Mit „Leichen pflastern seinen Weg“ hat Sergio Corbucci einen der politischsten Western gedreht, der als „Schneewestern“ in die Filmgeschichte eingegangen ist. Als Produkt der 68er Jahre ist er natürlich auch als Metapher zu verstehen, und zwar auf einen Raubtierkapitalismus, der sich aus Gründen der Profitgier Gesetze zu eigen macht oder zurechtbiegt und dabei auch vor Mord und Totschlag nicht zurückschreckt. Insofern hat der Film etwas sehr Modernes. „Mein Gesetz ist das Gesetz des Überlebens“, postuliert Kopfgeldjäger Loco (Klaus Kinski), nachdem er den Sheriff ermordet hat. Am Ende massakriert er mit seinen Kumpanen alle, die sich ihm in den Weg stellen, ob Mann oder Frau, ob hilflos oder nicht, ob alt oder jung – egal. Durch dieses verstörende und überraschende Ende hat der Film eine Bedeutung in der Filmgeschichte bekommen, die er aus gestalterischen Gründen eigentlich nicht verdient.
Stärken
Ein schöner Einfall ist es, mit Silence (Jean-Louis Trintignant) einen stummen Helden zu etablieren. Zusammen mit der Schneekulisse schafft Corbucci damit eine sehr visuelle und prägende Atmosphäre. Außerdem gibt es ein klassisches Erzählmotiv, nämlich Rache. Die attraktive Pauline dreht nach der Ermordung ihres steckbrieflich gesuchten Mannes den Spieß um und setzt nun ihrerseits ein Kopfgeld auf den Mörder aus. Die Verwendung dieses Motivs ist ein großer dramatischer Vorteil. Auch Überraschungen – sofern sie denn nicht der Handlungslogik und Plausibilität widersprechen – sind für jeden Film ein Gewinn. Insofern kann der Film auch mit seinem ungewöhnlichen Ende punkten. Hervorzuheben sind ebenfalls die stimmungsvolle Filmmusik von Enno Morricone sowie die dynamische Montage mit ihrem häufigen Wechsel von Nahaufnahmen zu Halbtotalen oder Totalen.
Gut und Böse
Sind hier im Grunde klar verteilt, was zwar für Verständlichkeit sorgt, aber eben nicht für Überraschungen. In dieser klaren Kategorisierung gibt es zwei Brüche: So ganz uneigennützig verrichtet der Held seine Dienste dann doch nicht. Schließlich verlangt er 1.000 Dollar für die Ausführung seines Jobs, genauso viel wie Kopfgeldjäger Loco für die Leiche von Paulines Ehemann bekommt. Die Rechtmäßigkeit seines Tuns hinterfragt er genauso wenig wie sein Widersacher. Damit begibt er sich aber auf dessen Ebene. In diesem Moment ist er nicht besser als Loco. Zweitens scheut Pauline sich nicht, mangels Barmittel, ihren Körper als Bezahlung anzubieten, was Silence veranlasst, sich schnurstracks an die Arbeit zu machen. Auch dieser Akt der Prostitution wird nicht weiter hinterfragt.
Schwächen
Es gibt erhebliche Defizite bei der Gestaltung des Films. Immer wieder glaubt Corbucci, den Zuschauer mit Erklärungen beglücken zu müssen. So gibt der Anführer der Vogelfreien schon in der Anfangssequenz überflüssige Erläuterungen über die Fähigkeiten und Absichten des Helden zum Besten. Dabei haben wir Ersteres gerade beobachten dürfen und Letzteres erschließt sich im Verlauf der Handlung. So geht das dann munter weiter. Ein Duell zwischen Silence und Kopfgeldjäger Charly kommentieren die anwesenden Gäste wie folgt: „Charly war immer ein besonders schneller Schütze, aber der andere war schneller“. Tja, das haben wir aber gerade eben gesehen. Die einfach gestrickten erzählerischen Fähigkeiten des Regisseurs drücken sich auch in Paulines Liebeserklärung an Silence aus. Wie bitte? Ihr Mann ist gerade ermordet worden und den Helden hat sie bis dato zweimal getroffen. Schon ein atemberaubend schneller Gefühlswechsel. Der entscheidende dramaturgische Fehler ist aber die späte Platzierung des Rachemotivs: Als Pauline den Auftrag auslobt und die eigentliche Geschichte beginnt, ist schon ein Drittel des Films vorbei. In „Erbarmungslos“, der eine ähnliche Geschichte erzählt, demonstriert Clint Eastwood, wie es richtig gemacht wird.
Fazit
„Leichen pflastern seinen Weg“ wird in Erinnerung bleiben. Dafür sorgen in erster Linie die Schneelandschaft und das brutale Ende. Sie können aber nicht über Corbuccis handwerkliche Limitierungen hinwegtäuschen. Mit einem Sergio Leone kann er nicht mithalten.
