The Zone of Interest (Jonathan Glazer) USA, GB, PL 2023

Es gibt zwei bis drei Stellen, die interessant oder eindrucksvoll sind. Aber das war’s dann. So ist das eben, wenn die guten Absichten alles andere dominieren. Aber gute Absichten sind gutgemeint und – bekanntermaßen – das Gegenteil von gut. Von seiner Herangehensweise erinnert der Film an „Nomadland“, der vor zwei Jahren ebenfalls mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Auch da unterliegt die Regisseurin dem Irrtum, dass ein ehrenwerter Inhalt auch ein gutes Werk bedeutet. Leider ist es nicht so einfach. In „The Zone of Interest“ fehlen alle Zutaten für eine taugliche Filmerzählung: Es gibt keine Geschichte, es gibt keine Figuren und keine Konflikte, die unsere Anteilnahme wecken. In jeder Szene spürt man die Theatervergangenheit des Regisseurs. Alles sehr getragen hier, eine stilisierte, düstere Auschwitz-Collage, aber kein Spielfilm.

Die Form

Es beginnt mit einer langen schwarzen Sequenz. In Zelluloidzeiten hätte ich einen Filmriss vermutet. Aber nein, hier geht es um höhere Kunst, wie auch der anschließende elektronische Brummton suggeriert. Die Inszenierung besteht aus tableauartigen, langen Einstellungen in Totalen oder Halbtotalen. Ganz selten mal eine Halbnah oder Nah-Einstellung. Auch das trägt zur Distanz bei. Zweimal liest Rudolf Höß (Christian Friedel) seiner Tochter ein Märchen vor. Das wird dann mit einer Infrarotkamera in schwarz-weiß visualisiert. Die Nahaufnahme einer Mohnblume verschwimmt zu einem blutroten Stilleben. Was soll uns das sagen? Der Fokus auf diesen artifiziellen Spielereien demonstriert Glazers Vergangenheit als Musikclip- und Werbefilmregisseur. Das Grauen lässt sich so nicht übertragen. 

Die Figuren

„Die Banalität des Bösen“ ist ein Zitat von Hannah Ahrendt und mag für Glazer eine Art Leitmotiv gewesen sein. Wir sehen die Familie Höß beim Badeausflug, beim Essen, bei alltäglichen Verrichtungen. Damit werden uns die Figuren aber nicht näher gebracht. Sie wecken kein Interesse, schon gar keine Emotionen. Man fühlt sich noch nicht mal angeekelt. Sie sind einem schlicht egal. Nur die Leidenschaftslosigkeit, mit der diese Protagonisten durch die Gegend schleichen, überträgt sich.

Einmal erklärt Ehefrau Hedwig (Sandra Hüller) ihrer Mutter, die zu Besuch weilt, dass sie die vielen Blumen gepflanzt hat, damit man die Mauer (zum KZ) nicht sieht. Da schimmert dann doch doch so etwas wie ein Erkennen durch. An anderer Stelle droht Hedwig einer Hausangestellten, dass Rudolf sie „verbrennen“ könnte, wenn sie nicht spurt. Natürlich wusste Hedwig von den Krematorien und den grausamen Vorgängen jenseits der Mauer, genau wie ihre Mutter, die irgendwann einfach mit ihrem Koffer auf und davon ist. Leider sind das die einzigen Male, bei denen das Verdrängen thematisiert wird. 

Konflikte gibt es so gut wie keine zwischen dem Ehepaar, was dramaturgisch natürlich fahrlässig ist. Einmal gesteht Rudolf, dass er nach Oranienburg versetzt wird, was Hedwig empört. Sie möchte einfach weiter mit ihren Kindern im Anwesen neben dem KZ leben. Rudolf gibt klein bei, womit sich auch dieses Problem verflüchtigt. Einmal zeigt er tiefer gehende Gefühle, als er sich vor seiner Versetzung von seinem Pferd verabschiedet.

Das Grauen

Glazers Entscheidung, das Grauen visuell komplett auszublenden, ist einerseits verständlich, andererseits undramatisch. Der Film leidet darunter, dass es keine Berührungspunkte zwischen den Welten gibt, zumal wir Rudolf nicht bei seiner Arbeit im KZ erleben. Einmal sehen wir ihn beim Angeln im Fluss, wie er ein Gebiss am Haken hat und mit seinen Jungs panisch das Weite sucht. Dann hören wir bei den Familienszenen im Garten ständig Schreie, Wehklagen oder Schüsse, die von der anderen Seite der Mauer herüber dringen. Aber das Grauen bleibt gesichtslos. Es tritt nur objekthaft oder akustisch in Erscheinung.

Fazit

Insgesamt hat Glazer mit „The Zone of Interest“ eine Chance vertan, sich dem Geschehen dokumentarisch zu nähern. Dreimal wird ein Brief vorgelesen oder diktiert, den Rudolf von Vorgesetzten erhält bzw. verfasst. Da bekommt man eine Ahnung, wie spannend und erhellend dieses düsterste Kapitel deutscher Kriegsgeschichte hätte sein können. Das wär’s gewesen. Ein verdichteter Dokumentarfilm anstelle dieser verquasten Collage.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 1 blauer Smiley und 6 schwarze traurige Gesichter für "The Zone of Interest".

The Homesman (Tommy Lee Jones) USA 2014

Was für ein langweiliger und furchtbarer Film! Tommy Lee Jones hat es wieder getan. Nachdem er 2005 schon mit „Three Burials“ neue Maßstäbe in den Niederungen der Spannungsskala markiert hat, setzt er nun mit „The Homesman“ noch einen drauf. Warum bleiben die Schauspieler nicht bei ihrer Profession? Schauspiel und Regie sind doch völlig verschiedene Berufe. Ist es das narzisstische Bedürfnis, noch mehr im Mittelpunkt zu stehen, Macht auszuüben?

Schauspieler als Regisseure

Interessant ist ein Blick in die Filmgeschichte. Ist ja nicht das erste Mal, dass ein Schauspieler auf dumme Gedanken kommt. Unter dem Strich bleibt in erster Linie einer übrig: Clint Eastwood. Aber – genauer betrachtet – ist auch der keine Ausnahme. Eigentlich hat er über den Beruf des Schauspielers zu seiner eigentlichen Berufung gefunden, nämlich Regie zu führen. Er war ja nun nicht der große Charakterdarsteller. Er ist ein großer Geschichtenerzähler und hat ein untrügerisches Gespür für taugliche Stoffe. Also, nach wie vor gilt: „Schuster, bleib’ bei deinem Leisten!“

Die Geschichte

Der gefährliche Transport dreier verrückter Frauen im 19. Jahrhundert durch die Weiten Nebraskas hat eigentlich dramatisches Potenzial. Damit erinnert „The Homesman“ an den Western „Broken Trail“ mit Robert Duvall, in dem die Helden auf ihrem Viehtreck auch einem Planwagen mit fünf chinesischen Prostituierten Schutz gewähren. Dieser Western hat allerdings den großen Vorteil, dass ihnen ein Mörder und Pferdedieb auf den Fersen ist. Auf derlei Spannungszutaten wird in „The Homesman“ gänzlich verzichtet. Einmal gibt es eine bedrohliche Begegnung mit Indianern, die George Briggs (Tommy Lee Jones) aber vereiteln kann.

Die Figuren

Mary Bee Cuddy (Hilary Swank) ist eine alleinlebende, eigenwillige Farmerin, die im Mittleren Westen lebt. Sie erklärt sich bereit, drei geisteskranke Frauen, die in ihrer Siedlung leben, im Planwagen von Nebraska nach Iowa zu transportieren. Als Begleiter rekrutiert sie den zwielichtigen Ex-Soldaten George Briggs. Eigentlich ist alles angerichtet: Es gibt eine taugliche Heldin, ein alterndes Rauhbein an ihrer Seite und drei verrückte Frauen. Im Grunde bräuchte man nur die Gefahrenmomente intensivieren und aus dem Vollen schöpfen. Und dann begeht Tommy den größten Fehler. Er opfert seine Heldin, die plötzlich Selbstmord begeht. Dafür gibt es aber keinen wirklichen Anlass und passt auch überhaupt nicht zu ihrem Charakter. Es ist ein Verrat an der Hauptfigur! Tommy entledigt sich hier einer Konkurrentin. Jetzt kann er endlich den alleinigen Helden mimen.

Defätismusskala

Mary Bee war auch die einzige Figur, die zumindest zweimal für Heiterkeit gesorgt hat. Ihre beiden Heiratsanträge an mehr oder wenige tumbe Männer sind schon originell. Das war’s dann aber mit der Leichtigkeit. Ansonsten dominiert die Schwermut, die Tragik, die Hoffnungslosigkeit, als hätte der Regisseur sich deutsche Depressionsfilme zum Vorbild genommen. Volle Punktzahl auf der Defätismusskala.

Künstlichkeit

Erschwerend kommt hinzu, dass das ganze Ambiente sehr stilisiert ist. Da steht ein Hotel mit schnieker Inneneinrichtung in völliger Einöde. Man fragt sich, was die da in der Einsamkeit wollen und weiß eines ganz genau: So hat ein Hotel 1860 in Nebraska weder von außen noch von innen ausgesehen. Gegen diese Fülle handwerklicher Fehlentscheidungen kann die exzellente Kameraarbeit nichts mehr ausrichten.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 1 blauer Smiley und 6 schwarze traurige Gesichter für "The Homesman".

Chloe (Atom Egoyan) USA, CND 2009

Das soll ein Erotikthriller sein?! Da lachen ja alle Bordsteinschwalben. Apropos. Chloe ist eine, natürlich eine Luxusausgabe. Überhaupt, der Luxus. Der hat es dem Regisseur angetan. Die Villa, in der die übrigen Protagonisten residieren, könnte einer Sonderedition von „Schöner Wohnen“ entsprungen sein. Die Restaurants, die Hotels, die Fahrzeuge, die Klamotten, das ganze Ambiente – alles Luxusklasse. Leider ist der Film das exakte Gegenteil.

Die Geschichte

Es geht um Eifersucht, oder genauer um die Wahnvorstellung davon, womit wir bei der krankhaften Variante sind: Gynäkologin Catherine Stewart (Julianne Moore) führt ihren vermeintlich untreuen Gatten David (Liam Neeson) mit der bildhübschen Chloe (Amanda Seyfried) in Versuchung. Tatsächlich wird er aber gar nicht verführt, sondern die Auftraggeberin hängt selbst am Haken. Diesen Plot als Konstruktion zu bezeichnen, wäre etwas untertrieben. Anstelle von Spannung oder Witz dominieren Zufälle und Künstlichkeit das Geschehen. Eine Synchronisation von Gefühlswelten kann so nicht entstehen.

Die Figuren

Mit den Kurzcharakterisierungen – erfolgreiche Gynäkologin, verheiratet mit ebenso erfolgreichem Musikprofessor, meets bildhübsche Edelnutte – fühlt man sich an die Abgründe fünftklassiger Vorabendsoaps erinnert. Alle ins Spiel gebrachten Personen sind synthetisch, ihre Motivationen konstruiert. Hintergründe? Fehlanzeige. Warum ist Catherine überhaupt eifersüchtig? Was führt sie zu der Annahme, dass ihr Gatte sie betrügt, außer dass er Frauen gegenüber charmant ist? Könnte man diesen Verdacht nicht mit einem einfachen Gespräch klären, was sie ja dann am Ende auch tut? Nur wäre es dann ein Kurzfilm geworden, was dem Gesamtwerk aber keinesfalls geschadet hätte. 

Julianne Moore ist eine hervorragende Schauspielerin, deren Qualitäten immer mal wieder aufblitzen. Nur gegen diesen ganzen Müll kann auch sie nichts mehr ausrichten. Spätestens wenn sie dem Früchtchen ein „Du bist so schön“ entgegen haucht, sucht man nach dem Ausschaltknopf. Nur, warum beteiligen sich renommierte Schauspieler an diesem ganzen Unfug?

Finale

Am Ende hat Chloe zumindest den Sohn unseres Ehepaares verführt, weshalb es nun zum Zweikampf zwischen den beiden Frauen kommt. Leider verliert Chloe das Gerangel und stürzt aus dem Fenster im ersten Stock, was zu ihrem sofortigen Ableben führt. Warum man nach so einem Sturz auf der Stelle tot ist, bleibt ebenso das Geheimnis dieses Films wie das Ausbleiben polizeilicher Ermittlungen. Das Schlussbild zeigt die verlogene Kleinfamilie bei ihrer Lieblingsbeschäftigung: der Vortäuschung eines glücklichen, gutbürgerlichen Lebens.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 1 blauer Smiley und 6 schwarze traurige Gesichter für Chloe.

Jane Eyre (Cary Joji Fukunaga) USA 2011

„Jane Eyre“ von 2011 ist die wiederholte Verfilmung eines Romans von Charlotte Brontë – ein Erstlingswerk mit autobiographischen Zügen. Die Geschichte ist eine Genremixtur aus Melodrama und Liebesfilm und lebt von der Konfrontation der jungen eigensinnigen Jane (Mia Wasikowska) mit ihrem etwas älteren, geheimnisvollen Hausherren Edward Rochester (Michael Fassbender), bei dem sie als Gouvernante arbeitet. Ihre Begegnungen, ihre Dialoge, ihre Entwicklungen sind das Highlight in dieser ansonsten teilweise trivial anmutenden Geschichte.

Rückblende

Fukunaga erzählt die Handlung weitgehend als Rückblende. Der Film beginnt, als Jane hinter Edwards dunkles Geheimnis kommt, also beim dramatischen Peak: Er ist bereits verheiratet mit einer Frau, die dem Wahnsinn verfallen und auf dem Dachboden seines Hauses eingesperrt ist. Nicht nur das muss man erst mal schlucken. Diese nicht-chronologische Erzählweise kann man so anordnen, ein erzählerischer Mehrwert resultiert daraus nicht (s. Schwachpunkte). Wenn man sich vor Augen hält, dass eine Eheschließung vor 200 Jahren eine viel größere Tragweite hatte als heute („bis dass der Tod Euch scheidet“), dann funktioniert die dramatische Struktur durchaus.

Die Geschichte

Chronologisch passiert folgendes: Die kleine Jane wächst als Vollwaise bei ihrer niederträchtigen Tante auf, die sie bei der erstbesten Gelegenheit ins Heim abschiebt. Nach Jahren der Repression und dem Verlust ihrer besten Freundin verlässt Jane das Heim als ausgebildete Lehrerin. Sie erhält eine Anstellung als Gouvernante auf dem Gut von Edward Rochester in Thornfield. Der Hausherr verhält sich zunächst mürrisch, ist dann aber zunehmend von Janes Offenheit und Unverdorbenheit fasziniert. Beide verlieben sich ineinander, wobei Standesunterschiede, Eifersucht, Stolz und Vorurteile als taugliche Hindernisse fungieren. Als Edwards Lebenslüge enttarnt wird, ergreift Jane zutiefst verletzt die Flucht. In der winterlichen Abgeschiedenheit erleidet sie beinahe den Kälte- und Hungertod. Im letzten Moment wird sie von John Rivers und seinen Schwestern gefunden. John verschafft ihr eine Anstellung als Dorfschullehrerin und macht ihr einen Antrag. Doch sie weist seine Avancen zurück.

Schmachtfetzen

Das Ende von „Jane Eyre“ bewegt sich hemmungslos am Rande der Trivialität: Nach einer Erbschaft zu Wohlstand gekommen, reist Jane ein letztes Mal nach Thornfield. Dort findet sie Edwards Anwesen bis auf die Grundmauern niedergebrannt vor. Der Geliebte ist beim Brand erblindet und psychisch gebrochen, seine erste Frau beim Brand umgekommen. Einer Verbindung der Liebenden steht nun nichts mehr im Weg. Vor allem haben sich die Verhältnisse umgekehrt oder sind ins Lot gekommen. Anfangs war Edward der Wohlhabende, der Erfahrene, der Aktive – nun ist Jane es. Erst jetzt – so scheint es – hat ihre Beziehung ein Fundament.

Die Figuren

Sehr schön ist die Konzentration auf die Protagonistin, die praktisch in jeder Einstellung präsent ist. Vor allem aber bringt sowohl die Heldin als auch ihr männlicher Gegenpart alle Voraussetzungen für eine taugliche Filmfigur mit. Jane ist zwar jung und unerfahren, aber alles andere als ein Heimchen am Herd. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und schafft es, Edwards raue Schale zu knacken: „Vertrauen Sie mir? Kein bisschen, Sir.“ Aber auch er schenkt ihr nichts: „Lachen Sie niemals, Mrs. Eyre?“ Jane und Edward sind Seelenverwandte, die wie zwei Magneten aufeinander zusteuern, bis sich ihre Pole umkehren. Mia Wasikowska spielt die innere Zerrissenheit der Heldin mit dieser Mischung aus Naivität, Unschuld, Eigensinn und Respektlosigkeit einfach hervorragend.

Schwachpunkte

Es gibt drei Schwachpunkte. Der gravierendste ist die mangelnde Konzentration auf das Drama. Das ist der Moment, als Jane bei ihrer Trauung mit Edward von dessen erster Ehe erfährt. Sie fühlt sich verraten und läuft davon. Diesen Moment müsste man natürlich retardieren. Das Potential dieses Erzählmotivs sollte man nicht so stiefmütterlich behandeln. Wie so etwas vorbildlich gemacht wird, kann man zum Beispiel in „Die Brücken am Fluss“ von Clint Eastwood studieren.

Der zweite Schwachpunkt ist in bestimmter Hinsicht die Ignoranz der literarischen Vorlage. Hier hätte eine Erzählerstimme im Voiceover mit Textauszügen des Romans für einen tieferen Einstieg in die inneren Befindlichkeiten der Protagonistin sorgen können. Und das wäre ja nicht schlecht gewesen. Der dritte Schwachpunkt ist die betuliche Inszenierung und die langweilige Kameraführung. Muss das alles so getragen inszeniert werden, nur weil es sich hier um einen Klassiker der Weltliteratur handelt? Die Bildkomposition ist ein Stelldichein von Halbnah-Einstellungen und Halbtotalen, ganz selten mal eine Nahaufnahme oder Kontrastierungen. 

Fazit

Fukunagas Stärke ist nicht die Originalität. Er ist ein solider Handwerker, der sich bemüht, spannende Geschichten zu erzählen („Tränen der Sonne“ oder „Keine Zeit zu sterben“). Aber das ist mehr als man von vielen Filmemachern behaupten kann. 

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 4 blaue Smileys und 3 schwarze traurige Gesichter für "Jane Eyre".

Il Divo (Paolo Sorrentino) I 2008

Spielfilme wie „Il Divo“, die von Personen der Zeitgeschichte („Oppenheimer“) oder des Zeitgeschehens („Lansky“) handeln, verfügen eigentlich über jede Menge dramatisches und originelles Potenzial. Wenn ein Drehbuchautor die Figur eines Politikers kreieren würde, der 29 mal angeklagt und 29 mal freigesprochen wurde, hätte man ihn wahrscheinlich für gaga oder bekifft erklärt. Nun, Giulio Andreotti hat es in seiner Karriere geschafft und das macht diese Figur natürlich interessant. Man fragt sich, wie das möglich sein konnte? Man hofft auf Einblicke in Korruption, in die Abgründe der italienischen Nachkriegsgesellschaft.

Die Geschichte

Es beginnt mit der Aneinanderreihung von Toten – Opfern von Terroristen oder Mafiosi. Irgendwie könnte Andreotti mit all dem zu tun haben? Leider wird das nicht beleuchtet. Keine Hintergründe, keine Internas, nichts Biographisches, keine Geschichte. Das ist eigentlich schon ein Kunststück, die ganze geheimnisvolle Dramatik, die die Person des Andreotti umwabert, narrativ auszusparen.

Die Figuren

Alle Protagonisten sind perfekt gecasted. Allen voran Toni Servillo in der Rolle des Giulio Andreotti – „Il Divo – der Göttliche“. Aber was nützt das alles, wenn wir kaum etwas über ihn und seine Mitspieler erfahren? So kann keine Nähe entstehen, keine Emotionen. Die Figuren sind einem egal. Gelegentlich agieren sie in Zeitlupe. Warum? Ein handwerklicher Grund ist nicht erkennbar. Wahrscheinlich findet Sorrentino das chic? Zwei- bis dreimal taucht Andreottis Ehefrau auf und hofft, dass alles gut gehen werde. Ihre Sorge bezieht sich auf die Vorladung eines sizilianischen Gerichts. Tatsächlich ist Andreotti im Jahre 2002 zu 24 Jahren Haft verurteilt worden, bis dieser Schuldspruch 2003 von einem Berufungsgericht kassiert wurde. All das kann man aus Recherchen erfahren, nicht etwa aus der Filmhandlung.

Angeblich war der leibliche Andreotti ein Meister der Hinterzimmerdiplomatie. Hätte den Zuschauer schon mal interessiert, was im Geheimen besprochen und in der Öffentlichkeit umgesetzt wurde. Hier hätte man sich zugunsten der Dramatik auch an Spekulationen beteiligen können – eigentlich müssen -, zum Beispiel was seine angebliche Mitschuld am Tod des entführten Aldo Moro betrifft. Hat Andreotti nun seine Finger im Spiel gehabt oder nicht? Es wird zwar gezeigt, dass ihn der Mord belastet, aber ansonsten bleibt der Film jede Antwort schuldig.

Collage

So bleibt es in „Il Divo“ bei zusammenhanglosen Schnipseln. „Man darf niemals Spuren hinterlassen“, hört man Andreotti sagen. Über diese Spuren bzw. ihre Vertuschung erfahren wir leider auch nichts. Und so geht das dann munter weiter: „Man muss das Böse tun, damit das Gute gewinnt.“ Und, was dürfen wir uns unter „Böses“ vorstellen? Auch hierauf – man ahnt es schon – gibt es keine Antwort.

Schnickschnack

Dafür gibt es jede Menge Schnickschnack. Wichtig ist dem Regisseur zum Beispiel eine schöne Ausleuchtung, die in „Il Divo“ geradezu werbeästhetisch daherkommt. Unprätentiös und schmutzig wäre besser gewesen. Die expansiv eingesetzte Filmmusik soll das leisten, was die bewegten Bilder zu keiner Zeit vermögen: Gefühle generieren. Leider funktioniert auch das nicht. Dafür wird die Musik zu aufdringlich, oberflächlich und deplatziert eingesetzt. Teilweise werden die Dialoge in der Abmischung von der Musik überlagert. Auch das zeigt, dass es Sorrentino nicht um ein Verständnis geht.

Fazit

Insgesamt ist diese Politcollage viel zu artifiziell und vor allem ignorant: Diese hochdramatischen biographischen Hintergründe nahezu unangetastet zu lassen, ist nicht „göttlich“, sondern sündhaft.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 2 blaue Smileys und 5 schwarze traurige Gesichter für "Il Divo"

Asteroid City (Wes Anderson) USA 2023

Die Coen-Brüder und Wes Anderson haben mindestens zwei Dinge gemeinsam. Erstens sind ihre Filme immer dann am stärksten, wenn sie sich an Vorlagen von jemandem halten, der Geschichten erzählen kann („Der fantastische Mr. Fox“ von Wes Anderson nach einem Buch von Roald Dahl oder „True Grit“, ein Remake der Coen-Brüder nach einem Roman von Charles Portis). Sie selbst können es nicht. Müssen sie ja auch nicht. Vorteilhaft wäre es natürlich, wenn man seine eigenen Stärken und Schwächen kennt. Jetzt kommt die zweite Gemeinsamkeit : Alle drei kennen ihre Schwächen in diesem Punkt nicht und sehen sich dazu berufen, die Zuschauer mit ihren Erzählversuchen zu beglücken. Heraus kommt dann so ein unglaublicher Murks wie „Asteroid City“.

Die Geschichte

Es gibt keine Geschichte, was ist in einem Spielfilm nicht unbedingt vorteilhaft ist. Dafür künstliche Filmsequenzen, integriert in einem wirren Theaterstück. Es gibt einen Meteoriten, der vor Jahren in ein Wüstenkaff gefallen ist. Daher der Name „Asteroid City“. Dann gibt es noch ein Alien, das sich den Meteoriten schnappt und wieder zurückbringt, einen Kriegsfotografen, der es fotografiert. Weiter gibt es hochbegabte Kinder, Atombombenexplosionen und schießende Gangster, die von Polizisten verfolgt werden. Nur, was soll das alles? Welchen Sinn ergibt diese Ansammlung von Absurditäten? Emotionen stellen sich zu keiner Zeit ein. Wie auch? Dafür müsste man schon mit jemandem mitzittern, was aber wiederum voraussetzt, dass einem die Personen nicht völlig egal sind. Wieso stellt sich diese illustre Riege von Schauspielern (Tom Hanks, Scarlett Johansson, Tilda Swinton, Matt Dillon, Edward Norton usw.) für diesen Unfug zur Verfügung? 

Fazit

Die Wiesbadener Filmbewertungsstelle hat „Asteroid City“ das Prädikat „besonders wertvoll“ verliehen und gibt den Tipp, ihn „Stück für Stück zu dechiffrieren“. Leider gibt sie keine Hinweise für eine Dechiffrierung. Kein Wunder. Bei einer erzählerischen Nullnummer ist das eben nicht so einfach. Immerhin kann man drei- bis viermal über skurrile Situationen schmunzeln – lachen wäre jetzt übertrieben. Aber das war’s dann. Eigentlich müsste der Film „Boredom City“ heißen.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 1 blauer Smiley und 6 schwarze traurige Gesichter für Asteroid City

Oppenheimer (Christopher Nolan) USA, GB 2023

„Oppenheimer“ ist ein hochinteressantes Dokument der Zeitgeschichte, das sich auf das sogenannte Manhattan-Projekt konzentriert, das die US-Amerikaner 1942 zunächst im atomaren Rüstungswettlauf mit den Nazis, später mit den Sowjets ins Leben gerufen haben. Insgesamt ist der Film viel zu lang und erinnert nicht nur in seinem Potenzgehabe an David Leans „Lawrence von Arabien“. Beide Filme widmen sich historischen Persönlichkeiten, in ihrer Machart frönen sie der Gigantomanie (beide auf 70mm Filmmaterial gedreht) und erzählen keine Geschichte. Schon die Genreeinstufung gestaltet sich schwierig. Eine Biographie ist „Oppenheimer“ nicht. Dafür erfahren wir viel zu wenig über ihn. Ein Thriller ist es auch nicht. Dafür müsste der Held schon mehr in Gefahr geraten. Ein Drama? Zumindest für die Opfer der wissenschaftlichen Forschungen von Oppenheimer und seiner illustren Crew. Aber die werden komplett ausgespart.

Stärken

Hautnah bei historischen Prozessen anwesend zu sein, ist schon faszinierend, auch spannend und erhellend. Casting und Ausstattung sind bis in die kleinsten Details brillant. Sehr schön sind die Dialoge: Pointiert, hart, manchmal hinterhältig, ironisch oder mehrdeutig. Die Montage sorgt für erzählerisches Tempo. Durch die für Nolan typische nichtchronologische Erzählweise ist man schon gezwungen, sich zu konzentrieren. Gut so. 

Schwächen

Dann aber auch der für Nolan typische Schnickschnack: Selbstverliebte surreale Bilderteppiche, die immer wieder parallelmontiert werden. Mal Schwarzweiß-, mal Farbbilder. Subjektive, Objektive? Wie auch immer. Welchen emotionalen Mehrwert generiert dieser Schnickschnack? Alles so bombastisch hier. Schließlich geht es bei Nolan mindestens um die Zerstörung oder Rettung der Welt. Hier um beides. Die ständige musikalische Untermalung suggeriert Drama ohne Ende, ist aber nichts als eine enervierende Domestizierung des Zuschauers. Stille gibt es nur nach dem Atombombenabwurf.

Was ist das Gegenteil von Subtilität? Ein Film von Christopher Nolan. Dann die Längen. Muss jeder Nebenerzählstrang visualisiert werden? Was sagt uns das, wenn Oppenheimer immer mal wieder Zigarette rauchend und gedankenverloren durch die Gegend wandelt? Nichts, außer dass er Zigarette raucht und spazieren geht. Nolans größter Fehler besteht aber darin, die Figur des J. Robert Oppenheimer zu heroisieren. Da nützt denn auch seine quälende Vision beim Beifall seiner Belegschaft nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima nichts mehr. Er ist ein amerikanischer Held, was ja auch die ausführlich behandelten Untersuchungskommissionen und seine spätere Rehabilitierung zeigen.

Fazit

Einerseits ein sehenswerter Film, der zur Wissensbildung beiträgt. Anderseits dominieren gestalterische Schwächen und die vertane Chance, die Opfer der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zu würdigen und nicht die technischen Urheber. So lässt sich die Mitschuld am Tod von über 200.000 Menschen nicht verarbeiten.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 3 blaue Smileys und 4 schwarze traurige Gesichter für Oppenheimer.

Three Burials (Tommy Lee Jones) USA 2005

„Schuster bleib’ bei deinem Leisten“, heißt es. Wie zutreffend dieser Aphorismus ist, demonstriert „Three Burials“. Die Ambitionen von Tommy Lee Jones sind zwar verständlich, aber Regie und Schauspiel sind eben zwei verschiedene paar Schuhe. Ausnahmen bestätigen bekanntermaßen die Regel. Da wäre zum Beispiel Clint Eastwood. Aber bei dem verhält es sich eigentlich umgekehrt: Die Qualität seiner schauspielerischen Leistungen können einigen Regiearbeiten nicht das Wasser reichen. Im Grunde hat er über die Arbeit vor der Kamera seine eigentliche Berufung gefunden, Tommy Lee Jones nicht.

Die Geschichte

Die Filmidee beruht auf einem tatsächlichen Fall: 1997 wurde der 18-jährige Esequiel Hernandez von einem Soldaten der US-Marines erschossen, der auf Patrouille nach Drogenschmugglern war. Zu einer Anklage oder Verurteilung kam es nie. In „Three Burials“ hat Pete Perkins (Tommy Lee Jones), Vorarbeiter auf einer Ranch, seinem Freund, dem illegal eingewanderten Cowboy Melquiades Estrada, ein Versprechen gegeben: Im Falle seines Ablebens würde er ihn in seinem mexikanischen Heimatort Jiménez beerdigen. Der Zufall will es nun, dass Melquiades in Sorge um seine Ziegen auf einen Kojoten schießt. Grenzpolizist Mike Norton (Barry Pepper) wähnt sich unter Beschuss und erwidert die Gewehrsalven, wobei er den Mexikaner tötet. Nun will Pete sein Versprechen einlösen.

Schwachpunkte

Anstatt sich an die Vorlage zu halten, entscheidet Jones sich für den Zufall, was immer ein erzählerisches Manko ist. Damit verzichtet er auch auf die Thematisierung von Rassismus, falsch verstandener Vaterlandsliebe und Kriminalitätsbekämpfung. Das sind „Three Burials“ in der Storyentwicklung. Hinzu kommt eine behäbige, redundante, spannungs- und humorfreie Inszenierung. Amateure beerdigen eine taugliche Ausgangsidee. Es gibt lange Einstellungen von einparkenden Fahrzeugen und aussteigenden Menschen. Immer wieder Szenen, die nichts mit der Geschichte zu tun haben. So hat zum Beispiel Sheriff Belmont Potenzprobleme beim Schäferstündchen mit der verheirateten Kellnerin Rachel. Das ist bedauerlich, aber was soll das? Diese zentrale Frage beherrscht auch die nachfolgende Handlungen.

Fazit

Das eigentliche Kunststück ist es, den Helden in den überlangen zwei Stunden des Films keinerlei Gefahren auszusetzen. Einmal hat der Sheriff bei der Verfolgung Pete im Visier seines Gewehrs, entscheidet sich aber dann gegen den Schuss. Einzig die betörenden Landschaftsaufnahmen zeigen, was bewegte Bilder zu leisten vermögen.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 1 blauer Smiley und 6 schwarze traurige Gesichter für "Three Burials"

Die Banden von Marseille (Olivier Marchal)

Der Film fängt mit der Ermordung zweier Menschen und einem Suizid an. Dann gibt es einen Zeitsprung in die Vergangenheit, wobei sich später herausstellt, dass dieses Opening völlig unglaubwürdig ist und keine erzählerische Bedeutung hat. Also, in „Die Banden von Marseille“ geht’s um Effekthascherei. In der ersten Flashbackszene sehen wir Vronski, den Leiter einer Anti-Gang-Einheit der Marseiller Kripo, beim Gefangenentransport eines arabischen Clanchefs. Dessen Bitte um einen außerplanmäßigen Abstecher ins Krankenhaus zu seiner todkranken Frau kommt Vronski nach. Das alleine ist schon mehr als unprofessionell. Es kommt aber noch besser. Vronski lässt das Krankenzimmer nicht von seinen Leuten vorab untersuchen. Dann erfüllt er auch noch die Bitte seines Gefangenen, mit seiner schwerkranken Frau allein zu sein. Die nutzt dieser, um seine Frau von ihrem Leiden zu erlösen, indem er sie erstickt. Also leistet Bronsky nichts anderes als Beihilfe zum Mord. Das ist für alle handelnden Personen des Films einschließlich der Filmemacher aber kein großes Thema.

Unproduktive Irritationen

Aber so kann der Zuschauer natürlich keine emotionalen Beziehungen aufbauen. Den ganzen Film über gibt es keine nachvollziehbaren Konflikte, keine Entscheidungsfindungen, in die man einbezogen wird. Ein Paradebeispiel für unproduktive Irritationen: Der Zuschauer hat Fragen, auf die er bis zum Ende keine Antworten bekommt. Man wird ständig vor den Kopf gestoßen. Es herrscht die totale Konfusion, Unglaubwürdigkeiten bis zum Abwinken. Wer soll zum Beispiel glauben, dass praktisch die kompletten Einheiten des Marseiller Anti-Gang- und Rauschgiftdezernats korrupt sind? Warum werden bei einem Feuergefecht zwischen verfeindeten Gangs in einem Strandclub viele der anwesenden Gäste gleich mit erschossen? Wer soll glauben, dass ein Kripobeamter einen überlebenden Zeugen bei der Vernehmung ermordet und dann als Selbstmord tarnt? Warum verhaftet Vronski den Waffenlieferanten des Überfalls ausgerechnet bei der Trauerfeier des ermordeten Zeugen in einer voll besetzten Kirche? So geht das dann munter weiter. Warum Vronski suspendiert und kurz hinterher wieder rehabilitiert wird, fragt man sich schon nicht mehr. Die totale Verwirrung als Gestaltungsprinzip, als Ablenkungsmanöver, weil man im Grunde nichts zu erzählen hat.

Fazit

Es gibt keine Figuren, mit denen man mitzittert, keine Spannung, keine guten Dialoge. Es gibt einen Haufen Gangster – mit und ohne Polizeimarke – die sich gegenseitig umbringen. Das bringt die arabische Clanchefin bei Vronskis Drogendeal irgendwann auf den Punkt: „Das einzige, was uns unterscheidet ist, dass ich keine Polizeimarke habe“. Die nützt ihm am Ende aber auch nichts, weil er mitsamt seiner kompletten Einheit einschließlich des neuen Polizeichefs eliminiert wird. Von wem weiß man nicht und es ist auch nicht mehr wirklich von Interesse. „Nach „The Power of the Dog“ wieder ein desaströser Netflix-Spielfilm. Man erinnert sich wehmütig an originelle und spannende französische Copthriller wie „Crossfire“ (Claude-Michel Rome). Aber „Die Banden von Marseille“ hat allenfalls einen halben Punkt verdient, für stimmungsvolle Aufnahmen der Stadt.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 7 schwarze traurige Gesichter für "Die Banden von Marseille"

Elle (Paul Verhoeven) F/D 2016

Wenn man sich als Erzähler nicht auf seine Geschichte konzentriert, kann das auch nichts werden. Dabei ist in „Elle“ das Fundament eigentlich vorhanden: Die 50-jährige Michèle Leblanc (Isabelle Huppert) wird in ihrer Stadtvilla von einem Unbekannten überfallen und vergewaltigt. Anstatt zur Polizei zu gehen, macht sie sich auf die Suche nach dem Täter. Ein spannendes Rachedrama hätte es werden können, aber Paul Verhoeven hat nichts Besseres zu tun als eine Unmenge von handlungsirrelevanten Personen ins Spiel zu bringen.

Figuren

Da besucht Michèle ihre botoxbehandelte Mutter, die sich gerade mit einem 40 Jahre jüngeren Mann vergnügt. Ihr Ex-Mann hat eine Jüngere, die von Michèle zum Essen eingeladen wird. Toll. Ihr Sohn mietet mit Mamas Hilfe eine viel zu teure Wohnung an, in der er mit seiner zickigen Freundin auf Nachwuchs hofft. Der stellt sich dann auch nach wenigen Tagen ein. Mittlerweile wundert man sich über nichts mehr, auch nicht darüber, dass das Baby eine dunkle Hautfarbe hat. Aber das scheint den Vater nicht weiter zu stören.

Michèle selbst hat eine Affäre mit dem Ehemann ihrer besten Freundin Anna, mit der sie zusammen die Geschäfte eines Computerspiel-Verlags leitet. Die ganze stylische Ausstattung und die Mitarbeiterbesprechungen sind eine Lachnummer und erinnern nicht nur in ihrem Ambiente an die Niederungen deutscher Fernsehfilme. Nur, was haben diese ganzen Nebenerzählstränge mit der eigentlichen Geschichte zu tun?

Wirrwarr

Völlig krank wird das Ganze als Michèle beim zweiten Überfall im Vergewaltiger ihren religiösen Nachbarn erkennt und mit ihm eine sadomasochistische Beziehung eingeht. Zumindest erhält hier die Vorgeschichte ihres Vaters, der – wie das Leben so spielt – ein psychopathischer Killer war, eine Bedeutung: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Bei all diesem absurden Treiben kommt „Elle“ fast komplett humor- und spannungsfrei über die Runden. Der einzige Unterschied zu deutschen Depressionsfilmen besteht in der originellen Fähigkeit der Protagonisten, Streitereien schnell zu begraben, um sich lieber wieder ihren absurden Tätigkeiten zu widmen. Diese Unbekümmertheit hat im positiven Sinne etwas Kindliches. Zumindest kann man an diesen Stellen mal schmunzeln.

Finale

Wer nach eineinhalb Stunden immer noch nicht ausgeschaltet hat, kann dann noch erleben wie Michèles Sohn den Vergewaltiger bei seinem vierten Überfall erschlägt.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 1 blauer Smiley und 6 schwarze traurige Gesichter für Elle.