Lone Survivor (Peter Berg) USA 2013

Lassen wir diese oscarnominierten Langweiler mal für einen Moment ruhen und wenden uns einem richtigen Spielfilm zu. Fälschlicherweise als Kriegsfilm bezeichnet, handelt es sich bei „Lone Survivor“ von Peter Berg um ein exzellent gestaltetes Antikriegsdrama, das auf tatsächlichen Begebenheiten beruht. Die Pretitle-Sequenz ist ein kleines Meisterstück. Die Kamera, die Montage, die Dialoge, das Casting, vor allem die Filmmusik und das Sounddesign sind herausragend. Das Geräusch von Kampfhubschraubern wechselt abrupt zur Ruhe in den afghanischen Bergen, in denen sich die vier Navy Seals Marcus Luttrell, Mike Murphy, Danny Dietz und Matt Axelson verschanzt haben. Die Ruhe vor dem Sturm. Später, als die Protagonisten schon schwer verletzt sind, werden die Gefechtsgeräusche leiser, verschwommener, tranceartig. So nehmen wir aus ihrer Perspektive den Überlebenskampf wahr.

Die Geschichte

Der erste dramatische Höhepunkt hat es in sich. Die vier Navy Seals haben den Auftrag, einen Talibanführer im nahe gelegenen Dorf auszuschalten. Auf ihrem Beobachtungsposten werden sie von drei Ziegenhirten entdeckt. Die Soldaten nehmen sie gefangen und verhandeln über deren Schicksal, das auch zugleich ihres ist. Sollen sie die drei eliminieren, fesseln, was ebenfalls deren Tod bedeuten würde oder laufen lassen, was sehr gefährlich wäre? Dieser Wendepunkt wird fachgerecht retardiert und zelebriert, bis ihr Anführer Mike Murphy den Befehl gibt, den Einsatz abzubrechen und die Ziegenhirten freizulassen. Eine tödliche Entscheidung, denn die Talibankämpfer sind ihnen schnell auf den Fersen. Was folgt, ist eine gnadenlose Treibjagd, die nur Marcus Luttrell schwer verletzt überlebt. Wer sich jemals darüber gewundert hat, warum in bleihaltigen Filmen so wenig Protagonisten getroffen werden, kann hier das Gegenstück erleben.

Der Film ist auch ein gnadenloser Abgesang auf Kameradschaft, Heldentum und Sinn derartiger Militäreinsätze. Nichts bleibt übrig vom Korpsgeist der verschworenen Truppe. Wie in Ridley Scotts „Black Hawk Down“ endet der Versuch, die Kameraden aus dem Feuergefecht zu retten, im Desaster. Der Transporthubschrauber, mit dem Commander Kristensen, seine Leute rausholen will, wird abgeschossen. 16 US-Soldaten kommen dabei ums Leben. Die Hoffnung zerschellt im Schiefergestein der afghanischen Berge.

Finale

Das Ende ist grandios und die Umkehrung des ersten dramatischen Höhepunkts. Afghanische Dorfbewohner finden den schwer verletzten Luttrell und verstecken ihn in ihren Hütten. Sollen sie seine Anwesenheit geheim halten, womit sie ihr Leben aufs Spiel setzen oder ihn an die Taliban verraten? Aber letztlich handeln sie nach ihrem Ehrenkodex, dem Paschtunwali, demnach ein Gast unter ihrem Dach uneingeschränkten Schutz genießt. Dafür nehmen sie sogar den offenen Schlagabtausch mit den Taliban in Kauf. Luttrell wird schließlich im letzten Moment von US-Einheiten gerettet. Er ist der „Lone Survivor“ dieses Himmelfahrtskommandos. Endlich mal eine Vorlage, die zur Verfilmung taugt, die alle dramatischen Voraussetzungen mitbringt. Ein bleihaltiger und blutiger Akt der Völkerverständigung.

Schwachpunkte

Es gibt einen gravierenden Schwachpunkt und einen kleineren: Die Geschichte hätte an Tiefe und Emotionalität gewinnen können, wenn sie konsequent aus der Perspektive von Marcus Luttrell erzählt worden wäre. Die vier Navy Seals agieren zu gleichberechtigt. Luttrells Erzählerstimme führt uns leider nur am Anfang und am Ende in die Geschichte ein. Insgesamt erfahren wir zu wenig von ihm. Der kleine Junge von Luttrells afghanischer Gastfamilie hat so hautnah am Kampfgeschehen eigentlich nichts verloren. Da kommt dann doch noch das Hollywood-Pathos zum Vorschein, als der „Lone Survivor“ sich am Ende vom Jungen verabschiedet. Ansonsten: Perfektes Kino.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für "Lone Survivor"

Quo Vadis, Aida? (Jasmila Žbanić) EU 2020

25 Jahre nach dem Völkermord an muslimischen Bosniaken in Srebenica jetzt mit „Quo Vadis, Aida?“ eine filmische Aufarbeitung des dunkelsten Kapitels jüngster europäischer Geschichte. Dabei setzt die Filmemacherin ganz auf Authentizität. Im Stile eines packenden Dokumentarfilms konzentriert sie sich auf die letzten Stunden bis zur Räumung der UN-Schutzzone in Potocari im Juli 1995.

Figuren

Erzählt wird „Quo Vadis, Aida?“ aus Sicht der bosnischen Dolmetscherin Aida, die wie alle anderen Darsteller hervorragend gecastet ist. Wie eine Löwin kämpft sie um das Leben ihres Mannes und ihrer beiden Söhne. Am Ende scheitert sie an der Unentschlossenheit und Unfähigkeit der UN-Befehlshaber und von Regierungsbeamten. Diese Tatenlosigkeit ist letztlich nichts anderes als eine Beteiligung an Kriegsverbrechen.
Wie ein gehetztes Tier läuft Aida durch die heruntergekommenen Hallen einer ehemaligen Batteriefabrik, der letzten Bastion der Blauhelm-Soldaten. Sie versucht zu vermitteln, zu informieren und zu retten, was zu retten ist. Es ist aber nichts mehr zu retten. Das verrät ihr das Gesicht eines serbischen Busfahrers, der die schutzsuchenden Muslime angeblich in Sicherheit bringt. Bei der Darstellung eines Massakers sieht man keine sterbenden Menschen, sondern in der Nähe spielende Kinder, die unter den detonierenden Gewehrsalven davonlaufen. Diese asynchrone Gestaltung ist eindrucksvoller als die direkte Visualisierung des Grauens.

Schwachpunkte

Das alles ändert nichts an den dramaturgischen Defiziten des Films. Das Leben der Heldin gerät zu keiner Zeit in Gefahr, für einen Kriegsfilm schon bemerkenswert. Die Regisseurin stellt ihrem Film einen Hinweis voran: „Diese Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten. Einige Figuren, Szenen und Dialoge wurden aus kreativen und dramatischen Gründen fiktionalisiert.“ Da kann man zum einen nur sagen: Schön, dass wir noch mal auf die Authentizität der Ereignisse hingewiesen werden, zum anderen: Ist nicht jeder Film – egal ob Spielfilm oder Dokumentation – eine persönliche Darstellung, eine Fiktion?

Diese überflüssigen Sätze im Vorspann wurden prophylaktisch eingebaut, denn tatsächlich beruht diese Geschichte auf den Erlebnissen des überlebenden männlichen Dolmetschers Hasan Nuhanovic. Aber wo ist das Problem, wenn diese Eingriffe zum Wohle einer Geschichte vorgenommen werden? Sollten Optimierungen nicht erfolgen, wann immer es möglich ist? Natürlich! Also kann man sich dieses Vorwort auch schenken. Für einen guten Erzähler – und darum geht’s bei einem Spielfilm – wäre es ein leichtes gewesen, auch Aidas Leben bei diesen Kriegswirren in Gefahr zu bringen.

Weiter: Wenn Aida kurz vor Räumung der UN-Schutzzone Ehemann und Söhne noch in einem Verschlag der stillgelegten Batteriefabrik versteckt und sie im nächsten Moment auf einen Lastwagen der serbischen Milizen verfrachtet werden, dann sind die entscheidenden Momente ausgespart, also die Enttarnung und der Abtransport zum LKW. Hier müsste die Spannung natürlich retardiert und eskaliert werden.

Finale

Das Schlussbild, das Aida wieder als Lehrerin mit Schülern in ihrer Klasse zeigt, soll Hoffnung signalisieren. Das ist gutgemeint, aber verlogen. Wie soll denn ohne eine Aufarbeitung von Opfern mit Tätern und Mittätern eine konstruktive Bewältigung des Grauens möglich sein? Kurz vorher begegnet Aida noch beim Verlassen ihrer ehemaligen Mietwohnung einem serbischen Offizier, der seinerzeit die UN-Schutzzone mit Waffengewalt durchsucht hat. Nun ist er der Nachmieter ihrer Wohnung. Das ist ein Drama, das die Filmemacherin ignoriert. Hier müsste Aida aber die Konfrontation suchen und ein glaubhaftes Eingeständnis seiner Schuld einfordern, so wie Ariel Dorfmann es in „Der Tod und das Mädchen“ demonstriert hat. Ohne diese Aufarbeitung, ohne dieses Geständnis kann es eigentlich kein Verzeihen, keine Gerechtigkeit und auch keine Hoffnung geben.

Drama

Überhaupt tut der Film sich schwer im Erzählen von Geschichten, die sich zwischen den Akteuren entwickeln bzw. entwickeln könnten. Ein einziges Mal wird eine Annäherung beschrieben, als Aida dem UN-Arzt bei einer Entbindung hilft und beide sich persönlich näher kommen. In der Realität hat der überlebende Dolmetscher 2010 zusammen mit anderen Opfern den Befehlshaber der UN-Schutztruppe in den Niederlanden, Thomas Karremans, verklagt. Zwar trat 2002 die gesamte niederländische Regierung zurück, und ein Den Haager Gericht attestierte dem Staat eine Teilschuld am Genozid, aber Karremans wurde freigesprochen, rehabilitiert und mit einem Orden ausgezeichnet. Wie wär’s denn gewesen, wenn „Quo Vadis, Aida?“ mit diesem Prozess geendet hätte? Mit einer Konfrontation von Opfern und Mittätern 15 Jahre nach dem Völkermord? Das wäre die Vollendung des Dramas gewesen, das Ende der Hoffnung. Aber die stirbt bekanntermaßen ja auch zuletzt.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 5 blaue Smileys und 2 schwarze traurige Gesichter für "Quo Vadis, Aida?"
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Tränen der Sonne (Antoine Fuqua)

Ein spannender Kriegsthriller, der zeitlich wohl auf den Militärputsch des Diktators Sani Abacha in Nigeria 1993 beruht. Aufrührerische Rebellen ermorden den gewählten Präsidenten samt Familie, übernehmen die Macht und verbreiten durch „ethnische Säuberungen“ Angst und Schrecken. „Tränen der Sonne“ besticht mit einer einfachen Geschichte, mit der Einheit von Zeit, Raum und Handlung: Der US-amerikanische Lieutenant Waters (Bruce Willis) hat den Auftrag, mit einer kleinen Spezialeinheit Dr. Lena Kendricks, amerikanische Ärztin in einer christlichen Mission, in Sicherheit zu bringen.

Der Hook

Scheinbar kein großes Ding. Doch Dr. Kendricks weigert sich, ohne ihre afrikanischen Patienten und Schützlinge die Mission zu verlassen. Waters steckt in der Bredouille. Eigentlich will er hier nur schnell seinen Befehl ausführen. Also gaukelt er Dr. Kendricks vor, nicht nur sie, sondern auch ihre Schützlinge zu evakuieren. Zu Fuß wandert die Kolonne zum verabredeten Hubschrauberlandeplatz. Damit hängen Waters und seine Männer aber am Haken. Nach und nach entwickeln sie Gefühle für die Flüchtlinge und können nach einem grausamen Massaker der nigerianischen Truppen an den Zurückgebliebenen der Mission nicht mehr einfach zur Tagesordnung übergehen. Waters widersetzt sich seinem Befehl und beginnt mit der Evakuierung der gesamten Flüchtlingsgruppe. Die Schwächsten lässt er mit einem Helikopter in Sicherheit bringen. Den Rest will er mit seinen Männern ins 60 Kilometer entfernte Kamerun führen.

Dramaturgie

Das ist schon genial angelegt: Eine Rettungsmission von A nach B mit einer mordgierigen Rebelleneinheit auf den Fersen. Wie vorbildlich die Spannung eskaliert wird, demonstriert eine kleine Episode im nächtlichen Dschungel: Auf ihrem Weg zum Hubschrauberlandeplatz kommen den Flüchtlingen schwer bewaffneten Rebellen entgegen. Waters gibt den Befehl, sich im Dschungel zu verstecken und keinen Laut von sich zu geben. Das gilt auch für das unruhige Baby, dem Dr. Kendricks den Mund zuhält. Die Rebellen ziehen dicht an den versteckten Flüchtlingen vorbei. Das Baby wird unruhig. Einer der Rebellen schöpft Verdacht und beginnt, das Gelände neben dem Pfad zu durchsuchen. Fachgerecht wird nicht nur hier die tödliche Gefahr retardiert und bis zum Maximum ausgereizt.

Die Figuren

Die Hauptfiguren sind interessant, belauern und belügen sich und durchlaufen eine Entwicklung. Noch kurz vor Ende rechtfertigt Dr. Kendricks ihr Wissen um die Anwesenheit dreier Verräter in der Gruppe: „Ich konnte Ihnen (Lt. Waters) nicht vertrauen.“ „Was muss man tun, um Ihr Vertrauen zu gewinnen?“, antwortet Lt. Waters. Überhaupt sind die Dialoge spannend und hintergründig. Als Waters noch in der Mission mit Dr. Kendricks Wunsch nach einer gemeinsamen Evakuierung konfrontiert wird, stellt er eine Satellitenverbindung zu seinem Befehlshaber her. Der Zuschauer erfährt nicht, was der Captain sagt, nur dass Waters nach dem Telefonat scheinbar auf das Verlangen eingeht. Einer von Waters Leuten stellt den Lieutenant zur Rede: „Was hat der Captain gesagt?“ Waters schaut ihn gar nicht an als er antwortet: „Was glaubst du wohl, was der Captain gesagt hat?!“ Das ist super. Man muss schon mitdenken, um auf dem Laufenden zu bleiben. Hinzu kommt noch eine herausragende Kameraarbeit.

Schwachpunkte

„Tränen der Sonne“ von Antoine Fuqua ist drauf und dran, die gesamte Punktzahl einzufahren, bis er in der zweiten Hälfte alles in den Sand setzt. Es fängt mit einer Episode an, die eine grausame „ethnische Säuberung“ in einem kleinen Dorf zeigt. Waters und seine Leute könnten das Dorf umgehen. Aber sie ergreifen Partei und töten die Rebellen. Diese Szene ist viel zu lang, zu grausam und besitzt eigentlich keine Handlungsrelevanz. Sie dient nur der plumpen Heroisierung amerikanischer Militäreinsätze in ausländischen Kriegsgebieten. Und so geht es dann weiter.

Als Waters nach der Enttarnung der drei Verräter seine Männer nach dem weiteren Vorgehen befragt, antworten alle unisono: Ich bin dabei. Das ist aber unklug und auch undramatisch. Besser wäre hier ein Konflikt gewesen und die Verräter ihrem Schicksal zu überlassen. Denn sie sind ja das eigentliche Ziel der Verfolger, weil sich unter ihnen ein Sohn des ermordeten Präsidenten befindet. Dass der ein Symbol für Demokratie, Frieden und Fortschritt sein soll, mag man auch nicht so recht glauben. Üblicherweise wird in diesen Regionen doch ein korrupter Präsident durch den anderen ersetzt.

Finale

Richtig schlimm ist dann das pathetische, verlogene Ende, das eine Last-Minute-Rescue durch amerikanische Kampfflugzeuge zeigt. Als wenn die Amerikaner jemals mit ihren militärischen Auslandseinsätzen für die Befriedung von Regionen gesorgt hätten? Gibt es solche Einsätze? Zumindest im Film dürfen wir das mal erleben. Unterstützt von der domestizierenden Filmmusik Hans Zimmers erfahren wir jetzt das ganze Ausmaß dessen, was sich hinter dem schmalzigen Filmtitel „Tränen der Sonne“ verbirgt: Pathos zum Abwinken. US-Soldaten als Retter armer verfolgter Schwarzafrikaner. Da nimmt sogar Dr. Kendricks am Ende den arg lädierten Lt. Waters an ihren wohlgeformten Busen. Schade, kann man da nur sagen. Wie auf intelligente Art und Weise die Fragwürdigkeit derartiger Militäreinsätze thematisiert und gleichzeitig eine spannende Geschichte erzählt wird, zeigen z.B. „Black Hawk Down“ von Ridley Scott oder „Lone Survivor“ von Peter Berg.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 4 blaue Smileys und 3 schwarze traurige Gesichter für "Tränen der Sonne"
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