Ärger im Paradies (Ernst Lubitsch) USA 1932

„Ärger im Paradies“ ist eine charmante Gaunerkomödie, die auf einem Theaterstück des ungarischen Schriftstellers Aladár László beruht. Es wartet zudem mit einem klassischen Erzählmotiv auf: Die unmögliche Liebe. Schon beeindruckend, wie Ernst Lubitsch Unterhaltung zelebriert. Natürlich auf seine Weise: rücksichtslos, anzüglich, hinterhältig und mit starken Frauenfiguren. Das verleiht diesem Film auch etwas Modernes, die Machart etwas Zeitloses. In Deutschland wurde der Film seinerzeit wegen „Gefährdung der öffentlichen Ordnung“ aus den Kinos verbannt. Da muss man erstmal hinkommen.

Die Geschichte

Im Zentrum des Geschehens stehen die beiden Trickdiebe Lily und Gaston Monescu, die in Venedig aufeinander treffen. Beim Versuch, sich gegenseitig zu bestehlen, verlieben sie sich ineinander. In der Pariser Oper entwenden sie die teure Handtasche der wohlbetuchten und attraktiven Mariette Colet, Inhaberin eines Parfümeriekonzerns. Der ausgelobte Finderlohn für die Tasche ist höher als der Preis, den man bei einem Hehler erzielen kann. Also sucht Gaston die Bestohlene auf, kassiert den Finderlohn und umgarnt sie mit seinem durchtriebenen Charme. Resultat: Er wird als Geschäftsführer eingestellt.  

Die Liebe

Dabei hat Gaston vor allem den Wandsafe im Visier, den es nun gilt mit Bargeld zu füllen. Nebenbei führt er die Geschäfte des in Schieflage geratenen Konzerns mit harter Hand. Als Sekretärin stellt er Lily ein, die eifersüchtig die wachsenden Gefühle zwischen Mariette und Gaston beäugt. Nachdem der Chef des Aufsichtsrats Unregelmäßigkeiten in den Bilanzen entdeckt und Gaston als Dieb wiedererkannt wurde, will das Gaunerpärchen fliehen. Am Ende zeigt Mariette sportliche Qualitäten und lässt Gaston mitsamt 100.000 Francs und Schmuck ziehen. Sie weiß, dass es mit ihm keine Zukunft geben kann. In der Schlussszene beklauen Gaston und Lily sich wieder gegenseitig, so wie bei ihrer ersten Begegnung.

Stärken

Von Anfang an gibt es Suspense: Wir wissen um die wahre Identität des Gaunerpaares und ihrer Absichten, nicht aber die anderen. Das sorgt für Spannung. Des Weiteren demonstriert Lubitsch auch in „Ärger im Paradies“ sein Faible für politisch unkorrekte, hinterhältige Witze. Da avanciert ausgerechnet der Obergauner zum Geschäftsführer eines angeschlagenen Konzerns, also der Bock wird zum Gärtner gemacht. Als Mariette eine üppige Belohnung für den Fund ihrer Handtasche auslobt, versammeln sich dutzende von „Findern“ im Foyer ihrer Villa. Sehr schön sind auch die Doppeldeutigkeiten, also Szenen, in denen man die Aktionen der Protagonisten so oder so deuten kann. In der Exposition schüttelt Gaston die angebliche Komtesse Lily ziemlich heftig (s. Trailer). Es könnte sich um eine Verärgerung handeln? Erst als die von ihr entwendete Brieftasche herunterfällt, wird klar, dass das Schütteln nur dazu diente, an sein Diebesgut zu kommen. Anschließend verfällt Gaston wieder in seine Rolle des charmanten, weltmännischen Adligen. Das Finale ist dramaturgisch sehr schön zugespitzt. Die Schlinge zieht sich zu, um den Hals des Gauners bis zur Rettung in letzter Sekunde.

Die Dialoge

Dialoge sind eine Spezialität von Ernst Lubitsch, auch hier brillant, witzig, häufig doppeldeutig: „Wann werden Sie zurück sein?“, fragt Gaston die ausgehbereite Mariette, um die Zeitspanne für die Leerung des Wandsafes in Erfahrung zu bringen. Sie versteht diese Frage als Avance: „Muss ich darauf antworten?“ „Nein“, antwortet Gaston, wobei er sie vielsagend anlächelt. Ansonsten fassen die Protagonisten sich nicht gerade mit Samthandschuhen an: „Werde nicht einer von diesen trostlosen Gigolos“, rät die eifersüchtige Lily ihrem Partner. Ausgerechnet dieser Obergauner erklärt seiner Chefin: „Sie sind bestohlen worden.“ Aber wer könnte die Unregelmäßigkeiten ihres Aufsichtsratchefs besser enttarnen als Gaston?

Schwächen

Die Schattenseiten des Gaunerlebens bleiben ausgespart. Einmal  – in Paris – thematisieren Lily und Gaston ihre Geldschwierigkeiten: „Bald sind wir wieder obenauf“. Ansonsten wird dieses Leben eigentlich romantisiert. Das müsste aber auch in einer Komödie nicht sein. Die Beleuchtung dieser Schattenseiten wäre glaubhafter und dramatischer gewesen. Sie hätte uns die Protagonisten auch näher gebracht. Ein paar Unstimmigkeiten in der Handlungslogik muss man nicht auf die Goldwaage legen. Sie passen zur beschwingten, manchmal auch leicht überdrehten Grundstimmung dieser Komödie.

Fazit

Auch über 90 Jahre nach seiner Herstellung hat „Ärger im Paradies“ nichts von seinem rabenschwarzen, durchtriebenen Charme eingebüßt. Diese Komödie macht einfach Freude.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 5 blaue Smileys und 2 schwarze traurige Gesichter für "Ärger im Paradies".

Kops (Josef Fares) S 2003

„Kops“ ist eine schräge, witzige Komödie mit originellen Figuren und einer ganz einfachen, verständlichen Geschichte: Einer Gruppe von schwedischen Dorfpolizisten droht die Schließung ihrer Station, weil zu wenig Verbrechen passieren. Diesem Manko versuchen sie mit illegalen Methoden auf die Sprünge zu helfen. Ein nachvollziehbares Motiv, das jede Menge komödiantisches Potenzial enthält. Nicht nur wegen der Traumvisionen von Dorfpolizist Benny, auch wegen seiner beschwingten Atmosphäre, erinnert der Film an die griechische Komödie „Kleine Verbrechen“ von Christos Georgiou.

Die Geschichte

Die Dorfpolizisten Jacob, Benny, Lasse und Agneta haben in ihrem Provinznest wenig zu tun. Mal eine Kuh, die sich verlaufen hat, mal ein umgestürzter Mülleimer. Dramatik entsteht nur in den Visionen von Benny, in denen er im Stile eines Revolverhelden reihenweise Gangster zur Strecke bringt. Die Zeit vertreiben die Kops sich beim Karten- oder Hockeyspiel, bis Jessica von der Landespolizei auftaucht und die Schließung der Wache verkündet. Drei Monate noch, dann ist Schluss.

Verbrechen

Nicht für Jacob und Lasse, die den Alkoholiker Johann bestechen, im örtlichen Lebensmittelgeschäft zu klauen. Leider hat der Ladeninhaber kein Interesse an einer Anzeige. Also müssen andere Ideen her. Allmählich steigern die Polizisten die Schwere ihrer inszenierten Delikte, bis bei einer Brandstiftung der örtliche Imbiss explodiert. Jetzt ermittelt auch Jessica, die allerdings sofort misstrauisch wird. Die Situation eskaliert, als Benny eine Kindesentführung inszeniert, was ein mobiles Einsatzkommando auf den Plan ruft. Bei ihrer Flucht werden Jacob und Benny schließlich gestellt und der ganze Schwindel fliegt auf. Aber die nun arbeitslosen Polizisten haben eine neue Idee. In ihrer ehemaligen Wache eröffnen sie eine Polizei-Pizzeria.

Tiefgang

Kritiker werfen dem Film fehlenden Tiefgang und Kalauerniveau vor. Das ist nur zum Teil richtig. Was spricht gegen funktionierende Witze, die man schon bald wieder vergessen hat? Gar nichts. Im Gegenteil. „Kops“ verbreitet einfach eine angenehme Stimmung (s. Defätismusskala). Man fühlt sich wie ein Teilnehmer eines schmackhaften Menüs, der in origineller Gesellschaft das ein oder andere Gläschen leert. Ist doch wunderbar, auch wenn diese Speise etwas Flüchtiges hat. Auch die angedeutete Liebesgeschichte zwischen Jacob und Jessica ist sehr schön entwickelt. Die beiden sind sich sympathisch. Nur müssen erst die ganzen Hindernisse aus dem Weg geräumt werden, bis eine echte Annäherung möglich ist. Schließlich ist Jessica auch die personifizierte Antagonistin.

Komik

Immer wieder gibt es witzige, auch selbstironische Einfälle. Jacobs Datingversuche haben einen hohen komödiantischen Eigenwert. Eine schöne Idee ist sein Meeting mit Jessica, die er irrtümlich für sein Blind Date hält. Ausgerechnet dann funkt es, wenn es nicht geplant ist. Schön ist auch der Schlussgag, als Jessica vorgibt zum Gesundheitsamt gewechselt zu sein und nun überprüfen soll, ob die Polis-Pizzeria den amtlichen Anforderungen standhält. Ein Déjà-vu für die Dorfpolizisten, bis Jessica ihren kleinen Streich offenbart.


Political Uncorrectness

Sehr schön ist auch die Rücksichtslosigkeit, mit der Josef Fares hier zu Werke geht. Ernst Lubitsch hätte seine Freude daran gehabt. Offensichtlich ist der Film ohne Beteiligung deutscher Filmförderungen entstanden. In „Kops“ wird mal über „Hängetitten“ debattiert oder vermeintliche Gegner mit „Motherfucker“ tituliert. So wie eben ganz normale Menschen auch mal reden. Die Figuren sind bis in die kleinsten Nebenrollen hervorragend besetzt. Sie pflegen ihre Marotten, sind originell und prägnant. So schnell vergisst man diese „Kops“ nicht. 

Schwächen

Für den ganz großen Wurf fehlt es an der Konzentration auf eine Hauptfigur und an emotionaler Tiefe. Wer ist eigentlich der Held? Manchmal ist das Geschehen bei Jacob, manchmal bei Benny, manchmal bei Jessica usw. Die Fokussierung auf eindeutige Protagonisten wäre aber eine Voraussetzung für eine intensivere emotionale Anteilnahme. Die Mehrfachperspektive schafft auch hier keine erzählerischen Vorteile. Wirkliche Gefahrenmomente sind rar. Die sollten aber auch in einer Komödie für Spannung sorgen (s. „Sein oder Nichtsein“). Die Schlusspointe, die eigentlich in der Geschichte steckt, fehlt leider komplett: Als die Kops am Ende ihren neuen Job als Pizzabäcker angetreten haben, müssten im Dorf – natürlich – neue Verbrechen passieren. 

Fazit

„Kops“ demonstriert auch, wie man mit wenig Geld einen witzigen Film produzieren kann. Das Budget ist nur eine Zahl, auf die Ideen und deren Umsetzung kommt es an. Diese „Kops“ machen einfach Spaß, deshalb …

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 5 blaue Smileys und 2 schwarze traurige Gesichter für Kops.

Barry Seal – Only in America (Doug Liman) USA 2017

„Barry Seal“ ist eine originelle Trickster-, Abenteurer- und Thrillerkomödie, die tragisch endet, also eine Tragikomödie mit einem Thrillerhintergrund. Sie spielt in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts und beruht auf wahren Begebenheiten. Aber anders als in „Spotlight“ von Tim McCarthy gibt es hier eine Geschichte, die in Rückblenden erzählt wird. Und diese Geschichte hat es in sich, genauso wie ihr Protagonist. Wenn mir früher bei meiner Tätigkeit als Drehbuch-Lektor ein derartiges Script untergekommen wäre, hätte ich es als völlig unglaubwürdig eingestuft und den Autoren des übermäßigen Drogenkonsums verdächtigt. Aber die Handlung ist so skurril, dass man sie sich eigentlich kaum ausdenken kann. Ein Indiz für ihre Realitätsnähe und für den Irrsinn US-amerikanischer Außenpolitik. Regisseur Doug Liman tat gut daran, sich eng an die wahren Begebenheiten zu halten.

Die Geschichte

USA 1986. Barry Seal (Tom Cruise) zeichnet seine Erlebnisse auf Video auf. Acht Jahre zuvor ist er mit kleinen Schmuggeleien bei seiner Arbeit als Flugkapitän ins Visier des CIA geraten. Die nötigen ihn zu Aufklärungs- und Transportflügen in mittelamerikanischen Staaten, „bei den Feinden der Demokratie“. Vorbehalte von Ehefrau Lucy weiß Barry zu zerstreuen. Aber was relativ harmlos anfängt, entwickelt sich zu einem Lieferservice für Schwarzgeld und Rauschgift. Während einer Razzia bei kolumbianischen Drogenbossen wird Barry von der Armee verhaftet. Die CIA erwirkt seine Freilassung. Dieses Mal nötigen sie ihn, in Nicaragua für die Contras zu spionieren. Die sind allerdings eher am Rauschgifthandel interessiert als an politischen Kämpfen.

Drogengeld

Das Geschäft boomt und Barry weiß gar nicht, wohin mit dem ganzen Geld. Schwierigkeiten treten erst auf, als Lucys jüngerer Bruder verhaftet und – kaum wieder auf freiem Fuße – vom Drogenkartell liquidiert wird. Spätestens jetzt merkt Barry, dass er hier in ein tödliches Spiel geraten ist, aus dem es keinen Ausstieg gibt. Kurz darauf wird er bei einer Razzia auf seinem Firmengelände in den USA festgenommen. Seinen Kopf kann er gerade noch aus der Schlinge ziehen, indem er sich für eine Antidrogenkampagne des Weißen Hauses einspannen lässt. Dummerweise werden, entgegen den Absprachen, heimlich aufgenommene Fotos vom Rauschgiftgeschäft im amerikanischen Fernsehen veröffentlicht. Damit ist die Jagd der Drogenbosse auf Barry eröffnet, die ihn schließlich 1986 in Arkansas liquidieren.

Die Figuren

Schon das Opening charakterisiert Barry vortrefflich: Als zweiter Flugkapitän eines Passagierjets schaltet er den Autopiloten aus und hat seine diebische Freude daran, die Fluggäste ein bisschen durchzuschütteln. Sein Hang zu Unkorrektheiten und Wagemut wird mit einer gehörigen Portion Naivität kombiniert. Barry ist nicht der Hellste unter der Sonne, aber er ist stets freundlich, liebt das Fliegen, seine Frau Lucy und seine Kinder. Er ist ein Schlawiner, eine interessante und prägnante Figur, die unsere Sympathien weckt. Und Tom Cruise spielt diesen Trickster ähnlich brillant wie den Dating-Coach Frank Mackey in „Magnolia“.

Ehefrau Lucy ist ebenfalls einfach gestrickt. An der Teilnahme einer feucht-fröhlichen Sause beim kolumbianischen Drogenkartell kann sie nichts Anrüchiges finden. Im Gegenteil. Ein kleiner Quickie mit Barry während des Rückflugs zeigt ihre Begeisterung für seine beruflichen Ausschweifungen. Am Ende bringt Barry Frau und Kinder aus dem Schussfeld, indem er sie überredet, zurück nach Baton Rouge zu ziehen.  Er weiß nur zu gut, was ihn erwartet. Auch das ist schön und trägt zur Identifikation mit dem Helden bei. Überhaupt ist die ganze Besetzung der Schauspieler bis in die kleinsten Nebenrollen einfach hervorragend. „JB“, Lucys etwas unterbelichteter Bruder, spielt einfach genial.

Schwachpunkte

Man hat nie wirklich Angst um Barry. Sein Überlebenskampf ist originell, auch schwarzhumorig, aber – bis aufs Ende – nie dramatisch. Bei Schwierigkeiten demonstriert er seine Qualitäten als Stehaufmännchen. Das Komödiantische überwiegt, wobei das ja auch dramatisch sein könnte (siehe z.B. „Sein oder Nichtsein“ von Ernst Lubitsch). Vielleicht hätten wir auch etwas mehr erfahren können über Barry oder seine Ehe (wie z.B. in „Donnie Brasco“). Da gibt es eine sehr schöne Szene, als Donnie beim Paartherapeuten seiner Frau gesteht – was er eigentlich nicht darf -, dass er als Undercover-Agent fürs FBI arbeitet. Natürlich glaubt ihm niemand. Ähnliches hätte man sich auch in „Barry Seal“ gewünscht. Da geht die Beichte nahezu unter. Im Vordergrund stehen die Abenteuer.

Tiefgang

Die limitierte Dramatik drückt sich auch in Barrys Umgang mit dem Drogenhandel aus. Alles sehr verniedlichend. Dabei schafft er Unmengen von Rauschgift ins Land mit verheerenden Auswirkungen für die Konsumenten. Für Barry ist das kein großes Ding. Hier hätte man sich einen Gewissenskonflikt vorstellen können mit seiner Entscheidung zum Ausstieg. Die Drogenbosse und das CIA hätten ihm die Unmöglichkeit seiner Wahl schnell klargemacht. Barry in der Zwickmühle. Es hätte die emotionale Nähe zur Hauptfigur intensiviert. Das wär’s gewesen.


Iran-Contra-Affäre

Mehr als nur eine Fußnote. Das muss man sich mal reinziehen: Die CIA tätigte 1985 geheime Waffenverkäufe mit dem Iran, also das Land, in dem 6 Jahre zuvor 52 Mitarbeiter der amerikanischen Botschaft in Geiselhaft genommen wurden. Hinzu kam, dass der Iran gerade Krieg mit dem Nachbarstaat Irak führte. Dessen Machthaber Saddam Hussein wurde wiederum von den USA unterstützt, bis sie ihn später bekriegten. Für die Zwischenlandungen bei den Waffenlieferungen nutzten die Amerikaner israelische Flughäfen, also Gebiete des Erzfeindes des Irans. Mit dem Geld aus den Waffenverkäufen unterstützten die USA nun die Contras in Nicaragua bei ihrem Kampf gegen die Sandinisten. Die wiederum benutzten das Geld für Drogengeschäfte und schmuggelten das Rauschgift mit Wissen der amerikanischer Behörden wieder in die USA. De facto betätigten sich die Amerikaner also als Waffen- und Drogenhändler im großen Stil. 

Fazit

„Barry Seal“ ist eine sehr unterhaltsame, schwarzhumorige Tricksterkomödie mit ausbaufähigem Tiefgang.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 5 blaue Smileys und 2 schwarze traurige Gesichter für "Barry Seal".

Leben im Schloss (Jean-Paul Rappeneau) F 1966

Der Titelvorspann besteht aus kunstvollen, betörenden Nahaufnahmen von Gesicht und Haaren der Heldin, Reproduktionen von Fotografien in schwarzweiß. Die Exposition ist auch eine Einstimmung auf die Geschichte, in der die 20-jährige Marie (Catherine Deneuve) aufs Podest gehoben wird. Sie ist eine Hommage an die Attraktivität der Protagonistin, an ihren Eigensinn und ihren Trickreichtum. Damit hat der Film von Jean-Paul Rappeneau etwas sehr Modernes, auch wenn er fast 60 Jahre alt ist und 1944 in der Normandie spielt, also zu Zeiten der deutschen Besatzung. Inszeniert im Stile einer hemmungslosen Komödie erinnert „Leben im Schloss“ an die geniale Naziklamotte „Sein oder Nichtsein“ von Ernst Lubitsch.

Die Geschichte

Es fängt damit an, dass Maries Ehemann Jérôme (Philippe Noiret) feststellt, dass im Keller ihres heruntergekommenen Schlosses wieder Äpfel geklaut wurden. Anstatt Interesse für den Diebstahl zu zeigen, beschimpft Marie ihn und seinen Kleingeist. Schließlich fordert sie von ihm eine vertragliche Zusicherung, dass er wie versprochen endlich mit ihr nach Paris zieht. Und das ist die Geschichte. Darum dreht sich alles, von Anfang bis Ende. Diese Einfachheit ist ein weiterer Vorzug von „Leben im Schloss“. Die Kriegswirren kurz vor Landung der Alliierten nutzt Rappeneau nur als Folie. Es könnten auch andere zeitgeschichtliche Unruhen sein. Letztlich dienen sie nur der Anhäufung von Konflikten sowie der Skizzierung und Entwicklung der Protagonisten.

Hemmungslosigkeit

Die erfrischende Hemmungslosigkeit, mit der Rappeneau hier zu Werke geht, ist nie plump. Es gibt keinen Klamauk, wie er des öfteren in deutschen „Komödien“ anzutreffen ist. Apropos. 1966 wurden in Deutschland schwermütige Dramen oder Winnetou-Filme produziert. Keine Spur von Originalität, nuancierter Komik oder Rücksichtslosigkeit. „Leben im Schloss“ demonstriert, wie man spielerisch (Spielfilm) mit Zeitgeschichte umgehen kann.

Die Figuren

Marie ist die unumstrittene Heldin dieser Komödie: Kratzbürstig, schlagfertig und trickreich wickelt sie die Männer um den Finger. Ehemann Jérôme agiert anfangs etwas tranig und verhalten. Schließlich muss er sich auch noch seiner im gemeinsamen Haushalt lebenden Mutter erwehren. Aber dann zeigt er zunehmend Mut und engagiert sich bei der Überrumpelung der Besatzer. Folgerichtig wird er am Ende belohnt. Der französische Widerstandskämpfer Julien verfällt Maries Charme ebenso wie Nazikommandant Klopstock. Julien macht anfangs noch den Fehler, Marie eine gemeinsame Zukunft auf einer einsamen Insel auszumalen. Später erfährt er dann von ihren Träumen und korrigiert beim nächsten Tête-à-tête seine Ziele. Auch das ist witzig.

Finale

Sehr schön und stimmig ist auch das Ende, das Marie und Jérôme beim triumphalen Einmarsch der Befreier in Paris zeigt. Wie in einem Karnevalsumzug posieren sie auf den Panzern der Alliierten und scheinen den Jubel der Menge für sich zu reklamieren. Schön ist auch, dass Marie am Ende zu ihrem Mann hält, nachdem er gezeigt hat, was in ihm steckt. Nicht nur Paris ist befreit, sondern auch Marie und Jérôme. Pures Kinovergnügen!

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für "Leben im Schloss".

Die Marx Brothers auf See (Norman Z. McLeod) USA 1931

Die Marx Brothers waren eine US-amerikanische Komikertruppe, die vor knapp 100 Jahren ihr Unwesen getrieben hat. Ihre Filme sind weniger Erzählungen als eine Aneinanderreihung von Sketchen und Varieténummern. Die Situationskomik ist teilweise so absurd, dass man irgendwann lachen muss. Die Vorgehensweise des Anarcho-Quartetts ist weniger subtil, denn hemmungs- und rücksichtslos. Gut so. Leidtragende sind stets Vertreter des Establishments, der Konventionen. Insofern haben sie durchaus etwas gemeinsam mit ihrem philosophischen Namensvetter. Jegliche Etikette sind für die Vier ein Antrieb – ein Muss, das Regelwerk auf den Kopf zu stellen und ad absurdum zu führen.

Opening

In „Die Marx Brothers auf See“ (Monkey Business) machen Groucho, Harpo, Chico und Zeppo einen Luxusdampfer unsicher, auf dem sie natürlich als blinde Passagiere eingecheckt haben. Schon der Vorspann mit den Credits ist sehr originell. Die Texte werden auf rollenden Heringsfässern, dem Versteck der Brothers Brothers, ins Bild gerollt. Nach ihrer Enttarnung kann der Spaß in Form von Flucht-Verfolgungs-Szenen beginnen.

Stärken

Das absurde Treiben könnte man als rotzfreches Kaspertheater bezeichnen, das von Grouchos Wortwitz (der mit Schnurrbart und Zigarre) dominiert wird. Auf die Empörung eines Passagiers „Was glauben Sie, wer ich bin?“, entgegnet Groucho: „Sagen Sie’s mir nicht!“ Korrumpierungsversuche beantwortet er folgendermaßen: „Wollen Sie mich etwa bestechen? Wie viel?“ Nach der Ohnmacht eines Passagiers wird lauthals nach einem Arzt gerufen. Das veranlasst die Marx Brothers, beim nächstbesten weiblichen Gast Erste-Hilfe-Maßnahmen anzuwenden. Deren Proteste, „Ich bin doch nicht die Patientin“, kontern sie wie folgt:“ Macht nichts. Wir sind auch nicht die Ärzte.“

New York

Bei der Ankunft in New York haben die Marx Brothers natürlich keinen Pass. Den klauen sie einfach aus der Kabine von Maurice Chevalier. Da das Passfoto kaum Ähnlichkeit mit den vier Brüdern hat, versucht einer nach dem anderen mit einem vorgetragenen Chanson die Zweifel der Grenzbeamten auszuräumen. Das gelingt ihnen auch, denn spätestens jetzt ist klar, dass keiner von ihnen Maurice Chevalier ist. Witzig ist auch die Zweckentfremdung von Statussymbolen oder Gegenständen. So schlüpft Groucho beim Showdown beispielsweise in die Rolle eines Radioreporters. Als Mikrofon muss ein alter Milchtopf mit Stiel herhalten.

Grenzüberschreitungen

Die Grenzen zu Beleidigungen sind fließend. So kündigt Groucho dem Publikum auf dem Ozeandampfer eine berühmte Opernsängerin an, während im Nachbarzimmer gerade das Büfett eröffnet wird: „Um sie schnell dorthin zu bringen, gibt Frau Schmalhausen ein Sopransolo.“ Bei der Landung in New York mischt Groucho sich einfach unter die wartenden Journalisten, um der von Bord gehenden Operndiva folgende Frage zu stellen: „Stimmt es, dass sich Ihr Mann von Ihnen scheiden lässt, sobald er wieder sehen kann?“ Das sind natürlich schon Bemerkungen unterhalb der Gürtellinie. Darf man das im Film? Ja, warum nicht? Ist doch nur ein Film. Dort können oder sollen wir auch Zutaten verwenden, auf die wir im realen Leben besser verzichten. Könnte ja sonst langweilig werden.

Schwächen

Echte Widersacher sind im ganzen Treiben allerdings nicht auszumachen. Kapitän und Besatzung in „Die Marx Brothers auf See“ agieren in Gestalt von uniformierten Trotteln. Das ist zwar grotesk und spaßig, aber eben wenig dramatisch. Ein Manko, das allen Filmen der Marx Brothers anhaftet. Teilweise wirkt das Geschehen auch etwas angestaubt, etwa wenn Harpo jedem Rock hinterherläuft und die Damen schreiend das Weite suchen.

Fazit

Wer jemals Angst hatte, gegen Benimmregeln zu verstoßen, hätte mit den Filmen der Marx-Brothers jede Menge Therapiematerial. Sie haben etwas Befreiendes, machen Spaß und sind – wenn man so will – eine Anleitung zum Ungehorsam.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 4 blaue Smileys und 3 schwarze traurige Gesichter für "Die Marx Brothers auf See"

Bullets over Broadway (Woody Allen) USA 1994

Die Idee, eine New Yorker Theatergruppe in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts mit einem Mafiaclan zu konfrontieren, hat jede Menge Potenzial. In typischer Allen-Manier pendelt „Bullets over Broadway“ zwischen Screwball comedy und Groteske. Hauptfigur ist der junge, erfolglose Autor David Shayne (John Cusack), der endlich mal Regie führen möchte und sich dafür auf einen Pakt mit dem Teufel einlässt. Finanzier ist nämlich der Mafioso Nick Valenti (Joe Viterelli), der als Gegenleistung eine Theaterrolle für seine völlig unbegabte Freundin Olive Neal (Jennifer Tilly) einfordert. Als Aufpasser wohnt Gangster Cheech (Chazz Palminteri), einer von Valentis Leuten, den Theaterproben bei. Nicht nur damit sind die Konflikte vorprogrammiert. Zusätzlich hat David es mit einem exaltierten Ensemble zu tun. Allen voran die alternde Diva Helen Sinclair (Dianne Wiest), die David um den Finger wickelt und in die er sich schließlich verliebt.

Theater

Einmal mehr thematisiert Woody Allen die Widrigkeiten eines künstlerischen Daseins in westlichen Wohlstandsgesellschaften. „Kein Künstler hat Zeit seines Lebens berufliche Anerkennung bekommen“, versuchen Davids Freunde den Erfolglosen zu beruhigen. Der weiß natürlich, dass dieser gut gemeinte Ratschlag so nicht stimmt. Seine Vorbehalte, auch künstlerische Eingriffe der Mafiosi zu akzeptieren, begegnet sein Manager mit folgender Frage: „Willst du nun dein Stück auf der Bühne sehen oder nicht?“

David arrangiert sich so gut er kann, bis Cheech das Kommando übernimmt. Der entpuppt sich nämlich als bauernschlauer Dramatiker, der sein Rüstzeug im Ghetto und im Gefängnis erlernt hat. Sehr schön sind die gemeinsamen Optimierungsrunden von Mafioso und Autor, bei denen David seine Grenzen realisiert und seinen Meister findet. Cheech ist es schließlich auch, der bereit ist, sein Leben zum Wohle des Stücks aufs Spiel zu setzen, indem er Olive ins Jenseits befördert. In seinen Augen der einzige Weg, diese Niete zum Wohle der Inszenierung aus dem Theaterspiel zu nehmen. Valenti riecht den Braten und schickt Cheech seine Killer auf den Hals. Als David den sterbenden Cheech in seinen Armen hält, begreift er die Limitierungen seiner künstlerischen Fähigkeiten und zieht die Konsequenzen.

Emotionen

Seltsamerweise erzeugt der Film, außer gelegentlichen Lachern, keine Emotionen. Man fiebert nie wirklich mit einem der Protagonisten mit. Alles wirkt irgendwie distanziert, wie ein Kaleidoskop, eine Collage. Man schaut dem Treiben zu und amüsiert sich – mehr nicht. Selbst wenn die Geschichte konsequenter aus Davids oder Cheechs Perspektive erzählt worden wäre, stünde ihnen immer noch der eigentliche Held im Wege: das Theater oder der Broadway. Diese Liebeserklärung an eine darstellende Kunst benötigt zur Emotionalisierung aber taugliche Vehikel: Protagonisten, die mehr im Fokus stehen.

Frauen

Des weiteren sind sämtliche weiblichen Charaktere bis ins Groteske überzogen. Allen voran die unterbelichtete Olive, die in ihrer dargestellten Dämlichkeit auch nicht mehr wirklich witzig ist. Woody Allen bedient sich hier des Susan-Alexander-Syndroms aus „Citizen Kane“. Da meint der mächtige Zeitungstycoon Charles Foster Kane seiner Geliebten, der Hobbysängerin Susan Alexander, zum Erfolg verhelfen zu müssen. Ein Unterfangen, das letztlich zum Scheitern verurteilt ist. Dabei kommt Susan in „Citizen Kane“ immerhin noch vom Fach und Kane hat, außer seiner Zuneigung, noch einen weiteren Antrieb: Er will seine Eitelkeit zufriedenstellen und allen beweisen, dass er – trotz mangelhafter Voraussetzungen – mächtig genug ist, einen Star zu kreieren. All dies fehlt in „Bullets over Broadway“. Olive ist eine Tänzerin aber keine Schauspielerin, die zudem keinen Funken Grips im Kopf hat. Gerade Gangsterboss Nick Valenti müsste wissen oder zumindest ahnen, dass dieser Karriereplan kompletter Unfug ist.

Woody Allen und die Frauen – ein Thema in seinen meisten Filmen. In „Bullets over Broadway“ ist auffallend, dass alle männlichen Charaktere zwar mit Marotten ausgestattet sind aber glaubhaft agieren. Selbst die Gangster sind hervorragend gecastet. Demgegenüber sind, bis auf Davids Freundin, alle weiblichen Figuren grotesk überzeichnet. Das kann man bei der exaltierten Helen Sinclair noch akzeptieren, aber bei Olive wirkt die überzogene Charakterisierung nur noch peinlich. Irgendwann im Verlauf des Films hält Davids Freundin ihm eine klischeehafte Figurenzeichnung vor: „Du hast keine Ahnung wie Frauen wirklich ticken.“ Diesen Satz hat wohl auch Woody Allen in seinem Leben so oder so ähnlich schon mal von kompetenter Seite zu hören bekommen. Er ist eine mögliche Erklärung für die klischeehafte Figurenzeichnung der weiblichen Protagonisten.

Spannung

Die Distanz zu den Figuren verhindert auch das Entstehen von Spannung, was angesichts von Gangstern und lebensbedrohlichen Situationen schon bemerkenswert ist. Aber wenn eine Identifikation nicht zustande kommt, ist selbst das Ableben eines Protagonisten nicht mehr als der Baustein einer Versuchsanordnung. Es reicht gerade mal zu einem Achselzucken. Zur Distanz trägt auch die langweilige Kameraführung von Carlo Di Palma bei. Sie changiert zwischen „amerikanischen“ Einstellungen, Halbtotalen und Totalen. Ganz selten mal eine Nahaufnahme. So kann eben keine Nähe entstehen.

Fazit:

Dagegen sind die Dialoge brillant. Aber das darf man vom ehemaligen Gagschreiber Woody Allen auch erwarten. Wenn Helen Sinclair in einer Bar zwei Martinis bestellt und David ihr gesteht, dass das auch sein Lieblingsgetränk ist, antwortet Helen: „Sie wollen auch einen?“ Ein typischer Woody-Allen-Gag. Trotz der Defizite in der Dramaturgie und Charakterisierung schaut man in „Bullets over Broadway“ dem teils absurden, aber immer vergnüglichen Treiben gerne zu.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 4 blaue Smileys und 3 schwarze traurige Gesichter für "Bullets over Broadway"

Project X (Nima Nourizadeh) USA 2012

„Project X“ von Nima Nourizadeh hat zwei entscheidende Vorteile: Sie behandelt die irdischen Probleme von drei heranwachsenden Jungs und geht dabei völlig hemmungs- und rücksichtslos zu Werke. Die Geschichte beruht auf einem tatsächlichen Fall und erinnert an „Ferris macht blau“. Sie wird konsequent aus der Perspektive des 17-jährigen Thomas und seiner Kumpels Costa und JB erzählt. Den vierten im Bunde (Dax) von der „Schwuchtel-Video-AG“ (Originalton Costa) sieht man so gut wie gar nicht, denn der dokumentiert alles mit seiner Kamera.

Stärken

Das Casting der Protagonisten und sämtlicher Nebendarsteller ist hervorragend. Die Story ist ganz einfach: Thomas, Costa und JB fühlen sich als Loser und wollen ihr Image mit einer coolen Party aufbessern. Leider läuft „Project X“ völlig aus dem Ruder und endet mit einer Verwüstung der väterlichen Villa, mit Polizei und Feuerwehreinsätzen. Sehr schön ist auch das emotionale Auf und Ab des Helden zwischen Euphorie (im Bett mit der eigentlich unerreichbaren Traumfrau) und totaler Resignation angesichts zunehmender Verwüstung der heimischen Partylocation. Da hat selbst Großmaul Costa alle Hände voll zu tun, nicht nur seine Kumpels mit Durchhalteparolen bei Laune zu halten: „Was auch passiert, es war eine richtig geile Nacht.“

Schwachpunkte

Es gibt drei Schwachpunkte: Wenn der Vater am Ende mit Thomas vor den Überresten seiner Villa steht und sein Mercedes gerade aus dem Pool gehievt wird, sollte seine Standpauke schon drastischer ausfallen. Mit seiner Mischung aus Ärger und Stolz, weil er eine derartige Aktion seinem Sohn gar nicht zugetraut hat, unterstützt er letztlich die fragwürdige Message dieses Films: Wenn du eine geile Party machst, dann bist du wer! In diese Kategorie fällt auch der kritiklose und exzessive Alkohol- und Drogenkonsum vor und während der Party. Das böse Erwachen, der ja Teil eines Reifeprozesses sein kann, findet nicht statt. Das ist schade und verleiht dem Film etwas Infantiles.

Lösungen

Wie wäre es denn gewesen, wenn betrunkene Partybesucher auf der Rückfahrt im Auto einen Unfall verursacht hätten und jemand zu Schaden gekommen wäre? Dann hätten die drei Freunde damit leben müssen. Das wäre ebenso interessant wie dramatisch gewesen und hätte dem vorangegangenen Spaß keinen Abbruch getan. Im Gegenteil. Kontrastierungen intensivieren die Wirkung. Geradezu schmalzig gerät Thomas’ Versöhnung am Ende mit seiner Sandkastenfreundin Kirby. Das passt überhaupt nicht zum rotzigen Grundtenor des Films und ignoriert die fällige Entwicklung des Protagonisten. Eine Loslösung von Kirby als Ausdruck seiner „Reifeprüfung“ wäre es gewesen. So reicht es für „Project X“ am Ende doch nur zu einem „Hangover“ für Teenager.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 4 blaue Smileys und 3 schwarze traurige Gesichter für "Project X"

The Wolf of Wall Street (Martin Scorsese)

„The Wolf of Wall Street“ ist eine grandiose, schlitzohrige und rücksichtslose Gaunerkomödie, die in ihrer Machart an „Casino“ von Martin Scorsese erinnert, mit ihrer Geschichte an „Catch me if you can“ von Steven Spielberg. Genauso wie in dessen Meisterwerk ist hier eine Biografie die Vorlage, die ihre Faszination aus der Schilderung von Betrügereien an der Börse bezieht, die so oder so ähnlich tatsächlich stattgefunden haben. Das gibt dem unglaublichen Treiben noch mal eine ganz andere Dimension, als wenn es von irgendwelchen zugekifften Drehbuchautoren erfunden worden wäre.

Die Form

So wirkt „The Wolf of Wall Street“ eher wie ein durchgeknallter Dokumentarfilm. Das Erzähltempo ist rasant. Atemberaubend. Es gibt keinen Schnickschnack. Scorsese lässt sich da Zeit für seine Figuren, wo es der Identifikation dient. Mit den „Inneren Stimmen“ der Protagonisten können wir tief in ihre Befindlichkeiten und Gedankenwelten eintauchen. Scorsese weiß um den ungeheuren Vorteil, den die Literatur in diesem Punkt gegenüber dem Film hat. Er macht ihn sich einfach zunutze, indem er uns die Gedanken seiner Figuren verrät und die Geschichte vorantreibt.

Die Figuren

Die Besetzung ist herausragend. Leonardo DiCaprio, der den Börsenmakler Jordan Belfort spielt, hat das einzigartige Talent, in bestimmte Rollen förmlich hineinzuschlüpfen. Das ist schon fast beängstigend, so gut und authentisch spielt er den neureichen Aufsteiger. Ein ebenso charmanter wie gewiefter Verkäufer, der vor allem das Geld anderer Leute im Visier hat und im Verlauf seines Treibens zunehmend die Bodenhaftung verliert. Börsenmanipulationen, Drogen, Lug und Betrug gehören bald zum Alltagsgeschäft seiner Brokerfirma. Immer mehr ist nicht genug. Trotzdem ist Jordan ehrlich empört über die Headline eines Zeitschriftenartikels, die ihn als „The Wolf of Wall Street“ abstempelt. Herrlich ist der Besuch der beiden FBI-Agenten auf seiner Luxusyacht, die er vergeblich mit Bikinimädchen, Drinks und Geld zu ködern versucht. Jordan kann einfach nicht glauben, dass es Menschen gibt, die man nicht korrumpieren kann. Die Qualität der gesamten Inszenierung kann man auch an den exzellenten Besetzungen aller Nebenfiguren ablesen.

Die Dramaturgie

Einziges Manko ist die Dramaturgie: Man zittert nicht wirklich mit Jordan Belfort mit. Das hängt natürlich mit dieser Figur des Schlawiners zusammen. Man weiß, dass nach dem Leben in Saus und Braus der tiefe Fall kommt – was sonst? Als der dann eintritt, ist er auch keine Überraschung mehr. Außerdem weiß man, dass der Held wieder auf die Füße fallen wird. Das zeigt ja dann auch das Ende, als Jordan nach der verbüßten Haftstrafe als Verkaufstrainer sein Geld verdient: Crime does pay.

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Rendezvous nach Ladenschluss (Lubitsch)

Diese romantische Komödie im Angestelltenmilieu glänzt durch ihre Konzentration auf das Odd-Couple-Paar: Klara Novak vs. Alfred Kralik. Wieder ist Ernst Lubitsch seiner Zeit weit voraus, indem er im puritanischen Amerika die weibliche Heldin trickreich und rotzfrech anlegt. In „Rendezvous nach Ladenschluss“ ist es nicht der Ehemann, der seine Frau mit einer Jüngeren betrügt. Nein, hier ist es Frau Matuschek, die sich mit einem jüngeren Liebhaber vergnügt.

Die Geschichte

Vorweihnachtszeit in Budapest der 1930er-Jahre: Alfred Kralik (James Stewart) ist erster Verkäufer bei „Matuschek & Co.“, einem kleinen Laden für Lederwaren und Accessoires. Eines Tages erscheint die arbeitssuchende Klara Novak (Margaret Sullavan) im Geschäft und macht sich schnell unentbehrlich. Sie ist Alfred auf Anhieb unsympathisch. Als er eines Abends eher gehen will, um sich mit seiner Brieffreundin zu treffen, kündigt Matuschek ihm völlig überraschend seine Stelle. Der Chef verdächtigt ihn nämlich, eine Affäre mit seiner Frau zu haben. Tatsächlich entpuppt sich der junge, eitle Mr. Vadas jedoch als Liebhaber, woraufhin Matuschek versucht, sich das Leben zu nehmen. Im letzten Moment wird er gerettet und ins Krankenhaus eingeliefert.

Rendezvous

Im Café entdeckt Alfred, dass es sich bei seiner Brieffreundin um niemand anderes als Klara handelt. Er unterhält sich mit ihr, ohne sich als ihr Brieffreund zu outen. Schnell geraten beide wieder in Streit, bis Alfred das Weite sucht. Im Geschäft entschuldigt sich der wieder genesene Matuschek bei Alfred und überträgt ihm – nicht ohne Hintergedanken – sogar die Geschäftsführung. Als erstes soll Alfred nämlich Mr. Vadas entlassen, was dieser auch umgehend erledigt. In der Zwischenzeit ist Klara jedoch erkrankt und Alfred stattet ihr einen Besuch ab. Zum ersten Mal nähern beide sich etwas an, zumal ihre Erkrankung auch seelischer Natur ist. Ihr unbekannter Brieffreund hat sich seit Tagen nicht mehr gemeldet. Als plötzlich doch ein Brief ankommt, ist sie wie von Zauberhand gesundet.

Weihnachten

An Heiligabend verteilt Matuschek Sondergratifikationen an seine Angestellten. Am späten Nachmittag sind nur noch Alfred und Klara im Geschäft, die den Feiertag mit ihrem unbekannten Brieffreund verbringen will. Alfred behauptet, den Unbekannten zu kennen und diskreditiert ihn. Völlig konsterniert gibt Klara schließlich zu, dass sie lieber mit Alfred als mit ihrem Brieffreund zusammen wäre. Jetzt gibt er sich endlich zu erkennen. Überglücklich fallen sie sich in die Arme.

Die Figuren

Die Nebenfiguren sind originelle Typen: der Konfliktscheue, der Schleimer, der väterliche Chef, der den Harten mimt und an seinen Gefühlen fast zugrunde geht. Sehr schön ist auch die Szene am Schluss, in der Matuschek seinen Angestellten vor dem Geschäft auflauert, um Heiligabend nicht allein zu sein. Gut ist auch, dass der Zuschauer zusammen mit Alfred die Identität seiner Brieffreundin erfährt, der er sich so nahe glaubt. Es ist nämlich ausgerechnet die freche Klara, mit der er eigentlich überhaupt nichts zu tun haben will. Das ist Suspense. Der Zuschauer weiß mehr als Klara und das ist gut so.

Schwachpunkte

Leider fehlt der Geschichte etwas der Biss und die Rücksichtslosigkeit, die man aus „Ninotschka“ oder „Sein oder Nichtsein“ kennt. Wenn Alfred sich am Ende als Klaras Brieffreund outet, dann müsste sie ihm eigentlich die Leviten lesen. Immerhin hat er eine Zeit lang mit ihren Gefühlen gespielt.

Fazit

Ansonsten ist „Rendezvous nach Ladenschluss“ ein beseelender Film mit einem stimmigen Happy End.

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Catch me if you can (Steven Spielberg)

„Catch me if you can“ von Steven Spielberg ist eine sehr originelle, in den 60er Jahren angesiedelten Gaunerkomödie. Wenn man nicht wüsste, dass die abstrusen Geschehnisse auf tatsächlichen Begebenheiten beruhen, wäre man versucht, sie als Hirngespinste zugekiffter Drehbuchautoren abzutun. Aber so wird die Faszination an den sich auftürmenden Überraschungen bis zum Anschlag ausgereizt. Man glaubt, den eigenen Augen und Ohren nicht zu trauen. Das ist super!

Die Figuren

Der Held von „Catch me if you can“, Frank Abagnale jr. (Leonardo DiCaprio), ist eine kongeniale Filmfigur: frühreif kommt er schon mit 16 Jahren auf die schiefe Bahn. Es fängt damit an, dass er sich in der Schule als Vertretungslehrer ausgibt, dann als PanAm-Co-Pilot, als CIA-Agent, als Arzt und als Rechtsanwalt. Während dieser Laufbahn verfeinert er seine Kenntnisse als Dokumentenfälscher und als Gejagter. Dabei ist er stets darauf bedacht, den Fängen seines Verfolgers, des FBI-Agenten Carl Hanratty (Tom Hanks), zu entkommen. Dabei geht Frank jr. keineswegs kaltblütig vor: Er ist ebenso charmant wie trickreich und hat Mitgefühl für die Schwächen und Schicksale der Menschen, denen er begegnet. Er lügt, dass sich die Balken biegen und wenn er mal die Wahrheit erzählt, glaubt ihm meist keiner. Mit all diesen unorthodoxen Eigenschaften ist er ein echter Sympathieträger. Sehr schön ist auch die Konzentration auf die Hauptfigur.

Die Geschichte

Im Grunde erzählt der Film eine Vater-Sohn-Geschichte, erst die Liebe des Juniors zu seinem leiblichen Vater, der – was nicht weiter verwundert – ebenfalls ein Hochstapler ist. Dann die Beziehung zu Carl Hanratty, der im Laufe der Jagd so etwas wie sein Ersatzvater wird. Zwei verlorene Seelen beim Katz-und-Maus-Spiel. Im Grunde geht es um die Sehnsucht nach einer heilen Familie, um das Gefühl der Sicherheit, das die tanzenden, verliebten Eltern dem Sohnemann einmal zu Weihnachten vermittelt haben.

Finale

Das Ende des Films ist eigentlich ein Drama: Frank jr. wird in dem Moment gefasst, als er seinen Traum von einer heilen Familie in Trümmern sieht. Ein solcher Schluss hätte natürlich nicht zur Grundstimmung dieser durchtriebenen Komödie gepasst. Insofern ist es schön, dass die Pointe auch hier noch eine stimmige Überraschung parat hat.

Schwachpunkte

Trotz dieser originellen Figuren und überragenden Schauspielern, trotz dieses Feuerwerks an Überraschungen fehlt etwas. Es ist die Spannungskurve, die zu keiner Zeit konsequent auf die Spitze getrieben wird. So richtig zittert man nicht mit dem Helden, da man ahnt, dass er seinen Kopf schon irgendwie aus der Schlinge ziehen wird. Eigentlich ist man nur neugierig, wie er das wieder schafft. Was fehlt, ist die emotionale Anteilnahme. Ein Wermutstropfen in dieser ansonsten genialen Tricksterkomödie.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für "Catch me if you can"