Fletcher’s Visionen (Richard Donner) USA 1997

Das Opening von „Fletchers Visionen“ ist das beste am ganzen Film. Schon originell wie Taxifahrer Jerry Fletcher (Mel Gibson) seine Fahrgäste zutextet. Eigentlich eine interessante Hauptperson, womit man als Filmemacher schon mal einen erheblichen Teil der Miete eingetrieben hätte. Aber was dann folgt, ist an Absurdität kaum zu überbieten.

Grassierender Unfug

Jerry ist – wie sich am Ende herausstellt – ein von CIA-Bösewicht Dr. Jonas programmierter Killer, der den Auftrag hat, einen Richter im Gerichtssaal zu töten. Dabei sieht er allerdings dessen Tochter, die Staatsanwältin Alice Sutton (Julia Roberts), in die er sich Hals über Kopf verliebt. Jetzt kann er seinen Auftrag nicht mehr ausführen und taucht unter. Leider ist sein neuronales Netzwerk bei der Programmierung ein wenig durcheinander geraten, weshalb er sich nun als nervöser Verschwörungstheoretiker, Stalker und Taxifahrer durchschlägt.

Witzfiguren

Ein großer Vorteil für Jerry und den Zuschauer ist es, dass die CIA-Agenten immer deutlich zu erkennen sind. Sie fahren stets schwarze viertürige SUV’s, tragen schwarze Anzüge sowie Sonnenbrillen und Headsets. Ein Vorteil für den Helden ist aber immer ein Nachteil für den Spannungsaufbau. Außerdem können die Agenten miserabel schießen. Deshalb kann Jerry auch in einer Klinik entkommen, obwohl er an einen Rollstuhl gefesselt ist und gerade gefoltert wurde. Die Schüsse seiner Gegner verschonen Jerry auf wundersame Weise. Bei der Verfolgung hilft der CIA auch nicht eine ganze Armada von Hubschraubern, aus denen sich mitten in New York dutzende von Agenten abseilen, um die sich Passanten nicht weiter scheren. Wieso Alice sich überhaupt in Jerry verliebt, also in einen durchgeknallten Stalker, der sie in die Machenschaften des CIA mit hineinzieht, fragt man sich da auch nicht mehr.

Wirrungen

Am Ende wird Jerry von Dr. Jonas erschossen, woraufhin Alice den Bösewicht abknallt. Geschieht ihm recht. Offensichtlich wird Jerry aber im Krankenhaus gerettet. Das erfahren wir, weil er aus der Ferne aus einem Auto heraus Alice beim Reiten zuschaut. Er darf sich ihr aber nicht zu erkennen geben, wie der ebenfalls anwesende FBI Agent Lowry erklärt, weil es noch zu gefährlich wäre. Wie? Gibt es etwa noch einen zweiten Teil? Gibt es einen Nachfolger von Dr. Jonas? Aber Alice ist ja clever. Sie merkt auch so, dass der Geliebte überlebt hat, denn jemand – wer auch immer? – hat einen Button von Jerry am Zaumzeug ihres Pferdes deponiert. Happy End.

Lösungen

Eigentlich wäre die Lösung ganz einfach gewesen: Eine Variante von „Die drei Tage des Condor“. Also Jerry Fletcher textet seine Fahrgäste mit Verschwörungstheorien zu. Es ist einfach seine Marotte, ohne diesen ganzen Hirn-Manipulationsmüll. Eine seiner Theorien handelt von Machenschaften der US-Regierung im Stile der Iran-Contra-Affäre. Die würde ja auch niemand glauben, mit einer Ausnahme: die CIA. Die hätte nun ein glaubhaftes Interesse daran, ihn und seine fünf Abonnenten zum Schweigen zu bringen. Also einer seiner Fahrgäste hätte ein CIA-Agent sein können, dem Jerry seine scheinbar wirre Story erzählt. Das wäre dann der Startschuss zur nachfolgenden Jagd gewesen.

Fazit

Glaubwürdigkeit, Plausibilität und Emotionen sind für die Filmemacher von „Fletchers Visionen“ keine relevanten Parameter. Bei diesem hanebüchenen Treiben wundert man sich nur, was alles so produziert wird.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 1 blauer Smiley und 6 schwarze traurige Gesichter für "Fletchers Visionen".

Berüchtigt (Alfred Hitchcock) USA 1946

„Berüchtigt“ (Notorious) von Alfred Hitchcock ist kein Krimi, auch kein Drama, am ehesten noch ein Spionagethriller, eigentlich aber ein Thrillermelodrama. Im Fokus stehen nämlich die Liebesgeschichte zwischen dem Geheimagenten Devlin (Gary Grant) und Alicia Huberman (Ingrid Bergmann) sowie die Gefahren, die aus ihrem Undercover-Einsatz resultieren. „Berüchtigt“ ist eines von Hitchcocks Meisterwerken und beruht auf einer Kurzgeschichte des Journalisten John Taintor Foote. Das Script stammt vom US-amerikanischen Autor Ben Hecht, der das Geheimnis guter Drehbücher wie folgt definiert hat: „Zwei Hunde, ein Knochen.“ „Berüchtigt“ ist eine Visualisierung seines Postulats, sowohl auf der Ebene des Melodramas als auch auf des Thrillers.

Die Geschichte

Der US-amerikanische Geheimdienst sucht Zugang zu einer Gruppe von Neonazis, die in Rio ihr Unwesen treibt. Agent Devlin wird auf die hübsche Alicia Huberman angesetzt, Tochter eines verstorbenen Nazis. Der ideale Köder. Die lässt sich auf das Doppelspiel ein. Zum einen will sie wieder gutmachen, was ihr Vater verbrochen hat, zum anderen verliebt sie sich in Devlin. In Rio lautet ihr Auftrag, sich an Alexander Sebastian, den Kopf der Naziclique, heranzumachen. Der Plan scheint aufzugehen, bis Alexander sie zur Heirat nötigt. Aus unterschiedlichen Gründen stellen Alicia und Devlin ihre Gefühle zurück. Die Heirat wird vollzogen. Doch Alexander kommt hinter das doppelte Spiel seiner Ehefrau und beginnt, in Zusammenarbeit mit seiner Mutter, Alicia zu vergiften. Im letzten Moment kann der misstrauische Devlin die Geliebte retten.

Klassisches Erzählmotiv

Meister Hitchcock wusste um das dramatische Potenzial der Vorlage: Ein Mann und eine Frau verlieben sich ineinander. Aus beruflichen Gründen muss er sich von ihr trennen, indem er sie einem anderen Mann zuführt. Das ist das Drama: Die Unmögliche Liebe (s.a. „Die Brücken am Fluss“, „La Strada“ usw.). Hier ein Konflikt zwischen Liebe und Pflichterfüllung. Für einen frühen Ausstieg aus den beruflichen Zwängen hätte ihre Liebe ein anderes Fundament bedurft, mehr Sicherheit, auch eine andere Zeit. Aber so müssen beide die größtmögliche Prüfung absolvieren. So hat Devlin eine Schuld auf sich geladen. Er war es, der Alicia zum Pakt mit dem Teufel verführt hat. Am Ende von „Berüchtigt“ gönnt Hitchcock dem Liebespaar ein Happy End, eine Wendung also. Aus der unmöglichen Liebe wird die mögliche: „Ich lass dich nie mehr allein.“ Das ist schön und haben sich beide auch verdient.

Suspense

Selbstredend gestaltet Hitchcock den Informationsfluss so, dass wir (die Zuschauer) die meiste Zeit mehr wissen, als Teile der handelnden Personen. Wir kontrollieren sozusagen das Geschehen. Wenn Alicia mit Alexander anbändelt, wissen wir um die Hintergründe. Vor allem wissen wir um die tödlichen Gefahren, die eine Enttarnung ihres Doppelspiels implizieren. Diese Gefahren werden von Hitchcock zum Teil genüsslich retardiert. Wenn sich beim Empfang in Alexanders Villa der Vorrat von auf Eis gelagerten Champagnerflaschen dem Ende zuneigt, wissen wir um die Konsequenzen. Denn der Schlüssel zum Weinkeller befindet sich gerade in Devlins Händen. Die Zwischenschnitte auf den schrumpfenden Vorrat sind das Damoklesschwert, das dicht über den Köpfen der Liebenden schwebt. So ist das richtig: Keine Rätselspiele, sondern Suspense! 

Die Figuren

Schon toll, wie Alicia als Femme fatale inszeniert wird: trinkfreudig, spitzzüngig und leicht bekleidet. Im Grunde eine sehr moderne Frauenfigur. Sehr schön sind auch ihre Ängste, dass Devlin sie in erster Linie als geeigneten Köder und als Schnapsdrossel sehen könnte. In gewisser Weise steht Devlin seiner interessanten Partnerin in nichts nach. Obwohl auch er sich sofort verliebt hat, verschanzt er seine Gefühle hinter dem Spionageauftrag: „Wisch die Tränen ab. Sie passen nicht zu dir.“ Die Offenbarung seiner Gefühle lässt er nicht zu, noch nicht. Die Wahrung der Fassade, die sich in Bitterkeit und Verachtung ausdrückt, lässt ihn schließlich verzweifeln. Er beantragt seine Versetzung nach Spanien. Erst im letzten Moment siegt sein Misstrauen: Sollte es andere Gründe für Alicias merkwürdiges Verhalten geben, als übermäßigen Alkoholkonsum?

Demgegenüber ist die Figur ihres Ehemanns schwach. Alexander Sebastian ist zu alt, um ernsthaft Alicias Partner zu sein. Er ist eher der väterliche Freund. Hier wäre ein gleichaltriger, d.h. gleichwertiger Rivale viel besser und dramatischer gewesen.

Weitere Schwachpunkte

Wenn Devlins Boss, Capt. Paul Prescott, beim ersten Dinner von Alicia mit Alexander ebenfalls im Restaurant erscheint, ist das viel zu gefährlich, zumal beide Männer sich ja – warum auch immer – aus der Vergangenheit kennen. Was will Prescott da überhaupt? Jedenfalls müsste Alexander sofort Verdacht schöpfen und diesem nachgehen. Damit wäre aber auch das ganze Unterfangen gescheitert.

Die Hochzeit von Alicia und Alexander wird einfach ausgeklammert. Gezeigt werden nur die Resultate: Einzug Alicias in die herrschaftliche Ville ihres Gatten, Empfang usw. Eine körperliche Annäherung zwischen den Eheleuten fällt unter den Tisch. Alexanders sexuelle Wünsche und Alicias Ablehnung wäre aber dramatisches Konfliktpotenzial gewesen, auch bei den geheimen Treffen mit Devlin. Seine süffisante Frage, wie es denn so in der Hochzeitsnacht war, darf man sich eigentlich nicht entgehen lassen, auch wenn das Geschehen vor 80 Jahren angesiedelt ist.

Die deutsche Synchronisation von 1951 machte aus der Naziclique ein Drogenkartell, aus dem Uranerz wurde Heroin. Das ist schon ein bisschen unbedarft, auch unfreiwillig komisch. Es weiß doch jedes Kind, dass südamerikanische Drogendealer anders aussehen als deutsche Nazis. Wie kommt man überhaupt auf so eine Idee? Angeblich wollte der Verleiher aus pekuniären Gründen so kurz nach dem 2. Weltkrieg den Deutschen keine Geschichte mit bösen, bösen Nazis zumuten. Wäre denkbar. Ein anderer möglicher Grund könnte aber auch politische Einflussnahme gewesen sein, denn im Original wird die IG Farben namentlich erwähnt. Der seinerzeit weltgrößte Chemiekonzern hatte sich zahlreicher Kriegsverbrechen schuldig gemacht und wurde nach Kriegsende zerschlagen.

Fazit

Trotz seiner Defizite hat „Berüchtigt“ auch 80 Jahre nach seiner Herstellung nichts von seiner erzählerischen Kraft eingebüßt. „ ‚Berüchtigt‘ ist Hitchcocks Quintessenz.“ (Francois Truffaut)

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für Berüchtigt.

Die drei Tage des Condor (Sydney Pollack) USA 1975

„Die drei Tage des Condor“ von Sydney Pollack ist ein Spionagethriller, der von seiner Ibsenschen Enthüllungsdramaturgie und seiner atmosphärischen Dichte lebt. Unter dem Decknamen „Condor“ arbeitet Joseph Turner (Robert Redford) für eine Sektion des CIA, die fiktionale politische Intrigen erfasst und auswertet. Leider ist die Realität schon längst weiter, wodurch die gesamte Abteilung zu Mitwissern finanz- und geopolitischer Machtspiele wird. Hausintern sind sie einer anderen Abteilung unwissentlich auf die Füße getreten. Alle Mitarbeiter der Abteilung werden vom Auftragskiller Joubert (Max von Sydow) und seinen Leuten liquidiert. Lediglich Turner entkommt durch puren Zufall. Ahnungslos wendet er sich an seine Vorgesetzten, womit die Jagd auf ihn eröffnet ist. 

Dramaturgie

Das ist schon eine exzellente dramaturgische Ausgangssituation: Der isolierte Held auf der Flucht vor einem übermächtigen Gegner. Sein Zuhause ist eine tödliche Falle. Vertrauen kann er niemandem mehr. Sein Freund Sam wird als Köder missbraucht und ebenfalls getötet.  Erschwerend kommt hinzu, dass Turner nie im Außendienst war, sich also weder mit Waffen noch mit Fluchtszenarien auskennt. Diese Konstellation ist ein dramaturgisches Lehrstück. Schwerer kann man seinem Helden das Leben kaum machen.
Für Killer Joubert ist Turner ein unberechenbarer Amateur. Dessen Talente liegen auf anderem Gebiet. Turner ist intelligent, einfühlsam, anpassungsfähig und kennt sich mit Fernmeldetechnik aus. Mit diesen Mitteln schlägt er dann zurück – seine einzige Chance, am Leben zu bleiben.

Liebesgeschichte

Die Fotografin Kathy Hale (Faye Dunaway) ist eine Zufallsbekanntschaft. Turner bedroht sie mit seiner Pistole und hakt sich einfach bei ihr unter. Als Pärchen getarnt kann er seinen Verfolgern entkommen. Anfangs fesselt und knebelt er sie. Selbst im Schlaf bedroht er sie mit einer Pistole. Erst nach und nach fassen sie Vertrauen zueinander, bis sie ihm bei seinen Ermittlungen hilft. Turners schonungslose Art bringt sie einander näher. Ihre Fotos an den Wänden findet er deprimierend. Für ihn sind sie Ausdruck einer Nähe zum Tod. Das ist auch der Vorwurf an sie: Ihr Interesse an seiner Person basiert auf seinen eingeschränkten Überlebensmöglichkeiten. Aber für Kathy ist er der Mann, mit dem sie ihr Leben verbringen möchte.

Die unmögliche Liebe

Das ist die Tragik ihrer Liebesbeziehung: Beide fühlen sich zueinander hingezogen und wissen doch um die Unmöglichkeit einer Beziehung. Spätestens nach dem Besuch eines als Postboten getarnten Killers weiß Turner, dass er Kathy in Lebensgefahr bringt. Schön ist das Ende der Liaison. Beide trennen sich am Bahnhof. Es gibt ein paar Tränen, aber das war’s dann. Kein Ethan Hunt, dem nach der Rettung der Welt die weibliche Protagonistin in die Arme sinkt. Das ist schön. Es verleiht dem Film auch etwas Modernes: Beziehungen sind etwas Flüchtiges und Brüchiges, kein Fundament, auf dem man sein Leben aufbauen kann.

Ungereimtheiten

Leider gibt es eine Reihe von Ungereimtheiten. Warum tötet Joubert sein Opfer nicht, als sie gemeinsam im Hotel mit dem Fahrstuhl runterfahren? Nachdem andere Hotelgäste den Aufzug verlassen haben, sind sie ja eine Zeit lang allein. Seltsam ist auch der fingierte Selbstmord an CIA-Abteilungsleiter Atwood, bei dem Turner wiederum ungeschoren davonkommt. Angeblich hat sich hausintern das Blatt gewendet und der Auftraggeber des Massakers an Turners Kollegen steht nun selbst auf der Abschussliste. Sehr merkwürdig. In jedem Fall ist Turner doch ein gefährlicher Mitwisser. Ein Wissen, das er ja im Finale auch einsetzt, um am Leben zu bleiben.

Showdown

Angeblich hat Turner die ganzen Geschehnisse aufgeschrieben und der New York Times zugeschickt. Die Presse als Lebensversicherung. Das Ende ist offen. Ob sein Plan aufgeht, erfahren wir nicht. Aber das passt zur Philosophie von „Die drei Tage des Condor“, der im Zuge des Watergate-Skandals nicht die äußeren Gefahren beschreibt, sondern die, die von den inneren Sicherheitsorganen ausgehen. Originalton Turner: „Vielleicht gibt es eine CIA im CIA?“ Gefahren, die auch Thriller wie „Scorpio“, „Safe House“ oder „Kill the Messenger“ beschreiben.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 5 blaue Smileys und 2 schwarze traurige Gesichter für Die drei Tage des Condor.

Der Spion (Dominic Cooke) GB 2019

„Der Spion“ ist ein Agententhriller, der auf einem tatsächlichen Fall in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts beruht. Er spielt zur Zeit des Kalten Krieges, der atomaren Aufrüstung und hat eine originelle Hauptfigur. Er ist auch ein Film über eine Männerfreundschaft zwischen dem britischen Geschäftsmann Greville Wynne (Benedict Cumberbatch), der brisante Informationen des sowjetischen Überläufers, Oberst Oleg Penkowski (Merab Ninidze), an die CIA liefert: „Nun die wichtigste Frage: Vertragen Sie Alkohol?“ Das tut Greville und legt damit den Grundstein für ihre Freundschaft.

Die Vorlage

Leider schaffen die Filmemacher es nicht, sich von der Vorlage zu lösen. Sie glauben auf der sicheren Seite zu sein, indem sie sich an die Fakten halten. Das ist aber ein Trugschluss. Die Ereignisse sollten entweder alle dramatischen Voraussetzungen erfüllen (wie zum Beispiel bei „Lone Survivor“ von Peter Berg) oder die Funktion einer Materialsammlung haben. Also die interessante Frage ist, inwieweit man als Filmgestalter Geschehnisse verändern, oder dramatisieren darf? Nun, zum Wohle einer Geschichte darf ein Erzähler eigentlich alles, wenn er denn will und kann. Er sollte es auch.

Schwachpunkte

In „Der Spion“ kommt die Story erstaunlich altbacken und behäbig in Gang. Sie gewinnt erst in der zweiten Hälfte an Fahrt und Dramatik. Das ist der erste Schwachpunkt. Die Entscheidung von Greville, noch einmal nach Moskau zu reisen, um die Flucht seines Freundes zu ermöglichen, müsste viel eher kommen. Erst ab diesem Moment ist das Leben des Helden wirklich in Gefahr. Dieser Höhepunkt hätte ungefähr nach einem Drittel der Geschichte und nicht gegen Ende platziert werden müssen.

Dramaturgie

Der zweite Schwachpunkt sind die fehlenden Überraschungen und Wendungen. Nach der Festnahme der Protagonisten spult der KGB sein Standard-Programm ab: Folter (beide) und Hinrichtung (Oleg). Auch der Gefangenenaustausch von Greville nach Jahren der Inhaftierung ist keine Überraschung. Außerdem sind seine Ehekonflikte, die aus seinem geheimen Doppelspiel resultieren, nicht optimal ausgereizt. Da geht es zum Beispiel in Clint Eastwoods „American Sniper“ anders zur Sache.

Lösungen

Viel besser wäre es gewesen, „Der Spion“ aus Olegs Sicht zu erzählen. Seine Figur besitzt das weitaus größere dramatische Potenzial. Sein Leben steht von Beginn an auf dem Spiel, als er ahnungslosen amerikanischen Touristen in Moskau eine Nachricht von seiner Bereitschaft zum Überlaufen zukommen lässt. Von diesem Moment an ist sein Leben in Gefahr. Bessere dramatische Voraussetzungen gibt es eigentlich gar nicht. Hier hätte man sich vor den üblichen Folterungen auch noch vorstellen können, dass der KGB ihn weiterhin als Kurier von geheimen Informationen benutzt. Man hätte ihn erpressen können, als Doppelspion zu operieren, ausgestattet mit gefälschten Informationen. Im Grunde wäre es eine „Red-Sparrow„-Variante gewesen: Immer in tödlicher Gefahr enttarnt und hingerichtet zu werden.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 3 blaue Smileys und 4 schwarze traurige Gesichter für Der Spion (Dominic Cooke) GB 2019

Safe House (Daniél Espinosa) USA 2012

Jedenfalls wird in „Safe House“ ordentlich geballert und es werden jede Menge umweltschädlicher Autos geschrottet. Das ist gut, genauso wie das Anliegen, den Zuschauer zu unterhalten. Sehr schön sind die Präsentationen der Protagonisten im CIA-Hauptquartier, als eine Mitarbeiterin ihre Profile am Computer aufruft. Während sie knappe Lebensläufe und Beurteilungen vorliest, werden diese Charakterisierungen mit Aktionen der jeweiligen Personen montiert. So genanntes Scene-Merging. Das ist super. Das sorgt für Erzähltempo, erzählerische Tiefe und Spannung.

Stereotype

Aber ansonsten hat man irgendwie alles schon gesehen: Der abtrünnige CIA-Agent, der im Besitz geheimer Daten ist, hinter denen einige Killer her sind, die Verräter in den eigenen Reihen, das Greenhorn, das in diesen Schlamassel gerät und sich beweisen muss. Originell ist das nicht. Außerdem gibt es drei gravierende Schwachpunkte:

Schwachpunkte

Da ist zum einen die Figur des Ex-CIA-Agenten Tobin Frost (Denzel Washington), dessen angebliche innere Zerrissenheit zu keiner Zeit transparent wird. Er agiert im Stile eines altklugen, kaltblütigen, staatlich ausgebildeten Killers, der sich – ohne mit der Wimper zu zucken – eine Kugel aus dem Leib pult oder gegnerische Agenten abknallt. In „Man on Fire“ von Tony Scott spielt ebenfalls Denzel Washington einen traumatisierten Ex-Agenten, der die Hälfte des Films damit kämpft, wieder einigermaßen ins Leben zurückzufinden. Da nimmt man ihm seine Verzweiflung ab. Da kann man mit ihm fühlen. Tobin Frost weckt zu keiner Zeit Emotionen.

Liebesgeschichte

Wenn man eine Liebesgeschichte etabliert, dann sollte sie auch eine Handlungsrelevanz haben oder gestrichen werden. Hier hat die Beziehung des jungen CIA-Agenten Matthew Weston zur Ärztin Ana keine Funktion. Es ist nur eine behauptete Liebe und kann deshalb auch keine Emotionen wecken. Auch hier wird die Chance auf die Erzählung einer „Unmöglichen Liebe“ vertan. Als Matthew seine Freundin am Kapstadter Bahnhof aus der Schusslinie bringen will, hätte sie ihm eigentlich sein Ticket und sein Geld um die Ohren hauen und bei ihm bleiben müssen. Dann hätte er nämlich nicht nur mit seinem gefährlichen Gefangenen untertauchen, sondern sich auch noch um den Schutz seiner Geliebten kümmern müssen. Es wäre ein zusätzliches Problem gewesen, was der Dramatik einer Erzählung noch nie geschadet hat.

Die unmögliche Liebe

Vor allem aber wäre dieses Himmelfahrtskommando eine hervorragende Gelegenheit gewesen, sich wirklich näher kennenzulernen und sich nicht mehr anzulügen. Die Thrillerhandlung als Folie für eine „Unmögliche Liebe“ – das wär’s gewesen. Am Ende hätte Ana zum Beispiel als einzige den Showdown überleben können und zwar in einem Moment, in dem beide erkennen, hier die Liebe ihres Lebens getroffen zu haben. Das wäre das Drama gewesen, nicht das Ableben mehrerer Killer. Es wäre auch die Gelegenheit zur Etablierung einer starken Frauenfigur gewesen. Der Fokus auf männliche Attribute wie Raufen, Schießen, Autos zu Schrott fahren, wirkt ein bisschen infantil.

Odd-Couple

Das Gespann Tobin Frost und Matthew Weston hätte die Möglichkeit zu einer Odd-Couple-Konfiguration geboten, d.h. zwei völlig gegensätzliche Charaktere, die aufgrund äußerer Umstände aneinander gekettet sind und sich ständig auf die Nerven gehen. Dieses dramatische und komödiantische Potenzial darf man sich eigentlich nicht entgehen lassen. In „Midnight Run“ von Martin Brest spielt Robert de Niro den Kopfgeldjäger Jack Walsh, der den abtrünnigen Mafia-Buchhalter Jonathan Mardukas von New York nach Los Angeles bringen soll. Die ganze Zeit spielt Mardukas einen Advocatus Diaboli. Er fragt Walsh über seine gescheiterte Ehe aus und nervt ihn bis aufs Blut. So können wir einiges über die Person des Kopfgeldjägers erfahren, tauchen tief in seine Vorgeschichte, in sein Leben ein. Wir verstehen seine Probleme und können Gefühle entwickeln. Das ist vorbildlich gemacht.

In „Safe House“ erzählt Tobin Frost auf Nachfrage von einer tiefergehenden Liebesbeziehung in seinem Leben. Das war’s. Anstatt an dieser Stelle nachzubohren, lässt Matthew es damit auf sich beruhen. Das ist schwach! So kann natürlich keine Tiefe, kein Verständnis und kein Gefühl entstehen. Anstelle einer Odd-Couple-Beziehung dominiert in „Safe House“ ein Lehrer-Schüler-Verhältnis auf Agentenebene.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 2 blaue Smileys und 5 schwarze traurige Gesichter für "Safe House"

Keine Zeit zu sterben (Cary Joji Fukunaga)

Es gibt ein spannendes Opening, schöne Städte- und Landschaftsaufnahmen und fulminante Actionszenen. Ansonsten alles wie gehabt: Am Ende rettet James Bond die Welt. Aber man schaut ja auch keinen James-Bond-Film, um große Überraschungen zu erleben. Da weiß man eben, was man hat. Das vermittelt Sicherheit, auch wenn James hier am Ende zu sterben scheint. Aber wer weiß?

Schwachpunkte

Der Agententhriller ist viel zu lang. Zwei Stunden Altbekanntes hätten vollauf genügt, zumal „Keine Zeit zu sterben“ vor Abstrusitäten nur so strotzt. Am Anfang fragt man sich noch, warum James Bond seiner hübschen Freundin Madeleine den Laufpass gibt? Hat sie ihn an Spectre verraten? Welche Anhaltspunkte hat er dafür? Der Boss von Spectre sitzt doch hinter Schloss und Riegel? Dann tauchen schon die nächsten Ungereimtheiten auf und irgendwann gibt man es auf, nach Antworten zu suchen. Spannung entsteht zu keiner Zeit. Ein einziges Mal fiebert man mit einer Person mit: Man hofft, dass Madeleines kleiner Tochter in den Fängen des Antagonisten Safin nichts geschieht. Aber der Film ist ja frei ab 12 Jahren. Also ist diese Sorge auch überflüssig.

Die weltweiten Einspielergebnisse relativieren im Grunde jede Kritik. Andererseits sind das ja nur Zahlen. Sind die Menschen so einfach gestrickt? Brauchen sie nur ein bisschen Action, Ballereien, einen siegreichen Helden mit einer schönen Frau an seiner Seite? Männerdialoge nach der Kinovorführung vor der Toilette scheinen diesen Verdacht zu bestätigen: „zu gefühlsduselig“, „zu viel Dialoge“. Also, noch mehr Ballereien oder wie?

Political correctness

Weitaus komplexer ist das Krebsgeschwür „Political correctness“, von dem viele aktuelle Kinoproduktionen befallen sind, auch die James Bond Filme. Damit keine Missverständnisse entstehen: Political correctness, Diversität, MeToo, Gewaltlosigkeit, Respekt, Antirassismus usw. sind alles wunderbare Sachen, haben aber bei der Entwicklung von Filmgeschichten überhaupt nichts verloren. Im Gegenteil. Ein guter Film braucht das Unkorrekte und die Dramatik, die daraus resultiert. Alles andere wird schnell langweilig.

Also, Miss Moneypenny ist jetzt Schwarzafrikanerin, genauso wie die neue 007: Nomi! Was dabei auf der Strecke bleibt, ist z.B. das liebevolle Geplänkel zwischen dem toupierten Bürodrachen Moneypenny und den kaum verhohlenen Anzüglichkeiten eines Sean Connery. Was auf der Strecke bleibt, ist die unerschütterliche Sturheit des wahren James Bond. Der hätte seine Wiederernennung zur 007 abgelehnt und seinem Boss „M“ etwas gehustet. Denn der hat ja in Tateinheit mit der britischen Regierung das Herakles-Programm mit zu verantworten – der Quell allen Übels.

Fazit

Ein echter James Bond fängt auch nicht fast an zu heulen, nur weil er seiner Verflossenen seine Liebe gesteht. Ein echter James Bond hätte die Hilfe seiner Nachfolgerin beim Showdown abgelehnt – egal ob schwarz, weiß, Mann oder Frau. Der hätte die paar dutzend Gangster alleine erledigt. Also, Zeit zu sterben.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 2 blaue Smileys und 5 schwarze traurige Gesichter für Keine Zeit zu sterben.

Anna (Luc Besson) F 2018

Dieser Agententhriller ist ein schaler Aufguss eines früheren, viel besseren Films von Luc Besson, nämlich „Nikita“. Hauptproblem ist die völlig unglaubwürdige Figur der KGB-Agentin Anna, die keinerlei Emotionen vermittelt. Dazu tragen auch die unmotivierten Zeitsprünge der Filmerzählung bei, die manchmal zwar überraschend sind, aber auch immer für Distanz sorgen.

Schwachpunkte

Dieser nicht-chronologische Unfug wird einem zwar als modern verkauft, ist aber nichts anderes als ein Ablenkungsmanöver. Er hat die Funktion, narrative Defizite zu verschleiern. Außerdem sind sie antidramatisch und somit fehl am Platze. Ein Beispiel: Wenn Anna einen deutschen Diplomaten in seinem Hotelzimmer heimsucht, dann kehrt sie als nächstes zwar verspätet aber erfolgreich von ihrer Mission zur KGB-Einheit zurück. Da stellt sich doch Erleichterung ein.

Überraschung vs. Suspense

Erst später erfahren wir in einer Rückblende von den Gefahren, mit denen sie im Zimmer in Gestalt des CIA-Agenten Miller und seinen Leuten konfrontiert wurde. Das ist eine Überraschung – Emotionen, die ca. drei Sekunden währen. Viel besser wäre es gewesen, wenn wir mit ihr diese Gefahren durchlebt hätten und Zeugen ihrer Lügen gegenüber der KGB-Chefin geworden wären. Letztlich ein Frage des Informationsflusses. Also versorge ich den Zuschauer mit dramatischen Informationen (Suspense) oder enthalte ich sie ihm vor (Überraschung). Meister Hitchcock stellt die Sache klar: „Daraus folgt, dass das Publikum informiert werden muss, wann immer es möglich ist.“ („Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ von Francois Truffaut).

Dramaturgie

Also, es ist ein dramaturgischer Vorteil, wenn die Zuschauer mehr Informationen haben als Teile der handelnden Personen. Wer jemals beim Kasper-Theater war, wird sich vielleicht an das Krokodil erinnern, das im Hintergrund auftaucht und von Kasper noch nicht wahrgenommen wird, wohl aber von den Zuschauern. So eine dramatische Situation wird natürlich retardiert. Das dauert bis zu einer halben Minute, bis Kasper im letzten Moment die Zurufe der Kinder erhört und das Krokodil unschädlich machen kann. Das ist Suspense.

Ungereimtheiten

Außerdem wartet der Film mit einer Fülle von Abstrusitäten auf: Nach ihrer Ausbildung zur Agentin darf Anna in Paris eine ganze Reihe von Gegnern eliminieren, inszeniert im Stile eines Killer-Potpourri. Das könnte sich die Auslandsabteilung des KGB aber nie und nimmer erlauben. Schon ein einziger Mord würde sofort Ermittlungen, diplomatische Verwicklungen und Sanktionen nach sich ziehen (s. Fall Litwinenko oder Tiergartenmord).

Untote

Geradezu lächerlich sind die Schießereien im Moskauer Restaurant und in der KGB-Zentrale. Gerade da fragt man sich, ob nicht wenigstens einer der vielen KGB-Leute, die sie da erledigen kann, eine ähnlich gute Ausbildung wie sie erhalten hat? Jedenfalls wird sie auf wundersame Weise von gegnerischen Tritten und Kugeln verschont. Und wenn man sie erwischt hätte, wäre es einem auch egal gewesen. Das ist eben einer der Unterschiede zum Agententhriller „Red Sparrow“. Da zittert man mit der Heldin mit. Aber da stammt die Vorlage auch von einem Ex-CIA-Agenten und nicht von einem alternden Filmemacher, der sich einfalls- und lustlos abstrampelt, kalten Kaffee aufzuwärmen.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 1 blauer Smiley und 6 schwarze traurige Gesichter für Anna.

Verräter wie wir (Susanna White) GB 2016

Die Romanvorlage von „Verräter wie wir“ stammt von John le Carré. Sie ist kein erzählerisches Highlight, aber sie punktet mit Originalität, britischem Humor und Sachkenntnis. Dabei agiert der Autor mit einer erfrischenden und für sein Alter angemessenen Rücksichtslosigkeit. Herrlich sind die Dialoge zwischen dem MI-6 Agenten Hector und seinem Boss Billy Matlock. Schon interessant, wie man es schaffen kann, diese Vorzüge in der Verfilmung komplett auszumerzen. Man muss sie doch eigentlich nur transportieren und im Idealfall intensivieren. Kann doch nicht so schwer sein – oder?

Die Figuren

Diese filmische Adaption kommt völlig humor- und spannungsfrei daher und bietet, bis auf Stellan Skarsgard als Dima, ein Bataillon schablonenhafter Figuren auf. Mit wem soll man denn hier mitfiebern? Allen voran Ewan McGregor, der als Literaturprofessor Perry eine komplette Fehlbesetzung ist. Im Roman ist Perry ein verschrobener Dozent, der mit seinem akademischen Beruf hadert. In „Verräter wie wir“ wird ihm seine Skurrilität genommen, dafür wird er zum Professor befördert. Ein schlechter Tausch. Die Beziehung zu seiner Freundin Gail liegt im argen. Warum, weiß keiner so genau. Das wird hier auch nicht weiter vertieft, im Roman leider auch nicht. Ihre Annäherung im Verlauf der eskalierenden Ereignisse wirkt flüchtig und nur dem Moment geschuldet. Was wird aus ihnen, wenn das Abenteuer überstanden ist? Warum Perry in gezeigtem Ausmaß Partei für den abgehalfterten Mafiosi Dima ergreift – das gipfelt in der Tötung eines Gangsters -, bleibt ebenfalls im Unklaren.

Klischees

Ein unscheinbares Detail verdeutlicht die limitierte Denkweise der Filmemacher: Wer jemals die Trostlosigkeit eines literaturwissenschaftlichen Seminarraums erlebt hat, kann über den Hörsaal, in dem Perry unterrichtet, nur müde lächeln. Aber genauso klischeehaft ist das marokkanische Edelrestaurant, in dem Dima mit seiner Entourage natürlich Champagner süffelt. Auf der Party eines russischen Geschäftsfreundes wird im luxuriösen Ambiente getrunken, gekokst und gevögelt usw. Alles ist klischeehaft. Nichts stimmt hier, außer der Verhohnepipelung des Zuschauers. Am Ende fliegt Dima mit einem britischen Agenten im Hubschrauber zu Verhandlungen nach London. Eine Explosion beendet die Flugreise schon kurz nach dem Start und tötet alle Insassen. Wer hinter dem Anschlag steckt, wie der überhaupt zustande kommen kann (immerhin stirbt hier auch ein britischer Agent, da muss ja jemand aus den eigenen Reihen mit den russischen Mafiosi kooperiert haben?) – scheint die Filmemacher nicht zu interessieren.

Lösungen

Die Lösung für den Plot von „Verräter wie wir“ wäre folgendes gewesen: Erhalt des Humors der Romanvorlage, Konzentration auf den verschrobenen Helden Perry und seine Beziehung zu Gail, schrittweises Versinken in den Mafiasumpf (wie in „Sicario“), der dem Paar die Chance zur Entwicklung bietet. Dabei müssten ihre Ausstiegsversuche ein ums andere Mal scheitern, mal hat der MI-6 etwas dagegen, mal die russische Mafia. Das würde den Druck erhöhen. Perry und Gail stecken sozusagen in der Falle. Das wäre schön gewesen.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 1 blauer Smiley und 6 schwarze traurige Gesichter für "Verräter wie wir"

Der Profi (Georges Lautner) F 1981

„Der Profi“ ist ein spannender, politisch unkorrekter Agententhriller mit sehr originellen Figuren. Er basiert auf dem Roman „Death of a Thin Skinned Animal“ von Patrick Alexander. Von den eigenen Leuten verraten, startet Geheimagent Josselin Beaumont (Jean-Paul Belmondo) einen Rachefeldzug gegen seine ehemaligen Kollegen. Den führt er trickreich, großmäulig und schlagkräftig aus. Im Zweifelsfall verlässt er einen Gefahrenort lieber durch die Vorder- als durch die Hintertür. Immer wieder gibt es witzige und unkorrekte Dialoge oder Situationen. Man kann lachen und mit Beaumont mitfiebern. Brillant ist auch die Filmmusik von Ennio Morricone.

Rachedrama

Während der Neue Deutsche Film zeitgleich bedeutungsschwere Nabelschauen und Politlangweiler fabriziert hat, widmete die Nouvelle Vague sich klassischen Erzählmotiven. „Der Profi“ ist nichts anderes als eine Variante von Alexandre Dumas’ „Der Graf von Monte Christo“, dem Prototypen einer Rachegeschichte. Allerdings hätte Regisseur Georges Lautner, der auch am Drehbuch mitschrieb, die dramaturgischen Finessen der Vorlage besser herausfiltern sollen.

Die Geschichte

Beaumont wird in das afrikanische Land Malagawi geschickt, um den residierenden Präsidenten zu töten. Doch die politischen Interessen ändern sich und die Lequidierung des malagawischen Regierungschefs ist nicht mehr erwünscht. Da es zu spät ist, Beaumont von seinem Auftrag abzuhalten, wird er vom französischen Geheimdienst geopfert. Die malagawischen Behörden verhaften ihn, pumpen ihn mit Drogen voll und stellen ihn vor ein „Gericht“. Das Urteil: Lebenslange Zwangsarbeit in einem Arbeitslager. Doch Beaumont kann fliehen und sich nach Frankreich durchschlagen, wo er seinen Rachefeldzug startet.

Der Graf von Monte Christo

Wenn Beaumont nach zweijähriger Abwesenheit seine Frau Jeanne (Élisabeth Margoni) aufsucht, dann benehmen die beiden sich, als wäre nichts weiter geschehen. Wenn Edmond Dantès (der Graf von Monte Christo) zu seiner geliebten Frau zurückkehrt, ist die mit seinem größten Widersacher verheiratet und hat (scheinbar) ein Kind von ihm. So ist das natürlich richtig. Das Drama sollte, wann immer es möglich ist, auf die Spitze getrieben werden. In „Der Profi“ bleiben die ehemaligen Weggefährten von Beaumont, also die Verräter, leider verschont. Ausnahmen sind Kommissar Rosen (Robert Hossein) und seine sadistische Assistentin.

Finale

Das überraschende Ende des Films ist Ausdruck seiner Botschaft: Für wirtschaftliche und politische Interessen gehen Regierungen und ihre Organe über Leichen. Insgesamt ein origineller, unterhaltsamer Film mit einem Wermutstropfen: Die Stoffentwicklung hätte gern etwas tiefschürfender sein können.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 5 blaue Smileys und 2 schwarze traurige Gesichter für Der Profi.

Red Sparrow (Francis Lawrence) USA 2018

Von der ersten Sekunde an ist „Red Sparrow“ von Francis Lawrence ein spannender, exzellent gemachter Agententhriller. Vorbildlich treibt er seine Heldin Dominika (Jennifer Lawrence) in immer größere Schwierigkeiten, die maximal eskaliert werden. Immer wieder wartet der Film mit überraschenden, meist schlüssigen Wendungen auf. Außerdem ist er rasant erzählt. Man muss sich schon konzentrieren, um dem Geschehen folgen zu können und das ist gut so.

Schwachpunkte

Es gibt zwei kleine Schwachpunkte und einen gravierenden. Die vorgeblichen Sexszenen des Films entpuppen sich als zwei Vergewaltigungsversuche (ist das Sex?) und zwei lächerliche Nummern auf Küchentischen. Da hätte man eigentlich gern etwas gesehen, was diese Ankündigung gerechtfertigt hätte. Aber die Amerikaner tun sich offensichtlich schwer damit. Der hervorragende französische Agententhriller „Die Möbius-Affäre“ zeigt wie Sex richtig praktiziert und dargestellt wird.

Deus ex machina

Der zweite Schwachpunkt ist das Erscheinen des SWR-Killers Matorin in Budapest. Dafür gibt es zu diesem Zeitpunkt der Geschichte keinen Grund. Außerdem wurde vorher ausführlich thematisiert, dass derartiges Agieren von russischen Agenten im Ausland politisches Konfliktpotenzial birgt. Andererseits schildert das Sachbuch „The Compatriots“ (Soldatov / Borogan) detailliert von den blutigen Spuren russischer Spionageeinsätze im Ausland. Allerdings finden die auch nicht wöchentlich statt. Da gibt es schon zeitliche Distanz. Jedenfalls hat der Roman an dieser Stelle den Einsatz besser motiviert, indem der russische Präsident Druck auf den SWR-Direktor ausübt und den leitet man – nicht nur in solchen Systemen – schon mal weiter.

Dilemma

Als Drittes verzichten die Filmemacher – und das ist der größte Fehler – auf das Behandeln von Dominikas innerem Zwiespalt: Soll sie am Ende mit dem CIA-Agenten Nate in die USA gehen und dort ein neues Leben beginnen, also ihrem Wunschtraum folgen? Oder soll sie sich gegen den Doppelagenten in den Reihen des SWR austauschen lassen, also nach Moskau zurückkehren, um in der Nähe ihrer geliebten Mutter zu sein? Wenn sie ihrem Traum nachgeht, kann sie eigentlich nicht glücklich werden. Als Überläuferin würde man ihre Mutter in Moskau wie den letzten Dreck behandeln. Das ist ihr Dilemma: Wie sie sich auch entscheidet, sie kann nicht glücklich werden. Aber diesen Zwiespalt hätte man nicht nur thematisieren müssen, so etwas muss man retardieren, zelebrieren und ausreizen bis zum letzten Tropfen wie es zum Beispiel Clint Eastwood in „Die Brücken am Fluss“ demonstriert hat.

Roman vs. Verfilmung

Auch an dieser zentralen Stelle liefert der Roman ein stärkeres Motiv für ihre Rückkehr. Da lässt sie sich nämlich tatsächlich gegen den Doppelagenten austauschen, zu dem sie eine großväterliche Beziehung aufgebaut hat. Im Film entpuppt sich der Maulwurf als SWR-Direktor, den sie hereingelegt hat. Das wirkt ein bisschen überkonstruiert und verharmlost die Antagonisten. Das Motiv der Romanvorlage, den tatsächlichen Maulwurf mit diesem Austausch zu retten ist stärker und macht sie menschlicher. Auch ihre Liebe zur Mutter hätte man deutlicher herausarbeiten müssen. Dann hätte man nämlich mehr mit ihr mitfiebern können. Immerhin bietet „Red Sparrow“ zweieinhalb Stunden lang intelligente und spannende Unterhaltung.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 5 blaue Smileys und 2 schwarze traurige Gesichter für "Red Sparrow"