Crossfire (Claude-Michel Rome) F 2008

Angesichts der Tatsache, dass „Crossfire“ von Claude-Michel Rome hierzulande nicht in die Kinos gekommen ist, erhärtet sich der Verdacht, dass man die besten Filme gar nicht oder selten zu sehen bekommt. Dieser Genremix aus Krimi und Thriller ist inszeniert wie ein Western und – bis auf Anfang und Ende – einfach hervorragend gemacht. Die Geschichte ist unglaublich verdichtet und temporeich. Man muss sich schon konzentrieren, um dem Geschehen folgen zu können. Gut so. Hinzu kommt noch, dass die Locations, die Ausstattung, die Atmosphäre, die Charaktere, die Dialoge, die Beschreibung der Polizeiarbeit ziemlich genial sind. Vor allem dieses Polizeirevier wird niemand so schnell vergessen.

Die Geschichte

Commandante Vincent Drieu (Richard Berry) wird ins kleine südfranzösische Saint-Merrieux strafversetzt. Seine Chefin, die schwangere Kommissarin Vasseur (Zabou Breitman), versucht ihn gleich auf Kurs zu bringen: Dienst nach Vorschrift, in drei Monaten wird das behelfsmäßige Polizeirevier ohnehin abgerissen. Aber Vincent wirkt nur desillusioniert, tatsächlich ist er ein hervorragender, akribisch arbeitender Polizist, der folgerichtig bei seinen Kollegen aneckt, mit der lokalen Unterwelt sowieso. Der scheinbar harmlose Fund eines abgestellten Fahrzeugs im Ghetto führt Vincent nach und nach auf die Spur einer Bande von Gangstern, die mit Drogen und Waffen dealen und auch vor Mord nicht zurückschrecken. Dabei gelingt es ihm, sein anfangs korruptes Team sukzessive zurück auf den Pfad des Gesetzes zu führen. Im bleihaltigen Showdown können sie gemeinsam die Gangster besiegen, wobei sich Kommissarin Vasseur als kriminelle Komplizin entpuppt. Am Ende quittiert Vincent seinen Dienst und verlässt Saint-Merrieux wie er gekommen ist.  

Die Dialoge

Ebenfalls ziemlich genial sind die lakonischen, manchmal auch sarkastischen Dialoge, zum Beispiel als die Polizeichefin Vincent die hiesigen Spielregeln erläutert: „Wir füllen hier das Wachbuch aus. Das war’s.“ Für seine Bleibe im Hotel Marisol hat sie folgende Bemerkung parat: „Wollen Sie nicht lieber eine der Zellen? Die sind bequemer.“ Seinen Hotelnachbarn, der alles organisieren kann, fragt Vincent: „Sind Sie der Weihnachtsmann?“ Seine Kollegen provoziert er mit folgender Frage: „Wieso? Ist das hier’n Revier?“ Die Hypothesen von Clubchef Farge zum scheinbaren Drogentod des Dealers Malik kommentiert Vincent so: „Sie schildern es, als wären Sie dabei gewesen.“ Irgendwann verdichten sich die Hinweise: Vincent ist nicht desillusioniert, sondern nicht korrumpierbar. „Er ist sauer, weil Sie ihm nicht zuhören“, klärt er seine Chefin nach einem Wutausbruch seines Kollegen auf. Diplomatie ist nicht seine Sache.

Stärken

Ein weiterer Vorzug dieses spannenden Copthrillers ist auch die fragmentarische Behandlung der privaten Vorgeschichte des Helden. Auf seinem Hotelzimmer führt Vincent Telefonate mit einer Frau, mit der er offensichtlich eine Liebesbeziehung hatte oder hat: „Komm zurück. Hör auf, bevor es zu spät ist.“ Die näheren Zusammenhänge werden angerissen, aber nicht detailliert beleuchtet. Müssen sie ja auch nicht. „Crossfire“ ist ja kein Melodrama oder deutscher Fernsehkrimi. Gerade diese schlaglichtartige Beleuchtung von Vincents Vergangenheit trägt sowohl zur geheimnisvollen, düsteren Grundstimmung als auch zur Spannung bei. 

Metapher

Herrlich ist das Bild des joggenden Commandante vor der Kulisse einer gigantischen Ölraffinerie. Anfangs läuft Vincent noch allein. Dann stoßen nach und nach die Kollegen seiner Abteilung dazu. Am Ende joggen sie zu Viert. Eine wundervolle Metapher für die Entwicklung der Nebenfiguren. Nur Kollege Jean-Ba gehört nicht zu den Joggern. Dafür ist seine Scham zu groß. Das wird deutlich, als er Vincent vor dem Hotel Marisol das Leben rettet und sich nicht zu erkennen gibt. Am Ende belehrt Vincent seine korrupte Chefin: „Ihr größter Fehler war, dass Sie Ihre Leute unterschätzt haben.“

Schwächen

Die Schießereien zu Beginn und am Ende von „Crossfire“ sind völlig überzogen. Vor allem das Opening ist unnötig brutal. In beiden Situationen können die Gangster eigentlich auch kein Interesse haben, haufenweise Polizisten zu erschießen. Das würde ihnen doch nur eine Armada von Gesetzeshütern auf den Hals hetzen. Nein, den Anfang hätte man einfach weglassen oder anders inszenieren müssen, zum Beispiel so: Der Gefangenentransport hat keine Begleitfahrzeuge. Er besteht nur aus einem Kleinlaster mit zwei Gefängniswärtern und zwei Fahrern. Dann gibt es einen kleinen Unfall. Der Fahrer steigt aus, weil er glaubt, eine Mitschuld zu haben und Hilfe leisten will. Aber der Unfall ist eine Falle. Der Fahrer wird in Geiselhaft genommen, die Freilassung des inhaftierten Gangster erpresst. Leichen: Null.

Showdown

Beim bleihaltigen Finale hätten vier oder fünf Gefolgsleute von Vargas völlig genügt, aber doch nicht 30, die auch noch Gefallen daran finden, sich von den im Revier befindlichen Polizisten abknallen zu lassen. Irgendwie sind sie hier mit den Filmemachern durchgegangen, so als wollte man beweisen, dass nicht nur Hollywood bleihaltige Actionszenen produzieren kann. Wie wäre denn folgendes gewesen? Es gibt zwischen den fünf Polizisten und fünf Gangstern ein Feuergefecht und Verletzte auf beiden Seiten. Am Ende geht den Polizisten die Munition aus, nicht aber den Gangstern. In diesem Moment erscheinen Einwohner des Viertels und stellen sich zwischen die Kontrahenten. Vielleicht sind auch ein paar Ehefrauen der Polizisten oder Kriminellen dabei? Vielleicht auch ein paar Kinder, die den dicken Rémy immer vor der Polizeiwache geärgert haben? Jedenfalls haben die Menschen die Nase voll von Drogen, Korruption, Mord und Totschlag. Wie in „Der einzige Zeuge“ von Peter Weir kapieren die Gangster, dass es keine Lösung ist, erst 50 Unschuldige zu erschießen, um an die eigentlichen Zielobjekte zu gelangen. Also Flucht oder Aufgabe wäre die Lösung gewesen. Insgesamt wäre auch hier weniger mehr gewesen.

Fazit

„Crossfire“ hätte ein ganz großer Wurf werden können, wenn die Filmemacher mehr auf ihre Stärken vertraut hätten: Die liegen in den originellen Figuren und ihren Entwicklungen, in der Polizeiarbeit, in den Locations, der Ausstattung, den Dialogen, vor allem in den ruhigen und melancholischen Momenten des Films.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für Crossfire.

Thelma – Rache war nie süßer (Josh Margolin) USA 2024

„Thelma – Rache war nie süßer“ hat zwar eine interessante Heldin und ein klassisches Erzählmotiv (Rache), ist aber ansonsten ein langweiliger, oberflächlicher Film mit vielen Ungereimtheiten, Zufällen und handwerklichen Fehlern. Es gibt keine Raffinesse, kaum Überraschungen, kaum Hindernisse und so gut wie keine Gefahren. Man fragt sich auch, warum die Erzählung sich derart betulich, quasi im Gleichschritt mit ihren betagten Protagonisten, über die Runden quälen muss? Warum nicht in rasanter Action, anstatt in Rollatorengeschwindigkeit? Emotionen entstehen dadurch kaum, obwohl die betagte Heldin eigentlich alle erforderlichen Voraussetzungen mitbringt.

Die Protagonistin

Die 93-jährige Thelma lebt in einer recht feudalen Wohnung, vermisst ihren verstorbenen Mann, ist stur, ein bisschen tüdelig, schwerhörig, ein bisschen wacklig auf den Beinen und hat eine liebevolle Beziehung zu ihrem Enkel Danny. Eigentlich ist das Opening vielversprechend und erinnert an den grandiosen Film „Ein kleines Stück vom Kuchen“.  Aber dann, aber dann … 

Die Geschichte

Ein Enkeltrick. Betrüger erpressen Thelma am Telefon, 10.000 Dollar in bar an ein Postfach zu schicken. Damit wird auch die erste Ungereimtheit etabliert: Wieso wissen die Betrüger, dass Thelma einen Enkelsohn namens Danny hat? Woher haben die Betrüger all diese Insider-Informationen? Dafür liefert auch Dannys zuvor verlorene Brieftasche keine Erklärung. Wieso soll diese Summe überhaupt auf dem Postweg verschickt werden? Üblicherweise werden solche Forderungen doch über zweifelhafte Kreditinstitute wie Western Union oder die Bank of Scotland abgewickelt. Die Betrüger wären bei einem Opfer, das die notierte Anschrift nicht verloren hätte, doch problemlos von der Polizei aufzuspüren. Alles sehr merkwürdig hier. 

Weitere Ungereimtheiten

Wieso rufen Dannys Eltern, Gail und Alan, nachdem sie vergeblich stundenlang im Seniorenheim auf Thelma gewartet haben, nicht die Polizei? Woher weiß Thelma von der Anwesenheit und vom Versteck eines Revolvers, den sie im Haus ihrer dementen Freundin Mona entwendet?

Zufälle

Sie sind stets ein erzählerisches Armutszeugnis. In „Thelma – Rache war nie süßer“ haben sie Hochkonjunktur: Nachdem Thelma am Stadtrand gestürzt ist und Ben ihr wieder auf die Beine geholfen hat, fährt zufällig Freundin Lois vorbei und chauffiert beide zur gesuchten Adresse, einem Kiosk, in dem sich dutzende von Postfächern befinden. Thelma und Ben legen sich auf die Lauer. Sie müssen auch nicht lange warten, da kommt ein junger Mann vorbei und macht sich – man errät es schon – natürlich am observierten Postfach zu schaffen. Zum Glück steigt er anschließend auch nicht in sein Auto, sondern verschwindet ein paar hundert Meter weiter in ein Lampengeschäft. Eine Verfolgung wäre sonst auch gescheitert. Der Gipfel der Einfallslosigkeit ist aber Thelmas Suche nach dem Passwort am Computer des Betrügers, um ihr geraubtes Geld zu retournieren: Ein Griff in die Schublade und sie hat es. Alles supi hier!

Hindernisse

Auch sonst werden der Heldin bei ihrem kleinen Abenteuer möglichst wenig Hindernisse in den Weg gelegt, was weder glaubhaft und schon gar nicht dramatisch ist. Einmal müssen die Batterien ihres Scooters aufgeladen werden, aber das war’s dann. Hunger, Durst, Harndrang, Polizeistreife sind bei der stundenlangen Verfolgung kein Thema.

Antagonist

In anderen Filmkritiken ist viel von Herzenswärme und Respekt die Rede. Aber wenn ein Filmgestalter seine Heldin mit so einer Knalltüte von einem „Gegenspieler“ beglückt, dann nimmt er sie einfach nicht ernst. Er behandelt sie von oben herab, also respektlos. Eigentlich genauso wie Töchterchen Gail und Schwiegersohn Alan die Heldin behandeln, nachdem sie reingelegt wurde. Das ist die Ironie. Warum sollte Hitchcocks Gleichung „Je gelungener der Schurke, umso gelungener der Film“ je seine Gültigkeit verlieren? Die anfangs etablierte Verschlagenheit des Betrügers pulverisiert sich beim „Showdown“. Harvey ist ein bedauernswerter kranker Mann, aber doch kein Bösewicht. Nur wenn die Heldin auf einen ebenso intelligenten wie skrupellosen Antagonisten getroffen wäre, hätte sie ein echtes Problem gehabt. Aber doch nicht so.

Peinlichkeiten

Nachdem Danny mit seinen Eltern nach erfolgloser Suche wieder im Pflegeheim landet, lässt er sich zu einer weinerlichen, selbstanklagenden Volksrede hinreißen: „Ich bin ein Loser.“ Noch schlimmer ist seine schmalzige Liebeserklärung, ganz am Ende des Films, als er mit Thelma auf einer Parkbank sitzt. Ihre Antwort zeigt, dass sie schon wieder auf jemanden reingefallen ist und offensichtlich nichts dazugelernt hat.

Lösung

Wenn Danny Mitglied der Betrügerbande gewesen wäre, hätte das auch die Insider-Information zu Beginn erklärt. Also eine Variante von Sidney Lumets „Tödliche Entscheidung“. Das hätte uns Einblicke geben können in die Abgründe, die sich hinter der sorgsam gehüteten Fassade einer wohlbetuchten, gutbürgerlichen Welt auftun. Der drogenabhängige Danny, der dringend Kohle braucht und seine eigene Großmutter reinlegt. Das wär’s gewesen. Das hätte uns auch seine selbstmitleidige Volksrede und dieses schmalzige Gesäusel erspart.

Fazit

„Thelma – Rache war nie süßer“ fehlt die Rasanz, die Professionalität, die Raffinesse, das Unkorrekte, das Bösartige. Man kann zwei- bis drei Mal schmunzeln, aber das ist das höchste der Gefühle.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 1 blauer Smiley und 6 schwarze traurige Gesichter für "Thelma - Rache war nie süßer".

Fletcher’s Visionen (Richard Donner) USA 1997

Das Opening von „Fletchers Visionen“ ist das beste am ganzen Film. Schon originell wie Taxifahrer Jerry Fletcher (Mel Gibson) seine Fahrgäste zutextet. Eigentlich eine interessante Hauptperson, womit man als Filmemacher schon mal einen erheblichen Teil der Miete eingetrieben hätte. Aber was dann folgt, ist an Absurdität kaum zu überbieten.

Grassierender Unfug

Jerry ist – wie sich am Ende herausstellt – ein von CIA-Bösewicht Dr. Jonas programmierter Killer, der den Auftrag hat, einen Richter im Gerichtssaal zu töten. Dabei sieht er allerdings dessen Tochter, die Staatsanwältin Alice Sutton (Julia Roberts), in die er sich Hals über Kopf verliebt. Jetzt kann er seinen Auftrag nicht mehr ausführen und taucht unter. Leider ist sein neuronales Netzwerk bei der Programmierung ein wenig durcheinander geraten, weshalb er sich nun als nervöser Verschwörungstheoretiker, Stalker und Taxifahrer durchschlägt.

Witzfiguren

Ein großer Vorteil für Jerry und den Zuschauer ist es, dass die CIA-Agenten immer deutlich zu erkennen sind. Sie fahren stets schwarze viertürige SUV’s, tragen schwarze Anzüge sowie Sonnenbrillen und Headsets. Ein Vorteil für den Helden ist aber immer ein Nachteil für den Spannungsaufbau. Außerdem können die Agenten miserabel schießen. Deshalb kann Jerry auch in einer Klinik entkommen, obwohl er an einen Rollstuhl gefesselt ist und gerade gefoltert wurde. Die Schüsse seiner Gegner verschonen Jerry auf wundersame Weise. Bei der Verfolgung hilft der CIA auch nicht eine ganze Armada von Hubschraubern, aus denen sich mitten in New York dutzende von Agenten abseilen, um die sich Passanten nicht weiter scheren. Wieso Alice sich überhaupt in Jerry verliebt, also in einen durchgeknallten Stalker, der sie in die Machenschaften des CIA mit hineinzieht, fragt man sich da auch nicht mehr.

Wirrungen

Am Ende wird Jerry von Dr. Jonas erschossen, woraufhin Alice den Bösewicht abknallt. Geschieht ihm recht. Offensichtlich wird Jerry aber im Krankenhaus gerettet. Das erfahren wir, weil er aus der Ferne aus einem Auto heraus Alice beim Reiten zuschaut. Er darf sich ihr aber nicht zu erkennen geben, wie der ebenfalls anwesende FBI Agent Lowry erklärt, weil es noch zu gefährlich wäre. Wie? Gibt es etwa noch einen zweiten Teil? Gibt es einen Nachfolger von Dr. Jonas? Aber Alice ist ja clever. Sie merkt auch so, dass der Geliebte überlebt hat, denn jemand – wer auch immer? – hat einen Button von Jerry am Zaumzeug ihres Pferdes deponiert. Happy End.

Lösungen

Eigentlich wäre die Lösung ganz einfach gewesen: Eine Variante von „Die drei Tage des Condor“. Also Jerry Fletcher textet seine Fahrgäste mit Verschwörungstheorien zu. Es ist einfach seine Marotte, ohne diesen ganzen Hirn-Manipulationsmüll. Eine seiner Theorien handelt von Machenschaften der US-Regierung im Stile der Iran-Contra-Affäre. Die würde ja auch niemand glauben, mit einer Ausnahme: die CIA. Die hätte nun ein glaubhaftes Interesse daran, ihn und seine fünf Abonnenten zum Schweigen zu bringen. Also einer seiner Fahrgäste hätte ein CIA-Agent sein können, dem Jerry seine scheinbar wirre Story erzählt. Das wäre dann der Startschuss zur nachfolgenden Jagd gewesen.

Fazit

Glaubwürdigkeit, Plausibilität und Emotionen sind für die Filmemacher von „Fletchers Visionen“ keine relevanten Parameter. Bei diesem hanebüchenen Treiben wundert man sich nur, was alles so produziert wird.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 1 blauer Smiley und 6 schwarze traurige Gesichter für "Fletchers Visionen".

The Guilty (Antoine Fuqua) USA 2021

Immerhin gibt es in „The Guilty“ das Bemühen um einen Spannungsaufbau und keine Überlänge. Das ist das Positive. Ansonsten ist es ein Stelldichein von Psychopathen, die zu keiner Zeit Emotionen erzeugen. Das Geflenne von Officer Joe Baylor (Jake Gyllenhaal) im Finale überträgt sich leider nicht. Umgekehrt wäre es besser gewesen. Also emotionale Reduktion im Schauspiel, berührte Zuschauer. Woran liegt’s?

Remakes

Antoine Fuqua und Drehbuchautor Nic Pizzolatto sind versierte Handwerker. Das haben sie u.a. mit der 1. Staffel von „True Detective“ unter Beweis gestellt (s.a. „Tränen der Sonne“). Warum sich professionelle Filmemacher und gute Schauspieler wie Jake Gyllenhaal (s. „Nightcrawler“) an diesem defätistischen Unfug beteiligen, bleibt ihr Geheimnis. Die Vorlage des Dänen Gustav Möller ist für eine (Wieder-)Verfilmung völlig ungeeignet. Das liegt nicht nur an den quälenden „Ereignissen“ in einer Einsatzleitstelle des LAPD.

Psychopathen

Joe Baylor, der getrennt von Frau und Tochter lebt, kommt um 2 Uhr Nachts auf die Idee, seine Ex-Frau aus dem Bett zu klingeln, um mit seiner kleinen Tochter zu sprechen. Anstatt ihm die Leviten zu lesen, unterhält sie sich auch noch mit ihm. Klar, einem Psychopathen sollte man gut zureden, sonst kommt er womöglich auf noch abstrusere Ideen. Mit seinem Arbeitskollegen will Joe mal ein Bier trinken gehen, aber nur um an Informationen zu gelangen. Auch in „Nightcrawler“ spielt Jake Gyllenhaal einen Psychopathen, aber einen interessanten, einen faszinierenden. Das ist der Unterschied.

Kammerspiel

Ein weiterer gravierender Fehler ist die Ansiedlung der gesamten Handlung in einer Notrufzentrale. Durch die fehlenden Interaktionen erfahren wir von den anderen Personen einfach zu wenig. Hinzu kommt, dass ihre Stimmen am Telefon teilweise schwer verständlich sind. Vor allem wird damit aber die Möglichkeit verschenkt, Suspense aufzubauen. Bis auf seine dunkle Vorgeschichte wissen wir immer so viel oder so wenig wie Joe. Besser wäre aber ein Informationsvorsprung gewesen, um Spannung zu generieren. In „The Call – Leg nicht auf!“ demonstriert Brad Anderson, gerade durch die alternierenden Szenenwechsel, wie die Spannung auf die Spitze getrieben werden kann.

Gefahren

Joe hat eine dunkle Vergangenheit und wir ahnen, dass ihn dieser nächtliche Notruf läutern soll, was ja dann auch eintritt. Vorhersehbarkeit ist aber immer langweilig. Gefahren entstehen für Joe ansonsten keine. Eigentlich liegt das Spannungspotenzial in der Ankündigung der Psychopathin Emily, zu ihrer 6-jährigen Tochter Abby zurückzukehren. Da liegt die tödliche Gefahr, aber doch nicht in ihrer Drohung, von einer Brücke zu springen und schon gar nicht bei Joe. Daran ändert auch sein abgeschmacktes Schuldeingeständnis am Ende nichts. Katastrophenfilmer Louis Bloom aus „Nightcrawler“ zeigt am Ende, nachdem er seinen Partner zum „Wohle“ der Einschaltquoten geopfert hat, keine Reue.

Fazit

„The Guilty“ ist verlorene Lebenszeit. Selber schuld, wenn Ihr Euch diesen Film anschaut.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 1 blauer Smiley und 6 schwarze traurige Gesichter für "The Guilty".

Berüchtigt (Alfred Hitchcock) USA 1946

„Berüchtigt“ (Notorious) von Alfred Hitchcock ist kein Krimi, auch kein Drama, am ehesten noch ein Spionagethriller, eigentlich aber ein Thrillermelodrama. Im Fokus stehen nämlich die Liebesgeschichte zwischen dem Geheimagenten Devlin (Gary Grant) und Alicia Huberman (Ingrid Bergmann) sowie die Gefahren, die aus ihrem Undercover-Einsatz resultieren. „Berüchtigt“ ist eines von Hitchcocks Meisterwerken und beruht auf einer Kurzgeschichte des Journalisten John Taintor Foote. Das Script stammt vom US-amerikanischen Autor Ben Hecht, der das Geheimnis guter Drehbücher wie folgt definiert hat: „Zwei Hunde, ein Knochen.“ „Berüchtigt“ ist eine Visualisierung seines Postulats, sowohl auf der Ebene des Melodramas als auch auf des Thrillers.

Die Geschichte

Der US-amerikanische Geheimdienst sucht Zugang zu einer Gruppe von Neonazis, die in Rio ihr Unwesen treibt. Agent Devlin wird auf die hübsche Alicia Huberman angesetzt, Tochter eines verstorbenen Nazis. Der ideale Köder. Die lässt sich auf das Doppelspiel ein. Zum einen will sie wieder gutmachen, was ihr Vater verbrochen hat, zum anderen verliebt sie sich in Devlin. In Rio lautet ihr Auftrag, sich an Alexander Sebastian, den Kopf der Naziclique, heranzumachen. Der Plan scheint aufzugehen, bis Alexander sie zur Heirat nötigt. Aus unterschiedlichen Gründen stellen Alicia und Devlin ihre Gefühle zurück. Die Heirat wird vollzogen. Doch Alexander kommt hinter das doppelte Spiel seiner Ehefrau und beginnt, in Zusammenarbeit mit seiner Mutter, Alicia zu vergiften. Im letzten Moment kann der misstrauische Devlin die Geliebte retten.

Klassisches Erzählmotiv

Meister Hitchcock wusste um das dramatische Potenzial der Vorlage: Ein Mann und eine Frau verlieben sich ineinander. Aus beruflichen Gründen muss er sich von ihr trennen, indem er sie einem anderen Mann zuführt. Das ist das Drama: Die Unmögliche Liebe (s.a. „Die Brücken am Fluss“, „La Strada“ usw.). Hier ein Konflikt zwischen Liebe und Pflichterfüllung. Für einen frühen Ausstieg aus den beruflichen Zwängen hätte ihre Liebe ein anderes Fundament bedurft, mehr Sicherheit, auch eine andere Zeit. Aber so müssen beide die größtmögliche Prüfung absolvieren. So hat Devlin eine Schuld auf sich geladen. Er war es, der Alicia zum Pakt mit dem Teufel verführt hat. Am Ende von „Berüchtigt“ gönnt Hitchcock dem Liebespaar ein Happy End, eine Wendung also. Aus der unmöglichen Liebe wird die mögliche: „Ich lass dich nie mehr allein.“ Das ist schön und haben sich beide auch verdient.

Suspense

Selbstredend gestaltet Hitchcock den Informationsfluss so, dass wir (die Zuschauer) die meiste Zeit mehr wissen, als Teile der handelnden Personen. Wir kontrollieren sozusagen das Geschehen. Wenn Alicia mit Alexander anbändelt, wissen wir um die Hintergründe. Vor allem wissen wir um die tödlichen Gefahren, die eine Enttarnung ihres Doppelspiels implizieren. Diese Gefahren werden von Hitchcock zum Teil genüsslich retardiert. Wenn sich beim Empfang in Alexanders Villa der Vorrat von auf Eis gelagerten Champagnerflaschen dem Ende zuneigt, wissen wir um die Konsequenzen. Denn der Schlüssel zum Weinkeller befindet sich gerade in Devlins Händen. Die Zwischenschnitte auf den schrumpfenden Vorrat sind das Damoklesschwert, das dicht über den Köpfen der Liebenden schwebt. So ist das richtig: Keine Rätselspiele, sondern Suspense! 

Die Figuren

Schon toll, wie Alicia als Femme fatale inszeniert wird: trinkfreudig, spitzzüngig und leicht bekleidet. Im Grunde eine sehr moderne Frauenfigur. Sehr schön sind auch ihre Ängste, dass Devlin sie in erster Linie als geeigneten Köder und als Schnapsdrossel sehen könnte. In gewisser Weise steht Devlin seiner interessanten Partnerin in nichts nach. Obwohl auch er sich sofort verliebt hat, verschanzt er seine Gefühle hinter dem Spionageauftrag: „Wisch die Tränen ab. Sie passen nicht zu dir.“ Die Offenbarung seiner Gefühle lässt er nicht zu, noch nicht. Die Wahrung der Fassade, die sich in Bitterkeit und Verachtung ausdrückt, lässt ihn schließlich verzweifeln. Er beantragt seine Versetzung nach Spanien. Erst im letzten Moment siegt sein Misstrauen: Sollte es andere Gründe für Alicias merkwürdiges Verhalten geben, als übermäßigen Alkoholkonsum?

Demgegenüber ist die Figur ihres Ehemanns schwach. Alexander Sebastian ist zu alt, um ernsthaft Alicias Partner zu sein. Er ist eher der väterliche Freund. Hier wäre ein gleichaltriger, d.h. gleichwertiger Rivale viel besser und dramatischer gewesen.

Weitere Schwachpunkte

Wenn Devlins Boss, Capt. Paul Prescott, beim ersten Dinner von Alicia mit Alexander ebenfalls im Restaurant erscheint, ist das viel zu gefährlich, zumal beide Männer sich ja – warum auch immer – aus der Vergangenheit kennen. Was will Prescott da überhaupt? Jedenfalls müsste Alexander sofort Verdacht schöpfen und diesem nachgehen. Damit wäre aber auch das ganze Unterfangen gescheitert.

Die Hochzeit von Alicia und Alexander wird einfach ausgeklammert. Gezeigt werden nur die Resultate: Einzug Alicias in die herrschaftliche Ville ihres Gatten, Empfang usw. Eine körperliche Annäherung zwischen den Eheleuten fällt unter den Tisch. Alexanders sexuelle Wünsche und Alicias Ablehnung wäre aber dramatisches Konfliktpotenzial gewesen, auch bei den geheimen Treffen mit Devlin. Seine süffisante Frage, wie es denn so in der Hochzeitsnacht war, darf man sich eigentlich nicht entgehen lassen, auch wenn das Geschehen vor 80 Jahren angesiedelt ist.

Die deutsche Synchronisation von 1951 machte aus der Naziclique ein Drogenkartell, aus dem Uranerz wurde Heroin. Das ist schon ein bisschen unbedarft, auch unfreiwillig komisch. Es weiß doch jedes Kind, dass südamerikanische Drogendealer anders aussehen als deutsche Nazis. Wie kommt man überhaupt auf so eine Idee? Angeblich wollte der Verleiher aus pekuniären Gründen so kurz nach dem 2. Weltkrieg den Deutschen keine Geschichte mit bösen, bösen Nazis zumuten. Wäre denkbar. Ein anderer möglicher Grund könnte aber auch politische Einflussnahme gewesen sein, denn im Original wird die IG Farben namentlich erwähnt. Der seinerzeit weltgrößte Chemiekonzern hatte sich zahlreicher Kriegsverbrechen schuldig gemacht und wurde nach Kriegsende zerschlagen.

Fazit

Trotz seiner Defizite hat „Berüchtigt“ auch 80 Jahre nach seiner Herstellung nichts von seiner erzählerischen Kraft eingebüßt. „ ‚Berüchtigt‘ ist Hitchcocks Quintessenz.“ (Francois Truffaut)

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für Berüchtigt.

Barry Seal – Only in America (Doug Liman) USA 2017

„Barry Seal“ ist eine originelle Trickster-, Abenteurer- und Thrillerkomödie, die tragisch endet, also eine Tragikomödie mit einem Thrillerhintergrund. Sie spielt in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts und beruht auf wahren Begebenheiten. Aber anders als in „Spotlight“ von Tim McCarthy gibt es hier eine Geschichte, die in Rückblenden erzählt wird. Und diese Geschichte hat es in sich, genauso wie ihr Protagonist. Wenn mir früher bei meiner Tätigkeit als Drehbuch-Lektor ein derartiges Script untergekommen wäre, hätte ich es als völlig unglaubwürdig eingestuft und den Autoren des übermäßigen Drogenkonsums verdächtigt. Aber die Handlung ist so skurril, dass man sie sich eigentlich kaum ausdenken kann. Ein Indiz für ihre Realitätsnähe und für den Irrsinn US-amerikanischer Außenpolitik. Regisseur Doug Liman tat gut daran, sich eng an die wahren Begebenheiten zu halten.

Die Geschichte

USA 1986. Barry Seal (Tom Cruise) zeichnet seine Erlebnisse auf Video auf. Acht Jahre zuvor ist er mit kleinen Schmuggeleien bei seiner Arbeit als Flugkapitän ins Visier des CIA geraten. Die nötigen ihn zu Aufklärungs- und Transportflügen in mittelamerikanischen Staaten, „bei den Feinden der Demokratie“. Vorbehalte von Ehefrau Lucy weiß Barry zu zerstreuen. Aber was relativ harmlos anfängt, entwickelt sich zu einem Lieferservice für Schwarzgeld und Rauschgift. Während einer Razzia bei kolumbianischen Drogenbossen wird Barry von der Armee verhaftet. Die CIA erwirkt seine Freilassung. Dieses Mal nötigen sie ihn, in Nicaragua für die Contras zu spionieren. Die sind allerdings eher am Rauschgifthandel interessiert als an politischen Kämpfen.

Drogengeld

Das Geschäft boomt und Barry weiß gar nicht, wohin mit dem ganzen Geld. Schwierigkeiten treten erst auf, als Lucys jüngerer Bruder verhaftet und – kaum wieder auf freiem Fuße – vom Drogenkartell liquidiert wird. Spätestens jetzt merkt Barry, dass er hier in ein tödliches Spiel geraten ist, aus dem es keinen Ausstieg gibt. Kurz darauf wird er bei einer Razzia auf seinem Firmengelände in den USA festgenommen. Seinen Kopf kann er gerade noch aus der Schlinge ziehen, indem er sich für eine Antidrogenkampagne des Weißen Hauses einspannen lässt. Dummerweise werden, entgegen den Absprachen, heimlich aufgenommene Fotos vom Rauschgiftgeschäft im amerikanischen Fernsehen veröffentlicht. Damit ist die Jagd der Drogenbosse auf Barry eröffnet, die ihn schließlich 1986 in Arkansas liquidieren.

Die Figuren

Schon das Opening charakterisiert Barry vortrefflich: Als zweiter Flugkapitän eines Passagierjets schaltet er den Autopiloten aus und hat seine diebische Freude daran, die Fluggäste ein bisschen durchzuschütteln. Sein Hang zu Unkorrektheiten und Wagemut wird mit einer gehörigen Portion Naivität kombiniert. Barry ist nicht der Hellste unter der Sonne, aber er ist stets freundlich, liebt das Fliegen, seine Frau Lucy und seine Kinder. Er ist ein Schlawiner, eine interessante und prägnante Figur, die unsere Sympathien weckt. Und Tom Cruise spielt diesen Trickster ähnlich brillant wie den Dating-Coach Frank Mackey in „Magnolia“.

Ehefrau Lucy ist ebenfalls einfach gestrickt. An der Teilnahme einer feucht-fröhlichen Sause beim kolumbianischen Drogenkartell kann sie nichts Anrüchiges finden. Im Gegenteil. Ein kleiner Quickie mit Barry während des Rückflugs zeigt ihre Begeisterung für seine beruflichen Ausschweifungen. Am Ende bringt Barry Frau und Kinder aus dem Schussfeld, indem er sie überredet, zurück nach Baton Rouge zu ziehen.  Er weiß nur zu gut, was ihn erwartet. Auch das ist schön und trägt zur Identifikation mit dem Helden bei. Überhaupt ist die ganze Besetzung der Schauspieler bis in die kleinsten Nebenrollen einfach hervorragend. „JB“, Lucys etwas unterbelichteter Bruder, spielt einfach genial.

Schwachpunkte

Man hat nie wirklich Angst um Barry. Sein Überlebenskampf ist originell, auch schwarzhumorig, aber – bis aufs Ende – nie dramatisch. Bei Schwierigkeiten demonstriert er seine Qualitäten als Stehaufmännchen. Das Komödiantische überwiegt, wobei das ja auch dramatisch sein könnte (siehe z.B. „Sein oder Nichtsein“ von Ernst Lubitsch). Vielleicht hätten wir auch etwas mehr erfahren können über Barry oder seine Ehe (wie z.B. in „Donnie Brasco“). Da gibt es eine sehr schöne Szene, als Donnie beim Paartherapeuten seiner Frau gesteht – was er eigentlich nicht darf -, dass er als Undercover-Agent fürs FBI arbeitet. Natürlich glaubt ihm niemand. Ähnliches hätte man sich auch in „Barry Seal“ gewünscht. Da geht die Beichte nahezu unter. Im Vordergrund stehen die Abenteuer.

Tiefgang

Die limitierte Dramatik drückt sich auch in Barrys Umgang mit dem Drogenhandel aus. Alles sehr verniedlichend. Dabei schafft er Unmengen von Rauschgift ins Land mit verheerenden Auswirkungen für die Konsumenten. Für Barry ist das kein großes Ding. Hier hätte man sich einen Gewissenskonflikt vorstellen können mit seiner Entscheidung zum Ausstieg. Die Drogenbosse und das CIA hätten ihm die Unmöglichkeit seiner Wahl schnell klargemacht. Barry in der Zwickmühle. Es hätte die emotionale Nähe zur Hauptfigur intensiviert. Das wär’s gewesen.


Iran-Contra-Affäre

Mehr als nur eine Fußnote. Das muss man sich mal reinziehen: Die CIA tätigte 1985 geheime Waffenverkäufe mit dem Iran, also das Land, in dem 6 Jahre zuvor 52 Mitarbeiter der amerikanischen Botschaft in Geiselhaft genommen wurden. Hinzu kam, dass der Iran gerade Krieg mit dem Nachbarstaat Irak führte. Dessen Machthaber Saddam Hussein wurde wiederum von den USA unterstützt, bis sie ihn später bekriegten. Für die Zwischenlandungen bei den Waffenlieferungen nutzten die Amerikaner israelische Flughäfen, also Gebiete des Erzfeindes des Irans. Mit dem Geld aus den Waffenverkäufen unterstützten die USA nun die Contras in Nicaragua bei ihrem Kampf gegen die Sandinisten. Die wiederum benutzten das Geld für Drogengeschäfte und schmuggelten das Rauschgift mit Wissen der amerikanischer Behörden wieder in die USA. De facto betätigten sich die Amerikaner also als Waffen- und Drogenhändler im großen Stil. 

Fazit

„Barry Seal“ ist eine sehr unterhaltsame, schwarzhumorige Tricksterkomödie mit ausbaufähigem Tiefgang.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 5 blaue Smileys und 2 schwarze traurige Gesichter für "Barry Seal".

Charley Varrick – Der große Coup (Don Siegel) USA 1973

„Charley Varrick“ hat auch 50 Jahre nach seiner Herstellung nichts von seiner dramatischen und atmosphärischen Dichte eingebüßt. Der Gangsterthriller punktet mit einer raffinierten Geschichte und originellen Regieeinfällen. Wieder mal erweist Don Siegel sich als Meister harter Actionfilme, der um jeden Preis unterhalten will. Das ist gut und das gelingt ihm, auch wenn die psychologische Auslotung seiner Figuren nicht zu seinen Kernkompetenzen zählt.

Die Geschichte

Charley Varrick (Walter Matthau), Ehefrau Nadine und zwei Komplizen sind Bankräuber, die sich auf Überfälle kleinerer Geldhäuser spezialisiert haben. Diese Ausgangssituation hat u.a. David Mackenzie in „Hell or High Water“ kopiert. Charleys Bande hat sich eine kleine Privatbank in Tres Cruces (New Mexico) ausgesucht. Allerdings läuft der Coup mit einer Schießerei und vier Toten völlig aus dem Ruder. Nadine erleidet einen Bauchschuss und stirbt auf der Flucht. Charley und sein verbliebener Komplize können erst mal untertauchen. Während in den Nachrichten die gestohlene Summe mit 2.000 Dollar angegeben wird, haben sie tatsächlich eine drei Viertel Million erbeutet. Dabei handelt es sich um geparktes Geld der Mafia, die nun Killer Molly auf die Bankräuber ansetzt.

Stärken

Der spannende, dichte Plot beruht auf dem Roman „The Looters“ von John Reese. Immer wieder gibt es überraschende, aber plausible Wendungen, die die Spannung eskalieren. Immer wieder gibt es produktive Irritationen, die allesamt erzählerisch aufgelöst werden. So versteht man zum Beispiel zunächst nicht, warum Charley Varrick beim nächtlichen Einbruch in der Praxis seines Zahnarztes nicht nur die Röntgenaufnahmen seiner verstorbenen Frau entwendet, sondern auch seine mit denen seines Komplizen vertauscht. Der Sinn wird erst beim Showdown deutlich, als Charley Varrick seinen Verfolger mit einer Sprengladung ins Jenseits befördert. Die war nämlich im abgestellten Wagen mit der Leiche seines getöteten Partners deponiert. Damit wird die gerichtsmedizinische Untersuchung auch Charley Varrick als Toten identifizieren. Jetzt hat er nicht nur die Beute, sondern auch die Mafia ein für allemal abgeschüttelt.

Sehr schön ist auch die Atmosphäre, die der Thriller aufbaut. Immer wieder gibt es witzige und skurrile Momente – ein wohltuender Kontrast zu den teilweise harten Actionszenen. Auch die jazzartige Filmmusik von Lalo Schifrin trägt zum 70er-Jahre-Flow bei.

Schwächen

So gekonnt der Plot konstruiert ist, so schablonenhaft agieren die Personen. Das beginnt mit dem Tod von Charleys Ehefrau Nadine. Nachdem sie mitsamt Fluchtwagen verbrannt wird, geht Charley Varrick schnell wieder zur Tagesordnung über. Das ist aber weder glaubhaft noch dramatisch. Dass man nach dem Verlust eines geliebten Menschen eigentlich schwer wieder zur Tagesordnung übergehen kann, demonstriert zum Beispiel Taylor Sheridans Thriller „Wind River“.

Klischees

Überhaupt agieren alle Figuren zu klischeehaft. Charley Varrick ist zu cool, sein Partner zu einfältig. Mafioso Molly ist eigentlich nur eitel und sadistisch. Er schlägt zum Beispiel Frauen, um sie sich gefügig zu machen. Das FBI darf nicht ermitteln, weil hier eine Privatbank überfallen wurde. Der zuständige Sheriff und seine Leute agieren eher im Stile einer deutschen Mordkommission, also umständlich und korrekt. Von ihnen geht eigentlich keine Gefahr aus, was dramaturgisch natürlich nicht so toll ist.

Fazit

 Ein vielschichtiger Plot kollidiert mit eindimensionalen Figuren – Der kleine Crash.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 4 blaue Smileys und 3 schwarze traurige Gesichter für "Charley Varrick".

Hunter Hunter (Shawn Linden) USA 2020

„Hunter Hunter“ ist zu zwei Dritteln ein spannender Survival-Thriller bis er dann im Schlussteil zum stupiden Splatterfilm mutiert. Damit erinnert er an den furchtbaren „Parasite“, der zu einer schwarzhumorigen Ausgangsidee, dann eine paranormale Ebene, dann noch eine Splatterebene usw. hinzufügt, so als würde man seinen Grundkomponenten nicht vertrauen. Aber ein guter Pizzateig besteht aus Mehl, Wasser, Salz und Hefe. Das war’s. Eine Chilischote hat da nichts verloren. 

Stärken

Gerade mit seinen einfachen Zutaten gelingt es dem Film, eine sogartige Spannung zu erzeugen. Trapper Joseph Mersault lebt mit seiner Frau Anne und der 13-jährigen Tochter Renée in den Wäldern der ostkanadischen Provinz Manitoba. Sie sind Selbstversorger und leben weitgehend vom Pelzhandel. Die anfangs etablierte Gefahr resultiert aus der Anwesenheit eines marodierenden, gefräßigen Wolfs. Sehr schön ist zum Beispiel die Szene, als Anne Wasser vom nahen Fluss holen will. Auf dem Rückweg durch den Wald hört sie Geräusche. Sie beschleunigt ihre Schritte, bis sie schließlich anfängt zu laufen. Als sie das rettende Blockhaus erreicht, ist sie völlig außer Atem und das Wasser in den Eimern komplett verschüttet. Nicht minder spannend ist die Szene, als Joseph mit seiner Tochter auf der Jagd ist und Renée vorsichtshalber allein nach Hause schickt. Dieser Rückweg wird dramatisch vorbildlich zelebriert. 

Auch in „Hunter Hunter“ erweist sich das erzählerische Prinzip der Einheit von Zeit, Raum und Handlung als großer Vorteil. Sehr schön ist auch der angelegte Konflikt zwischen den Eheleuten. Während Anne für einen Umzug in die nahegelegene Stadt plädiert, wo Renée endlich auch zur Schule gehen könnte, fühlt Joseph sich in der Wildnis verwurzelt. Herausragend ist auch die Kameraarbeit von Greg Nicod und die Filmmusik von Kevin Cronin.

Schwächen

Verschiedene erzählerische Fäden führt der Regisseur nicht zu Ende. Einige aufgeworfene und nicht beantwortete Fragen erzeugen unproduktive Irritationen. Was sind dass für Opfer, die Serienkiller Lou auf der Lichtung im Wald getötet hat? Sind sie einzeln dorthin verschleppt worden? Wie lange liegen sie schon dort? Gibt es keine Suchaktionen nach den Vermissten? Wieso verschwindet der Wolf nach der Hälfte des Films sang- und klanglos von der Bildfläche? Am Ende wird auch Renée vom Killer getötet. Das ist aber, nach Hinweis von Meister Alfred Hitchcock, nichts anderes als „Verrat am Kino“. Also, wieso verrät Regisseur Linden seine Protagonisten? Die finale Mutation zum Splatterfilm ist ein erzählerischer Offenbarungseid.

Ungereimtheiten

Wieso gibt es eigentlich in Nordamerika so viele Serienmörder? Das ist genauso glaubwürdig, wie die Vielzahl von Psychokillern in skandinavischen Krimis, also zum Beispiel im Bullerbü-Land Schweden. Nachdem der schwerverletzte Lou von Anne versorgt wird, fragt man sich, wie er kurz darauf derart schnell wieder auf die Beine kommen kann? Schon eine wundersame Schnellheilung bis zu seiner Enthäutung.

Lösungen

Eine Variante von John Sturges’ „Jeopardy“ wäre die Lösung gewesen. Also, der komplette Verzicht auf überflüssige Serienkiller und seine Opfer. Alles Bullshit. Stattdessen: Zwei Gefahrenherde. Joseph tritt auf der Jagd in eine seiner Fallen und wird schwer verletzt. Bei ihm seine Tochter, die versucht, mit einem Gewehr im Anschlag den Wolf auf Abstand zu halten. Ehefrau Anne, über Funk vom Unfall verständigt, will Hilfe holen und gerät dabei in die Fänge eines Schwerverbrechers, der natürlich ganz andere Pläne hat, als Joseph und Renée zu retten. Mehr hätte man nicht gebraucht.

Fazit

Die abgeschmackten Zutaten machen dieses Gericht ungenießbar. Schade.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 2 blaue Smileys und 5 schwarze traurige Gesichter für "Hunter Hunter".

Adieu, Bulle (Pierre Granier-Deferre) F 1975

Die Franzosen haben es schon drauf mit ihren Krimis. „Adieu, Bulle“ ist eine unkonventionelle, spannende Genremixtur aus Krimi und Thriller von Pierre Granier-Deferre. Ein Polit- und Copthriller, der vor allem durch seine originellen und schrägen Figuren lebt, die die Handlung mit schnodderigen Dialogen kompromisslos vorantreiben. „Adieu, Bulle“ ist ein harter und brisanter Film. In den Schießereien bleiben sowohl einige Gangster als auch Polizisten auf der Strecke. Inhaltlich behandelt er die illegale Verquickung von Politik, Justiz und Ermittlungsbehörden, also Korruption. Heutzutage hätten noch die Lobbyisten ihre Finger mit im Spiel. Aktuell ist die Thematik allemal.

Die Geschichte

Während eines Wahlkampfes wird eine Gruppe von Plakatierern von Gangstern überfallen. Dabei wird einer der Angegriffenen getötet ebenso wie ein herbeigeeilter Kripobeamter. Der kann allerdings vor seinem Ableben noch den Mörder identifizieren: Portor. Kommissar Verjeat (Lino Ventura) und sein Team um Inspector Lefèvre (Patrick Dewaere) blasen zur Jagd, wobei sie wenig zimperlich vorgehen. Schnell wird klar, dass der aalglatte Politiker Lardatte seine Finger im Spiel hat. Der versucht, sich seines Verfolgers zu entledigen, indem er dessen Versetzung erwirkt. Aber durch einen fingierten Korruptionsskandal erreicht Verjeat einen Aufschub. Den nutzt er, um Portor und Lardatte trickreich in die Falle zu locken.

Die Figuren

Kommissar Verjeat ist mürrisch, grimmig, stoisch und schlagkräftig – in doppelter Hinsicht. Vor dem Präsidium herumlungernde Harekrishna-Anhänger befördert er schon mal einen nach dem anderen auf die Straße. Verjeat ist nicht korrumpierbar und nimmt kein Blatt vor den Mund. „Mit Kriminellen umzugehen, ist etwas anderes als mit Politikern“, belehrt ihn Polizeichef Ledoux. „Sie werden mir eines Tages sicher den Unterschied erklären“, kontert Verjeat.

Ihm zur Seite agiert der nicht mInder originelle Lefèvre, der sich anfangs bitter darüber beklagt, dass eine Bordellchefin sie bei Ermittlungen „nicht schmieren“ wollte. Er ist ein Draufgänger, immer gut für eine ausgefallene Idee. Die beiden passen gut zusammen, auch wenn Verjeat ihn einmal ohrfeigt oder für verrückt erklärt. Lefèvre versteht, dass es väterlich gemeint ist. Dafür spart er seinerseits nicht mit guten Ratschlägen für seinen Chef: „Sie setzen gerade ihre Pension aufs Spiel.“ Den beiden schaut man einfach gerne zu, wie sie sich durch dieses Dickicht von Filz und Korruption schlagen.

Finale

Das Ende ist lakonisch und passt zum Grundtenor des Politthrillers. Portor hat Lardatte als Geisel genommen. Wieder soll Verjeat – wie zu Beginn schon einmal – die Geiselnahme gewaltfrei lösen. Aber er hat keine Lust mehr, für seine alten Kollegen und vor allem für Lardatte die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Verjeat beruft sich auf seine Versetzung und verlässt einfach den Tatort: „Adieu, Bulle“. Wir werden ihn vermissen.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 5 blaue Smileys und 2 schwarze traurige Gesichter für "Adieu, Bulle".

Der Hund, der Herr Bozzi hieß (Ladislao Vajda) I/E 1957

„Der Hund, der Herr Bozzi hieß“ ist eine wundervolle, kleine Mystery-Thrillerkomödie. In ihrer Anlage ähnelt sie Frank Capras „Ist das Leben nicht schön?“: Eingeführt von einem Off-Erzähler werden neorealistische Elemente mit märchenhaften gekreuzt. Sehr schön ist auch die Kontrastierung des einzelgängerischen, profitorientierten Daseins von Rechtsanwalt Dr. Bozzi (Peter Ustinov) mit dem quirligen, teils sorgenvollen Miteinander der italienischen Bewohner.

Die Geschichte

Rechtsanwalt Dr. Bozzi (Peter Ustinov) besitzt einige Immobilien in einem Viertel Brooklyns mit vielen italienischen Zuwanderern. Mitgefühl mit seinen manchmal unzuverlässigen Mietern kennt er nicht. Gnadenlos treibt er Pacht und Schulden ein, bis er von einer alten Frau mit magischen Fähigkeiten verzaubert wird. Fortan muss er als hässlicher Hund sein Dasein fristen und lernt so das Leben von einer anderen Seite kennen. Erst die Liebe des kleinen Toni befreit ihn vom Bann. Geläutert erlangt Dr. Bozzi seine menschliche Gestalt zurück und hat alle Mühe, seine Wandlung zu verbergen.

Regie

Immer wieder überrascht Ladislao Vajda mit originellen Regieeinfällen. Da ist zum Beispiel das Fleischer-Ehepaar, das die musikalische Darbietungen des kleinen Toni zum Erwerb eines Knochens anfangs freudestrahlend unterstützt. Bei nachfolgenden Auftritten verfinstern sich ihre Mienen zusehends. Herrlich ist auch die Szene, als Bozzi in Gestalt des hässlichen Hundes, Giulias Erbschaft in Höhe von 6.000 Dollar auffrisst, um sie zu beschützen.

Übertreibungen

Von allem gibt es in „Der Hund, der Herr Bozzi hieß“ eine bisschen zu viel: Bozzi ist zu habgierig, sein Adlatus Bruno zu untertänig, Giulia zu einfältig, ihr Freund Alfonso zu schmierig usw. Auch Bozzis Entwicklung vom Saulus zum Paulus, nachdem er das Leben in der Gosse kennengelernt hat, ist zu uneingeschränkt. Andererseits tragen diese unbekümmerten Übertreibungen maßgeblich zum Charme dieses Films bei. Irgendwie ist es auch lustig, wenn Bozzi zum Beispiel – noch in Menschengestalt – hinter seiner Wohnungstür Hundegebell imitiert, um das Gesindel zu vertreiben.

Fazit

Vor allem ist dieser Film eine Hymne an die Freundschaft oder die Liebe zu anderen Menschen bzw. Lebewesen und hat damit auch etwas Zeitloses. Herzerfrischend!

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 5 blaue Smileys und 2 schwarze traurige Gesichter für "Der Hund, der Herr Bozzi hieß".