Zwielicht (Gregory Hoblit) USA 1996

„Zwielicht“ ist ein spannender Gerichtsthriller nach dem gleichnamigen Roman von William Diehl, der noch einmal eindrucksvoll bestätigt, dass man tatsächlich nicht alles glauben sollte, was man denkt. Staranwalt Martin Vail (Richard Gere) glaubt nämlich im Mordprozess gegen seinen Mandanten Aaron Stampler (Edward Norton) so ziemlich als einziger an dessen Unschuld. In der Schlußszene wird Vail eines Besseren belehrt. Wie alle anderen ist auch er auf einen genialen Soziopathen hereingefallen. Allerdings ist die Folgenlosigkeit dieser Wendung ein erzählerisches Armutszeugnis.

Schwachpunkte

Wenn Aaron Stampler im Prozess für unzurechnungs- und schuldunfähig erklärt wird, betrifft das den Mord an den Erzbischoff von Chicago. Bei der finalen Beichte erfahren wir aber auch von einem weiteren Mord, nämlich den an seiner Freundin Linda. Selbst nach dem amerikanischen Rechtssystem würde es sich hier um einen neuen Fall unter neuen Voraussetzungen handeln. An dieser Stelle sich ganz den Gefühlen eines reingelegten, eitlen Anwalts zu widmen und den Film dann zu beenden, ist schon haarsträubend. Was sind denn das für Filmemacher?! Was ist denn das für ein Anwalt?! Damit macht Vail sich mitschuldig an der Vertuschung eines Schwerverbrechens. Er nimmt billigend in Kauf, dass Stampler nach seiner möglichen Freilassung ungeschoren davonkommt und im schlimmsten Fall weitere Morde begehen könnte. Hier lassen zum Beispiel „Double Jeopardy“ von Bruce Beresford oder Gregory Hoblits späterer Thriller „Das perfekte Verbrechen“ den Zuschauer weniger im Regen stehen.

Protagonist

Ein weiteres Problem ist die Figur des arroganten, publicitysüchtigen Staranwalts. Wenn Martin Vail tatsächlich mal ins Schwitzen gerät, lässt auch das einen kalt. Eine Synchronisation der Gefühle findet nicht statt. Selbst wenn er am Ende reingelegt wird, empfindet man vielleicht einen kurzen Moment der Schadenfreude, aber keine Empathie. Man fühlt sich an das alte Sprichwort erinnert, demnach Hochmut vor dem Fall kommt. Das war’s dann aber auch. Eine interessantere, facettenreichere Figur hätte mehr Gefühle generieren können. Billy Wilder hat es in „Zeugin der Anklage“ mit dem skurrilen Sir Wilfried demonstriert.

Konsequenzen

In einem Nebenerzählstrang vertritt Vail den lateinamerikanischen Kriminellen Pineiro, der aber auch sein Viertel vor Spekulanten schützt. Kaufinteressent ist auch eine Stiftung, der Oberstaatsanwalt Shaughnessy angehört, ebenso der Erzbischoff vor seinem Ableben. Während des Prozesses nimmt Vail den Oberstaatsanwalt zwar ins Kreuzverhör, um auf ein Tatmotiv hinzuweisen. Denn der Erzbischoff war gegen die Immobilienspekulation der Stiftung. Leider bleibt auch dieses Verhör ohne Konsequenzen. Wenig später schwimmt Pineiros Leiche im Fluss. Kein weiteres Wort, keine Bilder über Hintergründe oder Zusammenhänge. Dann hat dieser Nebenerzählstrang in „Zwielicht“ aber auch keine Handlungsrelevanz und sollte gestrichen werden.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 3 blaue Smileys und 4 schwarze traurige Gesichter für Zwielicht (Gregory Hoblit).

Lansky (Eytan Rockaway) USA 2021

„Lansky“ ist eine sehenswerte Gangsterbiographie, die 1981 in Miami spielt. Hauptpersonen sind der ehemalige Mafioso Meyer Lansky (Harvey Keitel) sowie der erfolglose Autor und Journalist David Stone (Sam Worthington), der seine Memoiren verfassen soll. Erzählt wird in zwei zeitlichen Ebenen: Die Treffen zwischen Lansky und David finden in der Gegenwart statt, die Erinnerungen des alternden Gangsters in Rückblenden. Lansky diktiert die Bedingungen: Nichts darf ohne seine Einwilligung veröffentlicht werden. Diese scheinbar banale Vereinbarung hat angesichts von Lanskys krimineller Vergangenheit schon dramatischen Zündstoff.

Dramaturgie

Das hätte man eigentlich nur ausreizen müssen: „Der Pakt mit dem Teufel“ (s. Erzählmotive im 1. Kapitel der „7 Säulen der Filmgestaltung“). Leider verschenken die Filmemacher dieses Gefahrenpotenzial. David hätte nach seinem Vertragsbruch in Lebensgefahr geraten müssen. Eigentlich noch schlimmer. Denn die dramaturgische Kardinalfrage lautet so: Was ist in der jeweiligen Spielanordnung das Schlimmstmögliche für den Protagonisten? Ist doch eigentlich nicht so schwierig? In Davids Fall ist das die Bedrohung für seine geliebten Kinder. Also, ein kompetenter Autor hätte zumindest mit dieser tödlichen Gefahr gespielt. In diesem Thriller geraten leider weder David noch seine Kinder in ernsthafte Gefahr.

Nur die ermittelnden FBI-Agenten, die hinter Lanskys verschwundenem Vermögen her sind, sorgen für Bedrohungen. Sie setzen zum einen die bildhübsche Maureen auf David an, um an entsprechende Informationen zu gelangen. Eigentlich ein durchschaubares Manöver. Man fragt sich nur, ob die Spionin für das FBI oder für Lansky arbeitet? An dieser Stelle wäre ein anderer Informationsfluss dramatischer gewesen, nämlich Suspense. Der Zuschauer hätte über das Doppelspiel der Spionin informiert werden müssen. Das hätte die Emotionen gesteigert. Als diese Intrige später verpufft, erpressen die FBI-Agenten David zur Kooperation. Der entscheidet sich angesichts seiner privaten und finanziellen Probleme ebenfalls zum Doppelspiel. Das ist gut. Dass dieser Verrat keine Konsequenzen hat, ist gar nicht gut.

Emotionen

So wecken Lanskys Erinnerungen zwar unser Interesse, aber keine weitergehenden Gefühle. Schade. Dabei haben die Geschichten des „Bankiers des organisierten Verbrechens“ es in sich, handeln sie doch von der brutalen Vorgehensweise beim Aufbau eines illegalen Glücksspielimperiums. Lanskys Mann fürs Grobe ist sein Freund Bugsy Malone. Später muss Lansky sich einem Mehrheitsvotum des National Crime Syndicate beugen, das Bugsy Malone ermorden lässt. Lansky ist ein Kontrollfreak. Um so mehr leidet er unter dem Zerwürfnis mit seiner Ehefrau und vor allem unter der körperlichen Behinderung des gemeinsamen Sohnes. Lansky, der gewohnt ist, mit Geld und Gewalt alles zu regeln, stößt hier an seine Grenzen. „Frauen kann man leider nicht erschießen“, verrät er Bugsy einmal bedauernd.

Hintergründe

Lanskys Geschichten sind manchmal ungeschminkt, manchmal beschönigend. So zum Beispiel, wenn er seinen kriegsentscheidenden Beitrag zur Enttarnung deutscher Spione im 2. Weltkrieg beschreibt. Zum Schluss werden die FBI-Ermittler zurückgepfiffen. Die Hintergründe bleiben im Unklaren. Man kann nur spekulieren. Wahrscheinlich hat Lansky sein Vermögen der US-Regierung vermacht, die in einigen Bundesstaaten und Reservaten das Glücksspiel erlaubt hat und kontrolliert. Darauf deutet auch sein finaler Besuch im Pflegeheim hin, in dem sein geliebter Sohn betreut wird. Das könnte der Deal gewesen sein: 300 Millionen Dollar für Straffreiheit und lebenslange Betreuung seines Sohnes. Dieses Agreement würde im Nachhinein auch erklären, warum ihn Davids Verrat nicht weiter interessiert hat. Es würde auch seine Selbsteinschätzung erklären: „Ich bin ein Engel mit einem schmutzigen Gesicht.“

Fazit

Ein weiterer Schwachpunkt liegt in der Figur des Journalisten. Dieser kommt Lansky zu Beginn „etwas unterwürfig“ vor. Leider ändert sich diese Haltung im Verlauf des Films nicht. Hier hätte man David eine Entwicklung gewünscht. Sie wäre auch vonnöten gewesen, wenn er von Lansky und vom FBI richtig in die Mangel genommen worden wäre. Insofern sind die Schwächen in der Dramatisierung eng mit denen in der Charakterisierung verknüpft. Insgesamt ist „Lansky“ – trotz der beschriebenen Gräueltaten – ein erstaunlich ruhiger und informativer zeitgeschichtlicher Gangsterfilm.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 3 blaue Smileys und 4 schwarze traurige Gesichter für "Lansky"

The Trip (Tommy Wirkola) N 2021

2021 war ein schlechtes Erntejahr. Ein sehr schlechtes sogar. Insofern wundert einen dieser unglaubwürdige Pseudothriller mit Splatter-Einlagen nicht. Dominiert wird „The Trip“ von Figuren, denen man selbst in einem düsteren Film nicht begegnen möchte. Das Problem ist nicht, dass die Protagonisten unsympathisch sind. Das Problem ist, dass sie uninteressant sind (s. 4. Die Figuren in den „7 Säulen der Filmgestaltung“). Da ist zum einen der ca. 40-jährige Fernsehregisseur Lars, flankiert von seiner Ehefrau, der Schauspielerin Lisa. Obwohl sie in wohlsaturierten Verhältnissen leben (Reihenhaus, Gärtner, Mercedes, Blockhütte am See, Boot), haben sie nichts Besseres zu tun, als sich auf der Fahrt ins Wochenende gegenseitig ihr berufliches Versagen vorzuwerfen. Das ist nicht nur angesichts ihres Wohlstands schwer nachzuvollziehen. Selbst wenn die finanziellen Probleme vakant wären, würde sich ein Paar gegen Ende ihrer Beziehung kaum so unterhalten. Man hätte sich arrangiert, würde aber nicht jeden Tag die selbe Schallplatte auflegen.

Lösungen

Nicht nur dieser Aspekt zeigt die gestalterischen Limitierungen der Filmemacher. Das Naheliegende ist nie originell, meist auch nicht glaubhaft und schon gar nicht dramatisch. Die Lösung wäre das Gegenteil gewesen: Lars hätte sich auf ihrer letzten Fahrt überaus freundlich und zuvorkommend verhalten können. Das hätte Lisa misstrauisch machen müssen und so hätte sie ihm auf die Schliche kommen können. Stattdessen regiert der Zufall, denn auch Lisa will ihren Gatten just an diesem Wochenende beseitigen. Zusätzliches Motiv für beide ist eine Lebensversicherung über mehrere Millionen Kronen. Wozu diese Absicherung der kinderlosen Ehepartner, die sich nach eigenem Bekunden von Anfang an nicht sonderlich grün waren? Würde eine derartige Vertragssumme nicht das Misstrauen einer Versicherung hervorrufen? Spätestens im Schadensfall, womit ihre morbiden Pläne sowieso hinfällig wären.

Zufälle

Zu Fall kommen, kann man bekanntermaßen auf verschiedene Weise, aber auch durch Zufall. Ausgerechnet an diesem Wochenende können drei Schwerverbrecher aus dem Gefängnis entfliehen. Norwegen ist ein großes Land, aber natürlich kreuzen die Gangster bei ihrer Flucht das Gelände der Blockhütte, um beim blutrünstigen Treiben mitzumischen. Nachdem der Gärtner als erstes dran glauben musste, benötigt man schließlich Frischfleisch. Das Gemetzel dauert über zwei Stunden. „The Trip“ ist nur empfehlenswert für Sadomasochisten und Freunde schlecht gemachter Thriller.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 7 schwarze traurige Gesichter für "The Trip"

The Outfit (Graham Moore) UK 2022

„The Outfit“ mutet eher an wie ein kammerspielartiger Agatha-Christie-Krimi als ein Mafiathriller. Keiner verlässt den Raum! Das ganze Geschehen spielt in der Schneiderei von Leonard Burling in Chicago 1956. Wobei die Einheit von Zeit, Raum und Handlung und die eher ruhige Erzählweise positiv auffallen. Leider hat Moore die Auslassungen seines Landsmannes Alfred Hitchcock zum Suspense nicht näher studiert. Die Zuschauer werden nicht mit Informationen gefüttert, sondern ein ums andere Mal mit zum Teil konstruierten Wendungen überrascht. Ein Rätselspiel nach dem Motto: Ich sehe was, was du nicht siehst. Was ist das? Wie „Kai aus der Kiste“ werden immer neue Überraschungen hervorgezaubert. Das ist aber keine Kunst und sorgt nur kurzfristig für Gefühlsregungen.

Übertreibungen

Und Graham Moore muss immer noch einen draufsetzen. Da reicht es eben nicht, wenn Leonard in seiner Londoner Vergangenheit nur Schneider gewesen ist und den Tod seiner Familie durch einen Brand verschuldet hat. Nein, er muss auch noch Gangster gewesen sein, der hervorragend mit Messern umgehen kann – eine typische Station im beruflichen Werdegang von Schneidern.

Emotionen

Emotionen können so aber nicht entstehen. Der Zuschauer wird nicht in die Entscheidungsfindungen des Protagonisten eingebunden. Er wird stets im Nachhinein über Zusammenhänge informiert, was das Mitfiebern verhindert. Wie wäre es denn gewesen, wenn der Zuschauer gesehen und verstanden hätte, das kein Geringerer als Leonhard selbst der Absender des Päckchens war, mit dem der Mafiaclan von Roy Boyle auf einen Verräter in den eigenen Reihen hingewiesen wurde? Wir hätten seinen Antrieb und seine Wünsche verstehen können. Wir hätten bei den ersten Widrigkeiten seines Plans mit ihm mitfiebern können.

Zwietracht

Denn eigentlich macht Leonhard sich nur Sorgen um seine Sekretärin Mable, die er liebt wie seine eigene Tochter. Aufgrund seiner Vergangenheit hat er schließlich auch wieder etwas gutzumachen. Nachdem er ihre (vermeintliche) Liaison mit Richie beobachtet, dem unterbelichteten Sohn des Mafiabosses, versucht er im Stile von „Yojimbo“ (Akira Kurosawa) Zwietracht unter den Gangstern zu säen. Weiß Leonhard doch nur zu gut, dass in diesen Kreisen Missgunst und Geldgier mehr zählen als Freundschaften. Die Figurenkonstellation Mafiaboss mit unterbelichtetem Spross ist auch nicht sonderlich originell, weil man die schon etliche Male gesehen hat (z.B. in „Road to Perdition“ von Sam Mendes).

Wendungen

Leonards Plan scheint letztlich zu funktionieren. Denn die Gangster bringen sich reihenweise gegenseitig um, bis sich gegen Ende von „The Outfit“ herausstellt, dass Mable tatsächlich ein mit dem FBI kooperierender Maulwurf ist. Sie hat sich nur mit Richie eingelassen, um an diskreditierende Informationen über den Boyle-Clan zu gelangen. Auch diese Überraschung kontert Moore mit einer weiteren Wendung usw. Jedenfalls hat Mable am Ende einen Koffer voller Geld und wählt den umgekehrten Fluchtweg, den Leonhard seinerzeit eingeschlagen hat: Sie flieht nach Europa.

Finale

Völlig hanebüchen wird das Verwirrspiel in „The Outfit“ nach dem Showdown, als der Erzähler uns darüber aufklärt, dass es – trotz aller Bemühungen – keine wirkliche Perfektion gibt. Leonhard ist gerade dabei, seine Schneiderei in Brand zu setzen, um so alle Spuren zu beseitigen. Da tritt Francis, Boyles rechte Hand, als Untoter noch einmal in Erscheinung. Apropos Untote: Auch Richie läuft nach einem Bauschuss schnell wieder munter durch die Gegend. Jedenfalls haben auch zwei Kopfschüsse aus nächster Nähe Francis offensichtlich nichts anhaben können, weshalb er Leonhard nun ans Leder will. Zum Glück hat der nichts von den Fertigkeiten seiner dunklen Vergangenheit verlernt und killt den Todesunwilligen mit seiner Schere. Dann verlässt auch er seinen brennenden Laden, den er dieses Mal selber angezündet hat. Seine Zukunft sieht er so: „Nun, man breitet sein Werkzeug aus und fängt neu an.“ Wohl dem, der nicht nur ein Handwerk gelernt hat.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 2 blaue Smileys und 5 schwarze traurige Gesichter für "The Outfit"

The Gateway (Michele Civetta) USA 2020

„The Gateway“ ist ein Independent-Thriller, der mit sehr originellen Protagonisten, Nebendarstellern und Schauplätzen überzeugen kann. Es ist ein Stelldichein der verlorenen Seelen. Allen voran der alkohol- und drogenabhängige, stets mit einer Pistole bewaffnete Streetworker Parker (Shea Whigham). Als Halbwaise im Heim aufgewachsen, versucht er, in seinem Job in Not geratenen Kindern zu helfen. Seine leidvolle Vorgeschichte ist sein Antrieb. Ein Schutzengel im Ghetto. Auch ein Beziehungsinvalide. „Du liebst dich nicht selbst“, diagnostiziert eine weibliche Kneipenbekanntschaft, als sie nach einer gemeinsamen Nacht sofort wieder zum Gehen aufgefordert wird.

Figuren

Einer von Parkers Schützlingen ist die 12-jährige Ashley, die bei ihrer überforderten Mutter Dahlia lebt. Da die berufstätig ist und ihr Mann Mike im Gefängnis einsitzt, kümmert Parker sich mit um das Mädchen. Die Lage ändert sich, als Mike aus dem Gefängnis entlassen wird und Parker als Eindringling das Feld räumen soll. Aber Mike ist ein Dummkopf und arbeitet fleißig daran, so schnell wie möglich wieder ins Gefängnis zu kommen. Dabei helfen ihm seine ebenfalls unterbelichteten, tätowierten und gewalttätigen Kumpels. Im Auftrag ihres Bosses Duke planen sie, anderen Gangstern das von einem Drogenkartell abgezweigte Heroin zu klauen. Eine grandiose Idee, besonders wenn sie von diesen Knallchargen ausgeführt wird.

Schwachpunkte

Die unfreiwillige Komik, die diese Bösewichte verbreiten, hat schon wieder etwas Drolliges. Da fragt Mike seinen Boss allen Ernstes: „Sicher, dass uns das Kartell jetzt in Ruhe lässt?“ Der scheint tatsächlich überzeugt zu sein, dass dieser Diebstahl für die Bestohlenen und das Kartell okay ist. Entsprechend dilettantisch wird der Überfall durchgeführt. Da erzählt der maskierte Mike vor einer Geisel, dass er gestern aus dem Gefängnis entlassen wurde. Anschließend werden ein halbes Dutzend Gangster erschossen, bevor sie mit dem Heroin fliehen können. Mikes nächste glorreiche Idee ist es, das Rauschgift im Rucksack seiner Tochter zu deponieren.

Showdown

Ein weiterer Schwachpunkt sind die Begegnungen zwischen Parker und seinem Vater (Bruce Dern), den er nachts heimlich beobachtet. Angesichts dessen tiefsitzenden Schuldgefühlen müssten diese Gespräche aber anders verlaufen. Der Vater müsste kleinlauter, schuldbewusster agieren. Inzwischen wird Parker nach einer Tätlichkeit gegenüber einem aufdringlichen Kollegen entlassen. Diese Szene im Büro, angefangen von einer harmlosen Plänkelei bis zur Eskalation, ist von beiden hervorragend gespielt. Der Showdown ist dagegen vorhersehbar, nicht aber Parkers Ableben, der bei einem Feuergefecht mit Mike und Konsorten tödlich getroffen wird. Als Parker das Zeitliche segnet, kümmern Dahlia und Ashley sich um ihn, nicht um den ebenfalls schwer verletzten, neben ihm liegenden Mike.

Fazit:

„The Gateway“ macht einfach gute Laune, woran auch Parkers Tod nichts ändert. Entscheidenden Beitrag leistet die hervorragende Filmmusik. Parkers Beerdigungsfeier wird im Stile einer Party inszeniert. Das Leben geht weiter.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 4 blaue Smileys und 3 schwarze traurige Gesichter für "The Gateway"
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Tödliche Entscheidung (Sidney Lumet)

Was für ein grandioses Thrillerdrama von Sidney Lumet! Nichts für schwache Nerven. Angeführt von einer herausragenden Schauspielerriege, allen voran Philip Seymour Hoffman als drogensüchtiger Immobilien-Buchhalter Andrew „Andy“ Hanson, führt der Weg der Protagonisten geradewegs in den Abgrund. Fehlendes Geld der beiden Brüder Andy und Hank (Ethan Hawke) für ein vermeintlich besseres Leben in Rio oder zum Begleichen von Schulden für den Unterhalt der Tochter sind der Auslöser für einen scheinbar einfachen Überfall auf den Juwelierladen der eigenen Eltern. „Ganz easy“, versucht Andy seinem jüngeren Bruder den Coup schmackhaft zu machen. Einfach Samstagmorgen reinspazieren, der kurzsichtigen Putzfrau Doris, die zu der Zeit im Laden aushilft, Bargeld und Schmuck stehlen. Fertig. Die Versicherung würde für den Schaden aufkommen und sie hätten nach Abzug der Hehlerprovision noch 120.000 Dollar. So weit der Plan. Doch der endet im Fiasko. Eine „Tödliche Entscheidung“.

Desaster

Denn zum einen steht nicht Doris, sondern die eigene Mutter Nanette Hanson zur Tatzeit im Laden, zum anderen traut Hank sich nicht, den Überfall allein durchzuführen. Deshalb engagiert er ohne Andys Wissen den Kleinkriminellen Bobby Lasorda. Der entpuppt sich aber als dilettantisches Großmaul, fuchtelt beim Überfall mit seiner Waffe herum und verängstigt Nanette dermaßen, dass sie, in die Enge getrieben, zu einer in den Schubladen deponierten Pistole greift. Beim nachfolgenden Schusswechsel wird Bobby getötet und Nanette schwer verletzt. Auf der Intensivstation wird sie, bereits hirntot, noch tagelang am Leben gehalten. Ihr Ehemann und Vater der beiden Brüder Charles Hanson (Albert Finney) hat die Vorsorgevollmacht und soll über die Abschaltung der lebenserhaltenden medizinischen Geräte entscheiden.

Suspense

Nicht nur dieser Moment wird fachgerecht retardiert und ist an Dramatik kaum zu überbieten. Denn bei Charles’ innerem Kampf, im Krankenhaus und zu Hause, sind seine Söhne anwesend, die letztlich diese Qualen verursacht haben. Eine klassische Suspense-Situation, denn der Zuschauer weiß mehr als Teile der handelnden Personen. Das treibt die Spannung zum Maximum. Auch Charles’ Entscheidung endet tödlich. Er gibt schließlich sein Einverständnis für das Ableben seiner geliebten Frau.

Produktive Irritation

Dabei erzählt Lumet diesen Strudel fataler Entscheidungen nicht-chronologisch. Was in anderen Filmen oftmals den Erzählrhythmus hemmt, ist hier keine Spielerei, sondern eine Eskalation der Spannung. Produktive Irritation heißt das dramaturgische Mittel. Der Zuschauer stolpert über Geschehnisse, die erst mal verwunderlich sind. Aber man ahnt, dass es einen plausiblen Zusammenhang gibt und will ihn erschließen. Der Zuschauer wird zum Mitdenken und Mitfiebern animiert. Besser kann man es nicht machen.

Eskalation

Immer wieder finden die Filmemacher überzeugende Lösungen auf die dramaturgische Kardinalfrage: Was ist in der jeweiligen Spielanordnung das Schlimmstmögliche für die Protagonisten? So unterhält sich Charles mit seinem ältesten Sohn Andy bei der Beerdigungsfeier und entschuldigt sich bei ihm, dass er nicht der Vater war, den dieser sich gewünscht hat. Diese Bitte um Verzeihung zieht Andy angesichts der von ihm verschuldeten Umstände förmlich die Schuhe aus. Keine Vorhaltungen oder Streitereien hätte eine derart niederschmetternde Wirkung erzielen können wie die Entschuldigung für begangene Fehler. Später weint Andy neben seiner Frau: „Das ist nicht fair. Man kann nicht alles ungeschehen machen.“

Schwachpunkte?

Auch zwischenzeitlich auftretende Schwachpunkte nutzt die grandiose Drehbuchautorin Kelly Masterson zur erzählerischen Optimierung. Denn Bobbys Ehefrau könnte Hank identifizieren. Diese offene Frage wird gelöst, indem die Ehefrau zusammen mit ihrem Bruder Hank erpresst: Ihr Stillschweigen soll 10.000 Dollar kosten. Eine unerschwingliche Summe für die beiden Brüder, denen das Wasser schon längst nicht mehr nur bis zum Hals steht. Deshalb ist Andys Griff zum Revolver ein nachvollziehbarer Ausweg, zumal ihm auch noch die Steuerfahndung dicht auf den Fersen ist.

Finale

Doch auch der Versuch, lästige Zeugen zu beseitigen, gerät zum Fiasko – die nächste „Tödliche Entscheidung“. Ähnlich wie beim Überfall im Juwelierladen wird der abgelenkte Täter (Andy) von der überfallenen Frau (Bobbys Ehefrau) erschossen. So erleidet Andy das Schicksal seiner Mutter und landet schwerverletzt auf der Intensivstation. Charles, der mittlerweile hinter die Zusammenhänge gekommen ist, schleicht sich ins Krankenzimmer und schaltet – nach Andys Beichte – die lebenserhaltenden Geräte ab. Zusätzlich erstickt er seinen Sohn mit einem Kopfkissen. Damit ist das Drama komplett.

Fazit

Nicht ganz. Es gibt doch einen Schwachpunkt: Charles weiß, dass auch sein Lieblingssohn Hank die Finger mit im Spiel hatte. Diese fällige Konfrontation spart der Film aus. Das ist schade, aber nur eine kleine Trübung dieses dramatischen Meisterwerks. „Tödliche Entscheidung“ ist einer dieser Filme, nach denen man Hegels Erkenntnis („Es ist die Ehre großer Charaktere schuldig zu sein“) verstehen kann.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 7 blaue Smileys für "Tödliche Entscheidung"

Insider (Michael Mann) USA 1999

Es handelt sich hier um einen ebenso spannenden wie klugen Psychothriller, der auf einem tatsächlichen Fall beruht und ohne Darstellung von Gewalttaten auskommt. „Insider“ konzentriert sich ganz auf die inneren Konflikte seiner beiden Hauptdarsteller. Das ist zum einen Jeffrey Wigand (Russel Crowe), der als Wissenschaftler eines Tabakkonzerns vor den Suchtgefahren einer chemischen Beimischung warnt. Ein entsprechendes firmeninternes Memo hat seine Kündigung zur Folge. Trotz vertraglicher Schweigepflicht entscheidet er sich aus Gewissensgründen für die Veröffentlichung seiner Insider-Kenntnisse. Damit kommt Lowell Bergman (Al Pacino), Producer des CBS-Politmagazins „60 Minutes“ ins Spiel.

Die Geschichte

Was folgt, ist ein gnadenloser Kampf zwischen den Geschäftsführern, Lobbyisten und Anwälten des Tabakkonzerns auf der einen Seite und Wigand mit Bergman und seiner Redaktion auf der anderen Seite. Ein Kampf, der nicht mit Kugeln ausgetragen wird, sondern – subtiler und cleverer – mit Rufmordkampagnen, Psychoterror und Gerichtsklagen. Wigands Ehe übersteht diesen Kampf nicht. Seine Frau verlässt ihn mit den beiden gemeinsamen Kindern. Bergman gerät in einen vergleichbaren Zwiespalt, als CBS vom Tabakkonzern aufgekauft und das schon fertig produzierte Interview mit Wigand nicht ausgestrahlt werden soll. Hier sind die sektengleichen Zwänge einer Firmenstruktur sehr schön beschrieben.

Schweigende Mehrheit

Als es für die Journalisten unverfänglich ist, plädieren alle Mitarbeiter der Redaktion für eine Ausstrahlung des Interviews, also für eine Veröffentlichung der Wahrheit. Als der Druck der Fernsehbosse dann zunimmt, ist Bergman plötzlich allein. An hehre journalistische Grundsätze kann sich plötzlich keiner mehr erinnern. Um den Renitenten ruhig zu stellen, wird er – anders als Wigand – nicht gefeuert, sondern beurlaubt, was eigentlich viel cleverer ist. Denn Ressentiments entstehen eher durch Kündigungen als durch kostenlose Urlaube.

Showdown

Aber Bergman denkt gar nicht daran, lange auf dem Abstellgleis zu verweilen. Er schlägt mit seinen Mitteln zurück, indem er einen befreundeten Redakteur der New York Times von diesem Skandal berichtet. Die entscheiden sich nach kurzer Recherche für eine Veröffentlichung dieses Angriffs auf die Pressefreiheit auf der ersten Seite ihrer Zeitung. Ein Schachzug, der natürlich ein großes Interesse am nichtgesendeten Beitrag erzeugt. Dem müssen die TV Bosse schließlich nachgeben: Das Interview wird gesendet. Doch Bergman hat genug von seinen alten Kollegen und kündigt seinen Job bei „60 Minutes“, weil er gegenüber zukünftigen Informanten nicht noch einmal als Verräter dastehen will. Er ist nicht käuflich.

Die Form

Zum packenden Geschehen gesellt sich eine brillante Kameraarbeit (Dante Spinotti), oftmals aus der Hand gefilmt, manchmal in Zeitlupe, immer unglaublich konzentriert auf Handlung und Personen. Die Montage, die Komposition von Geräuschen, die Filmmusik offenbaren die Handschrift eines ganz großen Regisseurs: Michael Mann, einer der wenigen Autorenfilmer Hollywoods. Seine Werke sind stets ebenso eigenwillig wie spannend.

Schwachpunkte

Es gibt zwei Schwachpunkte im Film. Zum einen agiert Wigands Frau in ihrer Zickigkeit zu eindimensional. Da stellen sich bei der Trennung des Ehepaares regelrechte Glücksgefühle ein: Gottseidank ist er diese Tante endlich los. Ein komplexeres Verhalten wäre natürlich dramatischer gewesen und nur darum geht’s, nicht darum, welchen Charakter die reale Mrs. Wigand hatte. Des weiteren zahlt auch diese Geschichte ihren Preis für die Fokussierung auf zwei Hauptdarsteller: Die emotionale Anteilnahme wird gerecht aufgeteilt, aber nicht bis zum Anschlag maximiert. Dafür hätte man „Insider“ ganz aus Wigands Perspektive erzählen müssen. Aber dann wären die journalistischen Internas natürlich auf der Strecke geblieben. Eine Frage der Abwägung. Was ist wichtiger: die Eskalation der emotionalen Anteilnahme für den Protagonisten oder der Medienkrimi?

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für Insider.

Der einzige Zeuge (Peter Weir) USA 1985

Von Beginn an baut „Der einzige Zeuge“ von Peter Weir eine sogartige Spannung auf, die vorrangig aus der Verknüpfung zweier klassischer Erzählmotive resultiert: „Der bedrohte Zeuge“ und „Die unmögliche Liebe“. Des Weiteren liefert der Aufeinanderprall völlig unterschiedlicher Welten zusätzliches Konfliktpotenzial. Die in der Landwirtschaft verwurzelte, technikfeindliche Lebenswelt der religiösen Amischen wird mit dem Lifestyle moderner Großstädter kontrastiert.

Figuren

Heimlicher Held der Geschichte ist der 8-jährige Samuel, ein Amisch-Junge, der seinen ersten Ausflug mit seiner verwitweten Mutter Rachel (Kelly McGillis) in das Universum der Großstädter förmlich in sich aufzusaugen scheint. Das jähe Erwachen kann kaum brutaler sein: Auf einer Bahnhofstoilette in Philadelphia wird er „Der einzige Zeuge“ eines Mordes. Ermittelnder Detective ist John Book (Harrison Ford), der Mutter und Sohn erst mal bei seiner Schwester unterbringt. Am nächsten Morgen frühstücken John, Rachel und Samuel gemeinsam in einem Schnellrestaurant. In dieser Szene haben die Drehbuchautoren (Kelley, Wallace) sich etwas Geniales einfallen lassen. Im Verlauf eines kleinen Streits hält Rachel dem Detective sämtliche Schwächen vor, die seine Schwester ihr anvertraut hat. Auch wenn nicht alles stimmen mag, erhalten wir hier auf originelle Weise eine umfassende Charakterisierung des männlichen Protagonisten. Das ist exzellent! John Book ist der Appetit vergangen und der des Zuschauers ist geweckt.

Flucht

Als Samuel auf dem Polizeirevier McFee, ein Detective des Rauschgiftdezernats, als Täter identifiziert, beginnt eine gnadenlose Jagd. Nichtsahnend informiert John seinen Vorgesetzten Chief Paul Schaeffer vom Sachverhalt und wird kurz darauf Opfer eines Mordanschlags. Schütze aus dem Hinterhalt ist kein Geringerer als McFee, womit klar ist, dass der mit Schaeffer unter einer Decke steckt. Schwer verletzt taucht John mit Rachel und Samuel auf der Farm ihres Schwiegervaters unter. Nach seiner Genesung wird John in den bäuerlichen Alltag der Amischen integriert.

Die unmögliche Liebe

Wie ein Dokumentarfilm skizziert „Der einzige Zeuge“ die immaterielle, tief religiöse Welt, in der die Familie mit klar definierten Geschlechterrollen im Fokus steht. Der gemeinsame Bau einer Scheune, den die Amischen ameisengleich an einem Tag bewältigen, wird wie eine Hymne inszeniert – ein Triumph von Teamgeist und Hilfsbereitschaft. Die Abgründe treten zutage als John und Rachel sich ineinander verlieben. Das kollidiert mit den bigotten Moralvorstellungen und der hermetischen Abgeschiedenheit der Amischen, in der eine Beziehung zu „Engländern“ geächtet wird. Es ist eine Liebe, die von Anfang an keine Aussicht auf Erfolg hat. Diese emotionale Zerrissenheit spielt vor allem Kelly McGillis mit einer Melange aus Verliebtheit und Angst einfach überragend. Am Abend nach dem Bau der Scheune sieht John sie nackt in ihrem Zimmer und widersteht. „Ich hätte bleiben müssen oder du hättest gehen müssen“, bringt er das Drama auf den Punkt.

Showdown

Sehr schön ist auch das Fortführen der Thrillerebene. Bei einem Telefonat erfährt John vom Ableben seines Partners „in Ausübung seiner Dienstpflicht“. Dass sich hinter dieser Formulierung nichts anderes als die Beseitigung eines gefährlichen Mitwissers verbirgt, ist ihm sofort klar. Nach einer Handgreiflichkeit mit einem Touristen wird eine Polizeistreife auf John aufmerksam, denn Amische lehnen jede Anwendung von Gewalt ab. Damit haben die Verfolger ihn geortet und es kann zum Showdown kommen, bei dem John zwei seiner Gegenspieler ausschalten kann. Doch dann bringt Schaeffer Rachel in seine Gewalt und droht, sie zu erschießen. Die Lösung führt der kleine Samuel herbei, indem er die Nachbarn alarmiert. Schaeffer erkennt die Ausweglosigkeit seiner Situation, denn er kann nicht alle Herbeigeeilten erschießen. Das ist sehr stimmig gelöst: Ein Sieg der Gemeinschaft über die Habgier. Genauso überzeugend ist der Abschied der Liebenden, der nämlich ohne überflüssige Worte auskommt.

Schwachpunkte

Es gibt drei Schwachpunkte: Zum einen muss man wieder schlucken, dass die komplette Einheit eines Rauschgiftdezernats aus brutalen Gangstern besteht, die auch vor Mord nicht zurückschrecken. Immerhin besteht diese Bande hier, im Gegensatz zu „L.A. Confidential“ oder „16 Blocks„nur aus drei Gangstercops.

Grausamkeit

Dann ist dieser Mord auf der Bahnhofstoilette viel zu grausam inszeniert. Er gleicht einer Hinrichtung und hätte Samuel eigentlich traumatisieren müssen. Besser und glaubhafter wäre ein Totschlag im Affekt gewesen, denn der Ermordete war ja Polizist, also wahrscheinlich ein abtrünniges Mitglied der Gangstercops. Da hätte man sich sehr gut einen eskalierenden Streit vor dem Totschlag vorstellen können. Die Möglichkeit, dass der Ermordete ihnen im Zuge von Ermittlungen auf die Schliche gekommen ist, kann man eigentlich ausschließen. Denn dann wären ja weitere Beamte in diese Untersuchung involviert gewesen.

Passivität

Entscheidendes Manko sind aber die ausbleibenden Versuche von John und seinem Partner, ihre Erkenntnisse über Schaeffers kriminelle Machenschaften einem anderen hochrangigen Polizeibeamten, einem Staatsanwalt oder einem Journalisten anzuvertrauen. Die sind ja nicht alle korrupt. Hier hätte mehr kommen müssen, als nur eine kurze Debatte zwischen beiden, die nichts daran ändert, dass sein Partner wie ein braves Schaf zur Schlachtbank trabt und John dies letztlich billigend in Kauf nimmt. Ansonsten ist „Der einzige Zeuge“ ein fulminanter Thriller.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für "Der einzige Zeuge"

Gloria (John Cassavetes) USA 1980

Es handelt sich hier um einen fulminanten Mafiathriller, der auch 40 Jahre nach seiner Herstellung nichts von seiner Kraft eingebüßt hat. Das liegt zum einen am Aufbau eines Spannungsbogens, der von Anfang bis zum Ende kunstgerecht auf die Spitze getrieben wird, zum anderen an der genialen Gena Rowlands in der Rolle der alternden, ehemaligen Gangsterbraut Gloria Swenson. Der Film war auch die Vorlage für Luc Bessons ebenso brillanten Rachethriller „Léon – der Profi“.

Exposition

In „Gloria“ ist es die Mafia, die glaubt, ein Exempel statuieren zu müssen und den abtrünnigen Buchhalter Jack Dawn samt Familie liquidieren will. Der 6-jährige Sohn Phil soll im letzten Moment bei Nachbarin Gloria unterschlüpfen. Die Widerwilligkeit des Jungen zur verhassten Nachbarin zu gehen, ist sehr schön retardiert. Die Ermordung der Familie wird – anders als bei Luc Besson – nicht als blutspritzende Gewaltorgie inszeniert. Man sieht den Jungen in Glorias Wohnung noch mit seinem Vater telefonieren, bis mit einem explosionsartigen Knall das Fenster von Dawns benachbarter Wohnung zersplittert und die Telefonleitung „tot“ ist. Das ist super, viel besser als bei „Léon – der Profi“.

Odd-Couple

Das Gespann Gloria/Phil ist vortrefflich als Odd-Couple-Paar etabliert. Sie hasst Kinder, der Junge mag sie ebenso wenig. Besser kann man es nicht anrichten. Besser kann man es auch nicht weitertreiben. Denn die nachfolgenden Flucht-Verfolgungs-Szenen sind gnadenlos spannend und geben ihrer Heldin Gelegenheit zur kompletten Entfaltung. Nach Enttarnung ihres ersten Unterschlupfs wird Gloria mit dem Jungen auf der Straße von einem PKW mit fünf Mafiosi gestellt. Nachdem sie auf ihre Frage „Ihr wollt doch kein Kind abknallen?“ nur beredtes Schweigen erntet, zieht sie ohne Vorwarnung ihren Revolver und feuert alle Kugeln ins Innere des davon preschenden Wagens. Das ist Gloria!

Die Heldin

Aber sie ist weit mehr als nur eine zu allem entschlossene Beschützerin des Jungen. Sie leidet unter Einsamkeit, auch wenn sie das Gegenteil behauptet. Sie ist sarkastisch, auch wenn sie vorgibt, mit ihrem Leben zufrieden zu sein. Gloria hat Angst, obwohl sie es gegenüber Phil abstreitet. Sie entwickelt Gefühle für den Jungen, obwohl sie es nicht will, obwohl es in ihrem Lebensmodell nicht vorgesehen ist. Das ist schön, auch die Zeit, die der Film sich in diesen Momenten nimmt.

Die Form

Es gibt Wendungen, Überraschungen, eine geniale Ausstattung, eine tolle Kameraarbeit, eine brillante Filmmusik (Bill Conti), die stets auf das Geschehen eingeht und nicht domestiziert. Die Dialoge sind pointiert und schonungslos: „Ich bin froh, dass ich bei dir bin“, sagt der Junge. „Schön, dann werden wir uns mal einen Grabstein suchen“, antwortet Gloria.

Schwachpunkte

Tja, gibt es denn gar nichts zu mäkeln? Doch. Leider hat der Film zwei nicht unerhebliche Schwachpunkte: Zum einen fragt man sich, warum Gloria den Jungen im Laufe der Geschichte nicht irgendwann der Polizei anvertraut, zumal Jack Dawn ja schon mit dem FBI in Verhandlung war. Ein Zeugenschutzprogramm mit neuer Identität wäre für den Jungen eine dauerhafte Überlebensmöglichkeit gewesen. Für diese Unterlassung gibt es eigentlich nur eine Erklärung: Von diesem Moment an hätte Gloria den Jungen nie wiedersehen können. Diesen Zwiespalt hätte John Cassavetes aber thematisieren und zelebrieren müssen.

Zum zweiten ist die Geschichte nicht richtig zu Ende erzählt, denn Mafiaboss Tanzini, der am überlebenden Jungen bis zum Schluss ein Exempel statuieren will, ist nicht tot, ebenso wenig wie Gloria oder Phil. Tanzini wird sein Vorhaben nicht aufgeben. Deshalb wäre es besser gewesen, wenn Gloria zusammen mit Phil am Ende tatsächlich mit einem Schiff nach Südamerika geflohen wäre und diese Geschichte nicht nur als Ausrede benutzt hätte. Hier hat Luc Besson in „Léon – der Profi“ ein besseres Ende kreiert, in dem der Held sich opfert und den Antagonisten mit in den Abgrund reißt. Ansonsten ist „Gloria“ ein genialer Thriller.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für Gloria.

Das Schweigen der Lämmer (J. Demme)

Zu Zeiten als der Oscar noch nicht ein Symbol gesellschaftlicher Wiedergutmachung war, gab es hin und wieder würdige Preisträger. Einer davon ist der gnadenlos spannende Psychothriller „Das Schweigen der Lämmer“ von Jonathan Demme nach einem Roman von Thomas Harris. Hier stimmt praktisch alles: Drehbuch, Inszenierung, Kamera, Ausstattung, Filmmusik, Montage und vor allem die hervorragenden Schauspieler.

Figuren

Heldin ist die junge FBI-Agentin Clarice Starling (Jodie Foster), die einer Sondereinheit des FBI angehört. Ihr Ziel ist es, den Serienmörder „Buffalo Bill“ zur Strecke zu bringen. Dafür sucht Clarice den kannibalistisch veranlagten Psychiater Dr. Hannibal Lecter (Anthony Hopkins) auf, der in Baltimore im Gefängnis einsitzt. Von ihm erhoffen die Ermittler sich Hinweise zur Klärung des Mordfalls. Vor der fensterlosen Gefängniszelle entwickelt sich ein nervenzermürbendes Katz-und-Mausspiel. Quid pro quo lauten die Spielregeln, die von Dr. Lecter bestimmt werden. Für jede Information aus ihrem Privatleben liefert er Andeutungen zur Psyche des Serienmörders. Das ist genial gemacht.

Backstory

So tauchen wir tief in das Vorleben der Heldin ein, erfahren von ihrer Beziehung zum gewaltsam getöteten Vater und ihre Zeit auf dem Schlachthof des Onkels. Seit jenen Tagen wird sie vom Schreien der zur Schlachtbank geführten Lämmer in ihren Albträumen verfolgt. Clarice beantwortet Dr. Lecters Fragen wahrheitsgemäß. Zum einen würde er eventuelle Lügen sofort durchschauen, zum anderen ist er ihre Hoffnung bei der Aufklärung des Mordfalls. Im Laufe der Verhöre entwickelt sich ein Verhältnis zwischen beiden. Er mag sie und gibt ihr schließlich – verklausuliert – die entscheidenden Hinweise. Und Clarice ist fasziniert von der Inkarnation des Bösen, von seiner Intelligenz, von seiner Direktheit, von seiner Hinterhältigkeit. Ein abgründiges Vater-Tochter-Verhältnis.

Showdown

Der Showdown von „Das Schweigen der Lämmer“ ist ein kleines Meisterstück, brillant inszeniert und montiert. Besser geht’s nicht. Da ist zum einen Crawford, der Chef der Sondereinheit, der mit seinen Leuten das Haus eines vermeintlichen Täters in Chicago stürmt, zum anderen Clarice, die alleine weiter in Ohio ermittelt. Beide Handlungsstränge laufen alternierend aufeinander zu, bis Clarice dem Killer ganz allein gegenübersteht. Dieser Moment wird natürlich fachgerecht retardiert, bis sie ihn im letzten Moment ausschalten kann.

Schwachpunkte

Schwachpunkte: Wenn „Buffalo Bill“ eines seiner Opfer nachts vor einem Diner beobachtet, dann benötigt er dafür ja wohl kein Nachtsichtgerät. Das wird hier nur eingeführt, weil es beim Showdown eine Rolle spielt. Das hätte man geschickter lösen können. Dr. Lecters Entkommen aus dem provisorischen Hochsicherheitstrakt im 5. Stock eines Gerichtsgebäudes in Memphis muss man erst mal schlucken. Da benötigt es schon einiges Wohlwollen. Aber okay, ist ja Kintopp. Clarice hat Schwierigkeiten mit Männern, auch weil sie ihren Vater idealisiert. Das hat Dr. Lecter messerscharf erkannt. Sie lässt keine Männer in ihre Nähe kommen, weder den älteren Crawford noch den jungen Biologen, der ihr im Laufe der Ermittlungen Avancen macht. Da hätte man der Heldin zum Schluss der Geschichte schon eine Entwicklung gegönnt. Ansonsten: perfekte, abgründige Unterhaltung.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für das "Schweigen der Lämmer"