Cry Macho (Clint Eastwood) USA 2021

Clint Eastwood hat in in 50 Jahren ganze 38 (!) abendfüllende Spielfilme gedreht, darunter einige Meisterwerke (s. TOP 20). „Cry Macho“ gehört nun wirklich nicht dazu. Liegt es am fortgeschrittenen Alter? Eigentlich nicht. Erst drei Jahre zuvor, also im Alter von 88 Jahren(!), hat er den fulminanten Thriller „The Mule“ hergestellt, im Alter von 79 Jahren den langweiligen „Invictus“. Das Alter kann’s also nicht sein. Was denn?

Genre

Schon eine Genreeinstufung fällt schwer. Für einen Thriller ist „Cry Macho“ zu langweilig, für eine Komödie nicht witzig genug, für ein Familiendrama zu seicht. Außerdem tragen eine ganze Reihe von Merkwürdigkeiten zum unentschlossenen Gesamteindruck bei. Es fängt damit an, dass der 91-jährige Held Mike Milo (Clint Eastwood), ein ehemaliger Champion im Rodeoreiten, von seinem Boss Howard Polk gedemütigt und entlassen wird. Sehr merkwürdig. Wie darf man sich denn die 60 Jahre, die zwischen Unfall und Entlassung liegen, vorstellen? Hat Mike auf einer Art Gnadenhof sein Dasein gefristet? Erteilt man jemandem, den man gedemütigt und gefeuert hat, dann noch einen Auftrag?

Exposition

Damit sind wir bei der nächsten Szene, die ein viel tauglicherer Beginn gewesen wäre. Mike soll nämlich den inzwischen 13-jährigen Sohn von Howard, Rafael „Rafo“ Polk, von Mexiko-City nach Texas bringen. Angeblich wird er dort von seiner Mutter Leta schikaniert und misshandelt. Mike willigt ein und damit beginnt die eigentliche Geschichte von „Cry Macho“.

Die nächste Merkwürdigkeit wartet in Mexiko-City in Gestalt der Mutter, die eine Art weiblicher Gangsterboss oder Bordellchefin mimt – wie das Leben eben so spielt. Kein Wunder, dass sich Sohnemann schon längst davon gemacht hat. In Letas Augen ist Rafo ein „Monster“, das „seine Eltern hasst“. Anschließend versucht sie den 91-Jährigen zu verführen (?), was der leider ablehnt. Derartige Abstrusitäten tragen nicht unbedingt zum Verständnis für die Figuren bei. Jedenfalls macht Mike sich auf die Suche und stöbert den Bengel schließlich in einer illegalen Arena für Hahnenkämpfe auf. Rafo gibt sich widerspenstig, ist in Wirklichkeit aber neugierig, weshalb er sich zusammen mit seinem Hahn „Macho“ in Mikes Wagen versteckt. Mama droht Mike noch, ihm mexikanische Polizisten auf den Hals zu hetzen, wenn er nicht sofort wieder abhaut. Außerdem schickt sie ihm noch Aurelio, einen ihrer Bodyguards, hinterher.

Roadmovie

Damit sind eigentlich alle Zutaten für eine spannende Verfolgungsjagd beisammen: Ein interessanter Held, ein widerborstiger Junge – das „Odd-Couple-Paar“, Gangster und Polizisten auf ihren Fersen. Wie man diese Reise derart spannungsfrei gestalten kann, ist schon erstaunlich, vor allem bei Clint Eastwood. Jedenfalls – was wir ja alle schon ahnen – nähern Mike und Rafo sich an. Der Junge hat blaue Flecken am Körper, die von Mama oder einem Onkel stammen. Die Version seines Vaters scheint also zu stimmen? Auf einem Parkplatz will Aurelio den Jungen in seine Gewalt bringen. Doch durch einen Trick kann Rafo den Gangster außer Gefecht setzen.

Nachdem Mikes Wagen geklaut wird, stehlen sie selber einen. Aus Furcht vor der Polizei (?) suchen beide in einer Kneipe Zuflucht. Marta, die verwitwete Besitzerin, erweist sich als außerordentlich zuvorkommend und hilfsbereit, was zwar ganz schön ist, aber nicht sonderlich dramatisch. Jedenfalls hat Marta ein ähnlich tragisches Schicksal auf dem Buckel wie Mike und einen Haufen Enkelkinder bei sich. Alle freunden sich an und auch Rafo fühlt sich wohl in der Opa-Kinder-Kommune.

Ungereimtheiten

Als Aurelio endlich auftaucht, müssen sie weiter fliehen. Bei einem Telefonat mit Howord erfährt Mike einen weiteren Aspekt seines Auftrags: Einen Rechtsstreit mit seiner Ex-Frau will er mit Hilfe des Jungen zu seinen Gunsten entscheiden. Diese Neuigkeit erzählt Mike dem Jungen, der ihn daraufhin als Lügner bezeichnet. Wieder eine dieser Merkwürdigkeiten. Welchen Grund hat Rafo zu der Annahme, dass Mike schon vorher von diesem Rechtsstreit wusste? Eigentlich keinen, zumal Mike ihm diese Neuigkeit sofort anvertraut.

Das Gefühl des Verrats verpufft auch sofort, denn die beiden werden von korrupten Polizisten kontrolliert. Die kann Mike aber mit ein paar Dollarscheinen verscheuchen. Anschließend chauffiert er Rafo zu einem kleinen Grenzübergang, an dem Papa schon wartet. Nachdem der seinen Jungen in die Arme geschlossen hat (wieso lässt Rafo das zu?), kehrt Mike zu Marta zurück. Das grenzt schon fast an Kitsch und hätte man dem alten Rauhbein (Clint Eastwood) gar nicht zugetraut. Ist aber so.

Schwachpunkte

Ein weiterer Schwachpunkt in „Cry Macho“ sind auch die fehlenden Begegnungen zwischen dem Jungen und seinen Eltern. Wir erfahren nur die unterschiedlichen Standpunkte und Interessen, denen wir glauben können oder nicht. Schön wäre aber eine Überprüfung durch Handlungen und Konflikte der Betroffenen gewesen. Gangster Aurelio ist leider eine Knalltüte und die Polizisten sind entweder harmlos wie der Hilfssheriff, der mehr an der Heilung des erkrankten Hundes seiner Frau interessiert ist, oder leicht zu bestechen. An dieser Stelle hätte man sich eine wirkliche Wendung gewünscht.

Lösungen

Wie wär’s denn gewesen, wenn die beiden Streifenpolizisten Rafo mitgenommen hätten? Dann hätte Mike ein echtes Problem gehabt, was ja dramaturgisch gesehen nicht schlecht gewesen wäre. Da sind wir beim Protagonisten, der hier – im Gegensatz zu „The Mule“ – eine glatte Fehlbesetzung ist. Als 60-Jähriger hätte man ihm die Romanze mit Marta noch abgekauft, aber mit 91? Außerdem wäre es besser gewesen, wenn Rafo nicht freiwillig mit Mike mitgefahren wäre, der ihn also gekidnappt hätte. Warum? Weil das seine Probleme multipliziert und die Annäherung zwischen dem Odd-Couple-Paar fachgerecht bis zum Schluss hinausgezögert hätte.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 1 blauer Smiley und 6 schwarze traurige Gesichter für "Cry Macho"

Almost Famous (Cameron Crowe) USA 2000

Eine langatmige, nostalgisch verklärte Reminiszenz an die Rockmusik der 70er Jahre, die auf autobiographischen Erlebnissen des Regisseurs Cameron Crowe beruhen. Hauptfigur in „Almost Famous“ ist der erst 15-jährige William Miller, der leidenschaftlich gern Musikkritiken verfasst. Beim Versuch, hinter den Kulissen eines Rockkonzerts mit Musikern von „Black Sabbath“ in Kontakt zu kommen, landet er bei den Newcomern von „Stillwater“. Über die soll William für das Musikmagazin „Rolling Stone“ einen Tourneebericht schreiben, wobei er den Redakteuren lieber sein wahres Alter verheimlicht. Drei Tage gewährt Mama Kate (Frances McDormand) schließlich ihrem Jungen, nicht mehr. Dann geht es zusammen mit den Musikern, Manager und Groupies, angeführt von Penny Lane, im Tourbus auf Reisen. Casting und Ausstattung sind hervorragend, vor allem Kate Hudson in der Rolle der Penny Lane. Einzig der brillante Philip Seymour Hoffman besitzt in der Rolle des Musikjournalisten Lester Bangs keine Handlungsrelevanz.

Lösungen

Aber was eine spannende Coming-of-age-Geschichte hätte werden können, versandet im sentimentalen Rückblick auf eine Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll-Ära, die längst vom Konsum okkupiert wurde. Dabei wäre es ganz einfach gewesen: Crowe hätte sich nur auf die Liebesgeschichte zwischen William und Penny Lane konzentrieren müssen, also auf „Die unmögliche Liebe“. Dann hätte er eine Geschichte gehabt. Leider lässt der Regisseur sich zu sehr von seinen persönlichen Erinnerungen leiten. Zusätzlich hätte Mama Kate die Polizei einschalten müssen, nachdem ihr Junge nach dreitägiger Tourbegleitung immer noch nicht heimgekehrt ist. Flucht-Verfolgung wäre das zusätzliche Erzählmotiv gewesen. Die Bandmitglieder hätten dann – ganz zeitgemäß – ein Katz-und-Mausspiel mit der Polizei veranstalten können. Die Dramatik am Ende von „Almost Famous“ kommt viel zu spät und ändert nichts am oberflächlichen, von Rockmusikklängen der 70er untermalten Gesamtwerk.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 3 blaue Smileys und 4 schwarze traurige Gesichter für "Almost Famous"
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Die letzten beißen die Hunde (M. Cimino)

Schon die Eröffnungsszene deutet daraufhin, dass man in diesem bleihaltigen Roadmovie nicht alles ernst nehmen sollte. Gangster Red Leary (George Kennedy) betritt eine Kirche, in der gerade ein Gottesdienst stattfindet. Er eröffnet das Feuer auf den Prediger „Thunderbolt“ (Clint Eastwood), der wie durch ein Wunder nicht getroffen wird und fliehen kann. Einer von den vielen Hollywood-Unverwundbaren. Wer mal etwas Gegenteiliges erleben möchte, dem sei zum Beispiel „Lone Survivor“ von Peter Berg empfohlen. „Die letzten beißen die Hunde“ ist ein Roman von Max Pierre Schaeffer und hat mit diesem Film aber auch gar nichts zu tun (ich dachte, Buchtitel sind geschützt?). Abgesehen davon ist der Filmtitel nicht sonderlich originell und müsste – wenn schon, denn schon – eigentlich „Den letzten beißen die Hunde“ heißen, weil Red Leary, und sonst keiner, am Ende von einem Wachhund getötet wird.

Unbekümmertheit

Schön sind die Landschaftsaufnahmen und die Unbekümmertheit, mit der Michael Cimino in seinem Debütfilm zu Werke geht. Er hat überhaupt keine Berührungsängste mit Handlungsunlogik oder machohaftem Gehabe. Die Gangster, die anfangs ohne Vorwarnung rumballern, machen plötzlich mit Thunderbolt und Lightfoot (Jeff Bridges) gemeinsame Sache. Warum? Egal. Neben dem durchgeknallten Fahrer eines aufgemotzten Wagens, der die beiden ein Stückchen mitnimmt, befindet sich ein Waschbär, im Kofferraum dutzende von Kaninchen. Manchmal schmunzelt man über die Absurditäten oder über die Dialoge, die teilweise unfreiwillig originell, machohaft oder auch einfältig sind. Spannung entsteht zu keiner Zeit.

Finale

Nach einem Banküberfall entledigt sich Red Leary seiner Kumpanen, auf zum Teil brutale Weise, und flüchtet allein mit der Beute. Sein Ende beschreibt der Filmtitel, während Thunderbolt und Lightfoot entkommen können. Letzterer erliegt allerdings seinen Verletzungen, just in dem Moment, als sie das Geld eines vorangegangenen Coups aufspüren. Zusammen mit der Leiche seines Freundes fährt Thunderbolt in die Weite des amerikanischen Westens.

Fazit

Trotz seiner Defizite verbreitet der Film gute Laune. Das liegt an Ciminos Rücksichtslosigkeit, an seiner Liebe zum Film und dem 70er-Jahre-Zeitgeist. Dass er es besser kann, hat er 1978 mit „The Deer Hunter“ bewiesen.

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La Strada (Federico Fellini) Italien 1954

„La Strada – Das Lied der Straße“, so der deutsche Verleih-Untertitel, gehört zu den Filmen, die über Jahrzehnte ihre emotionale Kraft bewahrt haben. Er entführt den Zuschauer in eine wundersame, fremde Welt, ohne je die Bodenhaftung zu verlieren (wie es Federico Fellini in späteren Filmen passiert ist).

Exposition

„La Strada“ beginnt am Meer und endet am Meer. Er beginnt mit Tränen und endet mit Tränen. Am Anfang ist es die Mutter, die ihre Tochter Gelsomina für 10.000 Lire an den herumfahrenden Gaukler Zampano verschachert. Der Gewinn des Geldes ist zugleich der Verlust des Kindes. Am Ende ist es Zampano, der sich endlich seine Gefühle für Gelsomina eingesteht, als sie schon längst gestorben ist.

Erzählmotive

Zwischen dem dramatischen Beginn und dem Ende liegt ein Roadmovie, das den Zuschauer wie in einem Science-Fiction-Film durch ein verarmtes Nachkriegsitalien führt. Dabei vereint „La Strada“ zwei klassische Erzählmotive: „Die unmögliche Liebe“ und „Das mörderische Dreieck“. Gelsominas Liebe zu Zampano scheitert an seiner Gefühlsarmut, seiner Grobschlächtigkeit, seiner Humorlosigkeit. Als sie seine Schale geknackt hat und er sich zum ersten Mal liebevoll um sie kümmert, ist sie bereits seelisch erkrankt, ist es zu spät. Gelsominas Gefühle für den Artisten Matto haben keine Chance, weil das Abhängigkeitsverhältnis zu Zampano dominant ist. Der behandelt sie wie einen Hund und sie lässt es meistens geschehen. Matto ist die dritte Person, die in diese Beziehung eindringt. Er wirbt um Gelsomina und wäre mit seinem Witz, seiner Phantasie, seiner Lebensfreude der geeignetere Partner. Am Ende stirbt er an den Folgen eines Faustschlags, den Zampano ihm zufügt.

Figuren

Der eigentliche Star des Films ist Gelsomina, gespielt von Giulietta Masina (Fellinis Ehefrau). Sie hat etwas Naives, Sanftmütiges, Verspieltes, Clowneskes und erobert bei den gemeinsamen Varieténummern die Herzen der Kinder. Mit großen Augen scheint sie die Welt zu erforschen. Jede Empfindung ist in ihrem Gesicht ablesbar, ein weiterer Aspekt der außergewöhnlichen Visualität dieses Films. Zampanos Gefühlswelt scheint hingegen in Ketten zu liegen, wie es eine seiner Zirkusnummern versinnbildlicht. Während er bei seinen Vorführungen stets die Fesseln sprengt, gelingt es ihm im Leben zu spät. Das ist das Drama.

Fazit

„La Strada“ ist eines der ganz großen Melodramen der Filmgeschichte.

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