Das perfekte Verbrechen (Gregory Hoblit)

Es handelt sich hier um einen ziemlich spannenden Thriller mit hervorragenden Schauspielern und exzellenter Kameraarbeit, der ein klassisches Erzählmotiv variiert: Das Mörderische Dreieck. Genau genommen handelt es sich in „Das perfekte Verbrechen“ um ein Viereck, komplettiert durch den jungen, ehrgeizigen Staatsanwalt Willy Beachum (Ryan Gosling). Der Plot lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Der wohlhabende Flugzeugbauer Ted Crawford (Anthony Hopkins) erschießt seine untreue Frau, manipuliert den Tathergang und steht am Ende als freier Mann da, wenn Beachum ihm nicht doch noch auf die Schliche gekommen wäre.

Die Figuren

Sehr schön ist die Konfiguration der Hauptfiguren, wie der durchtriebene Crawford den schnöselhaften, erfolgsverwöhnten Beachum ein ums andere Mal ärgert: „Auch eine kaputte Uhr geht zweimal am Tag richtig.“ Das Psychoduell zwischen beiden ist eigentlich das Highlight des Films. Sehr schön sind auch die dramatischen Retardierungen, zum Beispiel wenn Beachum mit einer richterlichen Verfügung zum Krankenhaus rast, um doch noch zu verhindern, dass die lebenserhaltenden Geräte von Crawfords im Koma liegender Ehefrau abgeschaltet werden. Oder wenn die Richterin den Staatsanwalt im Prozess fragt, ob er denn noch Beweismittel habe, weil sie Crawford ansonsten freilassen müsse. Beachums innerer Kampf, sich geschlagen zu geben oder fingierte Beweise zu präsentieren, wird hier fachgerecht auf die Spitze getrieben.

So recht mitzittern kann man mit den Figuren allerdings nicht. Deshalb ist „Das perfekte Verbrechen“ eigentlich auch kein Thriller. Dominant ist die Aufklärung des Tathergangs und das Psychoduell, auch wenn es sich hier nicht um ein Whodunit handelt. Korrekt wäre die Genrebezeichnung Psychokrimi – ein Rätselspiel, das an „Gone Girl“ von David Fincher erinnert. Erst ganz am Ende erfährt man in welchem Ausmaß Crawford den Mord minutiös geplant und die Beweismittel manipuliert hat. Das ist eine Überraschung, aber kein Suspense und ignoriert Alfred Hitchcocks dramaturgisches Postulat zum Informationsfluss: „Daraus folgt, dass das Publikum informiert werden muss, wann immer es möglich ist.“

Schwachpunkte

Wie wäre es denn gewesen, wenn der Zuschauer gleich zu Beginn Zeuge vom Vertauschen der Tatwaffe geworden wäre? Hätte es die leidliche Spannung gemindert? Im Gegenteil. Man hätte mehr mit Beachum mitfiebern können. Da sind wir denn beim nächsten Punkt des defizitären Spannungsaufbaus. Der liegt in der schnöselhaften Figur des jungen, erfolgreichen Staatsanwalts begründet. Was steht für ihn schon auf dem Spiel, außer der Niederlage als Anklagevertreter in einem Mordprozess? Im Grunde gar nichts. Diese Niederlage ist zwar schmerzlich, zumal Crawford seine Gewinnsucht, seine Eitelkeit als Schwachpunkt ausgemacht hat. Sie ist aber nicht existenziell, genauso wenig wie sein Jobverlust bei der renommierten Kanzlei Wooton & Simms mit einhergehender Trennung von seiner zukünftigen Chefin. Überhaupt hat diese ganze Nebenhandlung inklusive Affäre überhaupt keine Handlungsrelevanz. Sie dient nur dem Umstand, ihn anfangs als nachlässigen Anwalt zu zeigen, der sich im Verlauf der Geschichte zu einem hartnäckigen Ermittler entwickelt.

Ein weiterer Schwachpunkt ist der Selbstmord von Lieutenant Nunally, des Geliebten von Crawfords Ehefrau, in den Fluren des Gerichtssaals. Ort, Zeitpunkt und Motiv sind völlig willkürlich. Eigentlich hätte er mehr Gründe gehabt, seine Waffe auf Crawford zu richten. Weitere Schwachpunkte: Hätte ein guter Staatsanwalt nicht intensiver nach dem Motiv des Tatverdächtigen forschen müssen? Das Fehlen der Tatwaffe ist zwar bedauerlich, aber doch nur ein Indiz in einer ganzen Kette. Ein handfestes Tatmotiv – hier Rache – hat doch auch juristisches Gewicht, genauso wie die Anzahl der Verdächtigen. Und in diesem Fall gab es doch nur eine Person, die zur Tatzeit am Tatort anwesend war. Die juristische Fixierung auf die fehlende Tatwaffe wirkt ein bisschen simpel. Fazit: Nicht ganz perfekt.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 3 blaue Smileys und 4 schwarze traurige Gesichter für "Das perfekte Verbrechen"

State of Play (Kevin Macdonald) USA 2009

Nach Scorseses Meisterwerk unsanfte Landung in den Niederungen konstruierter 08/15-Thriller. Tony Gilroy, einer der Drehbuchautoren, ist eben nicht Dan Gilroy („Nightcrawler“). Er ist sein Bruder und teilverantwortlich für einen abstrusen Plot, klischeehafte Figuren und hölzerne Dialoge. Das einzig Positive an „State of Play“: Immerhin bemühen die Filmemacher sich um einen Spannungsaufbau.

Figuren

Es fängt mit einem Killer an, der die Karikatur eines Killers ist und sich einen Koffer mit geheimen Unterlagen von Straßenräubern klauen lässt. Auch alle anderen Figuren des Films, bis auf den Kongressabgeordneten Stephen Collins (Ben Affleck), sind komplett fehlbesetzt. Russell Crowe mag als „Gladiator“ oder Bankräuber im Western „Todeszug nach Yuma“ geeignet sein, aber doch nicht als investigativer, unkonventioneller Journalist Cal McAffrey. Selten wurde eine Odd-Couple-Konfiguration so spannungsfrei umgesetzt.

Ungereimtheiten

Mit der ihm zur Seite gestellten Online-Redakteurin Della Frye (Rachel McAdams) freundet Cal sich bereits nach Hälfte des Films an. Die arme Helen Mirren mimt eine Chefredakteurin und müht sich mit Dialogen ab, die die Grenze zur unfreiwilligen Komik immer mal wieder überschreiten. Außerdem halten die Protagonisten Beweismaterial in einem Mordfall zurück und machen sich mitschuldig an der Ermordung zweier Menschen. Das ist für sie aber kein großes Ding, genauso wenig wie für die ermittelnden Kripobeamten. Anstatt die Schreiberlinge einzubuchten und dahin zu bringen, wo sie hingehören, wird nur ein bisschen rumgeplänkelt. Das ist aber nicht glaubhaft und schon gar nicht dramatisch.

Lösungen

Apropos. Das eigentliche Drama wäre es gewesen, „State of Play“ ganz aus der Perspektive von Stephen Collins zu erzählen, der seine Geliebte von einem Kriegskameraden beschatten lässt, herausbekommt, dass sie ihn anfangs ausgehorcht, sich dann aber in ihn verliebt hat und schwanger geworden ist. In den Augen des Beschatters ist sie eine Verräterin, die er beseitigt. Damit wäre das Drama komplett: Stephen Collins ist für die Ermordung der Frau verantwortlich, die er liebt und die ihn liebt. Das wäre das Schlimmstmögliche, also dramatisch richtig. Man müsste nur die Erzählperspektive wechseln.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 1 blauer Smiley und 6 schwarze traurige Gesichter für "State of Play"

Keine Zeit zu sterben (Cary Joji Fukunaga)

Es gibt ein spannendes Opening, schöne Städte- und Landschaftsaufnahmen und fulminante Actionszenen. Ansonsten alles wie gehabt: Am Ende rettet James Bond die Welt. Aber man schaut ja auch keinen James-Bond-Film, um große Überraschungen zu erleben. Da weiß man eben, was man hat. Das vermittelt Sicherheit, auch wenn James hier am Ende zu sterben scheint. Aber wer weiß?

Schwachpunkte

Der Agententhriller ist viel zu lang. Zwei Stunden Altbekanntes hätten vollauf genügt, zumal „Keine Zeit zu sterben“ vor Abstrusitäten nur so strotzt. Am Anfang fragt man sich noch, warum James Bond seiner hübschen Freundin Madeleine den Laufpass gibt? Hat sie ihn an Spectre verraten? Welche Anhaltspunkte hat er dafür? Der Boss von Spectre sitzt doch hinter Schloss und Riegel? Dann tauchen schon die nächsten Ungereimtheiten auf und irgendwann gibt man es auf, nach Antworten zu suchen. Spannung entsteht zu keiner Zeit. Ein einziges Mal fiebert man mit einer Person mit: Man hofft, dass Madeleines kleiner Tochter in den Fängen des Antagonisten Safin nichts geschieht. Aber der Film ist ja frei ab 12 Jahren. Also ist diese Sorge auch überflüssig.

Die weltweiten Einspielergebnisse relativieren im Grunde jede Kritik. Andererseits sind das ja nur Zahlen. Sind die Menschen so einfach gestrickt? Brauchen sie nur ein bisschen Action, Ballereien, einen siegreichen Helden mit einer schönen Frau an seiner Seite? Männerdialoge nach der Kinovorführung vor der Toilette scheinen diesen Verdacht zu bestätigen: „zu gefühlsduselig“, „zu viel Dialoge“. Also, noch mehr Ballereien oder wie?

Political correctness

Weitaus komplexer ist das Krebsgeschwür „Political correctness“, von dem viele aktuelle Kinoproduktionen befallen sind, auch die James Bond Filme. Damit keine Missverständnisse entstehen: Political correctness, Diversität, MeToo, Gewaltlosigkeit, Respekt, Antirassismus usw. sind alles wunderbare Sachen, haben aber bei der Entwicklung von Filmgeschichten überhaupt nichts verloren. Im Gegenteil. Ein guter Film braucht das Unkorrekte und die Dramatik, die daraus resultiert. Alles andere wird schnell langweilig.

Also, Miss Moneypenny ist jetzt Schwarzafrikanerin, genauso wie die neue 007: Nomi! Was dabei auf der Strecke bleibt, ist z.B. das liebevolle Geplänkel zwischen dem toupierten Bürodrachen Moneypenny und den kaum verhohlenen Anzüglichkeiten eines Sean Connery. Was auf der Strecke bleibt, ist die unerschütterliche Sturheit des wahren James Bond. Der hätte seine Wiederernennung zur 007 abgelehnt und seinem Boss „M“ etwas gehustet. Denn der hat ja in Tateinheit mit der britischen Regierung das Herakles-Programm mit zu verantworten – der Quell allen Übels.

Fazit

Ein echter James Bond fängt auch nicht fast an zu heulen, nur weil er seiner Verflossenen seine Liebe gesteht. Ein echter James Bond hätte die Hilfe seiner Nachfolgerin beim Showdown abgelehnt – egal ob schwarz, weiß, Mann oder Frau. Der hätte die paar dutzend Gangster alleine erledigt. Also, Zeit zu sterben.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 2 blaue Smileys und 5 schwarze traurige Gesichter für Keine Zeit zu sterben.

Lonely Hearts Killers (Todd Robinson)

Der Film ist zu einem Teil ein Krimi, zum anderen Teil ein Psychothriller. Aber anders als in „Hell or High Water“ (David Mackenzie) hat die Krimiebene hier eine erzählerische Funktion. Es fängt damit an, dass die Ehefrau von Detective Elmer Robinson (John Travolta) Selbstmord begeht und die Off-Stimme des Erzählers, seines Partners Charles Hildebrandt (James Gandolfini), für unglaubliches Tempo sorgt. Dieser Suizid ist der Schlüssel für die Ergreifung der Lonely-Hearts-Killers, die in den 40er Jahren in den USA tatsächlich mehrere Frauen betrogen und ermordet haben.

Ermittlungen

Elmer will der scheinbare Selbstmord einer jungen Frau, den er bei einem Kriminalfall untersucht, nicht so recht einleuchten. Stellvertretend für den unerklärlichen Freitod seiner Frau untersucht er akribisch den Tatort und kommt nach und nach dem Täterpaar auf die Spur. Das besteht aus dem Hochstapler und Heiratsschwindler Ray Fernandez (Jared Leto) sowie seiner Geliebten Martha Beck (Salma Hayek). Beide verbindet ein krankhaftes Liebesverhältnis, in dem Martha die treibende und mörderische Kraft ist. Nach ihrer Festnahme fragt sie Elmer beim Verhör, ob er – so wie sie – jemals einen Menschen getroffen hat, der bereit war, für ihn zu töten? Elmer schweigt und denkt an seine verstorbene Frau.

Handwerk

Die Ausstattung, die Kamera – alles perfekt. Die Schauspieler sind allesamt herausragend. Wenn die drei Detectives der Mordkommission sich anfrotzeln, dann geht es richtig zur Sache. Überhaupt ist „Lonely Hearts Killers“ hart. Das liegt nicht nur an den Dialogen, sondern vor allem am abgründigen Treiben der Mörder. Manchmal ist es zu hart. Wenn Martha und Ray am Ende nicht nur seine Brieffreundin Delphine umbringen, sondern auch noch deren kleine Tochter, wird eine Grenze überschritten.

Zurecht hat Alfred Hitchcock selbstkritisch festgestellt, dass ein Kind im Film sterben zu lassen, nichts anderes als Verrat am Kino ist (s. Die Defätismusskala). Der wird damit gerechtfertigt, dass es sich im tatsächlichen Fall auch so zugetragen hat. Das ist aber – mit Verlaub – Unfug. Denn ein Filmemacher nimmt immer Eingriffe vor. Die tatsächliche Martha war eine eher unattraktive, schwergewichtige Frau. Die wurde in der Verfilmung dargestellt durch die bildhübsche Salma Hayek. Also, warum dieser Verrat, der einen letztlich deprimiert zurücklässt?

Finale

Ein weiterer Schwachpunkt ist die finale Annäherung zwischen Elmer und seinem Sohn. Das wirkt im gezeigten Ausmaß ein bisschen aufgesetzt, so als wollte man einen gefühlsmäßigen Ausgleich fürs depressive Geschehen sorgen. Das erreicht dann noch mal seinen Höhepunkt durch den Vollzug der Todesstrafe auf dem elektrischen Stuhl. Die Grausamkeit der Darstellung mag zwar ein Plädoyer gegen die Todesstrafe sein, aber sie lässt Elmer ebenso unbefriedigt zurück wie den Zuschauer. Grausamkeit kann man eben nicht durch Grausamkeit vergelten.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 5 blaue Smileys und 2 schwarze traurige Gesichter für "Lonely Hearts Killers"

Der Tod und das Mädchen (Roman Polanski)

Dieser spannende Psychothriller ist zugleich das intelligenteste Rachedrama der Filmgeschichte. Es beruht auf einer starken Vorlage des chilenischen Autors und Literaturprofessors Ariel Dorfman. Sein Theaterstück „Der Tod und das Mädchen“ ist auch eine Metapher über Missbrauch und Leid, über Täter und Opfer. Alles passiert in einer Nacht in einem einsam gelegenen Landhaus. Die Vorgeschichte ist zu Zeiten einer südamerikanischen Militärdiktatur angesiedelt, in der politische Gegner misshandelt und gefoltert wurden. So auch die Protagonistin Paulina Escobar, herausragend gespielt von Sigourney Weaver. Nicht minder exzellent ist das Schauspiel der männlichen Figuren, ihres Ehemannes, des Rechtsanwalts Gerardo Escobar (Stuart Wilson) sowie des Folterers, des Arztes Dr. Roberto Miranda (Ben Kingsley).

Die Geschichte

Das Theaterstück war als Vorlage geradezu prädestiniert für Roman Polanski, der – auch aufgrund eigener Erfahrungen im Krakauer Ghetto – wie kaum ein anderer die Traumata, die klaustrophobische Enge und die bedrohliche Atmosphäre in Szene setzen konnte.
Von Beginn an geht es zur Sache. Beim ersten verdächtigen Geräusch greift Paulina zur Pistole, die sie bis zum Schluss nicht mehr loslässt. Die Bedrohung ist allgegenwärtig. Wie ein gehetztes Tier geistert Paulina durch ihre Umgebung, um die Dämonen der Vergangenheit abzuschütteln. „Was ist mit den Lebenden?“, fragt sie anklagend ihren Mann, der gerade zum Vorsitzenden einer Regierungskommission zur Aufarbeitung von getöteten Oppositionellen berufen worden ist. Einer, der ihr das Leben zur Hölle gemacht hat, ist ihr Folterer Dr. Miranda. Zufällig hilft er Gerardo bei einer Wagenpanne und taucht im Landhaus auf. Paulina erkennt ihren Peiniger an seiner Stimme und seinem Geruch. Mit der Pistole in der Hand dreht sie nicht einfach den Spieß um – das wäre zu plump -, sondern stellt ihm ein Ultimatum: Entweder er legt ein Geständnis ab oder er stirbt. Eine Deadline – um 6 Uhr morgens erscheinen die Personenschützer – eskaliert den Druck.

Dramaturgie

Patricia Highsmith hat einmal postuliert, dass eine gute Geschichte so nahe wie möglich vor ihrem Ende anfangen sollte. Der dramatische Ertrag dieser klugen Erkenntnis wird hier beispielhaft demonstriert. Eine Nacht – nicht mehr und nicht weniger – dient der Enthüllung grausamer Taten und Qualen. Dafür werden keine Folter- oder Missbrauchsszenen benötigt. Alles spielt sich in den Köpfen, Gesichtern und Handlungen der drei Protagonisten ab. Reactionshots, denn „Movies are not action. They are reaction.“ (so der US-amerikanische Drehbuchautor Dudley Nichols). Die Dialoge sind schonungslos. Es ist die Nacht der Wahrheit.

Finale

Bis zum Schluss von „Der Tod und das Mädchen“ versucht Gerardo – ganz Anwalt – die Schuld Dr. Mirandas anzuzweifeln, womit Paulina ganz auf sich allein gestellt ist. Dramaturgisch vorbildlich. Auch ein angebliches Alibi kann oder will Gerardo nicht als Fälschung identifizieren. Dafür benötigt es dieses geniale Ende: Paulina steht mit dem gefesselten Dr. Miranda und ihrem Mann auf dem Felsen, von dem sie zuvor schon den Wagen ihres Peinigers in die Tiefe gestürzt hat. Erst jetzt, angesichts des Todes und der aufwühlenden Nacht, gesteht Miranda seine Vergewaltigungen und Misshandlungen. Jetzt ist es ein echtes Eingeständnis. Deshalb befreit Paulina ihn von den Fesseln, was auch zugleich – zumindest ein Stück weit – eine Befreiung für sie ist. Sein Tod hätte ihr keine Erleichterung gebracht. Da auch Gerardo den Folterer seiner Frau nicht in den Abgrund stürzt und Dr. Miranda nicht den Mut für einen Selbstmord aufbringt, erwartet ihn das schlimmstmögliche Ende: das Weiterleben unter dem Eingeständnis seiner Taten.

Das verdeutlicht auch die Schlußszene in der Oper. Während Paulina wieder in der Lage ist Schubert zu hören („Der Tod und das Mädchen“) – die musikalische Untermalung während ihrer Folterungen – und sich den Darbietungen auf der Bühne widmet, starrt Dr. Miranda von seiner Loge auf sein ehemaliges Opfer herab. Jetzt ist er das gehetzte Tier und er wird es Zeit seines Lebens bleiben. Ein geniales Drama, das Hoffnung macht.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 7 blaue Smileys für "Der Tod und das Mädchen"

Tränen der Sonne (Antoine Fuqua)

Ein spannender Kriegsthriller, der zeitlich wohl auf den Militärputsch des Diktators Sani Abacha in Nigeria 1993 beruht. Aufrührerische Rebellen ermorden den gewählten Präsidenten samt Familie, übernehmen die Macht und verbreiten durch „ethnische Säuberungen“ Angst und Schrecken. „Tränen der Sonne“ besticht mit einer einfachen Geschichte, mit der Einheit von Zeit, Raum und Handlung: Der US-amerikanische Lieutenant Waters (Bruce Willis) hat den Auftrag, mit einer kleinen Spezialeinheit Dr. Lena Kendricks, amerikanische Ärztin in einer christlichen Mission, in Sicherheit zu bringen.

Der Hook

Scheinbar kein großes Ding. Doch Dr. Kendricks weigert sich, ohne ihre afrikanischen Patienten und Schützlinge die Mission zu verlassen. Waters steckt in der Bredouille. Eigentlich will er hier nur schnell seinen Befehl ausführen. Also gaukelt er Dr. Kendricks vor, nicht nur sie, sondern auch ihre Schützlinge zu evakuieren. Zu Fuß wandert die Kolonne zum verabredeten Hubschrauberlandeplatz. Damit hängen Waters und seine Männer aber am Haken. Nach und nach entwickeln sie Gefühle für die Flüchtlinge und können nach einem grausamen Massaker der nigerianischen Truppen an den Zurückgebliebenen der Mission nicht mehr einfach zur Tagesordnung übergehen. Waters widersetzt sich seinem Befehl und beginnt mit der Evakuierung der gesamten Flüchtlingsgruppe. Die Schwächsten lässt er mit einem Helikopter in Sicherheit bringen. Den Rest will er mit seinen Männern ins 60 Kilometer entfernte Kamerun führen.

Dramaturgie

Das ist schon genial angelegt: Eine Rettungsmission von A nach B mit einer mordgierigen Rebelleneinheit auf den Fersen. Wie vorbildlich die Spannung eskaliert wird, demonstriert eine kleine Episode im nächtlichen Dschungel: Auf ihrem Weg zum Hubschrauberlandeplatz kommen den Flüchtlingen schwer bewaffneten Rebellen entgegen. Waters gibt den Befehl, sich im Dschungel zu verstecken und keinen Laut von sich zu geben. Das gilt auch für das unruhige Baby, dem Dr. Kendricks den Mund zuhält. Die Rebellen ziehen dicht an den versteckten Flüchtlingen vorbei. Das Baby wird unruhig. Einer der Rebellen schöpft Verdacht und beginnt, das Gelände neben dem Pfad zu durchsuchen. Fachgerecht wird nicht nur hier die tödliche Gefahr retardiert und bis zum Maximum ausgereizt.

Die Figuren

Die Hauptfiguren sind interessant, belauern und belügen sich und durchlaufen eine Entwicklung. Noch kurz vor Ende rechtfertigt Dr. Kendricks ihr Wissen um die Anwesenheit dreier Verräter in der Gruppe: „Ich konnte Ihnen (Lt. Waters) nicht vertrauen.“ „Was muss man tun, um Ihr Vertrauen zu gewinnen?“, antwortet Lt. Waters. Überhaupt sind die Dialoge spannend und hintergründig. Als Waters noch in der Mission mit Dr. Kendricks Wunsch nach einer gemeinsamen Evakuierung konfrontiert wird, stellt er eine Satellitenverbindung zu seinem Befehlshaber her. Der Zuschauer erfährt nicht, was der Captain sagt, nur dass Waters nach dem Telefonat scheinbar auf das Verlangen eingeht. Einer von Waters Leuten stellt den Lieutenant zur Rede: „Was hat der Captain gesagt?“ Waters schaut ihn gar nicht an als er antwortet: „Was glaubst du wohl, was der Captain gesagt hat?!“ Das ist super. Man muss schon mitdenken, um auf dem Laufenden zu bleiben. Hinzu kommt noch eine herausragende Kameraarbeit.

Schwachpunkte

„Tränen der Sonne“ von Antoine Fuqua ist drauf und dran, die gesamte Punktzahl einzufahren, bis er in der zweiten Hälfte alles in den Sand setzt. Es fängt mit einer Episode an, die eine grausame „ethnische Säuberung“ in einem kleinen Dorf zeigt. Waters und seine Leute könnten das Dorf umgehen. Aber sie ergreifen Partei und töten die Rebellen. Diese Szene ist viel zu lang, zu grausam und besitzt eigentlich keine Handlungsrelevanz. Sie dient nur der plumpen Heroisierung amerikanischer Militäreinsätze in ausländischen Kriegsgebieten. Und so geht es dann weiter.

Konflikte

Als Waters nach der Enttarnung der drei Verräter seine Männer nach dem weiteren Vorgehen befragt, antworten alle unisono: Ich bin dabei. Das ist aber unklug und auch undramatisch. Besser wäre hier ein Konflikt gewesen und die Verräter ihrem Schicksal zu überlassen. Denn sie sind ja das eigentliche Ziel der Verfolger, weil sich unter ihnen ein Sohn des ermordeten Präsidenten befindet. Dass der ein Symbol für Demokratie, Frieden und Fortschritt sein soll, mag man auch nicht so recht glauben. Üblicherweise wird in diesen Regionen doch ein korrupter Präsident durch den anderen ersetzt.

Finale

Richtig schlimm ist dann das pathetische, verlogene Ende, das eine Last-Minute-Rescue durch amerikanische Kampfflugzeuge zeigt. Als wenn die Amerikaner jemals mit ihren militärischen Auslandseinsätzen für die Befriedung von Regionen gesorgt hätten? Gibt es solche Einsätze? Zumindest im Film dürfen wir das mal erleben. Unterstützt von der domestizierenden Filmmusik Hans Zimmers erfahren wir jetzt das ganze Ausmaß dessen, was sich hinter dem schmalzigen Filmtitel „Tränen der Sonne“ verbirgt: Pathos zum Abwinken. US-Soldaten als Retter armer verfolgter Schwarzafrikaner. Da nimmt sogar Dr. Kendricks am Ende den arg lädierten Lt. Waters an ihren wohlgeformten Busen. Schade, kann man da nur sagen. Wie auf intelligente Art und Weise die Fragwürdigkeit derartiger Militäreinsätze thematisiert und gleichzeitig eine spannende Geschichte erzählt wird, zeigen z.B. „Black Hawk Down“ von Ridley Scott oder „Lone Survivor“ von Peter Berg.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 4 blaue Smileys und 3 schwarze traurige Gesichter für "Tränen der Sonne"

Nightcrawler (Dan Gilroy) USA 2014

„Nightcrawler“ von Dan Gilroy ist ein grandioser Psychothriller mit einem genialen Jake Gyllenhaal in der Rolle des gewalttätigen Kleinkriminellen Louis Bloom. Ein konzentriertes Psychogramm eines intelligenten Soziopathen, der schließlich als rücksichtsloser Sensationsreporter seine „Berufung“ findet und buchstäblich über Leichen geht. Louis operiert ebenso abstoßend wie faszinierend. Gefühle sind ihm fremd. Er imitiert sie nur, wenn er ein Vorteil wittert. Nach eigenem Bekunden mag er keine Menschen, weil er sie nicht versteht. Er braucht sie, um Macht auszuüben und um zu überleben. Er zitiert gängige Business-Strategien und lobt seine Kunden aus taktischen Gründen. Louis ist ein Crime-Paparazzi wie er im Buche steht: „Wer mich sieht, hat den schlimmsten Tag seines Lebens.“ Alle Nebenfiguren sind ebenso hervorragend besetzt. Allen voran die alternde Nachrichtenchefin Nina Romina (Rene Russo) und sein Praktikant Rick Carey (Riz Ahmed).

Dramaturgie

Die Spannung wird vorbildlich eskaliert. Nachdem Louis seinen einzigen Konkurrenten erledigt hat, ist er als erster am Tatort einer feudalen Villa, in der die Bewohner von Killern ermordet wurden. Louis filmt nicht nur das Blutbad, sondern auch die fliehenden Mörder, was er gegenüber der Polizei verheimlicht. Deren Festnahme inszeniert er nach allen Regeln der Kunst. Dabei nimmt er nicht nur den Tod der beiden Killer in Kauf, sondern auch den seines Praktikanten und eines Polizeibeamten. Der Film ist auch eine gnadenlose Abrechnung mit den Mechanismen aktueller Fernsehberichterstattung in den USA (hierzulande wäre so etwas kaum denkbar). Letztlich liefert Louis nur das, wonach die Medien gieren: Mord und Totschlag – hautnah und schonungslos. Durch ständiges Elliptieren wird ein rasantes Erzähltempo vorgelegt und die Zuschauer zum Mitdenken animiert. Die Dialoge sind überraschend und hintergründig, ein Baustein der sogartigen Spannung.

Schwachpunkte

„Nightcrawler“hat zwei kleine Schwachpunkte: Wenn Louis die Bremsleitung am Fahrzeug seines Konkurrenten ansägt, dann müsste nach dessen tödlichem Verkehrsunfall die Spurensicherung eigentlich dem Sabotageakt auf die Schliche kommen. Louis’ ständige Grenzüberschreitungen an Unfall- und Tatorten werden juristisch nur ein einziges Mal beanstandet, was die Verpixelung von Mordopfern zur Folge hat. Da hätte man sich schon ein bisschen mehr Gegenwind vorstellen können, sowohl von Polizisten vor Ort oder von gefilmten Opfern und deren Angehörigen.

Finale

„Nightcrawler“ endet mit einer Drohung des weiblichen Detectives, Louis des Mordes zu überführen und mit einem erneuten Zeitsprung. Sämtliche Ermittlungen sind offensichtlich ins Leere gelaufen, da alle Zeugen des letzten Überfalls gestorben sind und Louis nichts nachzuweisen ist. Im Schlussbild hält er eine Ansprache vor seinen neuen Praktikanten und vor neuen Produktionsfahrzeugen: „Ihr müsst nichts tun, was ich nicht auch tun würde.“ Nur Bloom und die Zuschauer wissen um die tiefere Bedeutung dieser scheinbar harmlosen Floskel. Das Grauen ist weiterhin unter uns.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 7 blaue Smileys für "Nightcrawler"

Gone Girl (David Fincher) USA 2014

Dieser Psychothriller, nach einem Bestseller von Gillian Flynn, ist eigentlich ein Whodunit. „Gone Girl“ ist aufgebaut wie ein spannendes, komplexes Puzzlespiel, das eine emotionale Nähe zu den Protagonisten – wie bei den meisten Filmen von David Fincher – vermeidet und den Zuschauer deprimiert zurücklässt.

Mysterien

Man weiß anfangs nicht, was und wem man glauben soll und das sorgt für Spannung (produktive Irritation). Leider bleibt im Verlauf von „Gone Girl“ bis zum Schluss vieles mysteriös, was eine Synchronisation der Gefühle mit den Hauptfiguren verhindert. Wieder einmal erliegt Fincher seiner Vorliebe fürs Rätselhafte, was man (wie in „Sieben“) auch hier an den verschlüsselten Hinweisen in mehreren Briefumschlägen sehen kann, die entweder die verschwundene Ehefrau Amy oder ihr verdächtiger Ehemann Nick an verschiedenen Stellen deponiert hat.

Whodunit

Aber eigentlich ist es keine Kunst, ein Rätsel zu stellen. Dahinter steckt die Haltung eines allwissenden Fädenziehers, der sich einen Spaß daraus macht, den Betrachter an der Nase herumzuführen. Schnitzeljagd. Ich sehe was, was du nicht siehst. Das sorgt aber bestenfalls für kurzfristige Spannung oder momentane Überraschungen, oftmals für Verwirrung, aber nicht für Emotionen: „Zum Beispiel handelt es sich in einem Whodunit nicht um Suspense, sondern um eine Art intellektuelles Rätsel. Das Whodunit erweckt Neugier, aber ohne jede Emotion… Eben deshalb mag ich die Whodunits nicht. Mich erinnert das an Puzzlespiele oder an die Kästchen beim Kreuzworträtsel. In aller Ruhe wartet man die Antwort ab auf die Frage: Wer war’s (hier war’s die Ehefrau)? Kein bisschen Emotion.“ (Alfred Hitchcock in „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht von Francois Truffaut).

Informationsfluss

Eben das ist der Punkt: Der mangelhafte Informationsfluss (s.a. Filmrezension zu „Anna“). Wir sehen, dass es Nick schlecht geht, aber erfahren nicht warum. Wird er nun fälschlicherweise eines Verbrechens beschuldigt oder plagen ihn die Gewissensbisse eines Mörders, dem eine Enttarnung droht? Weil wir darüber im Unklaren gelassen werden, haben wir auch keine Chance, mit den Hauptpersonen mitzufiebern.

Finale

Sehr gut ist die Installation des Reality-TV-Senders als allgegenwärtiger, allmächtiger und verkommener Beichtstuhl-Ersatz, der an allem interessiert ist, nur nicht an Kategorien wie Moral, Wahrheit oder Gerechtigkeit. Das offene Ende ist nichts anderes als Verrat am männlichen Protagonisten, der sich offensichtlich in sein Schicksal ergibt. Dabei müsste Nick nach der Erkenntnis, mit einer Psychopathin und Mörderin verheiratet zu sein, im Grunde den Spieß umdrehen. Jetzt, wo alle Welt weiß, dass er fälschlicherweise eines Mordes verdächtigt wurde, müsste er sich ihrer entledigen. Jetzt würde man ihn doch nicht mehr so leicht verdächtigen.

Lösungen

Außerdem: Amys Version, von ihrem ehemaligen Freund Desi Collings entführt worden zu sein, kann doch nur stimmen, wenn der Beschuldigte zur Tatzeit kein Alibi hatte. Das wird totgeschwiegen. Weiter: Von wem soll Amy denn am Ende schwanger sein? Da es Nick nach eigenem Bekunden nicht war, kommt nur Desi Collings in Frage. Dem ließe sich aber beizeiten mit einem Vaterschaftstest auf den Grund gehen. Diese Lösung wäre besser gewesen: Die ganze Geschichte aus Amys Sicht zu erzählen, den Zuschauer mit Informationen zu füttern und als Komplizen zu instrumentalisieren, so wie es Patricia Highsmith mit der Figur des Tom Ripley demonstriert hat.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 2 blaue Smileys und 5 schwarze traurige Gesichter für "Gone Girl"

Anna (Luc Besson) F 2018

Dieser Agententhriller ist ein schaler Aufguss eines früheren, viel besseren Films von Luc Besson, nämlich „Nikita“. Hauptproblem ist die völlig unglaubwürdige Figur der KGB-Agentin Anna, die keinerlei Emotionen vermittelt. Dazu tragen auch die unmotivierten Zeitsprünge der Filmerzählung bei, die manchmal zwar überraschend sind, aber auch immer für Distanz sorgen.

Schwachpunkte

Dieser nicht-chronologische Unfug wird einem zwar als modern verkauft, ist aber nichts anderes als ein Ablenkungsmanöver, um die narrativen Defizite zu verschleiern. Außerdem sind sie antidramatisch und somit fehl am Platze. Ein Beispiel: Wenn Anna einen deutschen Diplomaten in seinem Hotelzimmer heimsucht, dann kehrt sie als nächstes zwar verspätet aber erfolgreich von ihrer Mission zur KGB-Einheit zurück. Da stellt sich doch Erleichterung ein.

Überraschung vs. Suspense

Erst später erfahren wir in einer Rückblende von den Gefahren, mit denen sie im Zimmer in Gestalt des CIA-Agenten Miller und seinen Leuten konfrontiert wurde. Das ist eine Überraschung – Emotionen, die ca. drei Sekunden währen. Viel besser wäre es gewesen, wenn wir mit ihr diese Gefahren durchlebt hätten und Zeugen ihrer Lügen gegenüber der KGB-Chefin geworden wären. Letztlich ein Frage des Informationsflusses. Also versorge ich den Zuschauer mit dramatischen Informationen (Suspense) oder enthalte ich sie ihm vor (Überraschung). Meister Hitchcock stellt die Sache klar: „Daraus folgt, dass das Publikum informiert werden muss, wann immer es möglich ist.“ („Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ von Francois Truffaut).

Dramaturgie

Also, es ist ein dramaturgischer Vorteil, wenn die Zuschauer mehr Informationen haben als Teile der handelnden Personen. Wer jemals beim Kasper-Theater war, wird sich vielleicht an das Krokodil erinnern, das im Hintergrund auftaucht und von Kasper noch nicht wahrgenommen wird, wohl aber von den Zuschauern. So eine dramatische Situation wird natürlich retardiert. Das dauert bis zu einer halben Minute, bis Kasper im letzten Moment die Zurufe der Kinder erhört und das Krokodil unschädlich machen kann. Das ist Suspense.

Ungereimtheiten

Außerdem wartet der Film mit einer Fülle von Abstrusitäten auf: Nach ihrer Ausbildung zur Agentin darf Anna in Paris eine ganze Reihe von Gegnern eliminieren, inszeniert im Stile eines Killer-Potpourri. Das könnte sich die Auslandsabteilung des KGB aber nie und nimmer erlauben. Schon ein einziger Mord würde sofort Ermittlungen, diplomatische Verwicklungen und Sanktionen nach sich ziehen (s. Fall Litwinenko oder Tiergartenmord).

Geradezu lächerlich sind die Schießereien im Moskauer Restaurant und in der KGB-Zentrale. Gerade da fragt man sich, ob nicht wenigstens einer der vielen KGB-Leute, die sie da erledigen kann, eine ähnlich gute Ausbildung wie sie erhalten hat? Jedenfalls wird sie auf wundersame Weise von gegnerischen Tritten und Kugeln verschont. Und wenn man sie erwischt hätte, wäre es einem auch egal gewesen. Das ist eben einer der Unterschiede zum Agententhriller „Red Sparrow“. Da zittert man mit der Heldin mit. Aber da stammt die Vorlage auch von einem Ex-CIA-Agenten und nicht von einem alternden Filmemacher, der sich einfalls- und lustlos abstrampelt, kalten Kaffee aufzuwärmen.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 1 blauer Smiley und 6 schwarze traurige Gesichter für Anna.

Ein wahres Verbrechen (Clint Eastwood)

Eigentlich beruhigend, dass Clint Eastwood in der Spätphase seines Schaffens, in der eine Reihe von Meisterwerken entstanden sind, auch mal einen Film richtig in den Sand gesetzt hat. Immerhin widmet er sich in „Ein wahres Verbrechen“ einem klassischen Erzählmotiv („Unschuldig Beschuldigt“). Er baut Spannung auf und reizt die Deadline natürlich bis zum Äußersten aus – Handwerk eben. Eindrucksvoll ist die dokumentarisch anmutende Inszenierung der Hinrichtung. Spätestens wenn sich der Vorhang vor dem hell erleuchteten Lager des Todgeweihten öffnet, wähnt man sich als unfreiwilliger Zuschauer einer makabren Theateraufführung. Das sind die Stärken dieses Films, der auch ein schonungsloses Plädoyer gegen die Todesstrafe ist.

Schwachpunkte

Wie in vielen seiner Filme spielt Clint Eastwood auch in „Ein wahres Verbrechen“ den Helden, und zwar den Journalisten Steve Averett, einen „Lonely Wolf“ mit ausgeprägter Spürnase. Völlig unglaubwürdig ist allerdings sein Gespür für die Unschuld des zum Tode verurteilten Frank Beechum, wofür er gerade mal einen halben Tag benötigt. Damit werden aber auch sämtliche polizeilichen Ermittlungen und juristischen Verfahren, die sich ja vorab monatelang hingezogen haben werden, ad absurdum geführt. Hinzu kommt eine ganze Menge privater Schnickschnack, der keinerlei Handlungsrelevanz besitzt. Das wiederholte Flirten des ca. 70-jährigen Helden mit jungen Mädchen, die seine Avancen dann auch noch erwidern, wirkt einfach peinlich. Seine Eheprobleme und Seitensprünge haben mit der Geschichte überhaupt nichts zu tun. Sie dienen dem Regisseur nur der Verarbeitung privater Eheprobleme und sind immer wieder Thema in seinen Filmen („Erbarmungslos“, „American Sniper“, „The Mule“ usw.). Ebenfalls völlig überflüssig ist der tödliche Verkehrsunfall seiner jungen Kollegin.

Lösungen

Folgendes wäre besser gewesen: Eine Konzentration auf den Justizirrtum, dem ja ein tatsächlicher Fall („True Crime“ nach einem Roman von Andrew Klavan) zugrunde liegt. Eine zeitliche Erweiterung der Deadline auf mindestens eine Woche, damit seine Ermittlungsarbeit eine Glaubwürdigkeit erhält. Vor allem aber wäre es dramaturgisch besser gewesen, wenn Averett nicht sofort an die Unschuld des Verurteilten geglaubt hätte. Er hätte gezwungen werden müssen, diesen Auftrag anzunehmen, quasi seine letzte Chance. Besser wäre auch die Etablierung einer Antipathie zwischen Averett und Beechum gewesen (Odd Couple). Kurz vor Ultimo wäre er dann auf entlastendes Material gestoßen. Rest wie gehabt.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 2 blaue Smileys und 5 schwarze traurige Gesichter für "Ein wahres Verbrechen"