Der Flug des Phoenix (Robert Aldrich) USA 1964

„Der Flug des Phoenix“ von Robert Aldrich ist ein spannender Abenteuerfilm nach dem gleichnamigen Roman von Elleston Trevor. Er handelt vom Überlebenskampf einer Gruppe von Insassen eines Transportflugzeuges, das in einem Sandsturm in der Nordsahara notlanden muss. Ab diesem Moment fungiert der zur Neige gehende Wasservorrat als tickende Zeitbombe. Auch hier zeigt sich: Die Anwendung der Einheit von Zeit, Raum und Handlung ist ein erzählerischer Vorteil. Allerdings – 60 Jahre nach seiner Herstellung hat dieses Abenteuer ein bisschen Wüstenstaub angesetzt.

Die Geschichte

Den Absturz einer Transportmaschine der Ölgesellschaft ARABCO in der Sahara überleben 12 von insgesamt 14 Insassen. Unter ihnen der Pilot Frank Towns (James Stewart) und sein Navigator Lew Moran (Richard Attenborough). Ihre Hoffnung gilt Suchmannschaften, die sie aus der Luft aufspüren könnten. Doch während die Hilfe auf sich warten lässt, neigen sich Wasser- und Lebensmittelvorräte dem Ende zu. Alle Rettungsversuche auf eigene Faust enden tödlich.

Anschließend übernimmt der deutsche Flugzeugkonstrukteur Heinrich Dorfmann (Hardy Krüger) das Kommando. Er will aus funktionstüchtigen Teilen des Wracks ein neues Fluggerät bauen. Der Plan mutet zwar verrückt an, schweißt die Männer aber letztlich zusammen. Sehr schön ist die Überraschung, als Frank Towns herausfindet, dass Dorfmann nur Konstrukteur von Modellflugzeugen ist. Aber letztlich ist die Montage des abenteuerlichen Fluggeräts ihre einzige Hoffnung. Am Ende schaffen sie es tatsächlich, damit die rettende Oase zu erreichen.

Die Figuren

Schön ist der Konflikt zwischen dem älteren erfahrenen Piloten Frank Towns und dem jungen Ingenieur Heinrich Dorfmann. Dessen Arroganz bringt Towns ein ums andere Mal buchstäblich auf die Palme: „Sie benehmen sich, als wäre Borniertheit eine Tugend.“ Towns reagiert mit verletzter Eitelkeit: „Ich vertrage nicht, dass mir jemand sagt, was ich tun soll.“ Diese Streitigkeiten steigern die Spannung, hätten aber durchaus eskaliert werden können. Also, ein Zweikampf um die Macht am Unfallort. Immerhin steht das Überleben aller auf dem Spiel.

Schwachpunkte

Verglichen mit heutigen Maßstäben (zum Beispiel „The Revenant“) wirken Special Effects und Masken schon etwas antiquiert. Ab und zu gibt es Logbucheintragungen von Flugkapitän Towns. Die sind allerdings sehr sachlich gehalten. Für einen intensiveren Einstieg in innere Befindlichkeiten wären Tagebucheintragungen oder eine innere Stimme des Protagonisten tauglicher gewesen.

Wenn Frank Towns im Angesicht der Ermordung von Captain Harris und Dr. Renaud durch die Beduinen ein lahmendes Kamel erschießt, dann müsste dessen Tod Konsequenzen haben. Schließlich sind alle Überlebenden am Verhungern und Verdursten. Auch der mögliche Verzehr der Getöteten (Kannibalismus) könnte oder müsste für einen Konflikt sorgen, so wie es zum Beispiel „Im Herzen der See“ von Ron Howard thematisiert. Durch die Ignoranz der Hungergefühle – also von Authentizität – verspielt der Film einen erheblichen Teil seiner dramatischen Glaubwürdigkeit. Die völlige Abwesenheit von Frauen unter den Überlebenden ist ebenfalls ein dramaturgischer Fehler. Ihre Anwesenheit hätte das Konfliktpotenzial erweitert.

Fazit

Trotz seiner Defizite ist „Der Flug des Phoenix“ insgesamt ein sehenswerter Abenteuerfilm, den man insbesondere an kalten Wintertagen gut anschauen kann.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 4 blaue Smileys und 3 schwarze traurige Gesichter für "Der Flug des Phoenix".

Stand by me (Rob Reiner) USA 1986

Was für ein wundervoller Film! „Stand by me“ ist wieder ein kleines Meisterwerk aus der produktiven Zusammenarbeit von Rob Reiner und Stephen King (s.a. „Misery“). Entstanden ist ein berührender Coming-of-Age-Abenteuerfilm nach Kings Roman „Die Leiche“. Hauptpersonen sind vier 12-jährige Jungs, die im fiktiven Castle Rock (Oregon) leben. Der etwas dickliche Vern hat ein Gespräch von Mitgliedern einer Jugendbande belauscht, demnach ein vermisster Junge in der Nähe von einem Zug überfahren worden sein soll. Heimlich macht das Quartett sich auf die Suche nach der Leiche.

Story

Held ist der Schriftsteller Gordon „Gordie“ Lachance (Whil Wheaton), womit auch die autobiographischen Züge deutlich werden. Es beginnt damit, dass er aus der Zeitung vom Tod des Anwalts Chris Chambers (River Phoenix) erfährt, der einst sein bester Freund und Anführer der Gruppe war. Der Ich-Erzähler Gordie erinnert sich. Die Geschichte wird also als Rückblende erzählt und spielt 1959. Das Gerücht von der Leiche an den Bahngleisen animiert die vier Freunde zum Abenteuerausflug. Sie haben zwar ihre Schlafsäcke dabei und Chris sogar eine echte Pistole, aber an Reiseproviant hat keiner gedacht. Auf ihrer Wanderung halten sie sich immer an den Bahngleisen. Ihre Abenteuer bestehen aus lebensgefährlichen Mutproben, Flucht vor dem Besitzer eines Schrottplatzes und seinem Hund, Proviantbeschaffung oder Kampf gegen Blutegel.

Konflikte

Die Jungs fassen sich keinesfalls mit Samthandschuhen an. Sie schenken sich nichts, was sich u.a. in den rotzigen Dialogen ausdrückt. Trotzdem oder gerade deshalb erfahren wir nach und nach von ihren inneren Verletzungen. So leidet Gordie unter dem Verlust des älteren Bruders, der zugleich der Lieblingssohn des Vaters war. In einer Traumsequenz werden wir Zeuge der Beerdigung und vom Wunsch des Vaters, lieber Gordie im Sarg zu sehen als seinen Ältesten. Chris leidet unter dem schlechten Ruf der Chambers-Familie und fühlt sich gebrandmarkt. So gibt er zwar zu, das schulische Milchgeld gestohlen zu haben, aber seine reumütige Rückgabe hat die Lehrerin verschwiegen. Für alle war er der Dieb. Die Wahrheit hätte ihm niemand geglaubt.

Gerade hinter seiner rauen Fassade schimmert immer wieder der Wunsch nach Harmonie und Frieden durch. Nicht ohne Grund nennt Gordie ihn „Friedensstifter“. Bemerkenswert ist das Verständnis der beiden Jungen füreinander, der Trost und der Mut, den sie sich zusprechen. Chris weiß, wovon er spricht: „Kinder verlieren alles, wenn man nicht auf sie aufpasst.“ In „Stand by me“ passen die Kinder aufeinander auf. Erwachsene kommen nur am Rande vor.

Showdown

Schließlich finden sie die Leiche des vermissten Jungen, ganz in der Nähe der Gleise. Nach dem ersten Schock wollen sie eigentlich ihren ersehnten Triumph genießen, den Fund melden und im Mittelpunkt stehen. Immerhin haben sie etwas geschafft, wozu die Erwachsenen nicht in der Lage waren. Gleiches umtreibt aber auch die Jugendbande, die ebenfalls am Fundort auftaucht. Es kommt zur Konfrontation zwischen den beiden Anführern, wobei der Ältere droht, Chris mit einem Messer zu erstechen. Das verhindert Gordie, indem er die Pistole auf den Angreifer richtet. So können sie schließlich die Bande vertreiben. Am Ende melden die Jungs den Fund der Leiche doch lieber anonym am Telefon.

Freundschaft

Der Ich-Erzähler resümiert die Lebenswege der Jungs. So hat Chris doch noch mit Gordies Hilfe den Sprung aufs College geschafft, was es ihm später ermöglichte, Rechtsanwalt zu werden. „Freunde kommen und gehen“ konstatiert der für sein Alter erstaunlich weise Junge, wobei er gleich einschränkend hinzufügt: „Ich weiß, dass er mir für immer fehlen wird.“ Der ältere Gordie hat rückblickend noch eine weitere Erkenntnis: „Ich hatte später nie solche Freunde, als ich 12 war.“

Schwachpunkte

Das dramaturgische Problem sind die autobiographischen Anteile. Seine Kumpels kann der Ich-Erzähler Gordie vortrefflich charakterisieren, sich selber verliert er ab und zu aus den Augen. Bis auf die Konfrontation am Ende halten sich die Gefahrenmomente in Grenzen. Eine Schuld an einem wie auch immer gearteten Fehler hat er auch nicht auf sich geladen. Seinen Umgang mit der Gefühlskälte seines Vaters ist am Schluss auch kein Thema mehr. Darüber hätte der Zuschauer aber gern noch etwas erfahren. Bisschen seltsam auch, dass keines der vier Kinder trotz 40-stündiger Abwesenheit vermisst wird. Immerhin ist ja in Castle Rock gerade ein gleichaltriges Kind verschwunden.

Fazit

„Stand by me“ ist eine Hymne an die Kinder, an die Kraft der Freundschaft. Der Film hat auch eine Vorbildfunktion, zeigt er doch wie man mit Streitereien unter Freunden umgehen und sie gewinnbringend beilegen kann. Er zeigt auch, dass für eine tiefe Freundschaft, außer einer Seelenverwandtschaft, noch andere Faktoren eine Rolle spielen: nämlich Empathie und Hilfsbereitschaft. Der Film ist eine kleine Perle, der eigentlich in den Filmkanon der Bundeszentrale für Politische Bildung gehört, im Gegensatz zu einigen anderen. 

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für "Stand by me"

Sully (Clint Eastwood) USA 2016

Clint Eastwood hat schon ein Gespür für taugliche Filmstoffe. In „Sully“ konzentriert er sich ganz auf die inneren und äußeren Konflikte seines Helden, Commander Chesley „Sully“ Sullenberger (Tom Hanks). Die spektakuläre Notlandung eines vollbesetzten Jets auf dem Hudson River dürfte noch in Erinnerung sein. Dabei stellt der Regisseur nicht die dramatischen Ereignisse dieser Beinahe-Katastrophe in den Vordergrund, sondern menschliche Schicksale, die anklagenden Recherchen der sofort etablierten Untersuchungskommission und die Selbstzweifel des Protagonisten.

Das Drama

Die Kommission macht Sully und seinem Kopiloten nämlich zum Vorwurf, nach dem Ausfall der Triebwerke nicht sofort zum Flughafen zurückgekehrt zu sein. Damit hätten beide aber das Leben sämtlicher Insassen aufs Spiel gesetzt. Zusätzlich wurde hier natürlich ein intakter Düsenjet in den Hudson River versenkt. Auch das ist Teil der Anklage, die von sämtlichen Computer-Simulationen untermauert wird. Dagegen ist Sully für die 155 Passagiere, die ausnahmslos gerettet wurden, und für die Öffentlichkeit ein Held. Allerdings belasten ihn diese Vorwürfe, die von seiner angespannten finanziellen Situation verstärkt werden. Wenn Sully schuldig gesprochen wird, darf er nie wieder fliegen und verliert zudem sämtliche Pensionsansprüche. Auch daraus bezieht der Film seine Dramatik.

Die Figuren

Die Hauptfigur ist mit Tom Hanks kongenial besetzt. Nach außen hin versucht er gelassen zu wirken, aber die Vorwürfe treffen ihn ins Mark. Denn er ist ein Pilot aus Leidenschaft, seit 42 Jahren wie er betont: „Das war mein ganzes Leben.“ Am Ende kann er die Kommission davon überzeugen, dass ihre Berechnungen einen Aspekt außer Acht gelassen haben, nämlich den Faktor Mensch. Noch nie in der Geschichte der Luftfahrt sah sich ein Flugkapitän mit dem kompletten Ausfall seiner Triebwerke durch multiplen Vogelschlag konfrontiert. Also hätten die Berechnungen eine angemessene Reaktionszeit einkalkulieren müssen. Nach entsprechenden Neuberechnungen verlaufen sämtliche Computer-Simulationen im Desaster. Erst jetzt wird deutlich, welche flugtechnische Meisterleistung hier vollbracht wurde. Der Film endet mit der vollständigen Rehabilitierung der beiden Piloten und mit der Gewissheit, dass sie nicht nur das Leben sämtlicher Insassen gerettet haben.

Schwachpunkte

Keine Schwachpunkte? Doch! Wie in „Der Spion“ ist auch hier die authentische Vorlage eine Spannungsbremse. Sully ist von Anfang an zu sehr der Held, dem eigentlich nur die Untersuchungskommission das Leben schwer macht. Nicht aber sein Kopilot, die Crew, die Passagiere, die Presse oder etwa seine Ehefrau „Lorrie“. Die hält in den Telefonaten tapfer zu ihrem Mann und bekräftigt ihre Liebe. Das ist zwar sehr schön, aber nicht sonderlich dramatisch. In Clint Eastwoods „American Sniper“, der ebenfalls auf tatsächlichen Ereignissen beruht, wird der Held mit einem Ehedrama konfrontiert.

Insgesamt wäre mehr Abkehr von den Ereignissen im Januar 2009 wünschenswert gewesen. Genau das hat Clint Eastwood ja auch zum Wohle der Geschichte mit der Darstellung der NTSB-Ermittler getan. Tatsächlich verhielten sich die Mitglieder der Untersuchungskommission nämlich nicht feindselig und anklagend, zwar kritisch, aber sachlich und wertschätzend. Auf diese Diskrepanz wies auch der leibhaftige Sullenberger hin. Ist die Verzerrung historisch belegter Abläufe in einem Spielfilm nun fragwürdig? Ich meine NEIN. Zum Wohle einer Geschichte sollte ein Erzähler das dramatische Potenzial ausschöpfen. Es ist ja kein Dokumentarfilm.

Flugtechnik

Anmerkungen eines befreundeten Piloten: Zum einen hat Sully alles richtig gemacht, vor allem mit seiner Entscheidung nicht den nahegelegenen Flughafen Tettoboro anzusteuern, wie ihm die Fluglotsen empfohlen hatten. Das wäre – wie spätere Simulationen demonstriert haben – im Fiasko geendet. Des weiteren hat er auf einen zeitraubenden „Engine Restart“ verzichtet. Dann war auch Glück im Spiel. Sein Kopilot war zwar relativ unerfahren, aber fit in der Theorie (Notfallhandbuch). Außerdem hatte Sully mit den ruhigen Wetterverhältnissen schlichtweg Glück. Wenn den Flieger eine 50 cm hohe Welle getroffen hätte, wäre er auseinander gebrochen.

Finale

Am Schluss des Films lehnt Sully es vor der Untersuchungskommission ab, als Held bezeichnet zu werden. Er macht darauf aufmerksam, dass nur das Zusammenwirken von Crew, Passagieren und Rettungskräften eine Katastrophe verhindert hat: „Wir alle waren es. Wir haben überlebt.“ Der Film ist eine Hymne an die Kraft des Zusammenhalts, die Menschen in Notsituationen entwickeln können.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für "Sully"

The Last Duel (Ridley Scott) USA 2021

„The Last Duel“ von Ridley Scott ist ein grandioses Historiendrama, das auf einem tatsächlichen Fall beruht, den der US-Amerikaner Eric Jager in seinem gleichnamigen Buch beschrieben hat. Es spielt im Frankreich des 14. Jahrhunderts und behandelt die Vergewaltigung von Marguerite de Carrouges (Jodie Comer) durch den Junker Jacques Le Gris (Adam Driver). Letzterer bestreitet den Sachverhalt, weshalb Marguerites Ehemann, der Ritter Jean de Carrouges (Matt Damon), den Fall vor dem königlichen Gericht zur Anklage bringt. Die Schuldfrage soll schließlich durch ein Duell auf Leben und Tod geklärt werden, das quasi einem Gottesurteil gleichkommt. Damit variiert der Film auch ein klassisches Erzählmotiv: Das mörderische Dreieck.

Perspektiven

Erzählt wird „The Last Duel“ in drei Kapiteln, jeweils aus der Perspektive der beteiligten Personen. Das erinnert natürlich stark an Akira Kurosawas Meisterwerk „Rashomon“, das ebenfalls eine Vergewaltigung aus mehreren Blickwinkeln beleuchtet. Diese Mehrfachperspektive ermöglicht einen tieferen Einblick in die Psyche der Protagonisten und die Komplexität der Geschichte. Sehr schön ist die Wiederholung einzelner Szenen, die von den jeweiligen Personen völlig unterschiedlich interpretiert werden. Da lächelt zum Beispiel Marguerite auf einem Fest dem Junker Jacques Le Gris zu, was dieser als Avance auffasst. Tatsächlich macht sie sich zusammen mit ihrem Ehemann über ihn lustig.

Figuren

Überhaupt sind die Protagonisten herausragend charakterisiert und besetzt: Auf der einen Seite der etwas einfach gestrickte, aber furchtlose und kampferprobte, manchmal auch hitzköpfige Ritter Jean de Carrouges, auf der anderen Seite der belesene, eitle Lebemann Jacques Le Gris, dessen Selbstüberschätzung und fehlende Selbstreflexion ihm schließlich zum Verhängnis wird. Zwischen ihnen die Literaturliebhaberin Marguerite, die eigentlich gar nicht zu Jean passt, aber keine Chance hat, ihrer Rolle als Frau im 14. Jahrhundert zu entkommen. Das Leben als Arrangement, die Ehe als Überlebensmodell, bis sie die Büchse der Pandora öffnet und die Vergewaltigung öffentlich macht. Genial ist Ben Affleck in der Rolle des zynischen, hedonistischen Grafen Pierre d’Alencon.

Emotionen

Die Lichtstimmung ist in kühlem Blau gehalten. Die Kameraarbeit, die Locations, die Ausstattung, die Narben auf den Körpern der Männer – alles stimmt bis ins kleinste Detail. Die Montage und die Filmmusik sind brillant. Ja, gibt es denn gar nichts zu monieren? Doch! Es ist die Mehrfachperspektive. Sie hilft bei der schonungslosen Analyse des eskalierenden Dramas. Sie dient der Ausleuchtung eines komplexen Geschehens bis in seine hinterletzte Ecke. Aber sie ist auch wieder der Emotionshemmer. Bei einem Perspektivwechsel zahlt ein Erzähler immer seinen Preis: Er verlässt seinen jeweiligen Protagonisten und verhindert so ein Mitzittern. Das dramatische Geschehen wirkt wie eine Versuchsanordnung, die durch ein Brennglas betrachtet wird. Es ist spannend und erhellend, aber nicht mitreißend. Es geht letztlich nicht unter die Haut.

TOP 20 der Filmgeschichte

Ein Blick in die „TOP 20 der Filmgeschichte“ bestätigt diesen Zusammenhang. Alle Filme verlassen ihre(n) Protagonisten nie. Bis auf eine Ausnahme: „Psycho“. Aber da sorgt Meister Hitchcock wie bei einem Staffellauf für eine sofortige Kontinuität der Identifikation: Nach dem Ableben der Heldin zittern wir sofort mit dem Psychopathen Norman Bates mit, der das Motelzimmer von den Mordspuren säubert usw.

Showdown

Das Ende von „The Last Duel“ ist hochdramatisch. Mit ihrer Unbeugsamkeit und dem Gang an die Öffentlichkeit riskiert die inzwischen schwangere Marguerite letztlich ihr Leben, das ihres Mannes und das ihres Kindes. Denn sollte Jean beim Duell getötet werden, dann wäre sie nach dem Gottesurteil eine Ehebrecherin und Lügnerin und würde bei lebendigem Leib verbrannt werden. Ebenso riskiert Jean mit seiner Sturheit ihr beider Leben. Man kann es als Ironie des Schicksals bezeichnen, dass erst dieses letzte Duell, aus dem er schwerverletzt als Sieger hervorgeht, die beiden Eheleute näher zusammenbringt. Jeder weiß, was er auch für den anderen riskiert hat. Erst als der Film endet, ist das Fundament für eine Liebesgeschichte gelegt. Das ist zwar nicht hollywoodlike aber stimmig.

Ende

Am Ende ist Marguerites sehnlichster Wunsch in Erfüllung gegangen: „Dass ein Kind seine Mutter hat, ist wichtiger, als dass sie recht hat.“ Das Schlussbild ist sehr schön und friedvoll – der pure Kontrast zum blutigen Kampf in der Arena. Marguerite spielt mit ihrem kleinen Sohn auf einer Wiese, der überraschenderweise ein Ebenbild ihres Ehemannes und nicht des Vergewaltigers ist. Weniger überraschend ist der Hinweis im Abspann, demnach Jean bei einem der Kreuzzüge sein Leben verloren hat. Dieses Ende ist ebenso schön wie kunstgerecht. Alles andere wäre ein erzählerischer GAU gewesen, der Einsturz der 6. Säule der Filmgestaltung (Defätismusskala). „The Last Duel“ ist auch ein Plädoyer für Wagemut, für das Aussprechen und Anprangern von Ungerechtigkeit, womit der Film auch etwas sehr Modernes hat (MeToo). Insgesamt ein ganz großer Wurf!

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für "The Last Duel"

Der Graf von Monte Christo (Robert Vernay)

Nachdem Robert Vernay „Der Graf von Monte Christo“ von Alexandre Dumas 1942 schon einmal in schwarzweiß verfilmt hatte, 12 Jahre später die Farbversion. Leider wirkt diese Adaption heute etwas angestaubt und transportiert bei weitem nicht die Kraft anderer Meisterwerke aus dieser Zeit, wie etwa Fellinis „La Strada“ oder Kurosawas „Die sieben Samurai“. Das mag zum einen an der etwas überfrachteten Romanvorlage mit seiner Fülle an Personen liegen, zum anderen an der mangelnden Konzentration auf die emotionale Befindlichkeit des Helden. Das ist Kapitän Edmond Dantès. Eine Synchronisation mit seinen Gefühlen, mit seinem erlittenen Unrecht, seiner unerfüllter Liebe und seinen Rachegelüsten findet nicht immer statt. Die fehlende Fokussierung drückt sich auch in den vielen Halbtotalen und wenigen Nahaufnahmen aus. Der angeklebte Bart des Helden und das künstliche Blut leisten ihren Beitrag zum etwas antiquierten Eindruck. Edmonds körperliche und geistige Unversehrtheit nach 18 Jahren Kerker (!) mutet schon seltsam an.

Die Geschichte

Dabei geht Alexandre Dumas mit seinem Abenteuerroman in die Vollen. Der unbändige Wille und das Können, eine spannende Geschichte zu erzählen, ist schon beeindruckend. Gleich drei Erzählmotive schickt er hier nacheinander ins Rennen: „Unschuldig Beschuldigt“ (Hitchcocks Lieblingsmotiv), „Die unmögliche Liebe“ und „Rache“. Der Roman beruht auf einem Buch des französischen Polizeiarchivars Jacques Peuchet und wurde als Fortsetzungsroman veröffentlicht. Edmond Dantès wird am Tage seiner Verlobung mit der hübschen Mercédès Opfer einer politischen Intrige. Seine Gegner sind der Staatsanwalt de Villefort, Fernand Mondego, der ein Auge auf Mercédès geworfen hat sowie der eifersüchtige Offizier Caderousse. Ihr Komplott gipfelt in Edmonds Gefangennahme und Inhaftierung. Geschlagene 18 Jahre Einzelhaft im Château d’If muss der Held ertragen. Im Roman sind es 12 Jahre. 18 Jahre sind besser, aus dramaturgischen und handlungslogischen Gründen.

Flucht

In seiner Einzelzelle gelingt Edmond im Laufe der Zeit die Kontaktaufnahme zu seinem Zellennachbarn Abbé Faria. Der Geistliche wird eine Art Mentor für den jungen Kapitän. Zudem ist er der Besitzer eines sagenumwobenen Schatzes auf der Insel Monte Christo. Erst im Angesicht seines Todes verrät Abbé den Fundort. Edmond nutzt das Ableben seines Freundes, um an dessen Stelle im Leichensack eingenäht zu werden. Auf diese Weise gelingt ihm die Flucht von der Gefängnisinsel. Schmuggler fischen Edmond aus dem Meer. Ihnen ist zwar klar, dass es sich hier um einen entsprungenen Häftling handelt, aber mit dem Gesetz und ihren Vertretern haben sie eh nichts am Hut.

Die unmögliche Liebe

In wechselnden Verkleidungen verschafft Edmond, der sich nun „Graf von Monte Christo“ nennt, in Marseille erstmal einen Überblick. Zu seinem Entsetzen muss er feststellen, dass sein geliebter Vater inzwischen verstorben ist und Mercédès mit Fernand verheiratet ist, der sich nun Comte de Montcerf nennt. In Paris sucht Edmond seine ehemalige Verlobte auf und gibt sich ihr zu erkennen. Das ist eine bewegende und dramatische Szene, in der Mercédès erklärt, dass sie Fernand nicht einfach verlassen kann. In der Annahme, dass Edmond tot ist, hat sie ihre Gefühle für den Geliebten im Laufe der vielen Jahre begraben. Außerdem hat sie einen 18-jährigen Sohn (Albert), den sie nicht einfach verlassen kann. Das ist dramatisch perfekt und setzt der Ungerechtigkeit sozusagen die Krone auf. Ab diesem Moment steht Edmonds Racheplänen nichts mehr im Wege.

Schwachpunkte

Der Film hat ein paar Ungereimtheiten: Wie darf man sich denn die Nummer mit dem Leichensack vorstellen? Edmond trennt die Naht auf, schafft Abbé in seine Zelle, schlüpft in den Leichensack und näht ihn von innen zu? Vor allem Letzteres hätte ich gern mal in der Ausführung gesehen. Kein Wunder, dass der Film diese Szene einfach ausgespart hat. Ebenso unter den Tisch fällt, nach dem Fund des riesigen Schatzes, dessen Abtransport. Weiht Edmond die Schmuggler ein oder nicht? Wenn ja, warum werfen sie ihn nicht einfach ins Meer zurück und behalten den Schatz für sich? Wenn nein, wie kann Edmond allein und unbemerkt selbst Teile des Schatzes bergen und wegschaffen? Wieso erkennt Caderousse seinen alten Kapitän nicht, auch wenn 18 Jahre vergangen sind und Edmond sich als Pater verkleidet hat?

Den entscheidenden dramatischen Punkt ignoriert der Film ebenfalls, genau wie der Roman. Was ist das Schlimmstmögliche in dieser Spielanordnung? Nehmen wir mal an, dass Mercédès von Edmond schwanger war. Nach dessen Inhaftierung hätte sie auch Gründe, sich mit Fernand einzulassen. Als unverheiratete, schwangere Frau hätte sie Anfang des 19. Jahrhunderts nur schwer überleben und ihr Kind schützen können. Also, als später „Der Graf von Monte Christo“ den Comte de Montcerf öffentlich bloßstellt und Albert Satisfaktion verlangt, dann hätte das ein Duell mit seinem eigenen Sohn bedeutet. Diese hochdramatische Situation muss ein guter Erzähler eigentlich durchspielen und retardieren. Des weiteren hätte es mehr Gefahrenmomente für den „Graf von Monte Christo“ nach seiner Flucht geben müssen. Er agiert zu sehr im Stile eines allmächtigen Drahtziehers, den nichts und niemand etwas anhaben kann.

Finale

Die vierteilige französiche Fernsehserie von 1998 mit Gerard Depardieu in der Hauptrolle deutet diese Möglichkeit zumindest an. Bei dieser Verfilmung fragt man sich aber angesichts von Depardieus Körperfülle, wieso die 18 Jahre Einzelhaft keine sichtbaren Spuren hinterlassen haben? Immerhin erzeugt die Fernsehserie mehr Emotionen. Das liegt zum einen eben an einer zeitgemäßeren Umsetzung, zum anderen an der detaillierten Werktreue. So werden zum Beispiel die Giftmorde von de Villeforts Ehefrau beschrieben, nicht aber in Vernays Verfilmung. Am Ende erleidet die Fernsehserie Schiffbruch, als Edmond und Mercédès sich an den Gestaden des Mittelmeeres in die Arme fallen. Was für eine Schmonzette! Hier hält Vernay sich zurecht an die Romanvorlage, die keine Zukunft der Geliebten vorsieht.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 3 blaue Smileys und 4 schwarze traurige Gesichter für "Der Graf von Monte Christo"

Gefährten (Steven Spielberg) USA 2011

„Gefährten“ ist ein Abenteuerfilm nach dem Jugendroman „War Horse“ von Michael Morpurgos über die Freundschaft des jungen Albert Narracott zum Halbblüter Joey. Die ganze Exposition ist hervorragend. Angefangen von der Pferdeauktion, bei der Alberts eigensinniger Vater Ted aus einer Laune heraus das junge Pferd ersteigert: „Der Bursche ist etwas Besonderes.“ Eigentlich kann er den Kaufpreis von 30 Guineen gar nicht bezahlen. Aber sein Mitbieter ist der wohlhabende und arrogante Lyons, der zugleich der Verpächter seines Bauernhofes ist. Deshalb darf der das Pferd auf keinen Fall bekommen. Dickköpfigkeit geht über Vernunft.

Exposition

Mit dieser Szene ist auch der Antagonist Lyons etabliert. Zu Hause bekommt Ted natürlich Ärger mit seiner Frau Rose. Nur ihr Sohn Albert ist Feuer und Flamme. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Albert tauft das Pferd Joey und steckt seine ganze Energie in dessen Ausbildung. Der Druck wird vorbildlich eskaliert: Wenn Albert und Joey nicht zeitnah den Acker pflügen und die Ernte einfahren, droht der Familie die Pleite. Angesichts des ungestümen Temperaments des Halbblüters eine schier unmögliche Aufgabe. Aber Albert ist nicht minder dickköpfig als sein Vater oder das Pferd. Er will allen beweisen, wozu er mit Joey in der Lage ist. Und sie schaffen es, bis dann ein Unwetter die ganze Ernte wieder vernichtet.

Trennungen

Diese Katastrophe ist eine von vielen Wendungen, die in ihrer Häufung ein wenig konstruiert wirken. Eine Überraschung, deren Erscheinen man förmlich riechen kann, ist eben keine Überraschung mehr. Dann kommt Spielbergs entscheidender Fehler, auch wenn der Roman es so „vorgegeben“ haben mag. Ted verhökert Joey bei Ausbruch des 1. Weltkriegs für 30 Guineen an das britische Militär. Damit werden aber auch die Freunde getrennt. Das wäre kurzfristig okay, aber in „Gefährten“ dauert die Trennung bis zum Schluss der Geschichte. Das ist ein gravierender erzählerischer Fehler, denn die Emotionen der Zuschauer sind bei der Freundschaft und nicht bei den Kriegserlebnissen, die man nun ertragen muss. In „Wolfsblut“ zeigt Jack London wie es gemacht wird: Seine Protagonisten, den jungen Goldgräber Jack und den Wolfshund, verliert der Autor nie längerfristig aus den Augen.

Episoden

Durch die Fülle an Episoden, in denen nun Joeys Besitzer wechseln, bekommt der Film etwas Flüchtiges. Da ist der britische Captain, der ins Verderben reitet. Da sind die jungen deutschen Stallburschen, die mit Joey von der Front fliehen und einen Tag später standrechtlich erschossen werden. Dann folgt Emilie, ein französisches Mädchen, das als Vollwaise bei ihrem Großvater lebt. Als nächstes sind wieder die Deutschen an der Reihe, die Zugpferde für ihre Kanonen benötigen usw. So kann natürlich keine Nähe entstehen, zumal wir von Albert derweil so gut wie gar nichts erfahren. Hinzu kommt, dass die Kriegsschauplätze entweder romantisierend wirken (Bauernhaus von Emilies Großvater) oder apokalyptisch (Front zwischen den Schützengräben). Dadurch bekommt „Gefährten“ etwas Künstliches. Nur eines weiß man sicher: So war’s nicht.

Finale

Das Ende überschreitet die Grenze zum Kitsch: Emilies Großvater ersteigert Joey im Andenken an seine inzwischen verstorbene Enkeltochter. Aber Joey will mit seinem neuen Besitzer nichts zu tun haben und trabt zu Albert zurück. Schließlich überlässt ihm der gutherzige Großvater das Pferd: „Emilie hätte es so gewollt.“ So kehren Albert und Joey vor glutrotem Sonnenuntergang zum elterlichen Gehöft zurück. Ist ja dann doch noch mal gut gegangen, kann man da nur sagen.

Lösungen

Besser wäre folgendes gewesen: Verzicht auf die ganzen Kriegswirren, auf den Emotionskiller. Stattdessen hätte Ted das Pferd heimlich an einen Rennstallbesitzer verkauft. Das hätte zum Beispiel der reiche Lyons sein können. Jedenfalls wäre Joey zum Rennpferd ausgebildet worden. Albert hätte im Gestüt oder in einem konkurrierenden Rennstall eine Anstellung gesucht. Das hätte die Freunde wieder zusammen gebracht und nicht die ganze vorbildliche Exposition zerstört. Es war doch alles perfekt angerichtet. Aber so fragt man sich im Verlauf der Geschichte, wo eigentlich der Antagonist, sein Sohn, das junge Mädchen im Cabrio, Alberts Freund, seine Eltern usw. abgeblieben sind? Was ist aus ihnen geworden?

Fazit

Die Filmtitel offenbaren das erzählerische Dilemma. Im amerikanischen Original lautet er „War Horse“ und ist Ausdruck der dramaturgischen Defizite. Der deutsche Verleihtitel „Gefährten“ steht sozusagen für die optimierte Fassung und konzentriert sich auf die Freundschaft. Außerdem ist ein besserer und viele schönerer Filmtitel. Schade, dass uns Steven Spielberg nach seinem exquisiten Hors d’oeuvre eine verkochte Hauptspeise mit zuckersüßem Dessert serviert hat.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 3 blaue Smileys und 4 schwarze traurige Gesichter für Gefährten.
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