres Vaters verfasst hat. Wie in vergleichbaren sogenannten Katastrophenfilmen ist der Unglücksfall als bekannt vorauszusetzen. Niemand schaut sich ja zum Beispiel einen Film wie „Titanic“ an, um sich davon zu überzeugen, ob der Ozeandampfer tatsächlich Schiffbruch erleidet. Es geht also um andere Dinge.

Story

In „Deepwater Horizon“ sind wirtschaftliche Interessen multinationaler Konzerne (hier: BP) der Auslöser für die Katastrophe. „Wir sind 43 Tage in Verzug“, lautet das Mantra von Manager Donald Vidrine (John Malkovich). Mit diesem aufgebauten Druck, der letztlich zum „Blowout“ führt, werden elementare Sicherheitsstandards ignoriert. Damit wird nicht nur das Leben von 126 Mitarbeitern der Bohrinsel billigend in Kauf genommen, sondern auch eine ökologische Katastrophe nie da gewesenen Ausmaßes. Aus diesem Konflikt bezieht der Thriller sein dramatisches Potenzial: Geld versus Vernunft. Der Ausgang ist bekannt. „Alles, was angeblich nie passieren könnte, ist passiert“, resümiert Mike das Geschehen. Insofern ist dieser Thriller auch eine Parabel über rücksichtslose Geldgier, ein Mahnmal menschlichen Irrsinns. Sing noch mal den „Money-Song“ fordert Mike seine Kollegen auf, die dem gern nachkommen.

Schwachpunkte

Im Grunde ist „Deepwater Horizon“ ein gut gemachter Dokumentarfilm. Was fehlt, ist eine Geschichte wie in „Lone Survivor“ oder „Titanic“. Natürlich gerät Protagonist Mike in existenzielle Gefahr, aber nicht in einen inneren Zwiespalt. In „Lone Survivor“ muss der Held anfangs eine Entscheidung treffen: Sollen wir die beiden Ziegenhirten, Zeugen ihrer geheimen Operation, eliminieren oder laufen lassen? Es ist eine Entscheidung über Leben und Tod mit weitreichenden Folgen, wie sich herausstellen soll. Gerade weil er die Zeugen freilässt, sich menschlich verhält, beschwört er das Drama herauf. Deshalb fühlen wir mit ihm. Deshalb ist er unser tragischer Held, der Schuld auf sich geladen hat (Hegel). In „Deepwater Horizon“ trifft Mike keine Entscheidungen, die dramatische Konsequenzen zur Folge haben. Er hat keine Schuld an den Gegebenheiten. Verantwortlich sind BP und ihre Handlanger. Insofern die Frage, ob nicht Donald Vitrine ein viel tauglicherer Held gewesen wäre? Mike Williams ist das Opfer von betriebswirtschaftlichen Umständen, in die er sich mehr oder weniger freiwillig begeben hat. Mehr aber nicht.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 5 blaue Smileys und 2 schwarze traurige Gesichter für "Deepwater Horizonr"

Der unheimliche Besucher (László Benedek) USA/S 1971

Dieser Rachethriller von László Benedek punktet mit seiner atmosphärischen Dichte, seiner Visualität und einem minutiös erzählten Gefängnisausbruch, der in der Filmgeschichte seinesgleichen sucht. Schon die ersten Bilder stimmen auf die düstere und kalte Atmosphäre des Films ein, was gleichzeitig eines seiner Defizite ist: Der Protagonist Salem (Max von Sydow) läuft nachts in Unterwäsche durch eine schneebedeckte Landschaft auf einen Ort zu. Dort entwendet er im Hause seines Schwagers, des Landarztes Dr. Arthur Jenks, einen Schlips und ein Spritzbesteck mit Chloroform. Anschließend steigt „Der unheimliche Besucher“ in das Haus seiner ehemaligen Freundin Britt und erwürgt sie.

Vorgeschichte

Nach und nach erfahren wir von den zurückliegenden Ereignissen: Vor Jahren lebte Salem mit seiner Schwester Ester (Liv Ullmann) und seinem Schwager auf einem Hof. Letztere planten einen Versicherungsbetrug, bei dem der ganze Hof in Brand gesteckt werden sollte. Ein Landarbeiter, zufälliger Zeuge der Verschwörung, wurde von Dr. Jenks erschlagen. Beweismittel wurden manipuliert und belasteten Salem. In einem Indizienprozess wurde er für schuldig befunden. Sein Anwalt plädierte auf Unzurechnungsfähigkeit, weshalb Salem in eine nahe gelegene psychiatrische Anstalt eingewiesen wurde. Dort klügelte er im Laufe von zwei Jahren einen raffinierten Racheplan aus. So weit die Vorgeschichte.

Geschichte

In der Anstalt gewinnt Salem das Vertrauen eines Wärters. Damit verbundene Freiheiten nutzt er für einen Fluchtplan, der ihm auch eine Rückkehr ermöglicht. Das perfekte Alibi: Ein Gefängnisinsasse kann außerhalb der Mauern keinen Mord verüben. Doch genau das macht Salem und hinterlässt am Tatort Indizien, die den Verdacht auf Dr. Jenks lenken. Bei seinem zweiten Ausbruch rächt er sich an Ester, beim dritten muss sein ehemaliger Anwalt dran glauben. Dabei versucht Salem jedes Mal, den Verdacht auf seinen Schwager zu verstärken. Derart in die Enge getrieben gesteht Dr. Jenks schließlich den Mord am Landarbeiter und die Manipulation von Beweismitteln. Sehr schön ist die Schlusspointe, die Salem doch noch überführt. Es ist der vermisste Papagei, der bei der Durchsuchung seiner Zelle anfängt zu plappern. Der hatte sich in einem Mantel versteckt, den Salem bei seinem letzten Ausbruch im Hause seines Schwagers als Schutz vor der Kälte mitgenommen hat.

Schwachpunkte

Im Grunde gibt es keinen Sympathieträger. Die Ermordung mehrerer unsympathischer Personen wirkt nicht weiter dramatisch. Außer bei seinen Ausbrüchen kann man sich auch für Salem nicht weiter erwärmen. Zudem sorgt eine Fülle von Ungereimtheiten für unproduktive Irritationen. Wieso wurde die Tatwaffe beim Mord am Landarbeiter nicht nach Fingerabdrücken untersucht? Schwer zu glauben, dass ein bisschen Blut an Salems Jackett zur Verurteilung ausreicht? Was ist mit einem amtsärztlichen Gutachten? Was ist mit seiner Unschuldsbeteuerung? Hat er kein Alibi? usw. Überhaupt zeigt sich die Polizei unter Leitung ihres Inspektors (Trevor Howard) sehr empfänglich für Beweismanipulationen, was sie nicht besonders clever erscheinen lässt. Spurensicherer sind zu keiner Zeit an den verschiedenen Tatorten aktiv. Auch die Presse scheint die Ermordung von drei Frauen innerhalb kurzer Zeit nicht zu interessieren. Wieso ermordet Salem überhaupt seine ehemalige Freundin? Über ihre Mitschuld darf man allenfalls spekulieren.

Fazit

Schade, insgesamt überlagern die erzählerischen Einfältigkeiten die visuelle Kraft dieses doch etwas angestaubten Thrillers. Immerhin: Jeder, der diesen Gefängnisausbruch gesehen hat, wird ihn auch nicht mehr vergessen.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 3 blaue Smileys und 4 schwarze traurige Gesichter für "Der unheimliche Besucher"

Transsiberian (Brad Anderson) USA 2008

Die „Transsiberian“ kommt schwerfällig wie eine Dampflokomotive in die Gänge. Zu Beginn wird suggeriert, dass die russische Hafenstadt Wladiwostok ein Einfallstor für den Schmuggel harter Drogen ist. Tatsächlich kommen sie über den Landweg, über Afghanistan und Kasachstan, zur Durchreise ins russische Reich. Das kann man in einem Spielfilm zugunsten der Dramatik oder einer attraktiven Location ignorieren. Zumindest letzteres ist mit der Transsibirischen Eisenbahn und der winterlichen Tundra vorhanden. Ansonsten ist das konstruierte Opening programmatisch.

Figuren

Hobbyfotografin Jessie bringt mit ihrer Zerbrechlichkeit und ihrer dunklen Vergangenheit noch die besten Voraussetzungen für eine veritable Protagonistin mit. Aber insgesamt sind wir zu wenig bei ihr und erfahren zu wenig von ihr. Immer wieder sorgen alternierende Handlungsstränge für Distanz. Alle anderen Figuren sind wenig originell. So verhält sich der mitreisende Drogendealer Carlos großspurig und übergriffig, wozu er eigentlich keinen Grund hat. Im Gegenteil. Als Besitzer einer beträchtlichen Menge Heroins und von geraubten Drogengeldern sollte er sich eher unauffällig und still verhalten. Immerhin bringt er Jessie derart in Bedrängnis, dass sie ihn im Affekt tötet. Ihr gutmütiger, spießbürgerlicher Ehemann Roy (Woody Harrelson) mutiert bei ihrer Flucht zum furchtlosen Gewalttäter. Das nimmt man ihm genauso wenig ab wie die zur Schau getragene Harmlosigkeit von Abby, der Freundin von Carlos. Und siehe da: Am Ende hat sie das Drogengeld. Inspektor Grinko (Ben Kingsley) arbeitet, was eigentlich niemanden wundert, nur pro forma für die Polizei. Tiefer gehende Emotionen können bei diesen Abziehbildern nicht entstehen.

Ungereimtheiten

Völlig absurd wird das ganze Geschehen, als Grinko und seine Leute mehrere Waggons der „Transsiberian“ einfach abkoppeln. Dafür gibt es genauso viel oder wenig Gründe wie für das Verhalten von Dealer Carlos. Subtilität gehört offensichtlich nicht zum Repertoire der Filmemacher. Das eigentliche Ziel von Grinko und seinen Leuten sind doch Informationen über den Verbleib der geraubten Drogengelder, die sie sich von Abby und Jessie erhoffen. Aber dafür bedarf es doch nicht der Entführung eines Zugteils mit anschließendem Zusammenprall der abgehängten Waggons. Das Headquarter der Gangster um Grinko, ein verlassenes Militärgebäude, mutet wie ein Relikt aus einem Science-Fiction von Jules Verne an. Die fahrlässige Bewachung von Jessica und Roy diskreditiert die Antagonisten. So doof kann man doch eigentlich nicht sein? Dazu Alfred Hitchcock: „Je gelungener der Schurke, desto gelungener der Film.“

Lösungen

Gleich in medias res. Die Story von „Transsiberian“ hätte auch im Zug beginnen müssen. Das Verschwinden von Roy ist eine hübsche Idee und sorgt für Spannung, nicht aber sein erneutes Auftauchen. Gerade sein dauerhaftes Ausscheiden hätte Jessies Probleme doch eskaliert. Darum müsste es doch gehen. Die Gangster Carlos und Grinko hätten sich zurückhaltend, geheimnisvoll und intelligent verhalten sollen. So punkten in erster Linie gelegentliche Spannungsmomente und die „Transsiberian“, die sich fast unaufhaltsam ihren Weg durch die verschneite Landschaft bahnt.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 2 blaue Smileys und 5 schwarze traurige Gesichter für "Transsiberian".

Der unverhoffte Charme des Geldes (Denys Arcand) CND 2018

„Der unverhoffte Charme des Geldes“ ist eine schräge, originelle Robin-Hood-Variante – ein Stelldichein von Losern, Obdachlosen, Models, Gangstern und Finanzgenies. Held ist Pierre-Paul Daoust, ein promovierter Philosoph, der als Paketbote arbeitet. Der Widerspruch in Person, eher unbeholfen und linkisch. Nur an Obdachlosen, für die er sich ehrenamtlich engagiert, geht er nie vorbei, ohne etwas zu spenden. Das Materielle ist ihm scheinbar nicht so wichtig. Aber an zwei Reisetaschen voller Geld, die ihm als Überbleibsel eines Raubüberfalls buchstäblich vor die Füße fallen, geht er dann doch nicht vorbei. Und damit nimmt die Geschichte ihren Lauf.

Figuren

Im Grunde ist Pierre-Paul mit seinem Fund völlig überfordert und bunkert seinen Schatz erst mal in einem Mietcontainer. Ein bisschen zwackt er natürlich für elementare Bedürfnisse ab, zum Beispiel Sex mit einer Frau. So trifft er auf die Edelprostituierte Camille Lafontaine, in die er sich verliebt. Sie ist die zweite im Bunde, der dritte ist das Finanzgenie Sylvain Bigras, genannt „The Brain“. Den weiht Pierre-Paul in seinen Fund ein, damit der ihn zweckmäßig verwaltet. Zusammen mit dem Finanzmogul Wilbrod Taschereau und einer Bankangestellten ist das Quintett vollständig. Sehr schön ist die Verkettung der ins Spiel gebrachten Personen: Ohne die Aneignung des Geldes hätte Pierre-Paul keinen Kontakt zu Camille aufgenommen. Ohne Camille wäre ein Kontakt zu Wilbrod, einem ihrer Ex-Kunden, nie zustande bekommen usw. Alles fügt sich. Nur dieses skurrile Quintett ist in der Lage, den Coup durchzuziehen. Auch die sonstigen Figuren sind nicht minder originell und ebenso hervorragend gecastet.

Genre

Wikipedia und FAZ klassifizieren „Der unverhoffte Charme des Geldes“ als Krimikomödie, der „Filmdienst“ gar als Drama. Nichts davon stimmt. Scheint doch schwieriger zu sein, einen Spielfilm seinem Genre zuzuordnen? Da von Anfang an die Identität des Täters feststeht, geht es mitnichten um die Aufklärung eines Verbrechens. Also, ein Krimi ist es definitiv nicht. Ein Drama schon gar nicht. Da der Held durch seine Aneignung zweier Reisetaschen voller Geld von Anfang an in Gefahr gerät und der komödiantische Grundtenor sich bis zum Ende durchzieht, handelt es sich um einen Genremix aus Thriller und Komödie, also um eine Thrillerkomödie.

Schwachpunkte

Da die Polizei Pierre-Paul verdächtigt, im Besitz des Geldes zu sein und auf Schritt und Tritt observiert, fragt man sich, wieso das Ver- und Ausgraben der Geldscheine nicht beobachtet wird? Überhaupt machen die Ermittler keinen besonders gefährlichen Eindruck. Sie sind zwar eifrig bemüht, kommen aber immer zu spät, zum Beispiel bei der finalen Geldverteilung des Quintetts an Steuerflüchtige. Noch gravierender ist die fehlende Gefahr, die von den Besitzern des geraubten Vermögens ausgeht. Die Mafiosi foltern zwar einen der jugendlichen Gangster des Raubüberfalls, lassen Pierre-Paul und Camille aber ungeschoren. Dieses dramatische Potenzial darf man sich eigentlich nicht entgehen lassen. Vor allem wirkt die Ermordung des konkurrierenden Gangsterbosses Vladimir kontraproduktiv. Von wem wollen die Mafiosi denn jetzt das Geld zurückbekommen? Was hat die Kripo davon, wenn sie am Ende Wilbrod mit einem minderjährigen Model eine Falle stellt? Der Ruf des Finanzmoguls ist zwar ruiniert, aber strafrechtlich wird es schwierig, ihn zu belangen, wie er die Polizisten auch sofort belehrt: „Die Reichen und Mächtigen entkommen der Justiz“.

Lösungen

Vor dem Vergraben des Geldes hätte man nur zeigen müssen, wie Pierre-Paul und seine Freunde sich ihrer polizeilichen Verfolger entledigen. Das Ermittlerduo hätte ruppiger und durchtriebener agieren können. Es hätte zum Beispiel versuchen können, einen Keil zwischen das Quintett zu treiben. Wie wär’s denn gewesen, wenn sie Pierre-Paul mit einem angeblichen Geständnis von „The Brain“ erpresst hätten? Wie wär’s denn gewesen, wenn die Mafiosi mit Hilfe eines Informanten bei der Polizei Pierre-Paul auf die Spur gekommen wäre? Das hätte seine Schwierigkeiten multipliziert. Ohne erzählerische Konsequenzen ist die finale Falle für Wilbrod überflüssig. Eigentlich wäre es viel schöner gewesen, wenn das Model tatsächlich ein Geschenk von Camille gewesen wäre, natürlich ein volljähriges.

Fazit

Das märchenhafte Happy End passt zur komödiantischen Atmosphäre des Films. Es ist sehr berührend und brillant inszeniert, wenn Pierre-Paul und Camille am Ende dem obdachlosen Jean-Claude eine Wohnung zur Verfügung stellen. Hier wird auch die Philosophie von Denys Arcand extrahiert: Das rücksichtslose Zusammenraffen von Geld macht weniger glücklich als eine sinnvolle Umverteilung. Vergesst die Schwachen nicht! Das ist auch die Botschaft der eindrucksvollen Schlussbilder, die Gesichter von echten Obdachlosen zeigen, in denen sich die Kehrseite eines Lebens im Wohlstand widerspiegelt.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für "Der unverhoffte Charme des Geldes"

Misery (Rob Reiner) USA 1990

„Misery“ von Rob Reiner nach dem gleichnamigen Roman von Stephen King ist konzentriertes, schnörkelloses kleines Meisterwerk! Der Großteil dieses Psychothrillers spielt im Haus der ehemaligen Krankenschwester Annie Wilkes (Kathy Bates), die dort den Schriftsteller Paul Sheldon (James Caan) nach einem Autounfall versorgt. Die Pflege entpuppt sich allerdings als lebensbedrohliches Machtspiel. Denn Annie ist eine großer Fan von Pauls Misery-Reihe. Nur mit dem Tod der Heldin in Pauls neuestem Skript ist sie überhaupt nicht einverstanden. Was folgt, ist ein eskalierender Kampf auf Leben und Tod.

Figuren

Wie Kathy Bates die unterschiedlichen emotionalen Befindlichkeiten der Psychopathin spielt, ist einfach genial. Diesen Part hat ihr Drehbuchautor William Goldman förmlich auf den Leib geschrieben. Mit der Besetzung des männlichen Protagonisten war es schon schwieriger. Den wollte aus verständlichen Gründen keiner der angesprochenen Stars spielen. Sie befürchteten einen Imageschaden. Derartige Sorgen umtrieben den mit Drogenproblemen kämpfenden James Caan nicht mehr, weshalb er für diese Rolle prädestiniert war. Sehr originelle Nebenfiguren sind der Sheriff John McCain und seine Frau Virginia, denen man gern bei ihren Kabbeleien und gemächlichen Ermittlungen zuschaut.

Handwerk

Die Kameraarbeit von Barry Sonnenfeld ist brillant. Die bildkompositorischen Auflösungen – mit Nahaufnahmen und Froschperspektiven – sind nie Selbstzweck. Sie ordnen sich stets der Geschichte unter, genauso wie die stimmungsvolle Ausleuchtung. Drehbuch und Regie treiben die Spannung vorbildlich auf die Spitze, angefangen von der ersten Irritation bis hin zum Showdown. Garniert wird das Psychoduell mit wohltuenden, schwarzhumorigen Einlagen. Bei einem ihrer ersten Ausraster fuchtelt Annie die ganze Zeit mit einer von Pauls Urin gefüllten Flasche vor seinen Augen herum. Wenn bei der Schlusspointe die Kellnerin Paul gesteht, sein „größer Fan“ zu sein, dann reagiert der mit einem gequälten Lächeln. Mehr braucht man nicht. Der Zuschauer weiß, was ihm durch den Kopf geht.

Schwachpunkte

Es gibt drei Schwachpunkte in „Misery“: Wenn Annie im nahegelegenen Ort einen anderen Autofahrer in der Öffentlichkeit anpöbelt, wirkt das künstlich. Warum sollte sie sich derart auffällig benehmen? Solche Plumpheiten passen gar nicht zu ihr. Dafür ist sie doch viel zu intelligent. Nein, sie würde in der Öffentlichkeit alles tun, um die Fassade zu wahren.
Dann wird der Sheriff auch noch zufällig Zeuge dieser Szene. Zufälle sind aber nur ein erzählerisches Manko. Ferner ist die Ermordung des Sheriffs völlig überflüssig. Sie hat überhaupt keine Handlungsrelevanz. Es gibt keine Konsequenzen. Außerdem wird hier eine sehr originelle Nebenfigur geopfert, der man ein Weiterleben an der Seite seiner nicht minder skurrilen Ehefrau gegönnt hätte.
Drittens, was am gravierendsten ist, erscheint das mörderische Vorleben der Psychopathin einfach unglaubhaft. Einigen Zeitungsausschnitten zufolge hat sie nämlich nicht nur ihren Ehemann auf dem Gewissen, sondern auch noch mehrere Kinder in ihrer Funktion als Leiterin einer Klinikabteilung. Eine verurteilte Serienkillerin wäre aber wohl im Gefängnis oder in der Psychiatrie, aber nicht in einem heimeligen Häuschen in den Bergen von Colorado.

Lösungen

Wenn der Sheriff der Möglichkeit nachgeht, dass Paul Sheldon noch am Leben ist, dann könnte er zum Beispiel einfach bei den örtlichen Einzelhändlern nachforschen, ob ihnen bei ihrer Kundschaft in letzter Zeit etwas Ungewöhnliches aufgefallen ist. Und siehe da: So würde er mitbekommen, dass Annie Wilkes eine Schreibmaschine erworben hat. Jetzt könnte er anfangen, über sie zu recherchieren und ihr auf die Schliche kommen. Bei der Inspektion in Annies Haus könnte der Lärm, den Paul im Keller macht, der Moment sein, in dem der Sheriff die Haustür zuschlägt oder den Motor seines Wagens anlässt. Das wäre eigentlich viel dramatischer als seine Ermordung. Das wäre Suspense: Man würde hoffen, dass der Sheriff den Gequälten doch noch hört. Bei der Backstory von Annie hätte es völlig ausgereicht, wenn man sie wegen dieser mysteriösen Todesfälle verdächtigt hätte, ihr aber nichts nachweisen konnte. Dann – nur dann – lebt sie in Freiheit und nicht im Gefängnis.

Fazit

Die Schwachpunkte in „Misery“ sind ein kleiner Wermutstropfen, ändern aber nichts am Gesamteindruck: Hier waren lauter Könner am Werk. Das macht einfach Spaß.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für "Misery"

Wiegenlied für eine Leiche (Robert Aldrich)

„Wiegenlied für eine Leiche“ von Robert Aldrich ist ein Genremix aus Psychothriller und Krimi (Whodunit). Er besticht durch seine Konzentration auf die Heldin Charlotte Hollis (Bette Davis) und ihre schräge Haushälterin Velma Cruther (Agnes Moorehead). Beide Schauspielerinnen agieren hervorragend. Abgesehen von der Backstory im Jahre 1927 sowie von zwei bis drei Szenen spielt alles im Jahre 1964 im museumsartigen Anwesen der Familie Hollis. Diese Fokussierung auf die Geschichte ist ein großer Vorteil (Einheit von Zeit, Raum und Handlung).

Handwerk

Handwerklich ist der Schwarzweißfilm brillant gemacht. Die Kameraarbeit ist herausragend. Die kontrastreiche Low-Key-Lichtstimmung unterstützt die unheilvolle Atmosphäre. Teilweise befinden sich die Gesichter der Personen komplett im Schatten. Für sein Herstellungsjahr hat „Wiegenlied für eine Leiche“ erstaunlich viele Nahaufnahmen. So stellt er eine Nähe zu seinen Figuren her und erhöht die Dramatik. Insbesondere in seinen Traumszenen entwickelt der Film eine visuelle Kraft. Sehr schön ist auch der Informationsfluss. So erfährt der Zuschauer beizeiten von den hinterhältigen Plänen der beiden Antagonisten, Charlottes Cousine Miriam Deering und Dr. Blayliss, Charlotte in den Wahnsinn zu treiben. Das schafft „Suspense“ und ist dramatisch. Leider gibt es eine Reihe von erzählerischen Ungereimtheiten, die den Gesamteindruck trüben.

Ungereimtheiten

Ein Schwachpunkt ist die fehlende Schilderung der polizeilichen Ermittlungen sowie der Gerichtsverhandlung im Mordfall von 1927. Da wurde Charlottes Geliebter, der verheiratete John Mayhew, bestialisch ermordet. Tatverdächtig ist Charlotte, die als verschmähte Geliebte ein Motiv hätte und deren Kleid blutbesudelt ist. Da sie glaubt, ihr Vater Big Sam Hollis habe John im Affekt umgebracht, schweigt sie zu den Vorwürfen. Ein lapidarer Hinweis auf Papas immensen Einfluss führt zur Einstellung des Verfahrens gegen Charlotte. Das ist aber – mit Verlaub – ziemlich schwach.

Wie konnte denn Big Sam Hollis in diesem spektakulären Mordfall, der ja im Fokus des öffentlichen Interesses stand, leitende Ermittler zum Einlenken bewegen? Warum sollte Jewel, die tatsächliche Mörderin und Ehefrau des Opfers, überhaupt diesen tödlichen Hass auf ihren Mann entwickeln? Warum nicht auf seine Geliebte? Kann eine Frau mit einem Hackmesser überhaupt mit einem Schlag den Kopf eines Mannes abtrennen? Wäre sie nicht in jedem Fall blutbesudelt? Wieso ist Charlotte geschlagene 37 Jahre lang nicht in der Lage, eine Beziehung zu einem anderen Mann einzugehen? Rechtfertigt das traumatische Erlebnis eine Darstellung als alte Jungfer?

Wieso kommt die Lebensversicherung des Mordopfers auf die Idee,37 Jahre nach seinem Ableben Ermittlungen anzustellen? Wieso nicht nach 10 oder 20 Jahren? Warum will die Versicherung dieser Sache überhaupt auf den Grund gehen? Das machen die doch üblicherweise nur wenn sie den Verdacht haben, übervorteilt zu werden. Wenn Velma der intriganten Miriam ihren Plan verrät, ihr und Dr. Bayliss mit Hilfe eines sicher gestellten Arzneifläschchens das Handwerk zu legen, ist das nicht besonders clever. Diese einfältige Drohung diskreditiert die interessanteste Figur. Was bleibt der derart in die Enge getrieben Miriam anderes übrig, als sich der Mitwisserin zu entledigen?

Wenn Charlotte am Schluss auf dem Rücksitz eines PKW’s davonfährt, ist unklar, wohin die Reise geht. Sind ihre Begleiter Mitarbeiter einer psychiatrischen Klinik, womit die Antagonisten ja ihr Ziel erreicht hätten? Handelt es sich um Amtsträger, die die Besitzerin des vom Abriss bedrohten Anwesens in Sicherheit bringen? Oder sind es Kriminalbeamte in Zivil, die Charlotte zum Ableben von Miriam und Dr. Bayliss eingehend verhören wollen?

Lösungen

Für Big Sam Hollis wäre es doch viel einfacher und glaubhafter gewesen, einen Geschworenen in der anstehenden Gerichtsverhandlung zu bestechen als leitende Staatsanwälte. Ferner hätte man in der Folgezeit, um die Heldin nicht zu diskreditieren, zumindest gescheiterte Versuche von Kontaktaufnahmen zu anderen Männern zeigen können. Des weiteren wäre als Tatwaffe ein Revolver viel geeigneter gewesen. Es hätte erklärt, weshalb nur Charlottes Kleid blutbefleckt war, nicht aber das der Täterin. Außerdem wird der Revolver ja auch später noch von den Antagonisten ins Spiel gebracht, als sie versuchen, Charlotte in den Wahnsinn zu treiben.

Den freundlichen Versicherungsvertreter hätte man durch einen hartnäckigen FBI-Agenten einer Cold-Cases-Abteilung ersetzen können. Velma hätte ihre Absicht, mit Hilfe des Arzneifläschchens Miriam und Dr. Bayliss das Handwerk zu legen, einfach verheimlichen können. Wenn Miriam sie trotzdem durchschaut hätte, wäre das der Spannung ja nicht abträglich gewesen. Im Gegenteil (Anmerkung von Alfred Hitchcock: „Je gelungener der Schurke, umso gelungener der Film.“) Außerdem hätte man Velma, der mit Abstand interessantesten Figur dieser Geschichte, ein Überleben gegönnt. In „Wiegenlied für eine Leiche“ wäre ein Happy End, ein Sieg der beiden weiblichen Protagonisten, die Lösung gewesen.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 4 blaue Smileys und 3 schwarze traurige Gesichter für "Wiegenlied für eine Leiche"

Der blutige Pfad Gottes (Troy Duffy)

„Der blutige Pfad Gottes“ ist eine ziemlich bleihaltige und blutige Thriller-Groteske, frei nach dem Motto: Wie können die beiden Helden möglichst schnell in die nächste Ballerei gelangen? Das ist im Grunde kein großes Problem. Man nehme ein paar Russen-Mafiosi, ein paar italienische Mafiosi, und hetze beide nicht sonderlich hellen Gruppierungen mit Hilfe von zwei rachsüchtigen irischen Gangstern gegeneinander auf. Das FBI, mit Detective Paul Smecker (William Daffoe) an der Spitze, hat die Aufgabe die Tatorte zu reinigen.

Vorbilder

Das erinnert ein bisschen an Kurosawas „Yojimbo – der Leibwächter“ oder Walter Hills Remake „Last Man Standing“, das ebenfalls mit Zeitlupen und Rückblenden operiert. Die psychologischen Rafinessen der Vorbilder sind dem Regisseur allerdings nicht so wichtig wie die nächste Schießerei. Dieser Hang zur Brutalität und Infantilität erinnert wiederum stark an Quentin Tarantino.

Figuren

Letztlich erzeugt „Der blutige Pfad Gottes“ keinerlei Spannung. Das hängt auch mit den Helden zusammen, den MacManus-Brüdern, die sich als verlängerter Arm einer gerechten Sache verstehen. Darüberhinaus erfahren wir so gut wie nichts über sie. Wie soll man so mit ihnen mitzittern? Alle übrigen Figuren sind zwar hervorragend gecastet, aber was nützt das? Dem ganzen wird noch eine Pseudo-Philosophie übergestülpt: Ist es nicht legitim für Gerechtigkeit zu sorgen, wenn die gesetzlichen Vertreter dazu nicht in der Lage sind? Also, darf man Gott spielen? „Wie weit gehen wir auf diesem Weg?“, fragt Connor MacManus irgendwann, wobei die Antwort schon längst klar ist: bis zum bitteren Ende. In der finalen Gerichtsverhandlung wird auch noch der letzte überlebende Mafioso hingerichtet.

Absurdistan

Das letzte Gemetzel findet unter freundlicher Hilfestellung des FBI statt, die den Brüdern den Zugang zum Gerichtssaal ermöglichen. Eines von vielen Beispielen, die zeigen, dass man hier nichts, aber auch gar nichts mehr ernst nehmen kann. Den Anfang markiert Connors Sprung aus dem fünften Stock eines Hochhauses auf den Kopf eines russischen Gangsters, den er – im Gegensatz zum Mafioso – völlig unbeschadet übersteht. In einer Welt, in der alles möglich ist, gibt es aber letztlich keine Überraschungen. Man wundert sich nämlich über nichts mehr und das ist dramaturgisch nicht so toll.

Fazit

Es gibt ein paar originelle und witzige Szenen, aber das war’s dann auch. Dann dominiert wieder das Grelle, das Überzogene, die infantile Spielsucht. Ein Film für eher schlichte Gemüter, die sich an Ballereien, grotesken Situationen und viel Blut erfreuen können.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 1 blauer Smiley und 6 schwarze traurige Gesichter für "Der blutige Pfad Gottes"

Der Spion (Dominic Cooke) GB 2019

„Der Spion“ ist ein Agententhriller, der auf einem tatsächlichen Fall in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts beruht. Er spielt zur Zeit des Kalten Krieges, der atomaren Aufrüstung und hat eine originelle Hauptfigur. Er ist auch ein Film über eine Männerfreundschaft zwischen dem britischen Geschäftsmann Greville Wynne (Benedict Cumberbatch), der brisante Informationen des sowjetischen Überläufers, Oberst Oleg Penkowski (Merab Ninidze), an die CIA liefert: „Nun die wichtigste Frage: Vertragen Sie Alkohol?“ Das tut Greville und legt damit den Grundstein für ihre Freundschaft.

Leider schaffen die Filmemacher es nicht, sich von der Vorlage zu lösen. Sie glauben auf der sicheren Seite zu sein, indem sie sich an die Fakten halten. Das ist aber ein Trugschluss. Die Ereignisse sollten entweder alle dramatischen Voraussetzungen erfüllen (wie zum Beispiel bei „Lone Survivor“ von Peter Berg) oder die Funktion einer Materialsammlung haben. Also die interessante Frage ist, inwieweit man als Filmgestalter Geschehnisse verändern, oder dramatisieren darf? Nun, zum Wohle einer Geschichte darf ein Erzähler eigentlich alles, wenn er denn will und kann. Er sollte es auch.

In „Der Spion“ kommt die Story erstaunlich altbacken und behäbig in Gang. Sie gewinnt erst in der zweiten Hälfte an Fahrt und Dramatik. Das ist der erste Schwachpunkt. Die Entscheidung von Greville, noch einmal nach Moskau zu reisen, um die Flucht seines Freundes zu ermöglichen, müsste viel eher kommen. Erst ab diesem Moment ist das Leben des Helden wirklich in Gefahr. Dieser Höhepunkt hätte ungefähr nach einem Drittel der Geschichte und nicht gegen Ende platziert werden müssen.

Der zweite Schwachpunkt sind die fehlenden Überraschungen und Wendungen. Nach der Festnahme der Protagonisten spult der KGB sein Standard-Programm ab: Folter (beide) und Hinrichtung (Oleg). Auch der Gefangenenaustausch von Greville nach Jahren der Inhaftierung ist keine Überraschung. Außerdem sind seine Ehekonflikte, die aus seinem geheimen Doppelspiel resultieren, nicht optimal ausgereizt. Da geht es zum Beispiel in Clint Eastwoods „American Sniper“ anders zur Sache.

Viel besser wäre es gewesen, die Geschichte aus Olegs Sicht zu erzählen. Seine Figur besitzt das weitaus größere dramatische Potenzial. Sein Leben steht von Beginn an auf dem Spiel, als er ahnungslosen amerikanischen Touristen in Moskau eine Nachricht von seiner Bereitschaft zum Überlaufen zukommen lässt. Von diesem Moment an ist sein Leben in Gefahr. Bessere dramatische Voraussetzungen gibt es eigentlich gar nicht. Hier hätte man sich vor den üblichen Folterungen auch noch vorstellen können, dass der KGB ihn weiterhin als Kurier von geheimen Informationen benutzt. Man hätte ihn erpressen können, als Doppelspion zu operieren, ausgestattet mit gefälschten Informationen. Im Grunde wäre es eine „Red-Sparrow„-Variante gewesen: Immer in tödlicher Gefahr enttarnt und hingerichtet zu werden.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 3 blaue Smileys und 4 schwarze traurige Gesichter für "Der Spion"

Wild Things (John McNaughton) USA 1998

Wenn man „Wild Things“ mit einem Wort charakterisieren müsste, dann käme „plump“ in die engere Auswahl. Auf keinen Fall ist er das, was der Titel suggeriert, eher konstruiert, sexuell verklemmt und spannungsfrei. In erster Linie scheint der Film einen neuen Rekord an Handlungswendungen aufstellen zu wollen, die irgendwann so hanebüchen sind, dass sie schon wieder komisch wirken. Dabei hätte der Thriller mit ein bisschen mehr Ernsthaftigkeit die schöne Variante eines klassischen Erzählmotivs werden können, nämlich des „Mörderischen Dreiecks“: der Vertrauenslehrer Sam Lombardo (Matt Dillon) wird nämlich fälschlicherweise der Vergewaltigung von zwei seiner Schülerinnen bezichtigt. Ein gerichtlicher Vergleich beschert ihm 8,5 Millionen Dollar, womit die tödliche Hatz eingeläutet wird.

Die Personen sind allesamt Abziehbilder. Da fragt doch die verführerische Kelly van Ryan (Denise Richards) ihren Vertrauenslehrer vor einer Wagenwäsche: „Wo ist der Schlauch, Mr. Lombardo?“ Ins gleiche Horn bläst ihre wohlhabende Mama: „Ich weiß keinen, der mit seiner Ruderpinne besser umgeht.“ Für Töchterchen findet Mama angesichts des Selbstmords ihres Mannes tröstende Worte: „Es hat ihn keiner gezwungen, sich umzubringen.“ Dieses Niveau wird bis zum Ende konsequent durchgezogen. Da eine emotionale Identifikation oder Anteilnahme für eine der handelnden Personen vereitelt wird, kann natürlich keine Spannung entstehen. Auch mit seiner Retortenmusik wirkt der ganze Film eher wie eine schlecht gemachte Vorabendserie.

Mit so etwas Profanem wie glaubhafter polizeilicher Ermittlungsarbeit oder Handlungslogik halten die Filmemacher sich nicht weiter auf. Vorgeblich wird die Schülerin Suzie Toller (Neve Campbell) von Sam am Strand erschlagen. Vorhandene Spuren eines Gewaltverbrechens sind für die ermittelnden Spurensicher kein Anlass zu tiefschürfenden Untersuchungen. Denn dann hätte man eigentlich Metallabrieb an den mit einer Zange herausgebrochenen Zähnen feststellen müssen, also die Manipulation. Man fragt sich auch, warum das von Detective Ray Duquette (Kevin Bacon) verdächtigte Trio nicht abgehört wird? Das wird zwar später erklärt, aber er ermittelt ja nicht allein. Was soll dieser künstliche Konflikt mit seinem Polizeichef? Duquettes Verdacht eines gemeinschaftlichen Betrugs ist ja nicht an den Haaren herbei gezogen. Wieso gibt es keine gerichtsmedizinische Untersuchung von Kellys Ermordung durch Duquette, was seiner Version einer Notwehrsituation ja widersprochen hätte usw.?

Selbst im Nachspann gibt es noch ein paar Wendungen. Da sollen wir dann glauben, dass Sams schmieriger Anwalt (Bill Murray) zusammen mit Suzie alles eingefädelt hat. Jedenfalls haben sie einen Koffer voller Geld, woher auch immer das stammt. Sams ergaunerte 8,5 Millionen Dollar können es eigentlich nicht sein, es sei denn sie sind im Besitz einer Bankvollmacht oder sind vor seinem Ableben als Erben eingesetzt worden. Aber egal. Irgendwann wundert man sich nur noch über die Unbekümmertheit, mit der die Filmemacher unermüdlich eine konstruierte Wendung nach der anderen präsentieren. Diese Infantilität hat schon wieder einen gewissen Charme, weshalb das Abklopfen auf Handlungslogik bei „Wild Things“ eigentlich fehl am Platze ist. Hier geht es irgendwie um „Other Things“.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 1 blauer Smiley und 6 schwarze traurige Gesichter für "Wild Things"

Der Staatsfeind Nr. 1 (Tony Scott) USA 1998

„Der Staatsfeind Nr. 1“ ist Konfektionsware, ein 08/15-Thriller und wirkt für sein Alter erstaunlich angestaubt. Das Talent von Tony Scott blitzt zwar immer wieder auf, zum Beispiel in der kunstvoll gestalteten Pretitle-Sequenz. Die Montage, die Kameraarbeit und das Casting sind hervorragend. Aber was nützt das? Es mangelt dem Script und den Figuren vor allem an Spannung und Originalität. Über das Thema, die beschworene Gefahr eines allgegenwärtigen Überwachungsstaats, kann man heute eigentlich nur noch müde lächeln. Die gut gemeinten Befürchtungen funktionieren in Zeiten von Massenüberwachungen mit biometrischer Gesichtserkennung allenfalls als Zeitdokument. Mit den erzählerischen Defiziten dieses Thrillers haben sie allerdings nichts zu tun.

Es fängt damit an, dass ein republikanischer Politiker vom NSA ermordet wird, weil er nicht für eine Vorlage zur Verschärfung des Telekommunikationsgesetzes im Kongress stimmen will. Das Ganze wird zufällig von einem Tierfilmer dokumentiert (Zufälle sind ein Gradmesser für das handwerkliche Können von Filmemachern). Auf seiner Flucht trifft der Tierfilmer zufällig auf den Anwalt Robert Clayton Dean (Will Smith), dem er unbemerkt eine Kopie der Aufnahmen zusteckt. Erst als sein Leben nach und nach aus den Fugen gerät, merkt er, dass etwas faul ist im Staate USA.

Wie schnell Robert dann in seiner Kanzlei gefeuert wird, ist schon erstaunlich. Verdächtigungen würde man doch überprüfen, zumal hier ein langjähriges Arbeits- und Vertrauensverhältnis besteht. Desgleichen mutet die Reaktion seiner Ehefrau Carla geradezu albern an. Die hat nämlich nichts Besseres zu tun, als ihren angeblich untreuen Ehegatten auf der Stelle zu verlassen. Darüber sollte Robert sich eigentlich freuen, tut er aber nicht. Überhaupt wird das amerikanische Familienleben samt grausamer Inneneinrichtung, auch bei NSA Abteilungsleiter Reynolds, dermaßen abschreckend dargestellt, dass man schon Mitleid bekommt. Die schnelle Versöhnung zwischen Carla und Robert ist genauso unglaubhaft wie das Zerwürfnis.

Bei seiner Flucht stößt Robert dann auf den ehemaligen NSA-Mitarbeiter Brill (Gene Hackman), der sich nicht nur als Urheber des kompromittierenden Mafiavideos entpuppt. Er ist auch der väterliche Freund der ermordeten Rachel Banks, die ihren leiblichen Vater bei einem Spionageeinsatz verloren hat und als Informantin für Robert tätig war. Brill ist Abhörspezialist und überzeugter Einzelkämpfer, der sich folgerichtig nicht sonderlich über Roberts Gesellschaft freut: „Er ist entweder sehr dumm oder sehr clever“. Dabei lässt er keinen Zweifel aufkommen, welche Einschätzung für ihn hier zutreffend ist. Erst am Schluss revidiert er sein Urteil, als Robert die NSA-Truppe auf die Mafiosi hetzt. Diese bleihaltige Lösung ist eine witzige und überraschende Idee.

Ansonsten sind die Ungereimtheiten der Spannungsfeind: Warum gewährt Mafiaboss Pintero Robert am Anfang des Films eine Frist für den Namen des Videofilmers, der ihn beim vertraulichen Zusammensein mit Gewerkschaftsbossen abgelichtet hat? Wieso diese Schonfrist von einer Woche? Warum will Pintero nicht auf der Stelle den Namen des Urhebers? Wieso gibt es nach Rachels inszenierter Ermordung durch die NSA keine Ermittlungen des FBI? Die müssten Robert doch auf die Schliche kommen, obwohl der seine blutverschmierten Kleidungsstücke vom Tatort entfernt hat? Einen Mord ohne Konsequenzen kann man sich aber schenken. Wieso überhaupt dieser Filmtitel, suggeriert er doch, dass der gesamte Staatsapparat hinter Robert her ist? Tatsächlich ist es nur eine kleine, selbständig agierende Einheit des NSA, die innerbetrieblich unter erheblichen Druck gerät. Fazit: Das ist nun wirklich nicht die Nr. 1 unter den Werken des unglaublich talentierten Tony Scott.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 2 blaue Smileys und 5 schwarze traurige Gesichter für "Der Staatsfeind Nr. 1"